Geoff Ryman – Pol Pots wunderschöne Tochter. Erzählungen

Der Untergang Kambodschas, der Sieg der Einfühlsamkeit

Menschen in extremen Situationen … Darf man seinen eigenen Körper verkaufen, wenn es ums Überleben geht? Sind im Krieg gegen einen übermächtigen Feind alle Mittel erlaubt? Lastet die Schuld der Väter auch auf unseren Schultern, und wie sollen wir damit umgehen?

Ein visionärer Kurzroman über die Zukunft der Biotechnologie, die uns längst eingeholt hat; die Legende eines Kriegers, von dem die Samurai viel lernen könnten; eine kambodschanische Geistergeschichte von allergrößter politischer Brisanz – Geoff Ryman geleitet uns in diesen sechs Erzählungen mit geradezu traumwandlerischer Sicherheit in exotische Gefilde, konfrontiert uns mit atemberaubender Schönheit und grenzenlosem Grauen. (Verlagsinfo)

Der Autor

Geoff Ryman wurde 1951 in Kanada geboren, zog aber mit elf Jahren in die USA. Seit 1973 lebt er in Großbritannien. Mit „Der Orden der Frauen“ gab er 1985 sein Romandebüt. Besonders beeindruckte mich seine Novelle „The Unconquered Country / Das unbesiegte Land“, die mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde. Diese Geschichte erschien 1984 in dem englischen Science Fiction-Magazin Interzone und erhielt den World Fantasy Award. Sie machte Ryman mit einem Schlag weithin bekannt.

Für seinen Roman „The Child Garden: A Low Comedy“ erhielt Ryman 1992 den Arthur C. Clarke Award und den John W. Campbell Memorial Award. Im gleichen Jahr erschien mit „Was…“ auch seine Bearbeitung des Themas von “The Wondrous Wizard of Oz“ (1900).

Die Erzählungen

1) Das unbesiegte Land (1984)

Die Geschichte befasst sich mit der Tragödie Kambodschas (Kampuichea) in den siebziger Jahren unter Pol Pot, als mehrere Millionen Menschen von den kommunistischen Machthabern, den Roten Khmer, ermordet wurden. Die Phantasie scheint die schrecklichen Geschehnisse zu verzerren, doch sie macht sie erträglicher in der Wahrnehmung, ohne sie in der Bedeutung herabzusetzen.

Dies ist die Geschichte eines Mädchen, das einfach Drittes Kind oder Dritte genannt wird. Sie ist ein Flüchtling in einer Stadt namens Saprang Song, und sie verkauft ihr Blut und andere Bestandteile ihres Körpers, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie vermietet ihren Schoß, um darin verschiedene Dinge wachsen zu lassen: Haushaltsgeräte und sogar Waffen. Nachts brechen die Waffen unter hohem Blutverlust aus ihr hervor wie kleine Guppy-Fische, und sie muss sie sofort in einen Eimer schaufeln und diesen mit einem Deckel verschließen, damit die Guppys sie nicht fressen.

Dritte erinnert sich an das Dorf, aus dem sie stammt. Die Häuser lebten ebenso wie ihre Bewohner. Doch in der Stadt, in der sie jetzt lebt, bestehen die Häuser nur aus toten Hülsen. Dritte wurde in dem Krieg vertrieben, den die „Nachbarn“ anzettelten, nachdem diese von den Großen Leuten Waffen bekommen hatten. Eines Tages hatten geflügelte Ungeheuer angegriffen, die man Haie nannte.

Nun verliebt sich Dritte in einen Mann namens Krähe, doch ihre Romanze ist nur kurz, als der Krieg wieder aufflammt. Die Rebellen zwingen Dritte und mehrere tausend Schicksalsgenossen auf einen Todesmarsch, und als sie eine wackelige Brücke überqueren sollen, erreicht die Erzählung einen schrecklichen Höhepunkt.

Mein Eindruck

Trotz seines blutigen und bedrückenden Themas ist „Das unbesiegte Land“ bewegend, intensiv, eine mutige und magische Fabel, die auf ihre Weise auch merkwürdig froh stimmt. Einfach unvergesslich. Diese Geschichte erschien 1984 in dem englischen Science Fiction-Magazin „Interzone“ und erhielt den World Fantasy Award. Sie machte Ryman mit einem Schlag weithin bekannt.

2) Die letzten zehn Jahre im Leben des Helden Kai (2005)

Dem kambodschanischen Kriegermönch Kai ist es vorherbestimmt, ein Held zu werden. Er hält sich nämlich an die zehn Leitsätze, die für einen Helden gelten. In jedem seiner Lebensabschnitte erfüllt sich die Wahrheit einer dieser Leitsätze. Einer davon lautet: „Heldentum ist Handeln.“

Er sieht die Notwendigkeit für sein Handeln gekommen, als er bemerkt, wie unfähig der König ist. Der gibt sich nur der Magie hin und spielt mit neuen, sinnlosen Erfindungen, während die Berater und Beamten des Königs alle von den NACHBARN gestellt werden, die nun die Bevölkerung ausbeuten. Die verarmte, geknechtete Bauernschaft gehorcht weiteren Leitsätzen, sogenannten Chbaps, die sie dazu anhalten, lieber alles zu ertragen und sogar gegenüber Hunden höflich zu sein.

Doch um die NACHBARN zu verjagen, müssen Kai und seine zehn Mitkämpfer (sowie der Lehrling Arun) erst einmal die Magie der NACHBARN besiegen. Diese sind zwar ohne Waffen, verfügen aber über die Magie des Gesangs und des Wortes. Dies gelingt Kai und seinem Trupp, so dass sie leicht den Königspalast stürmen und den König entführen können. In den Berge errichten sie die Stadt der Wahrscheinlichkeit.

Das Zentrum des Widerstands der „Söhne von Kambu“ wird rasch zu einem Ziel der Angriffe der NACHBARN, doch die erste Schlacht verläuft erfolgreich. In der zweiten Schlacht bewahrheitet sich ein weiterer Leitsatz: „Organisierter Rückzug ist eine Form des Angriffs.“ Mit Bedauern sieht Kai, wie mehrere Tausend Kambu unter der feindlichen Armee gegen das eigene Volk antreten…

Mein Eindruck

Diese Novelle kommt im Gewand einer Volkslegende daher, die man sich in den Klöstern und unter Bauern weitererzählen würde, zur Erbauung und Unterrichtung der Jugend. Da machen die zehn Leitsätzen deutlich. Angesichts dieses Publikums kann es zudem durchaus legitim erscheinen, dass hier von Magie die Rede ist.

Mehrere Machtwechsel ereignen sich, und das könnte mit tatsächlichen Machtwechseln in Kambodscha im Laufe seiner langen Geschichte übereinstimmen. Durch die Form der Legende fällt allerdings die Festlegung auf bestimmte Epochen und Orte weg. Kai ist mittlerweile eine Art Mythos und der Chronologie enthoben. Deshalb macht es auch nichts, wenn er am Schluss eine große Maschine zerstört und dies auf magische Weise große Zerstörungen zeitigt.

3) Pol Pots wunderschöne Tochter (Pol Pot’s Beautiful Daughter, 2006)

Diese Geschichte ist erstunken und erlogen, macht der Erzähler von vornherein klar. Es handelt sich um eine Geistergeschichte.

Auch im Leben von Sith, der 18-jährigen Tochter des Massenmörders Pol Pot, machen sich Geister breit. Dabei ist sie doch so unpolitisch, wie es nur geht. Sie interessiert sich nur fürs Shoppen, das sie bevorzugt im Einkaufszentrum Sorya erledigt. Im dortigen Handyladen lernt sie den Verkäufer Dara, einen Bauernsohn, kennen. Sie kauft ein Handy nach dem anderen. Aber als auf allen Handys und sogar ihrem MP3-Player und noch dazu auf dem Fernseher nur abgeschmackte Geistergeschichten und Stimmen aus dem Reich der Toten zu hören und zu sehen sind, gibt sie entweder alles Dara oder wirft es aus dem Fenster ihrer Hotelsuite.

Nachdem sie sich in Dara verliebt hat, sieht sie bei einem Ausflug aufs Land, wo seine Familie lebt, eine Chance, den Stimmen der Geister zu entgehen. Sie hat sich Dara als Tochter von Pol Pots Erzfeind Kol Vikreaboth vorgestellt. Ausgerechnet jetzt findet auch dort ein Fest zu Ehren der Geister statt. Sie schreibt Vikreaboths Namen auf ihren Zettel und lässt diesen von Dara verbrennen. Ein Wind erhebt sich, die Sonne verdunkelt sich – Sith weiß Bescheid. Auf dem Heimweg nach Phnom Penh ist sie schweigsam, was Dara betrübt.

Ein Besuch in der Gedenkstätte für Pol Pots Opfer öffnet Sith die Augen, und ein freundlicher Bike-Fahrer namens Sovann bringt sie heim. Der Drucker ist die Verbindung zur Geisterwelt. Ein neues Foto liegt auf Siths Drucker, und schon ruft auf dem Festnetz der zugehörige Mensch an. Er will, dass Sith und so viele andere wie möglich um ihn trauern. Da anschließend eine wahre Flut von solchen Anfragen nicht abzuweisen ist, kommt Sith doch noch dieser Aufgabe nach. Schon bald muss sie Sovann bitten, mehr Druckerpapier zu besorgen, sowie Lebensmittel: Die Aufgabe nimmt sie voll in Anspruch, sehr zur Freude von Sovann, der selbst Tote in seiner Familie zu beklagen hat.

Aber in der Gedenkstätte hat sie auch Dara unter den Fotos der Toten gesehen. Ist er in Wahrheit ein Geist? Sie muss es herausfinden, wenn ihr außer dem toten Gestern auch noch eine lebendige Zukunft bleiben soll.

Mein Eindruck

Diese Geschichte könnte auch in Deutschland nach dem Krieg spielen. Eine unpolitische Jugendliche wird durch die Geister der Vergangenheit in das Grundproblem des Landes hineingezogen. Sie wollen keine Ruhe geben, sondern bestehen allerorten darauf, dass sie sich um sie kümmert: Alle sollen endlich um die Millionen Toten trauern, vorher gibt es keine Ruhe.

Die Geister sind natürlich eine Metapher für die Erinnerung an die Verstorbenen. Nur dass sie in Kambodscha überall in jeder Gestalt auftauchen können, also allgegenwärtig sind. Geister können sogar Dinge besitzen. Es ist also wichtig, dass sie den Lebenden gewogen sind. Sith fungiert als Sprecherin für die Toten, nennt deren Verdienste und erfüllt damit eine heilige, notwendige Aufgabe. Ob sie mit Dara zusammenkommt, darf hier nicht verraten werden.

4) Aufgehalten (Blocked, 2009)

Agnete war aus Dänemark nach Kambodscha gezogen und hatte einen Khmer geheiratet, Doch dessen Sippe lehnte sie ab, und so war er „fortgegangen“. Sie hat sich mit ihren drei Kindern Gerda, Sampul, Thangrum und Rith dem Kasinobesitzer Channarith Sonn angeschlossen, der diese Geschichte erzählt. Er hat in Sihanoukville an der Küste ein kleines Vermögen verdient, doch nun wird die Erde angeblich bald von Alien-Invasoren erobert und die Familie muss nach Singapur flüchten.

Vor der Abreise schlägt ein Blitz in den Schrein der Geister, was die kleine Gerda so entsetzlich findet, dass sie schreit und heult. Sie ist eine echte Khmer, denkt Channarith Doch trotz dieses bösen Omens erreicht das Segelschiff – der Erde ist das Öl ausgegangen und die Küstenstädte sind überflutet – unversehrt die Flüchtlingssiedlungen ringsum Singapur. Dort fahren mittlerweile keine Aufzüge mehr, und die Wolkenkratzer stehen leer. Klein-Gerda ist untröstlich, heult und will nicht schlafen: Sie sehnt sich nach der verlorenen Heimat zurück.

Der Weg in die Sicherheit führt nach unten, in ein Habitat unter dem Meer. Vor dem Aufzug gibt es ein geordnetes Gedränge, das Hostessen in den Griff zu kriegen versuchen. Eine gibt der quengelnden Gerda sogar eine Beruhigungsspritze. Als Channarith erkennt, dass die Aliens eine Lüge sind und er bleiben will, wendet sich Agnete von ihm ab. Aber soll all das Geld, das er fürs Ticket gezahlt hat, für die Katz gewesen sein? Also kommt er mit.

Die Unterwasserstadt ist Disneyland, Shopping Mall und Vergnügungszentrum. Die wieder aufgewachte Gerda ist begeistert. Sogar Agnete entschuldigt sich. Alles wird ins Lot kommen, denkt Channarith. Statt den Freitod zu wählen, beschließt er, ein Mönch zu werden wie sein Onkel. Es ist der traditionelle Weg der kambodschanischen Mannwerdung.

Mein Eindruck

Die Thematik der Flüchtlinge war nie aktueller. Doch die hier beschriebenen Flüchtlinge sind in Wahrheit die vor den Folgen des Klimawandels, selbst wenn ihnen alle Regierungen der Welt einreden, dass die Aliens kommen. Wie es sich anfühlt, in einem solchen Umbruch gefangen zu sein und dabei eine Familie zu haben, schildert diese Erzählung eindringlich.

Die Phasen des Wandels werden nicht nur aneinandergereiht, sondern ergeben sich auseinander. Selbst die letzte Station, die des Mönchs, ist für einen Kambodschaner, der zu seinen Wurzeln zurückkehren will, folgerichtig. Und nie geht die emotionale Dimension des Leidens und Hoffens verloren. Das ist eine Eigenheit, die Ryman vor vielen Autoren auszeichnet.

5) Herzlichkeit (Warmth, 1995)

Clancy ist der genetisch ausgewählte Sohn einer extrem ehrgeizigen Chefredakteurin namens Booker. Da sie keine Zeit für seine Erziehung hat, kauft sie eine maschinelle Mutter namens BETsi. Der sprechende, intelligente und lernfähige Roboter sieht ein wenig aus wie ein Staubsauger, doch Clancy lernt schnell. Leider bleibt seine Fähigkeit zur sozialen Interaktion stark hinter den Gleichaltrigen zurück, und er hält Männer wie den Fensterputzer Tom für Fabelwesen. Am besten kennt er sich mit „Jurassic Park“ aus, das er auswendig kennt.

Eines Tages hat Booker, seine leibliche Mutter, einen Zusammenbruch, weil sie ein Junkie für Barbiturate ist. Sie bleibt zwei Wochen weg, und Clancys Leben verändert sich erheblich. So wird beispielsweise die Wohnung von Tom und seinen Spießgesellen ausgeräumt und geplündert. Immerhin darf Clancy jetzt wenigstens Computerspiele erlernen. Als Booker zurückkehrt, ist sie erst recht nicht fähig, ihren Sohn zu erziehen: Sie ist auf Entzug, spricht dem Alkohol und Nikotin zu, ihre Sexpartner wählt sie nach Berufen aus.

Doch dann kommt es zu einem Vorfall, der unverzeihlich ist. Als Clancy aus der Kunst-Schule zurückkehrt, an der er Illustration studiert, muss er feststellen, dass Booker BETsi, die Gefährtin und Beschützerin seiner Kindheit und Jugend, an den Hersteller verkauft hat. Clancy macht sich auf die schier hoffnungslose Suche nach BETsi…

Mein Eindruck

Diese Geschichte erinnerte mich sofort an eine von Ted Chiang namens „Daceys vollautomatisches Kindermädchen“ aus dem Jahr 2011. Die von Geoff Ryman ist also 16 Jahre älter und lässt Chiangs Story etwas alt aussehen. Allerdings sind sie im Stil und der Herangehensweise völlig verschieden, und so ist die Behandlung des gleichen Themas völlig legitim.

Das Thema der Geschichte wird schon von der Überschrift aufgegriffen. Wie äußert sich emotionale Wärme? Man erwartet sie landläufig zwischen einer Mutter und ihrem Kind, aber in der modernen Leistungsgesellschaft ist das nicht immer realisierbar. Also springen automatische Robot-Mütter ein – und das wohl schon in naher Zukunft. Welche Folgen dies für die betroffenen Kinder hat, erzählt die Story in einfühlsamen, traurig und nachdenklich machenden Bildern. Szenen voller Komik, die aus der Unschuld des jungen Erzählers Clancy resultieren, lockern die melancholische Grundgeschichte auf.

Am Schluss engagiert sich Clancy für eine Weiterentwicklung der BETsis: Sie sollen nicht nach jedem Kundenwechsel ihre gespeicherten Erinnerungen an den Vorbesitzer „vergessen“. Das ist tröstlich. Es gibt also Evolution unter Robotern. Wenn man nur dazu willens und bereit ist.

6) Geburtstage (Birth Days, 2003)

Ron outet sich an seinem 16. Geburtstag gegenüber seiner Mutter als homosexuell. Sie ist eine Neo-Christin, und die sind die einzigen, die Homosexualität nicht als Perversion oder gar ein Verbrechen betrachten. Sie trägt die Neuigkeit also mit Fassung. Gemeinhin wird in dieser Geschichte Homosexualität als eine Strafe der Aliens angesehen, die sie als genetische Subversion ins menschliche Genom eingeschmuggelt haben. Was reichlich wenig Sinn ergibt.

An seinem 26. Geburtstag ist Ron in Joao, einen brasilianischen Diplomaten verliebt, der in den zurückgegebenen Gebieten der Indios lebt. Ron beginnt mit seinen Forschungen an dem lebenden Koma-Toten Richard Flannery und kommt auf eine Methode, das Gen für Homosexualität so umzugestalten, dass schließlich erwachsene Schwule wählen können, ob sie doch noch heterosexuell werden wollen.

An seinem 36. Geburtstag hat Ron einen weiteren Durchbruch in der Genetik geschafft und sich entschlossen, unabhängig zu arbeiten: Er wird der erste Mann sein, der ein Kind in seinem Körper austrägt. Dafür geht er zu Joaos Volk in den Urwald am Amazonas. Es gibt eine große Party am Vorabend und alle hoffen, dass die Geburt gut verläuft.

Der 46. Geburtstag bringt Ron um ein Haar den Tod. Er hat mittlerweile sein zehntes Kind mit Joao und Nilson, seinem zweiten Lebensgefährten. Nur durch den Transport ins nächste Krankenhaus, wo er eine Transfusion bekommt, überlebt er. Aber hey, die Aussichten sind gut, eines Tages die hetero-Rivalen aus der Welt zu verdrängen. Schließlich haben auch schon die Zeichen der Zeit erkannt und Rons Methode angewandt…

Mein Eindruck

Die Erzählung schildert, wie Homosexualität eine erfolgreiche Lebensweise sein kann und wie Schwule womöglich dereinst die dominante Lebensform unter Menschen sein könnten. Das ist sowohl ironisch gemeint, als auch einfühlsam beschrieben, noch dazu auf plausiblen, genetischen Forschungsergebnissen fußend. Dass Homos von Aliens eingeführt worden seien, ist natürlich eine Attacke auf dämliche Vorurteile. Wieder hält die Balance zwischen Gefühl, Humor und leiser Tragik.

Die Übersetzung

Der Übersetzung kann oftmals den nicht die richtige Endung für den jeweils nötigen Kasus finden, aber hey, das ist nichts Ungewöhnliches in einer Zeit sprachlichen Niedergangs.

S. 188: BPC – wird nicht erklärt und kann laut Wikipedia alles Mögliche bedeuten, unter anderem: https://en.wikipedia.org/wiki/British_Polling_Council.

S. 194: „Protagonisten von LITTLE WOMAN nachempfunden“. Der uralte Romanklassiker heißt korrekt aber „LITTLE WOMEN“ und wurde u.a. mit Winona Ryder verfilmt.

Unterm Strich

Die ersten vier Erzählungen spielen in Kambodscha oder zumindest mit kambodschanischen Figuren. Sie gefielen mir sehr gut, denn sie sind in der phantastischen Literatur einzigartig: andersartig, einfallsreich, aber anrührend und humorvoll. Es ist, als erzähle der Autor aus einem Land vor unserer Zeit, dem leider das Missgeschick widerfuhr, mehrfach erobert und ausgebeutet zu werden. Der Erzählstil hebt die Geschichte ins Überzeitliche, Legendenhafte. Deshalb kann man sogar eine Novelle wie „Das unbesiegte Land“, die schon über 30 Jahre alt ist, immer noch lesen, als wäre sie erst gestern passiert.

Die restlichen zwei Erzählungen spielen in naher Zukunft. Menschenkinder werden in „Herzlichkeit“ nicht mehr von biologischen, sondern von kybernetischen Müttern aufgezogen. Das hat groteske, aber auch anrührende Folgen. Und in „Geburtstage“ darf man den Titel durchaus wörtlich verstehen: Diesmal gelingt es homosexuellen Männern (auch von Frauen ist am Rande die Rede), schwanger zu werden und lebensfähige Kinder in die Welt zu setzen.

Man sieht also: Immer wieder geht es dem Autor um Väter, Kinder und Mütter, die die Gesellschaft zusammenhalten, aber auch auf ungewöhnliche Weise weiterbringen. Sowohl männliche als auch weibliche Leser im Erwachsenenalter können die Geschichten dieses Erzählbandes mit Genuss und Vergnügen lesen – und dabei noch einiges über ein kleines, abgelegenes Land namens Kambodscha lernen.

Taschenbuch: 217 Seiten
Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring, Karlheinz Schlögl und Anne-Marie Wachs
golkonda-verlag.de

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