Goga, Susanne – Leo Berlin

Historische Krimis haben immer ihren ganz eigenen Reiz. Die Kombination aus Krimihandlung und historischen Hintergründen bereichert den eigentlichen Plot und lässt die Geschichte ganz allgemein vielschichtiger erscheinen. Dies trifft auch auf Susanne Gogas Debütroman „Leo Berlin“ zu.

Angesiedelt ist die Handlung im Berlin der zwanziger Jahre. Wir schreiben das Jahr 1922: Beginnende Inflation, das aufgeheizte politische Klima der Weimarer Republik, tristes Hinterhofleben der Arbeiterklasse im Gegensatz zu eleganten Villen der Oberschicht – eine kontrastreiche und spannende Epoche der Geschichte. Zu dieser Zeit ermittelt Kommissar Leo Wechsler in einem Mordfall. Der Wunderheiler Sartorius, der Patienten aus den besten Kreisen behandelte, wird tot in seiner Wohnung aufgefunden – erschlagen mit einer Buddhafigur aus Jade.

Bei den Ermittlungen stellt sich heraus, dass der Wunderheiler kein unbeschriebenes Blatt war. Er „therapierte“ eine Reihe von Patienten mit Kokain. Ob hier der Grund für den Mord zu suchen ist? Wechslers Nachforschungen führen ihn in die Wohnzimmer der feinen Gesellschaft, doch die Ermittlungen treten eher auf der Stelle.

Als wenig später im Scheunenviertel eine in die Jahre gekommene Prostituierte ermordet wird, wird der Fall Sartorius zunächst einmal beiseite geschoben. Wechsler und seine Kollegen ermitteln in den dunklen Straßen des Viertels und suchen in den Kokainhöhlen und Rotlichtkaschemmen nach Anhaltspunkten. Wieder einmal scheinen alle Spuren ins Nichts zu führen. Ob ein Zusammenhang zwischen den beiden Mordfällen besteht? Eigentlich abwegig, aber Wechsler zweifelt …

„Leo Berlin“ ist ein Roman, den man schon auf den ersten Seiten lieb gewinnt. Mit Leo Wechsler präsentiert Susanne Goga eine Hauptfigur, die gleichermaßen sympathisch wie interessant ist. Wechsler ist achtunddreißig Jahre alt und Witwer, mit zwei Kindern, von denen das älteste acht ist. Wechsler lebt in einem tristen Wohnblock in Moabit, kann die Familie aber mit seinem relativ sicheren Polizistengehalt trotz der wirtschaftlich unsicheren Zeiten ordentlich ernähren. Seit dem Tod seiner Frau lebt seine Schwester Ilse bei ihm, die sich Sorgen macht, dass das Leben vollends an ihr vorbeizieht, während sie Leos Kinder hütet und ihm den Haushalt macht. Private Probleme sind da vorprogrammiert.

Wechsler ist ein vielseitig interessierter Mann. Beruflich ist er für seine Hartnäckigkeit berüchtigt, im Privaten gilt sein Interesse der Kunst. Wechsler wirkt lebensnah und ist eine echte Bereicherung für den Roman. Gogas Bild der Berliner Gesellschaft der zwanziger Jahre wird vor allem durch die privaten Erlebnisse von Leo Wechsler getragen. Sein Leben in Moabit, seine gesamte familiäre Situation ist die Projektionsfläche der historischen, gesellschaftlichen Hintergründe und damit eines der wichtigsten Elemente des Romans.

So wie bei Protagonisten ähnlich angelegter historischer Krimis, wie z. B. der Inspektor-Pitt-Romane von Anne Perry oder der Fandorin-Reihe von Boris Akunin, gehen Figurenskizzierung und zeitlicher, historischer Kontext Hand in Hand. Geschichte zum Mitfühlen sozusagen. Die Figur des Leo ist obendrein interessant genug, um ausbaufähig zu sein, und tatsächlich scheint Susanne Goga bereits einen zweiten Leo-Wechsler-Krimi zu planen. Gut so, denn „Leo Berlin“ macht durchaus Lust auf mehr.

