Der Wissenschaftler als Magier – eine gute Idee?
Dies ist der zweite Teil einer Dilogie, die später überarbeitet als „Songs of Earth and Power“ (1994) erschien. Der erste Teil, „The Infinity Concerto“ (1984, dt. als „Das Lied der Macht“, Heyne 06/4382), führte das Konzept ein, dass man durch Dimensionstore in ein Fantasyland namens „Das Reich“ gelangen könne, ein schönes Land mit leider reichlich rauen Sitten.
Der Autor
Greg Bear wurde 1951 in San Diego, einer wichtigen US-Marinebasis, geboren und studierte dort englische Literatur. Unter den Top-Hard-SF-Autoren ist er der einzige, der keine naturwissenschaftliche Ausbildung hat. Seit 1975 als freier Schriftsteller tätig, gilt er heute dennoch als einer der ideenreichsten wissenschaftlich orientierten Autoren.
Sein Roman „Darwin’s Radio“ (Das Darwin-Virus) wurde zu einem preisgekrönten Bestseller. Erst damit konnte sich Bear aus dem Science Fiction-Ghetto herausschreiben, so dass man ihn heute ohne weiteres mit Michael Crichton vergleicht. Nur dass Bear da anfängt, wo Crichton aufhört. Im Jahr 2004 erschienen bei uns „Darwins Kinder“, die Fortsetzung von „Darwin-Virus“, sowie der Roman „Stimmen“. 2006 erschienen die Taschenbuchausgabe von „Darwins Kinder“ sowie der Roman „Quantico“.
Bear hat eine ganze Reihe von Science Fiction- und Fantasyzyklen verfasst. Die wichtigsten davon sind (HSF = Heyne Science Fiction):
– Die Thistledown-Trilogie: Äon (HSF 06/4433), Ewigkeit (HSF 06/4916); Legacy (bislang unübersetzt).
– Der Amboss-Zyklus: Die Schmiede Gottes (HSF 06/4617); Der Amboss der Sterne (HSF 06/5510).
– Der Sidhe-Zyklus: Das Lied der Macht (06/4382); Der Schlangenmagier (06/4569).
Weitere wichtige Werke: „Blutmusik“ (06/4480), „Königin der Engel“ (06/4954), „Slant“ (06/6357) und „Heimat Mars“ (06/5922). Er hat zudem Beiträge für die Buchreihen des Foundation-, Star-Trek- und Star-Wars-Universums geschrieben.
Handlung
Band 1
Auf der Flucht vor einem Vampir gelangt der Held Michael Perrin in „Das Lied der Macht“ in das Reich. Das Reich ist die unvollkommene Schöpfung eines selbsternannten Gottes und die Zufluchtsstätte für relativ hochnäsige Sidhe (Elben), vereinzelte Menschen und ihre Mischlinge. Den hier geborenen Kindern fehlt eine Seele und sie werden meist zu einer Art Ungeheuer; es gibt keine Träume, und unangenehme Metamorphosen gibt es im Überfluss.
Hier erhält Michael eine Ausbildung in Magie durch drei uralte Mischlinge. Er lernt, „einen Schatten zu werfen“, einen Teil seiner Persönlichkeit als Köder oder Waffe zu projizieren. Auch Lieder der Macht können Magie umsetzen, und Portale lassen sich selbst mit einem Glas Wein öffnen. Das Gedicht „Kubla Khan“ (1816) von Samuel Taylor Coleridge ist offenbar ein unvollendeter Zauberspruch, und Michael stellt ihn fertig. Dadurch gerät das Machtgleichgewicht im Feenreich aus der Balance. Die Folge: Seine Bewohner fliehen in die irdische Realität!
Band 2
In „Der Schlangenmagier“ kehrt auch Perrin nach Kalifornien zurück, um sein Alltagsleben wiederaufzunehmen. Doch auf den Straßen von Los Angeles mehren sich die Spukerscheinungen, und in einem leerstehenden Luxushotel stößt die Polizei auf unerklärliche Mumienfunde. Ein „Lied der Macht“ liegt in der Luft, und ein uraltes Geschöpf aus längst vergessener Vorzeit ruft Michael aus den Wassern eines schottischen Lochs zu sich: der Schlangenmagier.
Nun sieht sich Perrin gezwungen, gegen seinen Erzfeind, den Schwarzmagier Clarkham, zum Kampf anzutreten, um das Schicksal von Menschen und Sidhe gleichermaßen zu entscheiden. Michael befindet sich in einer Art Wettkampf mit dem Adepten der Sidhe, wer das bessere Reich neu erfinden kann. Ihm gelingt eine neue Schöpfung, die sich mit der Erde auf heilende Weise verbinden lässt. Er erreicht tatsächlich eine Erneuerung des Feenreichs.
Unterm Strich
Die Dilogie des Fantasy-Besuchers Bear beeindruckt mit zahlreichen neuen Vorstellungen, auch wenn sie manchmal etwas verwirrend präsentiert werden. Das Werk leidet unter den verschiedenen, miteinander im Widerstreit liegenden Absichten, die Bear verfolgte.
Mit dieser Fantasy wollte der Autor offenbar wohl darlegen, wie der Kampf um die Gestalt(ung) einer menschenwürdigen Zukunft aussehen könnte. Der Zauberer der Gegenseite nimmt wenig Rücksicht auf die Menschlein, wohingegen sich unser Held Michael natürlich auf deren Seite stellt. Das heißt aber nicht, dass er die bessere Methode besitzt, um auch die Erde zu retten – und das neue „Reich“ zu schaffen.
Nur das positive Ergebnis rechtfertigt seine Mittel, aber dazu muss er erst einmal wissen, was das Ergebnis sein soll. Genauso ergeht es dem Wissenschaftler, der eine Entdeckung macht; er kann sie zum Guten wie zum Schlechten nutzen. Insofern ist diese Dilogie das alte Thema der Science Fiction – im Sinne von spekulativer Naturwissenschaft – im Gewand einer Fantasy.
Mythos und Mystik waren sichtlich Bears Ziele, doch kann er es nicht lassen, sie mit der Vernünftigkeit der Science Fiction zu präsentieren und zu erklären. Dadurch unterminiert er den Mythos, der sich der Vernunft entzieht. Und so schimmert immer wieder die Absicht des Schöpfers / Autors durch, wo doch der Mythos eigentlich mit seinen Bildern für sich selbst sprechen und stehen sollte. Glücklicherweise blieb dieser Doppelroman der einzige größere Ausflug des Autors ins Fantasy-Genre.
Hinweis
Was die Verarbeitung der keltischen Sidhe anbelangt, so hat C.J. Cherryh einen wesentlich besseren Job erledigt. In ihrem Doppelroman „The Dreaming Tree„, bestehend aus dem Roman „Der Stein der Träume“ und „Der Baum der Schwerter und Juwelen„, kommen die Feenkönigin Arafel, diverse Sterbliche und ein sehr eindrucksvolles Monster vor (siehe dazu meine Berichte).
Taschenbuch: 477 Seiten
Originaltitel: The Serpent Mage, 1986
Aus dem Englischen von Walter Brumm.
ISBN-13: 9783453031647
www.heyne.de
Der Autor vergibt: