George Alec Effinger – Die Wölfe der Erinnerung

Existentialistische SF: Für die Liebe zum Menschen

Dies ist die Geschichte von TECT, dem gottgleichen Computer, der in seiner Weisheit, in seiner Allmacht und in seiner maschinenhaften Gleichgültigkeit die Geschicke der Menschen verwaltet. Seine Ratschlüsse sind ebenso unergründlich wie unmenschlich. Ist TECT ein müde gewordener Gott, der seinen „Heilsplan“ durchsetzen will und gleichzeitig seine Abschaltung betreibt, um sich seiner Verantwortung für die Menschheit zu entheben?

Und es ist die Geschichte von Sandor Courane, dem guten Kerl, der immer für andere da ist, den man herumschubsen und demütigen kann und den TECT schließlich ohne Grund in die Hölle eines fernen Planeten schickt, weil er ja nur ein unbedeutendes Werkzeug ist. (Verlagsinfo)

Der Autor

Seit George Alec Effinger 1972 mit „What Entropy Means to Me“ seinen ersten Science Fiction-Roman vorstellte, ist er immer wieder aufgrund seines ironischen Witzes, seines Sinns für die Absurdität des Universums, des Blicks für Details und wegen seiner Stilparodien mit Autoren wie Borges, John Barth und Thomas Pynchon verglichen worden. „Die Wölfe der Erinnerung“ (1981) dürfte die genannten Qualitäten aufweisen, seinen Autor aber noch nicht auf das Niveau jener Autoren heben. An das Cyberpunk-Genre hängte er sich mit seiner Marîd-Trilogie an, einer Reihe von ironischen Cyber-Krimis.

Handlung

Sandor Courane, eine Figur, die Effinger häufig auch in Stories verwendet, scheitert in einer Welt, die sich an die totalitäre Herrschaft des Weltcomputers TECT gewöhnt hat. Wohl gerade weil Sandor ein „guter Kerl“ ist, vermasselt er sich alle Chancen auf soziale Bewährung, die im TECT gibt, und wird dafür vom auf einen Strafkolonieplaneten verbannt, der, wie sich herausstellt, sowohl ein Ort der Liebe (Agape, nicht Eros) wie auch des Todes ist: Die Verbannten sterben binnen zwei Jahren an einer Krankheit, die Gedächtnisschwund bewirkt, so dass auch der Organismus zusammenbricht.

An diesem Ort, der an „La peste“ von Albert Camus erinnert, wird Courane ein einziges Mal einer von TECT gestellten Aufgabe gerecht, indem er, obwohl selbst schon an Amnesie leidend, eine ausgerissene junge Frau, wenn auch nur als Leiche, aus der Wüste zurückholt und mit dieser scheintot, aber noch lebendig, mitsamt seinem Tagebuch per Teleportation auf die Erde gelangt.

Damit hat der Gott spielende TECT sein Ziel erreicht: Während Courane stirbt, verbreitet sich nämlich auf der Erde die Kunde von TECTS verbrecherischem Treiben; der Computer muss gewollt haben, dass ihn die folgende Rebellion beseitigen wird und dass die Menschen wieder selbst die Verantwortung für sich übernehmen werden…

Mein Eindruck

Wie dem kundigen Leser die offensichtlichen Parallelen klarmachen, verarbeitet die Tragikomödie Couranes die Handlung des biblischen Buches Hiob. Effinger rettet sein Buch jedoch vor den Niederungen des Melodrams und der Moralpredigt durch seinen zynischen Witz und die Absurdität, mit der seine Figuren ihre Situation erfahren: keine Ideologie und keine guten Ratschläge können die verbannten vor dem Wahnsinn bewahren, sondern nur Agape, die Liebe zum Menschen.

Indem der Autor die Erinnerungsfetzen Sandors völlig unchronologisch ordnet, bringt er dem Leser die Wichtigkeit der Erinnerungsfähigkeit zu Bewusstsein, die ja erst (nicht nur in diesem Buch) Ordnung bzw. Welt herstellt, und zeigt ihm in der Handlung den Prozess der Entmenschlichung auf, der einsetzt, wenn die Erinnerung zerstört wird bzw. delegiert ist – etwa an Computer und Datenbanken. Die Folgen des Prozesses kann man in ihrem fortgeschrittenen Stadium heute wahrnehmen.

Unterm Strich

Insgesamt ist „Die Wölfe der Erinnerung“ ein hervorragend konzipierter und erzählter Roman voll Witz und Humanität, aber auch böse, satirisch bis zur Blasphemie und gleichzeitig melancholisch, vom tiefen Mitleid für die geschundene menschliche Kreatur geprägt. Manche meinen: „eine brillante Mischung aus Hiob und M.A.S.H.“, sicher aber ein ergreifendes und erschütterndes Buch. Zu der hohen Qualität des Romans trägt die gelungene Übersetzung nicht wenig bei. Ich habe mein Exemplar jedenfalls bis heute in Ehren gehalten.

Taschenbuch: 366 Seiten
Originaltitel: The Wolves of Memory, 1981
Aus dem Englischen von Roland Fleissner
ISBN-13: 9783453313224

www.heyne.de

Der Autor vergibt: (4.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)