John Grisham – Das Testament (Lesung)

Nachdem sich ein Milliardär aus dem Fenster gestürzt hat, entwickelt sich die Testamentseröffnung zu seinem letzten Schlag gegen seine rechtsmäßigen Kinder. In seinem letzten Willen setzt er eine uneheliche Tochter als Universalerbin ein, von der noch nie jemand etwas gehört hat und die irgendwo im Urwald lebt. Ein Ex-Staranwalt wird mit der Aufgabe betraut, die Missionarin in Brasilien ausfindig zu machen. Unterdessen wetzen die Anwälte der abgestraften ehelichen Kinder die Messer, um das Testament anzufechten. Denn es geht nicht um Peanuts, sondern um elf Milliarden Dollar.

_Der Autor_

Der studierte Jurist John Grisham, geboren 1955, ist nach Angaben des Heyne-Verlags der „meistgelesene Autor weltweit“. Zahlreiche seine Romane dienten als Vorlage zu Spielfilmen, darunter „Der Klient“, „Die Firma“, „Die Akte“ und „Die Jury“ sowie „Der Regenmacher“. Grisham war Abgeordneter im Parlament des Bundesstaates Mississippi und führte lange Jahre eine eigene Anwaltskanzlei, bis er sich Mitte der Achtzigerjahre ganz dem Schreiben widmete. Grisham lebt mit seiner Familie in Virginia und Mississippi.

Seine neuesten Bücher tragen die Titel „Bleachers“, also „Zuschauertribüne“ (deutsche Fassung: „Der Coach“), das sich mit den dunklen Machenschaften im Profisport befasst, sowie „Die Liste“.

_Der Sprecher_

Charles Brauer, geboren 1935, ist am bekanntesten als Kommissar Brockmüller an der Seite von Manfred Krug im „Tatort“. Er gehört zu den beliebtesten Hörbuchsprechern und hat für Heyne/Ullstein bereits „Der Verrat“, „Das Testament“ und „Die Bruderschaft“ u.a. von John Grisham gelesen.

Brauer liest eine gekürzte Ausgabe des Buches, und das ist gut so. Dadurch kommt weniger Langeweile auf, als es sonst wahrscheinlich wäre. Die Story ist nicht gerade darauf angelegt, Spannung zu erzeugen, und der Zuhörer fragt sich lange, was Grisham damit erreichen wollte.

_Handlung_

Troy Phelan ist ein Firmenpatriarch von altem Schrot und Korn, eine Art Jason-Robards-Typ. Mit großem unternehmerischem Spürsinn hat er es zur zehnten Stelle unter den reichsten Männern Amerikas gebracht. In seinem fast 80-jährigen Leben hat er fast alles gehabt, wovon andere nur träumen, nur eines nicht: eine Familie, auf die er stolz sein kann.

Wie die Geier kreisen seine missratenen und unfähigen Nachkommen aus drei legalen Ehen über ihm und können es kaum abwarten, ihr Millionenerbe anzutreten. Viele sind bis über beide Ohren verschuldet, obwohl er jedem seiner sechs Kinder 5 Millionen Startkapital gegeben hatte. Am Tag seiner Testamentseröffnung führt er seinen letzten Coup aus. Er unterzeichnet vor Kameras und psychiatrischen Gutachtern ein sorgfältig ausgetüfteltes Testament (mit „Micky Maus“). Angeblich hat er ja einen Hirntumor und nur noch zwei Monate zu leben.

Kaum sind die Kamera aus und die Psychiater verschwunden, ersetzt er das ungültige Dokument durch ein gültiges Papier, und dieses ist ein echter Hammer. Neben winzigen Abfindungen für die legalen Kinder setzt er eine uneheliche Tochter als Universalerbin ein. Dann stürzt er sich, so schnell ihn seine Beine tragen, über das Geländer der obersten Terrasse seines 13-stöckigen Hochhauses…

Die aufgebrachten Phelan-Kinder fechten das Testament natürlich an und setzen etliche gierige Anwälte dafür ein, ihre Ansprüche geltend zu machen. Leute wie Hark Gettys, die vor nichts zurückschrecken, um mindestens 25 Prozent des Erbanteils – plus Honorar, versteht sich – einzusacken.

Doch während in Washington, D.C., die juristische Schlacht um die Milliarden anhebt, setzt der Testamentsvollstrecker, der Anwalt Josh Stafford, alle Hebel in Bewegung, um die Alleinerbin, Rachel Lane, aufzuspüren. Dazu rekrutiert er den Ex-Staranwalt Nate O’Riley, der gerade aus einer langen Entziehungskur entlassen wurde, um seiner Alkohol- und Kokainsucht zu entkommen. Nicht gerade der optimale Abgesandte, sollte man meinen.

In einer recht abenteuerlichen Fahrt ins Innere des südamerikanischen Kontinents stöbert er in der Region des Pantanál tatsächlich Rachel Lane auf, die als christliche Missionarin im Auftrag von World Tribes Missions den Indios nicht nur nur das Christentum näherbringt, sondern auch als Ärztin tätig ist. Wider Erwarten findet Nate in der schlanken 42-jährigen Medizinerin eine Frau, die ihn versteht und trotz all seiner Sünden und Schwächen das Gute in ihm sieht. Sie will zwar das Geld nicht und unterschreibt auch kein Dokument, doch das macht nichts: Nate genügt, dass es sie gibt.

Mit dem Denguefieber liegt er erst einmal einige Tage im heruntergekommenen Krankenhaus der Provinzhauptstadt Corumbà darnieder. Nate träumt, Rachel komme ihn besuchen, und sofort fühlt er sich erleichtert und das Fieber weichen. Er kehrt als anderer Mensch in die USA zurück und beginnt, sich dort für die Arbeit der Kirche zu interessieren.

Josh Stafford ist auch mit einem halben Erfolg zufrieden, denn er weiß, was die Anwälte der Gegenseite vorhaben. Sie haben Troy Phelans Diener mit einer halben Million Dollar dazu gebracht, praktisch alle möglichen Lügen zu erzählen, um zu beweisen, dass Phelan zur Zeit, als er das Testament schrieb, unzurechnungsfähig war. Zudem soll er mit seiner Sekretärin Nicolette geschlafen haben, welche ebenfalls gegen ihn aussagt soll.

Stafford hat für Nate O’Riley eine letzte große Aufgabe: das Erbe, das Rachel Lane zusteht, vor dem Zugriff der Phelan-Kinder zu bewahren. Schon nach den ersten Anhörungen, die ihm Einblicke in Psyche und Vermögensverhältnisse der Kinder gewähren, schämt sich Nate, so angewidert ist er davon, so sehr bemitleidet er die Sprösslinge des Patriarchen.

Aber wird es ihm gelingen, das große Erbe im Sinne von Rachels christlicher Nächstenliebe zu bewahren und zu verwalten? Könnte man eine Stiftung einsetzen, um all die Milliarden sinnvoll zu verwenden? Da kommt ihm ein zweites Testament zu Hilfe.

_Mein Eindruck_

Wie immer nimmt Grisham die Ethik seines eigenen früheren Berufsstandes aufs Korn. Diesmal sind es nicht Sammelklagenanwälte, sondern Testaments-Geier, könnte man sagen. Sie kassieren bis zu 50 Prozent des erstrittenen Erbes ab! Plus Honorare von bis zu 600 Dollar pro Stunde, versteht sich. Wenigstens kommen die Phelan-Erben auf den Trichter, sich zusammenzutun und so Anwaltskosten einzusparen. Grisham betreibt ja geradezu Klientenberatung.

Dass man unter einem „Letzten Willen“ nicht nur eine fette Beute verstehen kann, sondern auch eine moralische Verpflichtung, die etwas mit dem Wohl und Wehe von Menschen zu tun hat, demonstriert er am Beispiel des Ex-Anwalts Nate (= Nathaniel) O’Riley. Der Alkoholiker hat schon zwei Scheidungen und vier Entziehungskuren hinter sich, steckt in einem Steuerschuldenprozess und erlebt in Corumbà einen schweren Absturz. Quasi auf Knien kommt er bei Rachel, der edlen Frau Missionarin und Ärztin an. Kein Wunder, dass er sich quasi von ihr bekehren lässt – was bleibt ihm anderes übrig? Der Drogentod vielleicht? In der gekürzten Fassung des Hörbuchs geht diese Bekehrung etwas hopplahopp vor sich, dürfte aber im Buch ausführlicher und plausibler beschrieben sein. Nates Begegnung mit Gott und dem Glauben wird zwar fortgeführt, hat aber mit der Haupthandlung nur insofern zu tun, als dies seine Motivation begründet, sich mit den Erben auseinanderzusetzen, um Rachel zu helfen.

Nates Abenteuer im Urwald, wo Unwetter, Tierwelt und Krankheiten ihm zusetzen, sind zwar Stoff für einen Abenteuerroman, nicht aber im Hörbuch. Und das ist auch folgerichtig, denn am spannendsten ist nicht die Frage, ob Nate lebendig aus Südamerika zurückkehrt, sondern ob die Phelan-Kinder mit ihren Anwälten über krumme Touren an das Milliardenerbe herankommen oder nicht.

Daher kommt es doch noch zu den standardmäßigen Szenen vor dem Richter: Nate nimmt die Phelan-Kinder sowie den Phelan-Diener und die Sekretärin Nicolette nach Strich und Faden auseinander. Die Anwälte sehen schon ihre Felle davonschwimmen. Daher erscheint ihnen der Vergleich, den ihnen Stafford anbietet, wie das rettende Licht am Ende des Tunnels: Sie werden sich doch noch ihre Porsches und Daimlers leisten können! Hier wird Grisham zwar sehr sarkastisch, doch lässt er wenigstens Nate Mitleid mit den Mandanten haben – wenn auch nicht mit deren Blutsaugern.

_Der Sprecher_

Charles Brauer erledigt seinen Job fast einwandfrei. Als erfahrener Schauspieler – etwa im „Tatort“ – hat er ein Gespür für das Besondere an einer Szene. Da weiß er einfach, wo die Pausen gesetzt werden müssen, um die optimale Wirkung zu erzielen.

Dies zeigt sich besonders in den behutsam gelesenen Szenen zwischen Rachel, der Missionarin, und dem beinahe zerstörten Mann Nate O’Reilly. In den Szenen des Gerichtsdramas hingegen zeigt sich seine ironische Betonung so manchen Satzes, der das Ziel, Nates Befragten, durchbohren soll.

In dieser Aufnahme zeigt Charles Brauer nur eine Schwäche, und das ist seine Aussprache englischer Namen. So spricht er „Josh“ praktisch nie wie ein Englischsprecher aus, sondern wie ein Deutscher: mit „j“ am Anfang statt mit weichem „dsch“. Seine Aussprache des irischen Nachnamens „Phelan“ schwankt zwischen „‚feijlin“ und „fi’leijn“. Bei Troy junior müsste die Abkürzung eigentlich „T.J.“ lauten, gesprochen „ti-dschej“. Brauer spricht „ti-dschi“, was jedoch einem „T.G.“ entspricht. Alle anderen Namen sind richtig ausgesprochen, ebenso die portugiesischen Begrüßungen.

_Unterm Strich_

So richtig interessant wird die Geschichte erst mit dem Auftauchen Nate O’Rileys, der eine bemerkenswerte Entwicklung durchmacht und das Ergebnis aller juristischen Kämpfe in eine den Zuhörer zufrieden stellende Richtung zu lenken versteht.

Allein durch ihn und Rachel Lane sind bewegende Szenen möglich. Durch seine Konfrontation mit den Phelan-Kindern entsteht die Spannung eines Gerichtssaal-Dramas, wie man es vom TV zur Genüge kennt. Einen Hauch von Abenteuer und Marlboro-Mann erhält die Story durch seine Abenteuer in den Dschungeln Brasiliens, jedenfalls insofern, als damit ein Rätsel gelüftet wird: die Identität Rachel Lanes.

Insgesamt ist auch das Hörbuch „Das Testament“, wohl ebenso wie der Roman, eine recht durchwachsene Angelegenheit, in der für jeden Geschmack etwas dabei zu sein scheint. Charles Brauer liest gewohnt kompetent, aber zumindest im Jahr 2000 war seine englische Aussprache noch verbesserungsfähig.

_Michael Matzer_ © 2003ff