Grimwood, Ken – Replay – Das zweite Spiel

Manchmal sitzt man da, umgeben vom grauen Einerlei des Alltags, und träumt von der Vergangenheit, von verpassten und verpatzten Situationen. Wenn man die Chance hätte, würde man alles anders und besser machen. Natürlich besser, denn man kennt ja die Konsequenzen seines ersten Tuns, in manchen Bereichen auch die Entwicklung der Menschheit – wobei dies meist auf die Entwicklung des so genannten „Westens“ beschränkt ist. Was könnte man alles erreichen? Es gibt allerlei Möglichkeiten, die genau sich zu überlegen wenige Träumende durchhalten – zu schnell greift der Alltag nach einem und hinterlässt höchstens melancholische Gefühle oder Trauer um verpasste Gelegenheiten.

Nicht so Ken Grimwood (1944-2003): In „Replay“ beschäftigt er sich eingehend mit diesen Möglichkeiten und den Folgen, denn der normale Träumende lässt stets außer Acht, dass das veränderte Verhalten große Veränderungen zumindest des eigenen Lebens nach sich ziehen würde. So würde man nach einer „korrigierenden“ Entscheidung vor einer neuen Situation stehen und einem neuen Leben die Stirn bieten.

Der Protagonist seines Romans, Jeff Winston, scheint eine Zeichnung seiner Selbst zu sein: Ebenso wie Grimwood selbst ist Jeff Radiojournalist und wird in einigen seiner „Replays“ Schriftsteller. Ob allerdings Grimwood so unzufrieden mit seinem Leben war wie der Jeff seines Romans, bleibt pure Spekulation. Grimwood starb in Kalifornien.

Jeff Winston ist ein leicht übergewichtiger Mann, der seinen Traum vom großen Erfolg und dem Wechsel zum Fernsehen aufgegeben hat. Zwar hat er eine gute Stellung bei seinem Radiosender, aber reich und zufrieden wird er damit nicht. Als seine Frau anruft, erkennt er deutlich, wie sehr sie sich auseinander gelebt haben. Ein richtiges Gespräch wäre dringend nötig, aber Jeff hört die Worte seiner Frau: „Wir brauchen dringend …“ – und bevor sie ausreden kann, schießen ihm alle möglichen Varianten durch den Kopf von Dingen, die sie dringend brauchten und die seine Frau jetzt von ihm verlangen könnte. Zum Beispiel ein Duschvorhang. Weitere Worte hört er gar nicht, denn ein brutaler Schmerz zerreißt seine Brust. Typischer Herzinfarkt. Jeff ist nur ungläubig, als er seinen Tod mitverfolgt.

Jeff erwacht in seiner Junggesellen-WG auf dem Campus seines Colleges und denkt anfangs an einen bösen Traum. Natürlich kommen ihm Zweifel, wie man sein ganzes Leben so präzise hätte träumen können, doch die verschiedenen Begegnungen und Situationen in den folgenden Tagen wirken bis auf Kleinigkeiten so bekannt auf ihn, dass er schließlich die Probe aufs Exempel machen will. Mit Achtzehn ist er nun wieder zu jung, um Wetten abzuschließen, also sucht er sich einen älteren Studenten und lässt ihn als vierzigprozentigen Teilhaber seine gesamten Ersparnisse in einem Pferderennen setzen, an dessen Ausgang er sich aus seinem ersten Leben erinnert.

Der Erfolg spornt ihn an, er wird durch weitere Einsätze und Börsenspekulationen reich, gründet eine Firma – bis er im gleichen Alter wie damals plötzlich einen Herzinfarkt erleidet, unter den gleichen, fast schon vergessenen Schmerzen.

Im übernächsten „Replay“ findet er sich schnell zurecht und setzt alles auf schnellen Reichtum. Trotzdem ist er deprimiert und verzweifelt, sucht diesmal die Erlösung in Sex und Drogen. Er sieht keinen Sinn in seinem Schicksal und versinkt in Selbstmitleid. Sein Tod kommt nicht überraschend, nachdem er im zweiten Durchlauf alles umsonst auf ein gesundes Herz gesetzt hat.

Einige Replays später, nachdem er verschiedene Variationen seines Lebens durchlebt hat und sogar den Mord von JFK verhindern wollte (mit dem Resultat, dass ein anderer Mann als Mörder hingerichtet wurde), stößt Jeff auf einen Film, den er nicht kennt und der ein beispielloses Meisterwerk wird. In ihm sind alle damals noch unbekannten Größen aus dem Filmgeschäft versammelt, unter anderem George Lucas und Steven Spielberg, deren Genie noch nicht erkannt war. Die Inhaberin der Filmgesellschaft, gleichzeitig Autorin des Drehbuchs, muss ebenso wie Jeff ein „Wiedergänger“ sein.

Ihrer beider gemeinsames Schicksal schweißt sie über verschiedene Replays zusammen, es entwickelt sich eine starke Liebe zwischen ihnen. Im Glauben, ihnen bliebe unendlich viel Zeit, unternehmen sie Versuche, andere Wiedergänger zu finden oder durch öffentliche Zukunftsseherei die Wissenschaft auf ihr Problem zu lenken. In letzterem Fall verursachen sie einen dramatischen Zusammenbruch der politischen Interaktion der ganzen Welt. Ihrem Ziel, aus diesem Kreislauf auszubrechen, kommen sie nicht näher.

Eine einzige Veränderung stellen sie fest: Die Dauer der Replays verkürzt sich in zunehmenden Intervallen – was erwartet sie, wenn die Wiederholungen dicht bei ihrem Tod beginnen, oder mit ihm zusammentreffen? Ewiges Leid? Endgültiger Tod? Grimwood zeichnet mit meisterhafter Leichtigkeit die Gefühlswelt und die Erlebnisse seines Protagonisten; erst stellt sich Erleichterung ein, als Jeff auf seine Gleichgesinnte trifft, dann fesselt uns die Tragik ihres Auseinanderlebens bis zur erneuten Annäherung. Durch die Verkürzung der Phasen entfernen sich die Wege des bewussten Wiederlebens der beiden voneinander, die festgelegten Wege ihres ersten Lebens beengen ihre Möglichkeiten umgekehrt proportional zur Dauer eines Replays.

Trotzdem läuft alles auf eine Erkenntnis hinaus, die sich allen Anstrengungen zum Trotz durchsetzt und einen Kompromiss zur Zufriedenheit aller Beteiligten zumindest zulässt. Es kommt darauf an, ein zufriedenes Leben zu führen und Differenzen in der Partnerschaft frühestmöglich zu klären. Grimwood gelingt es auf subtile Art, seinem Protagonisten Charaktertiefe und ein gewisses Maß an Weisheit zu verleihen, beides vorstellbare Folgen eines durch viele Wiederholungen stark verlängerten Lebens. Das Wissen um Zusammenhänge, das sich vertieft und verfeinert, hebt Jeff aus der Masse seiner Mitmenschen heraus – ist aber gleichzeitig eine unüberwindliche Kluft.

Es ist eine Tragödie mit melancholischen Schwingungen zum Ende, in denen Grimwood doch Jeffs Entwicklung und dessen ruhige Abgeklärtheit hervorhebt und ihn nicht in Selbstmitleid versinken lässt. Denn ihm wird eines klar: Im Endeffekt gibt es immer nur |ein| Leben, das nur lebenswert gestaltet werden muss. Sind die Replays nun eine Strafe oder eine Belohnung, vielleicht auch ein „Augenöffner“ für das Leben? Wieso Jeff in ihnen gefangen ist, bleibt ungeklärt und spielt auch keine Rolle – entscheidend sind seine Erkenntnisse. Ein hervorragender Roman, aufgrund seiner Komplexität wohl zu schwer für den Durchschnittsjugendlichen, empfehlenswert aber für jeden Erwachsenen! Er ist fesselnd und flüssig zu lesen, ohne Längen und Hänger, und regt auf unterhaltsame Art zum Nachdenken an.