H. G. Wells – Das Imperium der Ameisen

Ungereimtheiten im Remake

„Seit die Menschen begonnen haben, den Regenwald aus reiner Gier Stück für Stück zu vernichten, glauben viele hier, dass sich die Natur eines Tages rächen wird. Dass der Regenwald ein Wesen erschaffen wird, das die Menschen für ihren Frevel bestrafen wird.“ Kapitän Gerilleau

„Oliver Dörings Adaption von H. G. Wells Science-Fiction-Klassiker „Das Imperium der Ameisen“ ist ein Mystery-Thriller mit einer ebenso spannenden wie furchterregenden Geschichte. Diese zeigt einmal mehr, wie zeitlos Wells‘ visionäres Werk ist.“ (aus der Verlagsinfo) Der gleichnamige Film von 1977 basiert auf dieser Story.

Der Verlag empfiehlt sein Hörspiel ab 12 Jahren.

Der Autor

H(erbert) G(eorge) Wells wurde am 21.9.1866 in Bromley/Kent geboren und starb am 13.8.1946 in London. Nach einer Kaufmannslehre absolvierte er ein naturwissenschaftliches Studium mit Prädikatsexamen; nach nur wenigen Jahren als Dozent lebte er als freier Schriftsteller. Sein Gesamtwerk umfasst etwa hundert Bände. Zu Weltruhm gelangte er mit seinen Romanen und Erzählungen, die ihn als Begründer der modernen Science-Fiction, als genialen phantastischen Utopisten und als kritisch-humorvollen Gesellschaftssatiriker ausweisen. (Verlagsinfo, dtv)

Den vollen Text der Erzählung findet man hier als PDF: http://www.sffaudio.com/podcasts/TheEmpireOfTheAntsByH.G.WellsSTRAND.pdf

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Julien Haggège: Holroyd
Carlos Lobo: Kpt. Gerilleau
Douglas Welbat: Ernest (Chambers?)
Boris Tessmann: John Perkins
Oliver Stritzel: Richard (Simpson?)
Daniel Montoya: Da Cunha
Und viele weitere, darunter Julia Kaufmann als Jenna und Joachim Kerzel als Ansager.

Die Macher

Produktion: IMAGA – Alex Stelkens & Oliver Döring (www.imaga-shop.de)
Produktionsleitung und Regieassistenz: Ila Panke
Tontechnik: Thomas Nokielski
Buch, Schnitt und Regie: Oliver Döring
Mehr Info: www.folgenreich.de

Handlung

PROLOG

Das Lager der Biologen im Amazonas-Dschungel wird überrannt. Nicht etwa von verrückt gewordenen Indios, sondern von einem viel zahlreicheren Gegner. John versucht, die verzweifelt schluchzende Jenna zu trösten, vergeblich. Schreie ertönen in der Ferne, der Feind rückt näher. Sie wissen: Es gibt kein Zurück mehr. Gemeinsam entsichern sie die Handgranate und zählen. Als die ersten Vertreter des Feindes in ihren Raums eindringen, schreit Jenna: „O mein Gott!“

Haupthandlung

Der Unternehmer Mr. Chambers engagiert den jungen englischen Ingenieur Lucas Holroyd und verpflichtet ihn zu einer Reise in den peruanischen Dschungel. John Perkins, der Leiter der Biologen-Expedition, habe von aggressiven Ameisen berichtet, die ein sehr starkes Gift einsetzen. Genau für dieses Gift interessiert sich die Firma von Mr. Chambers. Vor drei Wochen brach der Kontakt zu Perkins ab, Holroyd soll herausfinden, was passiert ist. Seine Freundin Anne ist ungläubig: „Nimm gefälligst alles auf Video auf!“

Peru

Von Lima geht die Reise nach Iquitos am großen Fluss. Hier verabschiedet sich Holroyd von seinem Führer Carlos und begibt sich in die Obhut von Kapitän Gerilleau auf der „Benjamin Constant“, einem bewaffneten Patrouillenboot. Der Käptn weiß, dass nicht nur Rebellen die Gegend unsicher machen, sondern auch diese großen Ameisen, die er als „die Rache der Natur“ bezeichnet. Holroyd vernimmt mit Erstaunen, dass der Bootsführer diese Insekten als intelligent einstuft, versehen mit einem Schwarmbewusstsein, das kollektiv handeln kann. Ein mitreisender Brite, ein Globetrotter namens Simpson, berichtet von einem Beispiel für solches Verhalten. Holroyd beschließt, fortan auf der Hut zu sein.

Das Geisterboot

Gerilleau hat gerade per Helikopter den bestellten Flammenwerfer geliefert bekommen, als auf dem Fluss das Geisterboot in Sicht kommt. An Deck sitzt reglos nur ein Mann – und der hat kein Gesicht mehr. Guerilleau hat Lieutenant da Cunha als Kundschafter an Bord geschickt, so dass Holroyds Warnung zu spät kommt. Die Ameisen fallen über da Cunha her, doch er kann in sein Boot flüchten und zurückfahren. Nur eine riesige Ameise hat sich in ihn verbissen. Holroyd fängt sie in einem Einmachglas ein. Nachdem er alles, was er an Bord vorfand und erlebte, geschildert hat, fällt der Gebissene ins Delirium. Gerilleau befiehlt, das fremde Segelboot in Brand zu setzen und zu versenken.

Erstkontakt

Während Simpson vor dem, was kommt, warnt, beobachtet die gefangene Ameise die Menschenwesen. Sie sammelt Wissen, um es später an ihresgleichen weiterzugeben. Die Expedition geht an Land, bewaffnet mit dem Flammenwerfer, und marschiert zur Forschungsstation, wo John Perkins lebte. Die Gebäude sind bereits vom Dschungel überwuchert, bemerkt Holroyd verwundert, und abgenagte Skelette liegen dazwischen.

Von Chambers hat Holroyd den Türcode für das Labor erhalten. Sobald er Zutritt erlangt hat, sucht er nach Überlebenden. Es gibt nur einen: John Perkins. Der behauptet zu Holroyds Erstaunen, er kommuniziere mit den Riesenameisen. Er habe zwar deren Gift analysiert, ja, aber es gehe um viel mehr! „Die Ameisen haben einen Plan.“ Sie wollen ein Reich errichten, das mit dem des Menschen konkurriere. Doch es herrsche solange Frieden, solange die Menschen nicht angreifen würden. Holroyd solle die Menschheit warnen.

Heimliche Invasion

Auf Perkins‘ Wunsch hin hat Holroyd die Leiche der von Ameisen getöteten Jenna in einem hölzernen Sarg über Iquitos und Lima heim nach England bringen lassen. Nun regt sich Leben in den zahlreichen Löchern, die in Jennas Körper zu finden sind…

Mein Eindruck

Wie schon in mehreren seiner Romane und Erzählungen zeigt der Autor auch hier, was die Gesetze der Evolutionstheorie, deren Anhänger er ist, für die Menschheit bedeuten: das Ende ihrer Herrschaft über den Planeten. Gemeint ist natürlich im engeren Sinne das British Empire, das die Welt umspannt, deshalb kehrt die tödliche Fracht aus dem Dschungel auch nach London zurück statt etwa nach New York City, Paris oder Berlin.

Die Geschichte malt das Bild eines Gegners, der ebenso intelligent und aggressiv ist wie der Homo sapiens, der aber ein kollektives Bewusstsein ausgebildet hat, welches schneller kommuniziert – wie John Perkins berichtet -, als es dem Menschen möglich ist. Der Autor wusste natürlich um die zahlreichen Rückschläge und Niederlagen, die das britische Militär in aller Welt zwischen 1854 und 1896 erlitt: von Afghanistan bis nach Südafrika. Die Ecken und Säulen des Imperiums wackeln.

Das Hörspiel verlegt das Szenario in die Gegenwart: Es kommen Türcodes und PCs vor, wenn auch keine Handys (da es kein Funknetz gibt). Nun gilt die Pax Americana. Logischerweise müssten die Beteiligten mehrheitlich aus den USA kommen, doch das ist nicht der Fall. Das ist nicht die einzige Ungereimtheit.

So ist im Originaltext nachzulesen, dass sich Gerilleau nicht scheut, mit seinem Flammenwerfer die Stadt Badama einzuäschern. Da die Stadt verlassen ist, fürchtet Gerilleau, sie sei von den Ameisen besetzt worden, und will diese per Flammenstrahl eliminieren. Diese drastische Szene fehlt im Hörspiel.

Die Szene mit dem Erstkontakt in Perkins‘ Forschungsstation enthält keinerlei Gewalt, so dass man sich fragt, was hier eigentlich unter „Erstkontakt“ zu verstehen ist. Es ist Perkins, der dies erläutert. Er kommuniziert mit den Ameisen und übersetzt deren Botschaften. Die Eindringlinge sollen den Dschungel verlassen, der nun von den Ameisen beansprucht wird.

Perkins bittet Holroyd, die Warnung der Ameisen zu überbringen und den Behörden seine Forschungsunterlagen zu übergeben. Dass Holroyd mit Jennas Sarg auch zugleich das Verderben über England bringt, ist eine feine Ironie der Geschichte, ein wenig an die Einschleppung der Pest um 1348 erinnert. So schön dieses Bild auch wirkt – es ist extrem unwahrscheinlich. Denn heutzutage würde es der Sarg und sein unheimlicher Inhalt nicht mehr durch den Zoll und dessen Schutzmaßnahmen schaffen. Eine weitere Ungereimtheit der Neufassung.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Schnell lernt der Hörer, die einzelnen Stimmen den Figuren zuzuordnen. Das klingt einfacher, als es ist. Nachdem mit Jenna die einzige weibliche Rolle nach dem Prolog wegfällt, bleiben ja nur Männerstimmen übrig. Die Latinos lassen sich leicht anhand ihres deutlichen Akzents identifizieren, doch bei den Anglos wird das schon schwieriger. Der Brite Simpson spricht etwas sorgfältiger, und John Perkins klingt gehetzt und äußerst nervös, ähnlich wie da Cunha, der Gebissene. Eindeutig ist der Kapitän die akustisch dominierende Figur des Stücks.

Der junge Holroyd sagt fast nie etwas, und sein älterer Boss Chambers ist eindeutig an seiner diktatorischen Sprechweise auszumachen. Es ist sehr schade, dass Jenna so früh ausfällt, denn sie bringt wenigstens starke Emotionen in dieses von kontrollierten bzw. unterdrückten Gefühlen gekennzeichneten Drama ein: Sie schluchzt und keucht vor Angst, und als der Feind eindringt, gerät sie vollends in Panik (was sich für sie leider verhängnisvoll auswirkt).

Geräusche

Es ist die sorgfältig ausgearbeitete Geräuschkulisse und die unterlegten Sounds, die den Reiz dieses Remakes ausmachen. Bei der Gestaltung sahen sich die Toningenieure mehreren Herausforderungen gegenüber. Zum einen sind die Laute, die in einem echten Dschungel erzeugt werden, derart vielfältig, dass das menschliche Ohr bald mit der Aufgabe überfordert ist, sie auseinanderzuhalten und zuzuordnen.

Daher war es wohl die vernünftigere Wahl, nur vereinzelte Vogellaute über das ständige Zirpen zu legen. Über die Klangteppich lassen sich dann interessantere Geräusche wie etwa das Klappern von Geschirr oder das Tuckern eines Schiffsmotors legen. Auch der Klang des Helikopters ist deutlich zu vernehmen, und es wird von der „Schiffshupe“ beantwortet. Eine Schiffsglocke ertönt, und was noch fehlt, ist das POING des Maschinentelegraphen.

Die zweite Herausforderung: Welches Geräusch verursacht ein Ameisenschwarm? Jeder Hörer denkt zunächst an entsprechende Hollywood-Filme, in denen ein furchterregendes Rascheln, Sirren und Zirpen gemixt wird, das im Hörer Urängste weckt. So spielen etwa Ameisen in dem Film „Phase IV“ eine zentrale Rolle, der als ein weiteres Remake von Wells‘ Vorlage angesehen werden kann. Die vorliegende Gestaltung der Ameisen erschien mir etwas zu einfach und flach. Als Gegenbeispiel kann beispielsweise das Insektengeräusch auf Peter Gabriels dritter LP aus dem Jahr 1978, das am Anfang des Stücks „Mother of Violence“ zu hören ist- Es dürfte jedem Hörer einen Schauder über den Rücken jagen.

Musik

Die Musik steuert üblicherweise die Stimmung, die eine Szene vermittelt: Anspannung, Entspannung, Heiterkeit oder Angst – viel Angst. Denn im Kern ist „Das Imperium der Ameisen“ ein Gruselstück: Dementsprechend wechselt auch die Musik zwischen erwartungsvollem Idyll, permanenter Angespanntheit und schließlich dynamischer Dramatik. Die bei der Ankunft in Lima erklingende einheimische Musik stimmt den Zuhörer auf den Schauplatz ein.

Doch Musik wird allgemein nur sehr sparsam genutzt, was ich im Hinblick auf Stimmung unbefriedigend finde. Der Gruseleffekt hält sich deshalb sehr in Grenzen. Erst ganz am Schluss ist bedrohliche Musik zu vernehmen, als das Unheil deutlich wird, das Holroyd mit Jennas Sarg nach England gebracht hat.

Die Ausstattung

Die CD steckt in einem Jewel-Case und ist mit dem Cover bedruckt. Das Booklet enthält die Sprecherliste und Technik-Credits sowie Eigenwerbung für die weiteren Wells-Umsetzungen, die geplant sind: „Die Zeitmaschine“ auf einer Doppel-CD und „Krieg der Welten“ auf drei (!) CDs.

Unterm Strich

In diesem sorgfältig produzierten Remake des Wells-Klassikers darf sich der Zuhörer an viel Spannung und Grusel erfreuen. Die Flussfahrt ist wie viele andere mit Erwartung und Vorahnung von Unheil befrachtet, doch Action gibt es erst, als das Geisterboot in Sicht kommt. Und auch dann hält sich die „Benjamin Constant“ hübsch auf Abstand, als da Cunha an Bord des Geisterbootes geht, dessen einziges Besatzungsmitglied bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt ist.

Vom Abfackeln der verlassenen Ortschaft Badama wird im Hörspiel nichts erwähnt, und auch während der Landpartie und sogar im von Ameisen belagerten Labor wartet der Zuhörer vergeblich daraus, dass mal irgendwas passiert, das das Warten gelohnt hätte. Selbst die Schlusspointe erschöpft sich in gruseliger Vorahnung und Erwartung, womit wir wieder am Anfang wären. Insgesamt ist die Action-Ausbeute recht enttäuschend, denn sie tendiert gegen Null. Am liebsten würde man gleich die Fortsetzung inszenieren und England untergehen lassen. Dafür aber muss man „Krieg der Welten“ kaufen, das Döhring inszeniert hat.

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern (Joachim Kerzel, Haggège u.a.) und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Haggège synchronisierte Colin Hanks in der Figur des „Beavis“ (und „Butthead“). Carlos Lobo ist die Stimmbandvertretung von Javier Bardem („Fluch der Karibik 5“). Oliver Stritzel vertrat Philip Seymour Hoffman sowie Dwayne Johnson.

Mit Douglas Welbat und Boris Tessmann wirkten zwei Autoren mit, die einschlägig im deutschen Grusel-Audio-Markt tätig sind: etliche Folgen von „Larry Brent“, „Macabros“, „Geisterjäger John Sinclair“ und „TKKG“ gehen auf ihr Konto.

Audio-CD: ca. 56 Min. Spieldauer
Info: The Empire of the Ants, 1905
www.folgenreich.de

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)