H. G. Wells – Der Krieg der Welten (Teil 1 und 2) Gruselkabinett Folge 124 und 125

Invasion vom Mars: Ein Spaziergang in die Hölle und zurück

1897 im viktorianischen England: Die vom renommierten Observatorium in Ottershaw beobachteten gewaltigen Explosionen auf dem Mars und der kurze Zeit später erfolgte Absturz eines massiven Meteoriten auf die Horsell-Heide waren nur die Vorboten einer großangelegten Invasion der Marsianer, der sich die Welt plötzlich unvorbereitet gegenüber sieht…

Teil 2: Der Kampf um die Herrschaft auf der Erde geht weiter und wird immer erbitterter von den Mars-Leuten geführt! Julian trifft in den brennenden Trümmern auf einen traumatisierten Hilfsprediger, der in der zerstörten Welt zu seinem einzigen Verbündeten wird… (Verlagsinfo)

Der Autor

Herbert George Wells (1866-1946) beeinflusste die Entwicklung der Science Fiction wie neben ihm nur noch Jules Verne. Seitdem er die Lehren von T.H. Huxley, einem eifrigen Verfechter von Charles Darwins Evolutionstheorie gehört hatte, verfolgte er diese Theorien weiter. Weil ihm die Lehrerlaufbahn wegen angegriffener Gesundheit verwehrt blieb, wandte er sich dem Schreiben zu, um Geld zu verdienen.

Schon die ersten Erzählungen wie „The Chronic Argonauts“, die 1888 erschien, erregten Aufsehen. Daraus formte er dann den Roman „The Time Machine“, das 1895 erschien. Joseph Conrad und Henry James, die besten Autoren ihrer Zeit, hießen ihn in ihren Reihen willkommen.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher

Mr. Ogilvy: Georg Tryphon
Julian: Bruno Winzen
Margret: Kathryn McMenemy
Soldat: Detlef Bierstedt
Verwirrter Mann: Joachim Tennstedt
Artillerist: Thomas Balou Martin
Lieutenant: Lutz Reichert
Flüchtende: Sascha von Zambelly, Marc Gruppe

Regie führten Marc Gruppe (Buch) und Stephan Bosenius (Produktion und Regie). Die Aufnahmen fanden in den Studios Titania Medien und Planet Earth statt.

Handlung

Akt I: „Die Ankunft der Marsianer“

Der Astronom Mr. Ogilvy und sein Enkel Julian gucken durch ihr Teleskop, das sie auf den Mars gerichtet haben. Dort tut sich etwas, geradezu ein Sturm von Lichtern. Gewitterdonner grollt unheilverkündend. Sie beobachten, wie Ogilvy überzeugt ist, den Start eines ersten Raumschiffs. Es ist der 12. August. Zehn weitere Nächte folgen, in denen vom Mars aus Raumschiffe zur Erde starten.

Der Einschlag in der zehnten Nacht findet auf der Horsell-Heide statt, nicht weit entfernt vom Haus von Julian und seiner Frau Margret. Mr. Ogilvy ist schon da. Das Trio wird Zeuge des gewaltigen Einschlags und des anschließenden Brandes, bevor sich der Zylinder schließlich öffnet. Der Öffnung entsteigt ein tentakelbewehrter Schädel von beeindruckender Hässlichkeit. Dann beginnt sich eine Kanone aus dem Zylinder zu erheben. Sie feuert einen Hitzestrahl! Die drei Menschen fliehen in Panik, doch Mr. Ogilvy ist zu alt und langsam. Der Astronom ist das erste Opfer der Invasoren. Das Erste von unzähligen.

Die Schlacht

Am Nachmittag beziehen Soldaten mit Kanonen Stellung um den ersten Landeplatz, und in der Nacht hören Julian und Margret Geschützdonner. Um Margret zu retten und sie zu seinem Cousin in Leatherhead zu bringen, muss Julian sein Heim verlassen und sich in die von den Kampfmaschinen beherrschte Wüstenei begeben, wo versprengte Soldaten von einer verlorenen Schlacht berichten. Bei Cousin Freddy lässt Julian seine Frau zurück, um das geliehene Gespann aus Pferd und Wagen in sein Heimatdorf zurückzubringen.

In seinem unzerstörten Haus trifft er auf den Artilleristen, der Schreckliches berichtet: Hochbeinige Kampfmaschinen hätten die Artillerie mit ihren Hitzekanonen vernichtet, und er allein sei entkommen. Zusammen versuchen sie den Kampfmaschinen Richtung London zu entkommen, wo noch Artillerieeinheiten stehen müssen. Doch sie werden verfolgt: Der Hitzestrahl beginnt das Flusswasser, in dem sie sich versteckt haben, zu erhitzen und das Wasser droht sie zu kochen. Kurz vor dem letzten Atemzug zieht die Kampfmaschine ab. Mit einem Paddelboot rudert Julian Richtung London…

Ein Kriegsschiff stellt sich auf der Themse den Kampfmaschinen in den Weg: Die tapfere „Thunderchild“ feuert aus allen Rohren! Tatsächlich kann sie eine Kampfmaschine, die sich ins Wasser gewagt hat, rammen und versenken. Doch der Hitzestrahl lässt nicht lange auf sich warten. Die „Thunderchild“ versinkt in den Fluten.

Akt II: „Die Erde unter der Herrschaft der Marsianer“

Nachdem schwarzer Staub von den Maschinen ausgespien worden ist, ersticken viele Menschen. Auf dem schwarzen Staub gedeiht das rote Unkraut der Marsianer und breitet sich aus. Es labt sich an Gewässern und jeglicher Flüssigkeit, etwa in grünen Gewächsen. Der schwarze Dunst ist eine Biowaffe, der zahlreiche Menschen in den Städten zum Opfer fallen.

In London stößt Julian erst auf einen verzweifelten Hilfsprediger. Dieser hält die Invasoren für Sendboten Satans. Zu Julians Entsetzen ergreift eine neuartige Sammelmaschine den Hilfsprediger. Er folgt ihr zu einem Sammelpunkt. Was machen die Invasoren mit den Gefangenen? O Graus – sie saugen ihnen das Blut aus dem noch lebenden Körper.

Als nächsten Tag sieht Julian den Artilleristen wieder, doch der hat keine Lust, zurück nach Leatherhead zu ziehen. Julian findet ein herrenloses Pferd und kommt gut voran. Da lässt ihn ein klagender Schrei innehalten. Was ist aus dem Triumphschrei der Marsianer nach der Landung geworden? Ein seltsames Klagen, das aus einer stillstehenden Kampfmaschine dringt, lässt ihn neue Hoffnung schöpfen…

Mein Eindruck

„Krieg der Welten“, veröffentlicht 1898, war als Satire auf die Kolonialpolitik des British Empires angelegt und vertauschte hierzu die Rollen von Eroberern und Opfern zu Ungunsten der Briten. Ein zusätzlich böser Seitenhieb war die Tatsache, dass die primitivsten damals bekannten Lebensformen das britische Weltreich retteten. (Wikipedia.de)

Ironisch ist daran aber auch, dass die Marsianer zwar die Erdlinge „wie unter einem Mikroskop“ betrachteten, als seien sie Bakterien, dann aber ihrerseits von Bakterien vernichtet werden – geradeso als wären sie Indianer im Hinterland, die nun mit Pocken infiziert und in Ermangelung einer Immunabwehr dahingerafft werden. So widerfuhr es etwa den Mandan-Indianern anno 1837, und neun von zehn Indianern an der Seuche starben. Der Häuptling der Mandan, Four Bears, ist aber nicht deshalb in die Literaturgeschichte eingegangen, sondern weil er das Vorbild für Karl Mays Romanfigur „Winnetou“ lieferte.

Das Problem der Marsianer ist die Anpassung an ein fremdes Biotop. Sie werden selektiert. Sowohl. „Anpassung“, und „Biotop“ als auch „Selektion“ sind Grundbegriffe der Evolutionstheorie Charles Darwins und seines Schülers Thomas Huxleys, die H.G. Wells im College (das er dank eines Stipendiums besuchen konnte) geradezu aufsog. 1894 verfasste er schon selbst auf dieser Basis ein modernes Biologie-Schulbuch, begann eine Artikelserie und veröffentlichte schließlich als Serie den vorliegenden Roman 1896-1897, in dem er die Mode von Invasionsgeschichten, die seit 1871 (nach dem Sieg der Preußen über Frankreich) veröffentlicht wurden, aufgriff. Die Buchveröffentlichung 1898 war nur der Schlusspunkt einer wahren Medienkampagne. Der Erfolg, der bis heute anhält, gab dem Autor recht.

Der Roman war niemals vergriffen, sondern immer irgendwo in Druck. Mindestens sieben Verfilmungen listet die Wikipedia auf, zuletzt 2005 die Version von Steven Spielberg. Mittlerweile sind zwei akustische Verarbeitungen der Romanvorlage weithin bekannt: das Hörspiel von Orson Welles aus dem Jahr 1938 und das Musical von Jeff Wayne aus dem Jahr 1978. Beide weichen stark vom Original ab.

Panik in Amerika

„The War of the Worlds“ ist in der Inszenierung von Orson Welles anno 1938 bis zum heutigen Tage das bekannteste Radiospiel überhaupt. Er ist sowohl berühmt als auch berüchtigt, denn es zeigte die suggestive Wirkung des Massenkommunikationsmittels Rundfunk deutlich auf. „Panik“ ist für immer mit diesem Hörspiel verbunden, doch zugleich signalisiert den Begriff, wonach sich die Menschen damals sehnten: Sie brauchten Trost, Liebe, Wärme und vor allem Gewiss- und Sicherheit. Daraus lehnten Medienmacher wie Walt Disney wichtige Lektionen. Auch für Welles, der 1940 sogar H.G. Wells, den Autor der Buchvorlage, traf, stellte sich das Hörspiel als Sprungbrett für seine Kinokarriere heraus.

Musikalische Dreibeiner

Die Musicalfassung, die Jeff Wayne 1978 mit Richard Burton als Erzähler einspielte, erfreute sich wider alle Erwartungen als Dauerseller. Es war mit 15 Millionen verkauften Alben und über 330 Wochen in den britischen Album-Charts (bis heute) sowie zwei internationalen Hit Singles sehr erfolgreich.

Ab 2012 ging die neue Version als Live-Musical auf Tournee. Sie wurde nach den Worten ihres Schöpfers ein unerwartet großer Erfolg, denn das Musical verfügt einfach über ein paar tolle Ohrwürmer wie „Forever Autumn” und „The Eve of The War”, die von einer tragisch-epischen Handlung ausgezeichnet getragen werden. Der Sound und die computergesteuerte Bühnentechnik sind natürlich um Lichtjahre besser als anno 1978. Universal hat im Februar 2014 die Filmfassung veröffentlicht, deren DVD-Ausgabe ich besprochen habe.

Der Maßstab

An diesen Produktionen muss sich mittlerweile das Titania-Hörspiel messen lassen. Sicherlich wird es nicht wieder zu einer Panik kommen, denn das Radio spielt nur noch im Auto eine Rolle. Aber man kann sich fragen, ob sich die Verarbeitung enger an das Original hält oder an das Musical, das sich doch viele Freiheiten herausnahm. Der Roman gehört immerhin zu den am häufigsten und ausführlichsten kommentierten Werken in der gesamten spekulativen Literatur und ist seit 2016 Public Domain. Alles dazu liest man am schnellsten in der englischen Ausgabe der Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/The_War_of_the_Worlds .

Die Sprecher/Die Inszenierung

In der Romanvorlage wird nur eine trockene Schilderung der Geschehnisse geliefert, so dass alle Figuren mit Ausnahme des Astronomen Ogilvy namenlos sind. Zum Glück hat sich der Dramaturg nicht darauf eingelassen und wenigstens Margret und Cousin Freddy Namen gegeben. Weil alle anderen Figuren namenlos sind, tritt die „HMS Thunder Child“ wie eine heroische Erscheinung in den Vordergrund, wie ein Titan in seiner letzten Schlacht. Das macht diese Szene so denkwürdig.

Im Original ist der Erzähler ein relativ unbeteiligter Autor philosophischer Schriften, der der südenglischen Mittelklasse entstammt, ungefähr wie H.G. Wells zu jener Zeit (1895-1897) selbst. Aber auch über Julian und Margret erfahren wir relativ wenig außer der Tatsache, dass er mit Margret verheiratet ist, keine Kinder hat und in der idyllischen Gegend von Woking und Leatherhead in Surrey lebt. Seine Aufgabe ist aber nicht die Teilnahme an irgendwelchen Gefechten, sondern die eines Chronisten, und der sollte möglichst unbeteiligt bleiben, um seinen Bericht der Nachwelt überliefern zu können.

Die Sprecher

Der betagte und aufopferungsvolle Mr. Ogilvy wird anrührend von Georg Tryphon dargestellt. Ihm lauschen Bruno Winzen als Julian und Kathryn McMenemy als Margret. Die beiden jüngeren Sprecher müssen lediglich genügend Emotionen in ihre Stimme legen, um ihre Arbeit gut zu erledigen. Margret ist besorgt, Julian vor allem neugierig.

In den Nebenrollen sind hervorzuheben: Detlef Bierstedt, der Sprecher des Dr. John Watson in den SHERLOCK-HOLMES-Hörspielen, in der Rolle eines verirrten Soldaten; Joachim Tennstedt, der Sherlock Holmes himself, als “ Verwirrter Mann“, und schließlich Marc Gruppe, der Skriptautor und Regisseur, in der Rolle eines Flüchtenden.

Eine größere Nebenrolle hat der Artillerist: Gesprochen von Thomas Balou Martin, wird er zum Gefährten des Chronisten. Leider wurde der wenig aussichtsreiche Plan des Artilleristen, ein Überleben unter der Erde durch Graben von Tunneln zu ermöglichen, in dieser Fassung gestrichen. Schade.

Der von Lutz Reichert gesprochene Lieutenant (der Kavallerie) ist so namenlos, dass er zu einer Chiffre verblasst – einer Chiffre, die für die Überheblichkeit und Ahnungslosigkeit des gesamten britischen Militärs steht.

An dieser Liste fällt auf, dass der Hilfsprediger nicht vertreten ist. Dieser „curate“ des Originals verkörpert die emotional-spirituelle Erfahrung der Invasionsopfer und spielt somit eine bedeutende Rolle. Das kommt ja auch im Musical durch den mehrfachen und sehr anrührenden Auftritt des Predigers und seiner Frau zum Ausdruck. Warum fehlt er also? Ist er als „Verwirrter Mann“ aufgelistet? Warum ist seine Stimme dann aber eine ganz andere als die von Tennstedt?

Die Geräusche

Die Geräuschkulisse ist hier noch wichtiger als in „Der Unsichtbare“. Die Invasion muss in all ihrem Grauen als nahezu physische Erfahrung dem Hörer nahegebracht werden, damit er dazu eine emotionale Reaktion entwickelt. Donner, der nur leise vor sich hin rumpeln, würde eher kurios und verwirrend wirken, wohingegen Donner, der mit großer Wucht ertönt, schon eher die Trommelfelle malträtiert. Kanonen donnern, Kampfmaschinen poltern und krachen.

Dies ist die übliche Geräuschkulisse, die man sie von jedem durchschnittlichen Katastrophen- und Militärfilm erwarten darf. Etwas ungewöhnlicher sind vielleicht die Blubber- und Gluckergeräusche, die Julian und der Artillerist in ihrem Versteck unter Wasser erzeugen.

Hervorzuheben sind vielmehr die Spezialeffekte. Schließlich landen hier Außerirdische mit andersartigem Flug- und Kriegsgerät, und das weckt Neugier. Jeder kennt den Hitzestrahl der Marsianer, doch wie klingt sein Einsatz? Generationen von Regisseuren und Tontechnikern haben sich dazu allerlei einfallen lassen. Gruppe & Bosenius warten nicht mit Überraschungen auf, sondern das Bewährte: ein halb zischendes, halb sirrendes Geräusch. Es ertönt bereits in der zweiten Szene, als die Invasion beginnt.

Die Musik

Die Musik wird hier auf weitgehend traditionellen Orchesterinstrumenten erzeugt statt auf einem Synthi-Computer. Dadurch gelingt es der Tonregie, die akustische Untermalung mit den Samples, die sie verwendet, nahtlos zu verschmelzen. Das wichtigste Sample ist zweifellos – und sehr passend – das MARS-Motiv aus Gustav Holsts Suite „Die Planeten“. Es erweist sich in der Folge als erstaunlich passend. Das gesamte MARS-Motiv wird nicht in seiner vollen Länge von 6:32 min. ausgespielt, sondern in seinen unterschiedlichen Einzelteilen strategisch geschickt genutzt. Soll die Kulisse bedrohlich wirken, dann hält dieser Part der Suite ebenso düstere Klänge bereit wie für eindringliche oder dramatisch-actionreiche Passagen.

Elegische und idyllische Musikmotive bilden reizvolle und vor allem entspannende Kontraste zu den martialischen Klängen der übrigen Handlung. Das Outro klingt angespannt und signalisiert die Wachsamkeit der Erdlinge gegenüber weiteren Invasionsversuchen.

Lücke

Ein im Erzähltext erwähnter, aber nirgends zu hörender Laut ist der UULAAAH-Schrei der Marsianer, der im Musical eine Gänsehaut erzeugt. Seltsamerweise wurde er hier gestrichen – möglicherweise aus rechtlichen Gründen. Vielleicht gab Jeff Waynes Unternehmen das Nutzungsrecht an diesem Sound nicht frei – das würde auch die vierwöchige Verspätung der Hörspiel-Veröffentlichung erklären. Wie auch immer: UULAAH wird schmerzlich vermisst, nicht nur, weil es die Aggressivität der Marsianer kennzeichnet, sondern auch weil sich das UULAAH im Finale zu einem Klagelaut wandelt, nämlich in den Klagelaut eines sterbenden Außerirdischen.

Das Booklet

Im Booklet sind die Titel des GRUSELKABINETTS sowie die Titel der SHERLOCK-HOLMES-Hörspiele verzeichnet. Die letzte Seite zählt sämtliche Mitwirkenden auf.

Im Booklet finden sich Verweise auf die im Sommer und Herbst 2017 kommenden Hörspiele aufgeführt:

Nr. 120 + 121: Der Unsichtbare 1+2 (H.G. Wells)
Nr. 122: Die Insel des Dr. Moreau (H.G. Wells)
Nr. 123: Die Zeitmaschine (H.G. Wells)
Nr. 124 + 125: Der Krieg der Welten 1+2 (H.G. Wells)

Ab Herbst 2017

Nr. 126: Lovecraft: Kalte Luft
Nr. 127: Poe: Der Fall Valdemar
Nr. 128: Dickens: Der Streckenwärter
Nr. 129: Ulrichs: Manor
Nr. 130: Carolyn Wells: Der Wiedergänger
Nr. 131: Flagg: Die Köpfe von Apex

Unterm Strich

Die Handlung des Romans ist hinlänglich bekannt. Wer aber nur das Radiospiel von Orson Wells oder das Musical von Jeff Wayne kennt, muss sich umgewöhnen. Was dort dramatisch aufgebauscht wurde, wirkt im Titania-Hörspiel weitaus weniger beeindruckend – falls es überhaupt vorkommt (siehe unten). Alles in allem ist dem Stoff die diebische Freude des Autors am Zerstören der südenglischen Viktorianer-Idylle deutlich anzumerken. So ziemlich alles wird dem Erdboden gleichgemacht – seltsamerweise aber das Haus unseres Chronisten nicht. Diese Abweichung Richtung Happy-End wirkt heutzutage, angesichts der Zerstörungen in Syrien und Irak, völlig unglaubwürdig.

Was die emotionale Wirkung auf den Chronisten betrifft, so gleicht seine Expedition von Surrey nach London eher einem Spaziergang in die Hölle und zurück. Man kann aber auch den Hilfsprediger als Teil seiner Persönlichkeit auffassen und auf diesem Umweg einen Teil der Verzweiflung erahnen, die ihn erfasst haben muss. Dennoch gibt es – so viel darf ich verraten – ein Happy-End. Donald Trump hätte getwittert: „Alles halb so schlimm, Puerto Rico!“

Das Hörspiel

Die professionelle Inszenierung, die filmreife Musik und bekannte Stimmen von Synchronsprechern und Theaterschauspielern einsetzt, bietet dem Hörer ein akustisches Kinoerlebnis, das man sich mehrmals anhören sollte, um auch die Feinheiten mitzubekommen. Wer die beiden Vertonungen von Orson Welles und Jeff Wayne gehört hat, wird nichts Neues entdecken, sondern vieles vermissen. Der Hitzestrahl klingt stilecht, aber das berühmte UULAAH! der Marsianer, quasi ihr Kriegsschrei, glänzt durch Abwesenheit. Auch der Text selbst ist massiv gekürzt, so kommt etwa die Tunnel-Idee des Artilleristen nicht zum Ausdruck.

Besonders gut gefiel mir die sehr sorgfältig ausgearbeitete Geräuschkulisse, die so realistisch wie möglich ist, um das zunehmend unheimliche Geschehen unter Marsianer unter dem Schwarzen Staub darzustellen. Auffällig ist hingegen der nach „Die Zeitmaschine“ erneute Einsatz von Gustav Holsts PLANETEN-Suite mit dem Satz „Mars. Bringer of War“. Es ist zwar ein tolles Stück, voller düsterer Dynamik, kennt aber doch vor allem eine einzige Stimmung: dramatische Aggression. Elegische und idyllische Passagen bilden den Kontrast dazu und lassen dem Zuhörer Zeit zu verschnaufen.

Auch jungen Menschen, die sich einfach nur für spannende Audiokost interessieren, die gut gemacht ist, lässt sich das Hörspiel empfehlen. Es ist leicht verständlich und wirkungsvoll inszeniert. Wer aber die beiden Verfilmungen kennt, dürfte hier nichts Neues entdecken – offensichtlich ein Sammlerstück.

2 CDs mit ca. 107 Minuten Spieldauer
Info: War of the Worlds, 1898
www.titania-medien.de

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