Anne Guillard – Valentine 1

Story

Valentine leidet unter sämtlichen Schönheitsfehlern, die ein weiblicher Körper mit sich bringen kann. Haare auf den Beinen, eine birnenförmige Figur, eine unvorteilhafte Kopfform und ein Selbstvertrauen, das gen Null tendiert. Bewaffnet mit ihren Epiliergeräten, arbeitet sie fast permanent daran, ihre Unzufriedenheit vergessen zu machen, was ihr jedoch auch deswegen nicht einfach fällt, weil sie von allen Seiten benutzt wird. Ihre Mutter zum Beispiel lässt ihren Hund zur Pflege bei ihr und geht im Dialog mit ihrer Tochter zu keiner Sekunde auf deren Probleme ein. Gleiches gilt für ihre Nachbarin, die ebenfalls ganz unverhofft ihre Tochter zum Babysitten abliefert und die gereizte Valentine ihrem Schicksal überlässt. In einer Welt voller Schönheitsideale hat man es als Frau eben nicht leicht. Besonders wenn man nicht einmal eine einzige Freundin, geschweige denn einen Liebhaber hat …

Meine Meinung

Anne Guillard springt in ihrem neuen Comic nicht sonderlich zimperlich mit dem eigenen Geschlecht um. In bissig-satirischer Form prangert sie die oberflächlichen Ideale der modernen Damenwelt an und wettert dabei in vielen versteckten Anspielungen gegen Kampagnen und Agenturen, welche die Weiblichkeit der Frau ausschließlich an ihrem äußeren Erscheinen festmachen. Am Beispiel ihrer unscheinbaren, bewusst hässlichen Comicfigur Valentine umschreibt die Autorin, worauf es heutzutage ankommt, beschränkt sich dabei aber auf eine Auswahl von ‚Unarten‘, die man in dieser Form nicht akzeptieren darf. Im Mittelpunkt: die behaarten Beine der Protagonistin und die hierfür nötigen Werkzeuge, ihre zahlreichen Epiliergeräte, mit denen sie bis unter die Zähne bewaffnet ist. Aber der restliche Körper wurde auch nicht gerade wohlwollend bedacht: der kleine Busen, die seltsamen Formen ihres Oberkörpers und natürlich das kantige Gesicht. Kein Sex-Appeal, aber eine Menge Frust. Bei Valentine staut sich mit der Zeit arg vieles auf, und so ist sie auch stets gereizt, wenn man auch nur mit ihr in Kontakt tritt. Aber auch hier hat sie nur schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn sich dann mal jemand dazu herablässt, der Dame einen Besuch abzustatten, ist dies meistens nur zweckgebunden. Denn eines ist klar: Mit dieser unzufriedenen, festgefahren Zicke will niemand etwas zu tun haben.

Anne Guillard hat bei der Darstellung ihrer Hauptfigur beste Arbeit geleistet. Eingebettet in ein ebenfalls sehr satirisch aufgebautes Frauenjournal, welches neben dem eigentlichen Comic auch mit Interviews zu Problemen in verschiedenen Körperregionen nicht geizt, lässt die Dame hier einmal alles aus sich heraus, was sie an der toleranzlosen, medienverseuchten Gesellschaft von heute stört. Mit überspitztem Humor und überraschend tadelloser Originalität (man erkennt hier wirklich enorm viele Eigenheiten seiner eigenen Lebenspartnerin wieder) … beschreibt sie das Idealbild eines hässlichen Entleins. Klischees spielen dabei natürlich eine zünftige Rolle, heizen die bitterböse Parodie aber nur noch weiter an. Und dennoch treibt es Anne Guillard selbst hier noch weiter auf die Spitze und verwandelt selbst die unauffälligsten Störfaktoren in bedeutungsschwangere Schönheitsfehler, mit denen eine Frau nicht leben kann – oder darf.

Inwieweit die Autorin hierfür hat Recherche betreiben müssen, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis. Ob die erste Ausgabe von „Valentine“ aus eigenem Frust heraus entstanden ist oder Guillard sich einem allgemein brisanten und besonders beim betroffenen Geschlecht heiß diskutiertem Thema auf diese Weise genähert hat, gibt der Comic nicht her. Zumindest aber weiß die Dame ganz genau, wovon sie spricht, so dass selbst die übertriebenste Darstellung noch ein kleines Fünkchen Authentizität für sich in Anspruch nehmen kann. Und wie realistisch „Valentine“ tatsächlich ist, wird man spätestens dann erfahren, wenn man nach dem Genuss dieses scharfen Magazins seine Lieben mal vor den hier präsentierten Spiegel stellt.

Stellt sich am Ende nur noch die Frage, für welche Fraktion „Valentine“ besser geeignet ist: für Männer, die nach Bestätigung für die verneinten Eigenheiten ihrer Partnerinnen trachten, oder doch eher für Frauen, die nach dieser Lektüre wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden? Nun, empfehlenswert ist es sicherlich für beide Seiten, schmerzhaft allerdings nur für eine – und der gehöre ich Gott sei Dank nicht an …

Broschiert: 56 Seiten
www.ehapa-comic-collection.de