Hans Bemmann – Erwins Badezimmer oder Die Gefährlichkeit der Sprache

Gefahren und Risiken des Sprechens

Erwins Badezimmer ist ein Geheimarchiv von verbotenen Schriften und Büchern in einem nahezu unzugänglichen Hinterhaus. Von hier aus wird unter Lebensgefahr die Literatur aus der Zeit vor der Großen Nationalen Sprachreinigung weiterverarbeitet. Albert S., seines Zeichens Philologe und treuer Beamter der autoritären Regierung, trifft durch Zufall seinen alten Freund Erwin wieder und wird in die Geheimnisse der Bibliothek im Badezimmer eingeweiht. Fasziniert beginnt Albert, Nachforschungen über die Literatur der „Vor-Zeit“ anzustellen, ohne zu wissen, auf welches Abenteuer er sich einlässt… (korrigierte Verlagsinfo)

Hans Bemmann, der bekannte Autor des Fantasyromans „Stein und Flöte“, hat hier einen spannenden Briefroman geschrieben, dessen Handlung er in die Zukunft verlegt hat, genauer: in eine Diktatur der Sprachüberwachung. Nicht von ungefähr kommt uns dieses Szenario – leider – aktueller denn je vor.

Der Autor

Hans Bemmann (* 27. April 1922 in Groitzsch; † 1. April 2003 in Bonn) war ein deutscher Schriftsteller.

Sein literarischer Durchbruch gelang ihm 1983 mit dem der Fantasyliteratur nahestehenden Märchenroman „Stein und Flöte“, der die Abenteuer eines jungen Mannes namens Lauscher in einer idyllischen Märchenwelt verfolgt. Ein magischer Stein und eine magische Flöte sollten ihm eigentlich den Weg zum Glück öffnen, doch seine mangelnde Menschenkenntnis und Naivität lassen ihn seine Macht missbrauchen und verhängnisvolle Entscheidungen treffen. Lauschers Lebensgeschichte ist von seiner Liebesgeschichte durchflochten.

Der Nachfolgeroman „Erwins Badezimmer„, in Form einer Reihe von Briefen geschrieben, führt den Leser in eine Diktatur, welche die Bevölkerung durch eine systematische Vereinfachung der Sprache kontrolliert. Der gutmütige Sprachwissenschaftler Albert S. stolpert zufällig in eine Untergrundbewegung, die Erwin von seiner illegalen Microfiche-Bibliothek aus seinem Badezimmer heraus leitet. Albert findet gleichzeitig die Liebe seines Lebens und lernt, die Welt mittels mehrdeutiger Sprache neu zu sehen. Die Idee der Manipulation durch gezielten Gebrauch der Sprache findet sich auch in George Orwells Dystopie „1984“.

„Der Stern der Brüder“ ist ebenfalls in der modernen Welt angesiedelt und zeichnet den Lebensweg zweier Brüder in einer Gesellschaft, die sich auf dem Wege zur Diktatur bewegt, nach. Ein Musiker und ein Geologe wählen sich im politischen Spektrum entgegengesetzte Seiten, nur um sich zum Schluss wieder zu begegnen.

„Die beschädigte Göttin“ (Trilogie „Die Verzauberten“, Band 1) führt einen Märchenforscher auf eine Reise aus der Wirklichkeit in die Märchenwelt. Die Begegnung mit einer ihn bezaubernden Frau wirft ihn in eine Märchenwelt, in der er sie sucht, umwirbt und letztendlich auch findet. Der Roman vermischt unsere Welt mit der der Märchen und lässt den Helden unsere Welt weniger kalt und mechanisch sehen.

„Die Gärten der Löwin“, obwohl auch als eigenständiger Roman zu lesen, ist eine Fortsetzung der beschädigten Göttin, in der die Frau ihre Geschichte darstellt. Dieses Buch unterscheidet sich durch die Wortwahl und den Satzbau vom Vorgängerroman, so dass dem Autor damit die Darstellung einer anderen Empfindungswelt eindrucksvoll gelang.

Dritter Teil dieser Serie ist „Massimo Battisti“. Hier findet sich die Auflösung vieler Unklarheiten in der Person des Magiers Massimo Battisti. (Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

In seinem Badezimmer, verborgen im nahezu unzugänglichen Hinterhaus, hat der Widerständler Erwin eine Bibliothek von alten Büchern versteckt, die, auf Microfiche gespeichert, jedem zur Verfügung steht, der vor der totalitären „Sprachüberwachungsbehörde“ des Staates verfolgt wird, sollte er gegen den ideologisch reinen Sprachgebrauch verstoßen haben. Der reine Sprachgebrauch besteht in der Verwendung „eindeutiger“ und „der Gegenwart entsprechender“ Rede. Die „Große Nationale Sprachreinigung“ hat die alten Werke verbannt und vernichtet – bis auf die in Erwins Badezimmer.

Ihm droht ein übles Schicksal, denn wer Sprache und Bücher „falsch“ benutzt, wird bestraft, etwa mit Verbannung. So ergeht es dem Philologen und treuen Staatsbeamten Albert S., der durch Zufall hinter das Geheimnis des Badezimmers seines Freundes kommt. Fasziniert beginnt er, Nachforschungen über die Literatur der „Vor-Zeit“ anzustellen und ahnt noch nicht, auf welches Abenteuer er sich damit einlässt.

Alberts Briefe an seine Geliebte Rachel sieht er erst Jahre später im Untergrund als gedrucktes Buch wieder: Sie bilden Bemmanns Buch.

Mein Eindruck

Das Buch beschreibt eine Zivilisation, wie wir sie aus Orwells „1984“, noch besser aber aus Bradburys „Fahrenheit 451“ kennen – und aus heutigen medien, die angeblich sozial sein sollen. Die Auslöschung der alten Sprache und Literatur ist die Löschung des kulturellen Gedächtnisses. Die Nazis haben das vorgemacht, Stalin, Mao und die SED haben es nachgemacht.

Da aber Kunst nach Bemmanns Auffassung ein wichtiges und ernstes Spiel ist, das dem Menschen hilft, sich selbst und die Welt besser zu verstehen, verhindern die Ächtung der Kunst und die Verbannung der Künstler, dass sich andere Gedanken als die dem System genehmen entwickeln oder gar verbreiten. In Russland und Belorarus werden als erstes und nächstes immer die Medien verboten, egal welcher Art.

Unterm Strich

Bemmanns gut lesbares Buch ist bewegend in seiner Menschlichkeit, seinem Verständnis für die Opfer des Systems, überzeugend in seiner Reflexionstiefe über die folgenden Fragen: Was bedeutet Sprache, was Bücher? Was haben sie mit der Wirklichkeit des Menschen zu tun und: Warum hat Sprache beziehungsweise Literatur ihre tiefsten Wurzeln in der Religion?

Der Autor des Kultbuches „Stein und Flöte“ unterhält seine Leser mit viel Humor, der meiner Überzeugung nach satirisch gemeint ist (es gibt ja soo viele Fettnäpfchen, und täglich werden es mehr). Aber wichtiger noch erscheinen mir die vielen neuen Erkenntnisse, die er en passant zu vermitteln versteht.

Taschenbuch: 286 Seiten
ISBN-13: 9783442445486

Goldmann Verlag

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