George P. Pelecanos – Big Blowdown

Kurz nach dem II. Weltkrieg legt sich ein Mitglied der griechischen Gemeinde von Washington mit der örtlichen Mafia an. Als auch ein Freund bedroht wird, schlägt er sich auf dessen Seite. Der Konflikt eskaliert zum finalen Showdown mit beachtlichem Bodycount … – Thriller-Drama in ausgezeichnet recherchiertem historischen Umfeld; die Stimmung ist düster, der Handlungsverlauf konsequent und spannend: ein moderner Klassiker.

Das geschieht:

Washington D. C., 1946: Vor einem Jahr ist Peter Karras in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Seine Welt war und ist das „Griechische Viertel“. Unter den Arbeitern, kleinen Händlern, Krämern und Kneipenbesitzern ist er zu Hause, sein Vater Dimitri betreibt einen Obst- und Gemüsestand. Karras ist bekannt und geachtet, im Pazifikkrieg hat er sich als Angehöriger des Marine Corps hervorgetan. Er ist verheiratet, hat Freunde, führt ein geordnetes Leben und ist doch unruhig. Karras möchte es weiter bringen. Er gleitet in die Kriminalität ab, versucht sich als Handlanger eines örtlichen Gangsterbosses und Kredithais. Burke verleiht Kredite zu Wucherzinsen und erpresst ‚Schutzgelder‘ von Ladenbesitzern.

Doch Karras bringt es nicht fertig, säumige Schuldner mit brutaler Härte an ihre Zahlungsverpflichtungen zu erinnern. Burke beschließt ihn fallenzulassen. Zuvor will er Karras eine Lektion erteilen. Er lässt ihn von seinen Schergen verprügeln. Drei Jahre später hat Karras seine Träume von einer besseren Zukunft begraben und ist als Koch bei seinem Freund Stefanos untergekommen. Die Vergangenheit holt ihn trotzdem ein. Burke will seinen Einflussbereich ausdehnen und hat ein Auge auf Stefanos Kneipe geworfen. Er fordert ein hohes monatliches Schutzgeld. Stefanos weigert sich zu zahlen. Burke schickt seine Schläger, aber Stefanos kann sie ausschalten.

Karras weiß nur zu gut, dass Burke zurückschlagen wird. Dennoch sagt er seinem neuen Arbeitskollegen Michael Florek seine Hilfe in einer anderen Sache zu. Florek sucht seine Schwester Lola, die in Washington ich Glück finden wollte und als drogensüchtige Prostituierte endete. Gerade ist sie Zeugin eines furchtbaren Mordes geworden: Seit Jahren geht ein grausamer Serienmörder in Washington um, der schwergewichtige Huren förmlich abschlachtet. Die Polizei kann ihn nicht stellen. Karras findet ihn, während er Lolas Spuren nachgeht, die in den Dunstkreis des Gangsterbosses Burke führen. Der Tag der Rache ist für Karras gekommen; er plant die finale Abrechnung. Sie gipfelt mit einer Schießerei, die breite Lücken in das Figurenpersonal reißt …

Schwarz ist finster ist hoffnungslos

Eine kaltherzige Welt und ihre auf Gedeih und Verderb miteinander verbundenen Bewohner; ein um sich selbst kreisender Mikrokosmos, der scheinbar neben der ‚normalen‘ Welt existiert, bevölkert von nur scheinbar starken Männern und schwachen Frauen, die wie an unsichtbaren Fäden auf ihr Verhängnis zusteuern; Menschen in der Krise, Menschen auf der Schattenseite des Lebens, die versuchen, sich ihr Stück vom Kuchen zu holen, und doch am Ende mit leeren Händen dastehen – wenn sie noch stehen können! Keine Frage: Wir befinden uns in der Welt des „Schwarzen Serie“, in der sich die Hoffnung auf ein besseres Leben oder gar Glück stets als grausam enttäuschte Illusion erweist.

Bekannter als die Romanversion dieser Schwarzen Serie ist ihr Pendant auf der Kinoleinwand geworden: Der „Film Noir“ ist ein seltenes Beispiel dafür, dass Hollywood originell sein kann. Das Genre entstand in der Umbruchphase nach dem für die USA zwar gewonnenen, an der Heimatfront aber mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Verwerfungen einhergehenden II. Weltkrieg. Es brachte einige der größten Filmklassiker überhaupt hervor.

Die Zeit des „Film Noir“ (ver ) endete in der bleiernen Eisenhower Ära der frühen 1950er Jahre. Die Romane der Schwarzen Serie überlebten in einer kleinen aber stabilen Nische der Krimi Szene. George P. Pelecanos gelang das Kunststück, ein in seinen eigenen Regeln erstarrtes Genre neu zu beleben und auf den aktuellen Stand zu bringen.

Chronik von unten

„Big Blowdown“ ist der erste Teil einer Trilogie, die sich mit der kriminellen Geschichte Washingtons kurz vor und vor allem nach dem II. Weltkrieg beschäftigt. Die Hauptstadt der USA bringt man gemeinhin nicht mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung. Thriller Autoren lassen in diesem Umfeld gern Bösewichte in feinen Nadelstreifenanzügen im Pentagon oder im Weißen Haus welterschütternde Verschwörungen ausbrüten. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass Washington jenseits seiner politischen Arenen eine moderne Großstadt mit den üblichen Alltagsproblemen ist. Konflikte zwischen ethnischen Gruppen und die Machenschaften des organisierten Verbrechens sind dafür nur zwei Beispiele, die indes eng miteinander verzahnt sind.

Die USA galten lange als gelobtes Land für Auswanderer aus Europa, die den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zwängen ihrer alten Heimat entfliehen wollten. Jenseits des Großen Teiches mussten sie rasch erkennen, dass sie auch hier nicht mit offenen Armen empfangen wurden. Zum Kulturschock kam die Sprachbarriere. So ist es kaum verwunderlich, dass die Emigranten unter sich blieben. Bald gab es in den großen Städten Nordamerikas italienische, russische oder deutsche Viertel. Ihre Bewohner blieben mit ihrer Sprache, ihren Sitten und Gebräuchen unter sich, wo sie sich heimisch fühlten.

Auf der anderen Seite isolierten sie sich auf diese Weise und fanden als schlecht verdienende Kleinstunternehmer und Hilfsarbeiter ihre Nischen nur am Rande der Gesellschaft. Einen Weg aus diesem Mikrokosmos, der gleichzeitig ein Teufelskreis war, gab es nur für jene, die dem Ghetto dank einer guten Ausbildung und eines Quäntchens Glück den Rücken wenden konnten.

Kontinuität der Opferrolle

Eine überschaubare Welt, abgeschottet und quasi außerhalb der amerikanischen Gesellschaft stehend, bevölkert von Menschen, die Vertretern von Gesetz und Ordnung mit Misstrauen begegneten das ist eine Welt, die als Opfer für das organisierte Verbrechen prädestiniert ist. Auf der einen Seite scheinbare Volksnähe demonstrierend und den Einwanderern auf unbürokratischem Wege Kleinkredite gewährend, auf der anderen Schutzgelder erpressend, halten die Banden Einzug auch in das griechische Viertel Washingtons, in dem George P. Pelecanos die Familie Karras angesiedelt hat. Diese Gangster leben gut und müssen sich nicht sieben Tage in der Woche für einen Hungerlohn krummlegen. Da liegt es für viele Jugendliche des Viertels nahe, auf dem Weg zum Wohlstand eine Abkürzung zu versuchen.

Für den, der bereit ist, die Drecksarbeit für die Bosse zu erledigen, gibt es immer etwas zu tun. Pete Karras, gerade zurückgekehrt aus dem Krieg, wo er seinen bisher beschränkten Horizont erweitern konnte, wird für einen besonders perfiden Job angeheuert: Er soll von den eigenen Landsleuten rückständige Wucherzinsen eintreiben. Aber er, der reine proletarische Tor, kann nicht heraus aus seiner im Grunde ehrlichen Haut, was wie jede gute Tat in dieser „schwarzen“ Welt nur umso härter bestraft wird.

1989 schrieb George P. Pelecanos den Roman „A Firing Offense“, der zum ersten Teil einer vierteiligen Serie („DC Quartet“) um den Privatdetektiv Nick Stefanos und gleichzeitig der Auftakt zu Pelecanos‘ ehrgeizigem Projekt wurde, die Geschichte Washingtons im 20. Jahrhundert romanhaft zu beschreiben. Diese Bücher sind miteinander verwoben – beispielsweise findet im vorliegenden Buch Nick Stefanos als Baby Erwähnung – gemeinsam bilden sie so etwas wie ein Sittenbild der Stadt und ihrer Bewohner. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Bedeutung von Herkunft und Freundschaft bzw. Solidarität. Wie weit kann oder muss sie gehen? Darf sie die Grenze zwischen Gut und Böse ignorieren? Für Pelecanos ist die Entscheidung klar, aber er verschleiert nie, dass der ‚richtige‘ Weg dem, der ihn geht, erst recht ins Verderben führen kann.

Pelecanos führte die Serie mit „King Suckerman“ fort, der in der Woche der Zweihundertjahrfeier 1976 spielt. Karras‘ Sohn Dimitri tritt an die Stelle des Vaters. „The Sweet Forever“ (dt. „Eine süße Ewigkeit“), setzt im Jahre 1986 ein, „Shame the Devil“ spielt in den 1990er Jahren. Diese Romane spinnen nicht einfach die Vorgeschichte routiniert weiter, sondern gehen inhaltlich wie formal völlig eigene Wege; auch das ein Beleg dafür, dass der moderne Kriminalroman mit George P. Pelecanos eine ebenso kritische wie talentierte Stimme gefunden hat.

Anmerkung

Leider wurde Pelecanos hierzulande das Opfer einer Unsitte, die Buchverlage begehen, um ältere Titel als Erstausgabe zu ‚tarnen‘; offenbar ist dies verkaufsförderlicher, selbst wenn man – wie in diesem Fall – jene Leser verärgert, die „Big Blowdown“ bereits in der ursprünglichen Ausgabe als „Das große Umlegen“ erworben hatten.

Autor

George Peter Pelecanos, als Sohn griechischer Einwanderer 1957 und echtes Kind der Arbeiterklasse geboren und aufgewachsen, kennt die Stadt Washington und ihre Geschichte; die hellen wie die dunklen Seiten. Bis zu seinem 32. Lebensjahr verdiente Pelecanos sein Geld als Bauarbeiter, Barmann, Schuhverkäufer und in anderen Jobs, konnte aber nebenbei studieren.

2001 begann Pelecanos mit einer neuen Reihe um den (schwarzen) Privatdetektiv Derek Strange und seinen Partner Terry Quinn. Sie spielt im Washington der Gegenwart und wirft kritische Blicke auf den Drogenkrieg im Schatten des Weißen Hauses. Außerdem beschäftigt sich der Verfasser gewohnt intensiv mit dem weiter aktuellen Problem der Rassendiskriminierung. Hier gehen ihm, der sonst mit einer klaren Prosa und mitreißenden Plots glänzt, indes manchmal die Pferde durch – Pelecanos hebt den Zeigefinger statt zu erzählen, eine Untugend, die auch in einer weiteren, 2011 um den Militär-Veteranen und jetzigen Ermittler Spero Lucas begonnenen Serie durchschlägt.

Taschenbuch: 367 Seiten
Originaltitel: The Big Blowdown (New York : St. Martin’s Press 1996)
Übersetzung: Bernd W. Holzrichter
www.dumont-buchverlag.de

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