Zwei Freunde zwischen Mittelalter und Zukunftstechnik
Nur Jalen und Ragger, die beiden Ausgestoßenen, entkommen ihrer Hinrichtung, unter anderem mit Hilfe eines unbekannten blonden Mannes, der über eine Zauberwaffe verfügt. Aber wer ist dieser Magier? In wessen Auftrag handelt er? Aus welchem Grund befreit er Jalen und Ragger? Hat Rebecca, die Zauberin, die Antworten für das Duo? Doch der blonde Magier kehrt zurück… (aus der Verlagsinfo)
Die Autorin
Die französische Autorin Éliane oder Héliane Taïeb (December 7, 1929 – September 3, 1985), geborene Grimaître, publizierte unter Pseudonymen „Gilles Thomas“ und „Julia Verlanger“. (Wikipedia) Bis auf drei Post-Holocaust-Romane spielen ihre SF-Romane vor einem erfundenen Universum, dessen Entstehung aber nie beschrieben wird: Es dient nur als Hintergrund. Der Prix Julia Verlanger wurde nach ihrem Tod von ihrem Gatten vergeben, nach seinem Tod von Sara Doke, der Präsidentin der Vergabekomittees.
Werke:
• Les Portes Sans Retour [The Gates Of No Return] (1976)
• La Flûte de Verre Froid [The Flute Of Cold Glass] (1976)
• Les Hommes Marqués [The Marked Men] (1976)
• L’Autoroute Sauvage [The Savage Highway] (1976)
=>La Croix des Décastés [The Cross Of The Outcasts] (1977)
• La Mort en Billes [The Marbled Death] (1977)
• Magie Sombre [Dark Magic] (1977)
• Les Ratés [The Losers] (1977)
• Les Voies d’Almagiel [The Ways Of Almagiel] (1978)
• La Légende des Niveaux Fermés [The Legend Of The Closed Levels] (1978)
• L’Ange aux Ailes de Lumière [The Angel With Wings Of Light] (1978)
• L’Ile Brûlée [The Burned Island] (1979)
• D’un Lieu Lointain Nommé Soltrois [From A Far Place Called Solthree] (1979)
• La Jungle de Pierre [The Stone Jungle] (1979)
• Horlemonde [Worldbeyond] (1980)
• La Porte des Serpents [The Gate Of The Serpents] (1980)
• Les Cages de Beltem [The Cages Of Beltem] (1982); revised as Acherra (1995) and Offren (1995)
• Les Oiseaux de Cuir [The Birds Of Leather] (1996)
• La Révélation [The Revelation] (with Gudule) (1996)
• Les Bulles [The Bubbles] (1956)
Handlung
Der junge Jalen ist ein Schwertkämpfer, der gerne und stolz der Kaste der Krieger angehörte. Bis er sich mit Lirana, der Priesterin der Fruchtbarkeit, einlässt – und sie Zeter und Mordio wegen Vergewaltigung schrie. Jalens Vetter Pisac, der ihn von Kindesbeinen an hasst, sagt gegen ihn aus: Jalen habe Lirana verletzt, und die zeigt bis dato nicht vorhandene Kratzer und Blessuren vor. Es ist ein Komplott gegen Jalen, doch der steht hilflos nur da, während der Rat der Ältesten ihn verurteilt – zum Tod durch den Drachen.
Nachdem man ihm sein Kastenzeichen durch Brandmarken gelöscht und ihn ins Verlies geworfen hat, wird er schließlich zusammen mit neun anderen Unglücklichen in die Höhle der Hinrichtung geführt. Alle sind angekettet und können nicht weglaufen, als sich der Höhlentunnel öffnet und ein sechs Meter hohes Monstrum brüllend hervordringt. Aus seinem heißen Schlund züngelt eine Flamme, und es macht sich sogleich daran, einen der Verurteilten nach dem anderen mittels Haken in diesen Höllenschlund zu zerren.
Flucht
Zu seinem Erstaunen ist Jalens Kettennachbar, ein Blonder ohne Kastenzeichen, völlig ruhig. Aus einer Tasche in seinem Schenkel entnimmt er einen Zauberkasten, richtet ihn auf das Monstrum und spricht in einer unbekannten Sprache hinein. Mit einem Zauberding zerschneidet er den Stahlring, an dem die Kette der Gefangenen befestigt, rennt um den „Drachen“ herum und verschwindet durch eine Spalte der Höhle. Jalen und sein Kettennachbar Ragger sind verblüfft: Es gibt eine Fluchtmöglichkeit!
