Als anonymer Rächer piesackt ein zu Unrecht des Mordes beschuldigter Mann den wahren Täter, der nicht nur die Polizei instrumentalisiert, sondern auch nach der schönen Tochter des Rächers geiert … – Ihren ersten Fall lösen Chefinspektor William Cromwell und Assistent Johnny Lister eher theatralisch als spannend; Klischee-Figuren und ‚dramatische‘ Todesfallen sorgen heute für Heiterkeit: eine primär krimihistorisch relevante Ausgrabung.
Das geschieht:
Vor 18 Jahren wurde Sir John Merriman aus Netherton in Mittelengland umgebracht. Als Mörder galt Schwiegersohn Duncan Wayne, der in Panik entflohen war; Mary und die zweijährige Tochter Pamela ließ er zurück. Dabei war Wayne unschuldig: Nigel Stacey, Sir Johns Privatsekretär, hatte seinen Arbeitgeber erst beraubt und dann erschlagen. Mit dem ergaunerten Geld baute er eine Chemiefabrik auf und mehrt sein Vermögen, indem er Bomben unter den Ladungen alter Frachtschiffe verbirgt, die seine gut versicherten Chemikalien über die Meere tragen. Schon dreimal gingen solche Seelenverkäufer auf den Meeresgrund, ohne dass jemand Verdacht geschöpft hätte.
Nun will Stacey häuslich werden. Objekt seiner Begierde ist ausgerechnet die inzwischen zur jungen Frau gereifte Pamela Wayne. Sie und Mutter Mary sind dem Schurken ausgeliefert: Er erpresst sie mit gefälschten Fotos, die angeblich den geflohenen Vater und Ehemann in Südamerika zeigen. Stacey droht ihn den Behörden anzuzeigen, wenn ihm Pamela nicht zu Willen ist.
Tatsächlich hält sich Duncan Wayne in den USA auf, wo er unter neuem Namen einen Automobil-Konzern aufgebaut hat. Über das, was in der alten Heimat vor sich geht, halten ihn Zeitungen auf dem Laufenden. Als Wayne nun lesen muss, dass der alte Todfeind sich an der Tochter vergreifen will, kehrt er heimlich nach Netherton zurück.
Gefährlich wird allerdings der scharfsinnige Chefinspektor William Cromwell. Er macht er Urlaub in Netherton, wo er einst den Mordfall Merriman untersuchte. Dass der Hauptverdächtige ihm damals entkam, ärgert Cromwell noch heute. Trotzdem kann Wayne den verhassten Stacey als anonymer „Mr. Nemesis“ zunächst terrorisieren. Als er ahnungslos einen Giftsäure-Kanister aus Staceys Hexenküche zur Explosion bringt, wird die Polizei aufmerksam. Inspektor Cromwell schaltet sich in die Ermittlungen ein, weshalb es für den selbst ernannten Rächer eng wird …
Start oder Recycling?
Victor Gunn, dessen richtiger Name Edwy Searles Brooks lautete, schrieb 43 Romane und Storysammlungen den knurrig-genialen Inspektor William Cromwell und seinen unbekümmerten Assistenten Johnny Lister. „Schritte des Todes“ markierte 1939 das Debüt des Duos. Brooks griff hier auf eine seiner vielen Geschichten – „Mr. Nemesis“ erschien 1937 in „Detective Weekly“ – zurück, mit denen er unter zahlreichen Pseudonymen die „Penny Dreadfuls“ und „Pulps“ – auf billiges Papier gedruckte, den vordergründigen Geschmack des Publikums mit spekulativem Thrill bedienende Magazine – ganze Ausgaben im Alleingang zu füllen schien.
Schon 1939 dürften die Handlung altmodisch gewirkt haben. Sie wirkt wie eine Reminiszenz an die Groschenromane der viktorianischen Ära, die nach 1918 allmählich ihren Niedergang erfuhren und den Zweiten Weltkrieg nicht überleben sollten. Hier hatte Brooks 1907 debütiert, und die Gesetze der Ex-und-hopp-Literatur prägten sein Werk. Dabei war Brooks ein guter Geschichtenerzähler, der seinen Stoff nicht nur im Griff hatte, sondern durchaus witzig und der Selbstironie fähig war: In „Schritte des Todes“ macht er sich z. B. über das Geisterbahn-Ambiente mancher Passagen lieber selbst lustig als dies der Kritik zu überlassen, und ihm entgeht auch nicht, dass sich „Mr. Nemesis“ den Namen einer Göttin geliehen hat.
Dennoch forderte die ständige Hast des Vielschreibens ihren Tribut: Der Plot ist nicht nur schlicht, sondern regelrecht ärmlich, auch wenn er irgendwie funktioniert. Brooks bemüht alte und oft bemühte Spannungssituationen und -muster, die er mit dem Geschick des krisenerprobten Zirkusdirektors zu einer halbwegs unterhaltsamen Vorstellung zusammenstellt oder -stoppelt.
Krimispannung ohne Nervenbelastung
In Deutschland ist Brooks/Gunn so gut wie vergessen. Das war in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg anders. Gunn-Romane stellten neben den Krimis von Edgar Wallace ein festes Standbein des Goldmann-Verlags dar und wurden immer wieder aufgelegt. Die Erklärung fällt leicht, markiert doch schon „Schritte des Todes“ die Parallelen zum erwähnten Edgar Wallace. Sinistre Schurken und autoritäre Helden liefern sich aufregend-infantile Katz-und-Maus-Spielchen um vergrabene Schätze, romantische Racheschwüre oder bizarre Geheimwaffen. Stets muss mindestens eine schöne, aber notorisch hilflose Frau aus den Klauen des Bösen befreit und im Finale mit einem der Guten verheiratet werden.
Das alles spielt in den Kulissen eines romantischen Fantasie-Englands, das es ganz gewiss nie gegeben hat. In „Schritte des Todes“ finden wir neben vielen anderen einschlägigen Klischees die verfallene Schlossruine des Schauerromans ebenso wieder wie den treuherzig-drolligen Dorfbewohner als Repräsentanten einer mit sich und dem Schicksal in Einklang befindlichen Unterschicht. Die Welt von Edgar Wallace und Victor Gunn ist in Ordnung; ihre Bewohner wissen, wohin sie gehören, und sind zufrieden damit. Stets siegt das Gute, die Unerfreulichkeiten der Realität bleiben ausgespart.
Das gefiel (und gefällt) auch in England aber noch besser im Deutschland der 1950er und 60er Jahre. Das historische NS-Erbe wurde systematisch verdrängt. Politische Neuordnung und soziale Umwälzungen sorgten für Unbehagen, dem der brave Bürger gern des Feierabends in die sichere Behaglichkeit entfloh, die ihm ‚sein‘ Wallace oder Gunn bot: „Abends, wenn ich abgespannt bin, greife ich instinktiv nach einem ‚Wallace‘, bin im Nu in der Handlung, vergesse den ganzen Jammer des Alltags, bin froh und mutig“, kleidete um 1960 ein (klug anonym bleibender) Leser von Goldmann-Krimis es herzzerreißend (und zwerchfellerschütternd) in Worte.
Bekannt = sicher
„Old Iron“ Cromwell und Johnny Lister blieben stets dieselben, lieferten sich Band für Band pubertäre Wortgefechte und erstarrten nach dem Willen ihres geistigen Vaters und seines Publikums bis 1965 in ihrem Thriller-Panoptikum, während sich die reale Welt rasend schnell veränderte. In „Schritte des Todes“ wirken die Figuren noch ein wenig fremd und scharfkantig. Der Routinier Gunn schliff sie in den kommenden Jahren, bis sie dem Publikum gefielen und ihm die Massenproduktion neuer Romane erleichterten. Die Formel war gefunden und wurde ein Vierteljahrhundert immer wieder eingesetzt.
Als eine neue Generation heranwuchs, die dem Vertrauten, von oben Geregelten die Freiheit des Denkens und Handelns vorzog, musste die Popularität von Romanen dieses Schlages zwangsläufig abnehmen. Nun griff der Nostalgie-Faktor: Knarrende Türen und Schwarze Äbte in der Nacht jagen niemandem mehr Angst ein, sondern sind witziger ‚Kult‘. Sie erinnern wehmütig an eine Zeit, als die Welt scheinbar einfacheren Regeln gehorchte und leichter zu meistern war; hier schließt sich dann der Kreis, und Edwy Searles Brooks alias Victor Gunn, der Zeit seines Lebens ‚nur‘ unterhalten wollte, hat seine Nische gefunden.
(Ach ja: Welche Fußspuren der Tod denn nun in dieser Geschichte hinterlässt, wird leider auch im Finale nicht deutlich – bereits vor sechzig Jahren war die Kunst, eine Allerweltgeschichte durch einen schmissigen Titel aufzupeppen, sichtlich bereits bekannt.)
Autor
Der Engländer Victor Gunn (1889-1965), dessen richtiger Name Edwy Searles Brooks lautete, war als Unterhaltungs-Schriftsteller ein Vollprofi. Er verfasste für Zeitschriften und Magazine über 800 (!) Romane und unzählige Kurzgeschichten – genaue Zahlen werden sich vermutlich nie ermitteln lassen – unterschiedlichster Genres, wobei er sich diverser Pseudonyme bediente. Der nome de plume „Victor Gunn“ blieb jenen Romanen und Story-Sammlungen vorbehalten, die Brooks um den knurrig-genialen Inspektor William Cromwell und seinen lebenslustigen Assistenten Johnny Lister verfasste.
In Deutschland ist Gunn vom Buchmarkt verschwunden. Dabei ließ sich sein Erfolg einmal durchaus mit dem seines Schriftsteller-Kollegen Edgar Wallace messen. Eine stolze Auflage von 1,6 Millionen meldete der Goldmann-Verlag, der Brooks als Victor Gunn hierzulande exklusiv verlegte, schon 1964; eine Zahl, die sich in den folgenden Jahren noch beträchtlich erhöht haben dürfte, bis ab 1990 die Flut der ständigen Neuauflagen verebbte.
Taschenbuch: 158 Seiten
Originaltitel: Footsteps of Death (London : Collins 1939)
Übersetzung: Tony Westermayr
http://www.randomhouse.de/goldmann
Der Autor vergibt: