Robert Goddard – Bedenke, dass wir sterben müssen

Fünf Geschwister sehen sich in die Rolle unfreiwilliger Schatzhüter versetzt und müssen den Kampf um eine kostbare christliche Reliquie gegen Feinde aufnehmen, die vor Mord keineswegs zurückschrecken … – Thriller mit allzu deutlich aufgesetzten History-Mystery-Elementen. Die ‚überraschenden‘ Wendungen sind ein wenig zu zahlreich und unlogisch. Recht hausbacken aber solide geschrieben rumpelt das Werk einem mauen Finale entgegen.

Das geschieht:

Michael Paleologus ist ein bekannter Archäologe. Stolz verweist er außerdem auf seine Ahnenreihe, denn er gehört der Dynastie der Palaiologos‘ an, die das Byzantinische Reich in dessen letzten beiden Jahrhunderten beherrschten. Von den türkischen 1453 Eroberern aus Konstantinopel vertrieben, siedelten sich die Nachfahren von Kaiser Konstantin XI. im sicheren Europa an.

In England gibt es heute nur noch den alten Michael und seine Nachkommen. Der Patriarch lebt auf Trennor, einem einsamen Landsitz nahe Plymouth in der westenglischen Grafschaft Devon. Er ist hinfällig geworden und soll nach dem Willen der Kinder in ein Altersheim gehen, zumal der mysteriöse aber offenbar reiche Mr Tantris Trennor für eine halbe Million Pfund erwerben möchte. Tantris‘ Assistentin, die Historikerin Elspeth Hartley, hat in alten Archiven recherchiert, dass im 17. Jahrhundert ein wertvolles Kirchenglasfenster in den Mauern von Trennor versteckt wurde. Diesen nie entdeckten Schatz will Tantris unbedingt heben.

Michael schlägt das Angebot aus. Am nächsten Morgen wird er tot auf dem Boden des Weinkellers gefunden. Anscheinend ist er gestürzt und hat sich den Schädel eingeschlagen. Noch aus dem Grab landet Michael einen letzten Schlag: Trennor vermacht er nicht seinen Kindern, sondern einem Cousin Demetrius Paleologus aus Venedig, von dem die Geschwister nie gehört haben. Sein Testament hat Michael nur Tage vor dem Tod geändert. Nicht einmal sein Anwalt kennt das Dokument.

Die wütenden Brüder und Schwestern vernichten das Testament und wollen Trennor an Tantris verkaufen. Mit ihrer Tat setzen sie eine Kette unvorhergesehener Ereignisse in Gang, welche die Familie Paleologus ins Verderben stürzen. Michael ist weder der erste noch der letzte seiner Sippe, den der Tod ereilt, bevor das wahre Geheimnis von Trennor entdeckt wird …

Thrillern nach Zahlen

Er ist ein fleißiger Schriftsteller, dieser Robert Goddard. Fast jedes Jahr legt er einen seiner Rätselthriller vor. Klar, dass er nicht immer einen Volltreffer landen kann. „Bedenke, dass wir sterben müssen“ ist keines der besseren Goddard-Werke. Wie immer gibt er sich Mühe, seinem Ruf gerecht zu werden, legt falsche Fährten, lässt die Handlung Haken schlagen, unterfüttert sie mit einem historischen Rätsel, hinter dem sich ein weiteres Rätsel verbirgt … oder auch nicht, dann aber wieder doch.

Dem wilden Zickzackkurs der Story mag auch der willige Leser bald nicht mehr folgen. Goddard übertreibt es mit den Überraschungen. Zu schematisch ist der Plot zudem konstruiert. Wir sehen bei der Lektüre förmlich die Randanmerkungen, mit denen sich der Verfasser daran erinnerte, an dieser Stelle ein neues Täuschungsmanöver einzufügen. Thriller müssen nicht logisch sein, aber sie sollten nicht gar zu offensichtlich Schindluder mit der Logik treiben. In unserem Fall führt es zum bekannten Phänomen eines Finales, dessen Dramatik darunter leidet, dass die Beteiligten wortreich erklären müssen, was eigentlich bisher geschehen ist.

Aufwändig und doch seltsam überflüssig hat Goddard der Handlung als Fundament ein historisches oder besser: populärwissenschaftliches Rätsel unterlegt. Offenbar hat jeder, der Jesus Christus kannte, sein eigenes Evangelium verfasst, damit es zwei Jahrtausende später entdeckt werden und die Welt aus den Angeln heben kann, was kriminelle Vatikanisten und papstgesteuerte Geheimbündler mordreich zu verhindern trachten.

Ein wenig zu viel Routine

Auch Goddard schreibt die Historie teilweise um. Bei ihm ist es eher ein intellektuelles Spiel; immerhin traut er sich nicht, mit der Geschichte jene dreiste Kleisterei zu veranstalten, die Dan Brown und Konsorten zu Bestsellerruhm verhalf. Stattdessen vernetzt Goddard gesicherte Fakten zu einer durchaus überzeugenden Rekonstruktion, ohne damit den Boden der Fantasie zu verlassen und verlassen zu wollen.

Viel Boden macht der Verfasser wett, indem er einfach seinem Handwerk nachgeht. Goddard-Romane sind keine verkappten Filmdrehbücher. Er scheut nicht vor langen Sätzen zurück und setzt einen Wortschatz im dreistelligen Bereich voraus. Trotzdem schleppt sich das Geschehen dieses Mal ein wenig trocken dahin.

Was könnte geschehen, wenn zwischen dem vielleicht kostbarsten Gut der Menschheit und einer bösen Macht nur ein Grüppchen denkbar ungeeigneter Wächter steht? Das sind die fünf Brüder und Schwestern Paleologus, die jeder und jede auf ihre traurige Weise im Leben gescheitert sind. So enttäuscht zeigte sich ihr Vater, der seine Kinder immer wieder auf die Probe gestellt hatte, dass er gar nicht in Betracht zog, diese in das große Geheimnis einzuweihen oder gar eines von ihnen zu seinem Nachfolger zu ernennen. Die fünf Ahnungslosen vollenden ihr Versagen, indem sie unfreiwillig immer wieder dem unsichtbaren Feind in die Hände spielen.

Von ehrwürdiger Herkunft aber trotzdem nicht vornehm

Erst in letzter Minute beginnt zumindest einer dieser vom Verfasser recht unsympathisch geschilderten Jämmerlinge den Braten zu riechen. Da haben sich die Reihen des Feindes freilich schon formiert. Aber der unwillige Nachfahre eines spätantiken Herrschers muss zu seiner eigenen Überraschung erkennen, dass wohl noch ein wenig Heldenblut durch seine Adern kreist. Bis der Kampf mit den Bösen vorüber ist, wird er übrigens mehr davon zu sehen bekommen als ihm lieb ist.

Wie so oft kann das gelüftete Rätsel mit dem Grübeln darüber nicht mithalten. Ohnehin fällt es schwer, gerade die endlich entlarvten Drahtzieher hinter dem Komplott gegen die Familie Paleologus als überzeugende Bösewichte zu akzeptieren. Sie setzen keine kriminellen Glanzlichter und mussten wohl auf die Unbedarftheit ihrer Opfer setzen. Die Polizei hält sich sowohl in England als auch in Italien zurück; offenbar interessiert sich das Gesetz weder hier noch dort für Leichenfunde oder mögliche Entführungen.

Mehr Energie investiert Goddard in die Figurenzeichnung der Paleologus-Geschwister, was letztlich überflüssig ist, da die meisten für die eigentliche Handlung ohne echte Bedeutung bleiben. Aus einem Thriller soll oder will immer wieder ein Psychodrama werden, ohne dass Goddard diese Mischung gelingt. Das Resultat ist weder Fisch noch Fleisch, sondern ‚nur‘ ein lesbares Buch. Das ist natürlich auch nicht zu verachten.

Autor

Robert William Goddard wurde 1954 in Fareham, Hampshire geboren. Als Student der Universität zu Cambridge erwarb er einen akademischen Grad als Historiker; eine Ausbildung, die ihm später nützlich war, obwohl er sich zunächst mit den in diesem Metier üblichen Beschäftigungsproblemen konfrontiert sah. Ein Versuch, als Journalist Fuß zu fassen, scheiterte recht bald, und auch als Lehrer konnte Goddard nicht glänzen. So wählte er den letzten Ausweg und ging in die Verwaltung.

Während er für das Education Department des Devon County Councils tätig war, schrieb er in seiner Freizeit einen ersten Roman. „Past Caring“ (dt. „Dein Schatten, dem ich folgte“) erschien 1986 und entwickelte sich sogleich zu einem großen Erfolg. Der gleichzeitig vertrackte und spannend entwickelte, dabei aber den Regeln des Genres stets verpflichtete und massenlesertaugliche Thriller um diverse Schatten aus ferner Vergangenheit, die in der Gegenwart zu neuem, unheilvollen Leben erwachen, wurde zur Blaupause der meisten Romane, die seither in zügigem Tempo und regelmäßig folgen. Die Leser scheint dies nicht zu stören; jedes Goddard-Werk entert die Bestsellerlisten; nicht bis zur Spitze, aber hoch genug, um dem mit seiner Gattin in Truro, Cornwall, lebenden Schriftsteller ein behagliches Auskommen zu garantieren.

In Deutschland war Goddard viele Jahre ebenfalls präsent, fand und findet aber offensichtlich mit seinen neueren Werken keinen Verlag mehr. Anscheinend hatte sich seine Masche doch abgenutzt.

Taschenbuch: 443 Seiten
Originaltitel: Days without Number (London : Bantam Books 2003)
Übersetzung: Peter Pfaffinger
http://www.randomhouse.de/goldmann

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