Nachdem sie es dem Blonden nachgetan haben, eilen sie zur Höhlenwand auf der Seite jenseits des Monsters. Sie lässt sich nicht öffnen. Also klettern sie nach oben und gelangen dort in einen sehr langen Tunnel, der unter den Stadtmauern hindurchführt. So entgehen sie den Stadtwachen und gelangen ins Freie.
Unter Beobachtung
Da Ragger, sein Blutsbruder, einmal Trapezkünstler war – er wurde ebenfalls von einer Frau hereingelegt -, schließen sie sich einem Wanderzirkus an. Ragger brilliert am Trapez, Jalen feuert Pfeile auf eine Frau vor einem Schild ab – natürlich wird sie nie verletzt und zögert nicht lange, um in seine Koje auf einem der Pferdewagen zu schlüpfen.
Doch eines Tages bemerken sie ein fliegendes Objekt, das wie eine Silberkugel aussieht und über ihnen kreist, bis es verschwindet. Jalen ahnt sofort, dass ihnen der blonde Magier auf den Fersen ist und veranlasst, dass der Zirkus eine Ausweichroute nimmt. Tatsächlich tauchen zwar keine Stadtwachen auf, wohl aber Räuber, die der blonde Zauberer engagiert hat. Sie legen Jalen und Ragger in Ketten, die nun fürchten müssen, dass ihnen der Blonde einen frühen Tod bereitet.
Gefangen
Doch sie haben nicht mit der Schläue und Habgier der Räuber gerechnet. Statt sie an den Zauberer auszuliefern, machen die Räuber nochmals Kasse, indem sie ihre Gefangenen an Fischer verkaufen. Auf dem Fischkutter werden sie ausgepeitscht, in Ketten gelegt und ausgebeutet. Ihr Martyrium als Sklaven endet erst, als ein Schiff von Piraten die Fischer überfällt und fast alle tötet. Die Sklaven dürfen wählen, ob sie sich den Piraten anschließen oder über die Klinge springen wollen.
Duell
Die Freunde wählen ersteres. Doch dafür müssen sie zuerst einen Zweikampf überleben. Nichts leichter als das, denkt Jalen, doch wie sieht es mit dem schlanken Ragger aus? Doch der Trapezkünstler überrascht Jalen, als er zeigt, wie gut er mit dem Dolch umgehen kann…
Mein Eindruck
Der recht abwechslungsreiche Roman erzählt, wie es den beiden Freunden gelingt, mithilfe einer weiteren „Zauberin“, Rebecca, den blonden „Zauberer“ zu besiegen. Dem Leser ist von vornherein klar, dass die „Zauberer“ über moderne Technologie verfügen, dies den mittelalterlich denkenden Männern aber nicht erklärlich ist. Denn gemäß Arthur C. Clarkes Axiom gilt auch hier der Satz: „Eine hinreichend weit entwickelte Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“
So kommt es beispielsweise dazu, dass ein Feuer ausstoßender Apparat als „Feuertier“ bzw. als „Drache“ wahrgenommen wird. Beobachtungsvorrichtungen lassen sich als „magische Augen“ interpretieren. Um nicht wahnsinnig zu werden, finden sich die beiden Freunde damit ab, dass es sich um eine hochentwickelte Magie handle. Besser sie halten sich an denjenigen oder diejenige, die damit umzugehen weiß.
Alles in allem besteht die Handlung aus Kämpfen und sexuellen Begegnungen, aber auch aus Erfahrungen als männlicher Sklave. Durch diese Handlungselemente hat der Roman der Französin große Ähnlichkeit mit den sehr frühen Gor-Romanen des amerikanischen Autors John Norman.
Der Sex ist allerdings stets freiwillig statt erzwungen, es wird einmal sogar erwähnt, dass an Bord des Fischkutters homosexuelle Aktivitäten nichts Ungewöhnliches seien. Anders als bei den romantisierten Sklavenexistenzen bei Norman hat Sklaverei hier nur zur Folge, dass die Männer hart schuften müssen und die Frauen sexuell ausgebeutet werden.