Faszinierend ist nicht nur die Hauptfigur an sich, auch das Wechselspiel zwischen den einzelnen Figuren ist überzeugend. Die familiären Spannungen zwischen Leo und Ilse machen den Roman auf der einen Seite interessant, das spannungsgeladene Verhältnis zwischen Leo und seinem Kollegen von Malchow auf der anderen. Von Malchow ist ein Gegenpol zu Leo. Während Leo eher aus ärmeren Verhältnissen stammt, ist von Malchow adeliger Herkunft, was zur damaligen Zeit im Polizeidienst offenbar nicht ungewöhnlich war.

Von Malchow trägt seine adelige Herkunft recht aggressiv zur Schau und sorgt damit im Arbeitsalltag für einige Turbulenzen. Sein politisches Denken bestimmt sein Auftreten und immer wieder provoziert er den eher gemäßigten Leo Wechsler mit seinen rechtsnationalen Ansichten. So gibt es auch auf der Arbeit einiges an Zündstoff, und die politische Situation der Weimarer Republik wird sehr gut in die Geschichte einbezogen.

Doch „Leo Berlin“ ist nicht nur eine interessante Studie der zwanziger Jahre, auch die Spannung kommt nicht zu kurz. Dabei ist der Leser den Ermittlern stets einen Schritt voraus. Goga wechselt immer wieder die Perspektive und teilt dem Leser in eingeschobenen Absätzen immer wieder die Gedanken des Täters mit. So kann der Leser schon herausfinden, wer der Täter ist, bevor die Geschichte zur Hälfte erzählt wurde. Doch dieser Umstand entpuppt sich kaum als Spannungskiller.

Goga rückt das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Ermittlern und Täter in den Mittelpunkt. Man weiß als Leser, dass der Täter noch auf einen weiteren Schachzug aus ist, und so werden die Ermittlungen zu einem Lauf gegen die Zeit. Spannend bleibt die Geschichte damit bis zum letzten Moment, zumal Goga es versteht, beide Ebenen der Hauptfigur Leo Wechsler interessant verlaufen zu lassen – die private genauso wie die berufliche. Auch der Täter ist unkalkulierbar genug, um die Spannung aufrecht zu erhalten.

Sprachlich liest sich das Ganze sehr angenehm und unterhaltsam. Gogas Stil ist recht einfach gehalten und lässt sich locker und flott herunterlesen. Eingestreute Dialoge mit Berliner Akzent sorgen für das nötige Lokalkolorit. Sowohl die Figuren als auch die Zeit werden damit für den Leser schön plastisch. „Leo Berlin“ ist ein rundum schön zu lesender Unterhaltungskrimi. Wahre geschichtliche Ereignisse werden mit der Handlung verwoben, was den Roman umso authentischer erscheinen lässt.

Alles in allem, weiß Susanne Goga mit ihrem Debütroman recht ordentlich zu überzeugen. Sie lässt gute Recherchearbeit erkennen und mixt aus Fakten und Fiktion einen schmackhaften, gut bekömmlichen Cocktail aus Krimi und sensibler Zeitstudie. Die Figuren wirken lebendig, die Handlung ist spannend und der Leser kann sich dank der so stimmig in die Handlung eingewobenen Studie der zwanziger Jahre wunderbar in die damalige Zeit versetzen.

Die zwanziger Jahren sind schon ein recht interessantes Jahrzehnt, zumal sie nicht sonderlich oft als Stoff für Romane der jüngeren Literatur herhalten müssen. Leo Wechsler kann es dabei durchaus mit viel gelesenen Kollegen wie Fandorin aufnehmen, denn die Geschichte rund um seine Ermittlungsarbeit und sein Familienleben ist spannend und atmosphärisch dicht erzählt. Schöne, erfrischend abwechslungsreiche Krimikost mit gut skizzierten Figuren, von denen man durchaus noch mehr erfahren möchte. Aber vielleicht werden wir das ja schon in absehbarer Zeit. Wünschenswert wäre es in jedem Fall.