Die abenteuerlichen Fahrten zwischen den Himmelskörpern des Sternsystems erinnerte mich etwas an Alan Dean Foster und Jack Vance, für die abenteuerliche Reisen stets wichtige Handlungsgerüste darstellen. Leider kann die Französin nicht mit dem ironischen Humor und dem Einfallsreichtum von Foster und Vance mithalten. Das macht ihr Buch zu einem 08/15-Erzeugnis des Genres „Science Fantasy“. Allerdings sollte der Leser einen stabilen Magen mitbringen, denn die Brandmarkungsszene ganz am Anfang ist nicht jedermanns Sache.
Die Übersetzung
Die Übersetzung stellte an Hans Maeter keine hohen Ansprüche. Dennoch schaffte er es, in vier Wörtern Buchstaben wegzulassen. Die Druckfehler können den Leser verwirren.
S. 65: „und bedrohten den Himmel mit ihren Spor[n]en…“ Das N fehlt.
S. 96: „S[c]hicksal“: Das C fehlt.
S. 122: „der Himm[e]l“: Das E fehlt.
S. 137: „waren mehr als eine[n] Kopf größer als Jalen“. Das N fehlt.
Unterm Strich
Der Abenteuerroman fängt in einer mittelalterlichen Fantasy-Umgebung und bewegt sich dann immer weiter Richtung Science-Fiction, genau wie es in vielen der Gor-Roman des Amerikaners John Norman passiert. Allerdings werden hier keine hübschen Sklavinnen am laufenden Band durch Versklavung beglückt, vielmehr sind es die zwei Freunde, die versklavt werden – und gehörig darunter leiden müssen.
Fans der Gor-Romane kommen deshalb zwar aufgrund der zahlreichen Kämpfe und erotischen Szenen auf ihre Kosten, doch müssen sie früher oder später feststellen, dass hier Sklaverei keine Beglückung bedeutet, sondern nur mit Leiden verbunden ist. Es werden allerdings auch Sklaven erwähnt, die nichts anderes als Unfreiheit kennen und es daher ablehnen, mit den Freunden zu flüchten. Die ironischsten Szenen sind wohl jene, in denen ein Sklavenhalter auch von den beiden Freunden vollständige Unterwerfung das Fügen in ein unfreies Leben als selbstverständlich annimmt. Da gerät er aber an die Falschen.
Dass auch Frauen Probleme mit Sex haben können, wird nur am Rande erwähnt. Rebecca kommt aus dem Universum der Zukunft und erlebt in den Armen von Jalen und Ragger – ein flotter Dreier – das erste Mal in ihrem öden Leben, dass das Liebesspiel auch Spaß machen und sie zum Höhepunkt bringen kann. Ihr Gegenspieler, der blonde Zauberer, ist aus ihrer Sicht eine Ausreißer und Ausgestoßener, ähnlich wie die beiden Freunde in ihrer eigenen Kultur. Wer also genauer hinschaut, stellt schon bald Kontraste und Parallelen fest.
Dennoch will der Roman nicht recht zufriedenstellen. Die Abenteuer der zwei Freunde könnten ewig so weitergehen, aber sie entsprechen nicht dem Schema der Heldenreise. Dieses von Joseph Campbell herausgearbeitete Schema sieht nämlich vor, dass der Held/die Heldin entweder als Waise aufwächst (siehe Frodo und Artus), verschiedene Prüfungen bestehen und dann die alte Ordnung überwinden muss, um eine neue zu etablieren, vorzugsweise an der Seite eines unter Mühsal errungenen Partners.
Doch hier fehlt die Vergeltung der beiden Freunde für die fiesen Intrigen, denen sie zum Opfer gefallen sind, ebenso wie die nachträgliche Rechtfertigung und Wiedereinsetzung in ihre Rechte. Die Ausgestoßenen des Originaltitels bleiben Ausgestoßene und als solche dürfen sie ihre Abenteuer ewig weiterführen. Das ist im Grunde das Strickmuster von Pulp Fiction, das der Etablierung einer Serie zugrunde liegt.
Taschenbuch: 188 Seiten
Info: Le croix des decastes, 1977; Heyne, 1988, München, Nr. 06/4507
Aus dem Französischen von Georges Hausemer
www.heyne.de
Der Autor vergibt: