Hardy Kettlitz – Die HUGO Awards 1985-2000

Die Geschichte eines SF-Preises: aktuell & kritisch

Der Hugo Award ist weltweit der wichtigste und bekannteste Preis für Science-Fiction-Werke. Er wird seit 1953 von den Mitgliedern der World Science Fiction Convention während einer feierlichen Zeremonie in zahlreichen, gelegentlich wechselnden Kategorien vergeben. Im Unterschied zum NEBULA Award vergeben ihn nicht Kritiker, sondern Fans.

In diesem Buch werden die ausgezeichneten Werke und die Preisträger aus dem Zeitraum 1985 bis 2000 gewürdigt und einzeln vorgestellt, und zwar nicht nur die bedeutenden Romane, TV-Serien oder Filme, sondern auch Illustratoren, Herausgeber und Fans. Ein großartiges Lesebuch wie auch ein äußerst nützliches Nachschlagewerk für alle, die sich für die Science Fiction interessieren. (erweiterte Verlagsinfo)

Der Autor

Hardy Kettlitz war lange Zeit Mitarbeiter des SF-Magazins „Alien Contact“, das er die meiste Zeit als Chefredakteur verantwortete und für das er zahlreiche Artikel, Interviews und über 300 Rezensionen schrieb. Seit 1994 gibt er die Buchreihe „SF Personality“ heraus, für die er (z. T. mit Christian Hoffmann und anderen) bisher über ein Dutzend Ausgaben verfasste, u. a. über Edmond Hamilton, Ray Bradbury, Isaac Asimov, Robert A. Heinlein, Robert Sheckley, Fritz Leiber, Clifford D. Simak und Cordwainer Smith.

2002 wurde er für seine Arbeit an Alien Contact, die Reihe „SF Personality“ und die Organisation der Berliner »Tage der Phantasie« mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet. Anfang 2015 hat er innerhalb des Golkonda Verlages das Imprint „Memoranda“ gegründet. (Verlagsinfo)

Inhalte

1) Hintergrund: Wieso HUGO und wer ist dieser Typ überhaupt?

Im VORWORT weist der Autor darauf hin, dass die Bezeichnung „Hugo Gernsback Award“, mit der der Heyne-Verlag gerne auf seinen Titelbildern warb, nicht korrekt ist. Der Preis heißt einfach nur salopp „The HUGO“ statt „The Hugo Award“. Er wird von den Leser verliehen, was ihn vom NEBULA Award unterscheidet, der von Schriftstellern und Fachleuten verliehen wird. Man kann sich darüber streiten, wer das bessere Näschen für Qualität hat, aber Peter Nicholls, der Herausgeber der maßgeblichen „Encyclopedia of Science Fiction“, hob den Daumen für den HUGO und die Leser.

Der Preis hat sich nach Hugo Gernsback benannt, einem aus Luxemburg zugewanderten amerikanischen Herausgeber und Autor, der von 1884 bis 1967 lebte. Er prägte auch die Bezeichnung „Scientifiction“ beziehungsweise „Science Fiction“ und gab im April 1926 mit „Amazing Stories“ das erste SF-Magazin heraus. Der Rest ist Geschichte. Aber sein Geist des Selfmade-Mans sollte die amerikanische SF fortan prägen. Wenn man sich nur all die Publikationen, Autoren und Künstler aus der Fangemeinde, dem „Fandom“, anschaut, die mit dem HUGO geehrt wurden, dann spricht dies Bände. Mehr Info: www.thehugoawards.org.

2) Einführung und Anmerkungen

Die Anmerkungen, die Kettlitz dazu angehängt hat, erläutern sämtliche Details. Diese Informationen sind wesentlich zum Verständnis der späteren Kapitel zu den jeweiligen Jahren und den zahlreichen Preisen. Ohne diese Infos würde man sich endlos wundern, warum auf den World Conventions der World SF Society „Fan Artists/Editors/Authors“ und „Semi-Professional Artists/Editors/Authors““ usw. ebenfalls Preise verliehen bekamen. Der Nachwuchs wird eben gehörig gefördert.

Newcomer werden regelmäßig mit dem John W. Campbell Award geehrt, eine weitere Kuriosität, denn er wird nicht von der World SF-Society gewählt, wohl aber auf den HUGO-Conventions verliehen. Dennoch fand ich solche Kandidaten – anno 2000 war es Cory Doctorow – von höchstem Interesse, denn aus ihnen wurden häufig Stars. Ab 2001 sind auch elektronische Medien hinzugekommen, die man übers Web nutzen kann. Dazu gehören v.a. Podcasts, von denen es einige Kuriosa gibt, sowie Online-Comic-Serien.

Zu den Regeln gehört auch die Einteilung der Preiskategorien für Texte nach ihrer Länge: Novel, Novella, Novelette und Short Story. Im Laufe der Jahre entwickelte sich eine bewährte Einteilung der Textkategorien, die sich an der Zahl der Wörter orientiert, die ein Text umfasst. Wie genau die Einteilung aussieht, kann man online unter https://the.hugoawards.org nachlesen. Texte verlieren, wie gesagt, immer mehr an Bedeutung, besonders wenn sie in gedruckter Form vertrieben werden. Lieber sind mir und vielen anderen E-Books. Inzwischen gibt es sogar die Klassiker wie etwa Harrisons Stahlratten-Romane als E-Books.

Dieser Abschnitt schließt mit den Abkürzungen. Die Liste der Abkürzungen hat vor Aufzählung der einzelnen HUGO-Jahre einen nützlicheren Platz. Das war im ersten Band noch anders.

3) Die HUGO Awards 1985-2000

Dies ist naturgemäß der umfangreichste Teil des Buches: Von S. 19 bis S. 251 darf man hier rund 230 Seiten durchackern. Aber das Durchackern kann auch ein größeres Vergnügen sein, wie man es etwa aus einer Enzyklopädie ziehen kann.

Neben der bio-bibliografischen Charakterisierung aller Preisträger versteht es der Autor, jedes preisgekrönte Werk einzeln zu würdigen. Es bleibt aber nicht bei bloßer Berichterstattung in Form von Beschreibung, sondern auch eine kritische Einschätzung findet hier ihren Platz. So kann man sich mit dem Autor über so manches preisgewürdigte Werk nur wundern.

So bekam etwa Kim Stanley Robinson je einen HUGO für seine Romane „Green Mars“ (Award 1994) und „Blue Mars“ (Award 1997). Die zwei Weltentwürfe für den roten Planeten sind zwar einzigartig und bewundernswert komplex, aber leider bleibt dabei die eingehende Zeichnung der Figuren auf der Strecke. Auch der Schluss von Joe Haldemans Novelle „The Hemingway Hoax“ (Award 1991) kritisiert der Autor als verworren: „Leider verstrickt sich der Autor in den unterschiedlichen Zeitlinien, und man gewinnt den Eindruck, dass ihm keine befriedigende Lösung des Problems eingefallen ist, weshalb die Geschichte reichlich verworren endet.“ (Ja, Kettlitz ist offensichtlich ein Fan langer Satzbandwürmer.)

Man sieht also, dass der Leser nicht alleingelassen wird, sondern einen Maßstab zur Beurteilung der ausgezeichneten Werke an die Hand bekommt. Damit sich der Leser auch einen optischen Eindruck machen kann, sind alle Werke mit ihren Titelbildern abgedruckt – in mehreren englischsprachigen Ausgaben und, wo realisierbar, auch in der deutschen Ausgabe. Auffällig ist der hohe Anteil an Ausgaben des Heyne-Verlags.

Den Großteil dieser Informationen und Bilder beschaffte sich der Autor aus seinem Verlag und aus den Büchern der Reihe „SF Personality“, die er seit 1994 als Herausgeber veröffentlichte (s.o.). Daher sind die Lizenzrechte sowieso gesichert und geklärt. Außerdem nennt Kettlitz eine Reihe von Helfern.

4) Anhänge

A) Retro-HUGOs (S. 255-267)

„Retrospective Hugo Awards“ alias „Retro-Hugos“ werden auf den World Conventions vergeben und zwar in unregelmäßigen Abständen. Es gab nämlich WorldCons, auf denen kein Hugo vergeben wurde – offenbar ein unhaltbarer Zustand. Das war 1939 bis 1941, 1946-1952 und 1954. Die Vergabezeremonie wird jeweils 50, 75 oder 100 Jahre nach diesen WorldCons vergeben. Das war 1996, 2001, 2004, 2014 und 2016.

Die Preisempfänger für das Jahr 1946 sind hochkarätige Publikationen. Dazu gehört in der Kategorie „Roman“ eine Novelle, die als zweite Hälfte des Mittelbandes der FOUNDATION-Trilogie in die Literaturgeschichte einging: „The Mule“ von Isaac Asimov (dt. „Der Mutant“, aber keinesfalls „Der Muli“).

Eine echte Novelle, die zum Roman wurde, ist George Orwells satirisches Tiermärchen „Animal Farm“. Als Novelette geehrt wurde Murray Leinsters Klassiker „First Contact“ (dt. in „Titan 9“), als Short Story hingegen der relativ unbekannte Text „Uncommon Sense“ von Hal Clement (mehrfach auf Deutsch). In der Kategorie „Professional Editor“ gab es keinen Weg an der Ehrung für John W. Campbell jr. vorbei.

Verblüffend für uns Nachgeborene ist das Auftauchen eines einzelnen Mannes in zwei Kategorien im gleichen Jahr: Forrest J. Ackerman. „Forry“ veröffentlichte nicht nur ein Fanzine, sondern betätigte sich selbst auch als „Fan Writer“. Auch Illustratoren wurden geehrt: Virgil Finlay (1914-71) als „Professional Artist“ und William Rotsler (1926-1997) als „Fan Artist“.

B) Ein umfangreicher INDEX beschließt das Buch.

Stichwortregister, Quellenverzeichnis und Erklärung der Abkürzungen machen diesen Anhang aus. Davon ist der Index wohl der nützlichste Teil: Hier findet man jeden Namen und Titel. Dies ist ein sehr nützliches Suchwerkzeug. Das Quellenverzeichnis ist erstaunlich kurz: sechs Lexika, Bibliografien und SF-Historien sowie sieben Online-Quellen – das war’s.

Mein Gesamt-Eindruck

Als Sammler und langjähriger Rezensent, Fan und Leser von Science Fiction und Fantasy habe ich diese rund 280 Seiten in wenigen Tagen verschlungen. Viele Werke, Angaben und Informationen über Autoren und Werke waren mir schon bekannt, aber Kettlitz schaffte es, viele Lücken zu füllen und mich mit neuen Mitwirkenden der aktuellen SF- & Fantasy-Szene vertraut zu machen.

Nach rund 250 Seiten entstand in mir der Eindruck einer lebendigen weltumspannenden Leser-, Blogger-, Fan- und Grafikergemeinde, die fortwährend mit Produktion, Verkauf/Vertrieb, Kommunikation und Bewertung beschäftigt ist. Sie unterscheidet sich dadurch kaum von anderen Branchen – nicht einmal in der Kritik, dem Lob von anderen (Laudatio genannt) und in der umsatzträchtigen Vergabe von Preisen in schier zahllosen Kategorien. All diese Phänomene sind heute beispielsweise auch in der Informationstechnologie zu finden, über die ich regelmäßig und professionell berichte.

Übrigens sollte keinesfalls der Eindruck entstehen, der HUGO sei nur eine Angelegenheit für lesende Menschen. Hier werden auch Filme wie etwa „Edward mit den Scherenhänden“ und TV-Serien wie „Babylon 5″ oder Star Trek: The Next Generation“ gewürdigt und ausgezeichnet. Folgerichtig lassen sich seit 1985 ganze Serien und Zyklen auszeichnen, v.a. in der SF und Fantasy. Es fehlen noch Comic-Serien und Podcasts. Die kommen in Band 3.

Blackout

Eine beunruhigende Entdeckung, die der Autor erwähnt, hatte ich ebenfalls zu machen: Von manchen Jahrgängen wurde nur der geringste Teil ins Deutsche übertragen. Unscheinbar in Mikroschrift steht dann den Eintrag „nicht auf Deutsch“ neben einem Eintrag. Die Folge ist klar: Die deutschen Leser, Autoren und Herausgeber sind nicht mehr auf dem Laufenden, was in der angelsächsischen Szene, die leider immer noch (oder schon wieder) maßgeblich ist, vor sich geht. Die USA sind nach wie vor der größte Markt für SF & Fantasy. Man richtet sich danach, oder lässt es gleich bleiben. Die deutschen Einträge reichen bis ins Jahr 2000. Das war das Jahr, als der maßgebliche deutsche SF-Herausgeber Wolfgang Jeschke in den Ruhestand ging und der letzte „Heyne Science Fiction Jahresband“ veröffentlicht wurde. Die Reihen des „Isaac Asimov’s SF Magazin“ und des „Magazine of Fantasy and Science Fiction“ wurden wenige Jahre danach ebenfalls eingestellt.

Nachrufe

Jede Menge Nachrufe sollte man schreiben. Carl Sagan, Judith Merril und Bill Rotsler starben allein anno 1998 (die Vermerke finden sich in der Besprechung des LOCUS Magazins. Noch viele weitere AutorInnen mussten ihren Abgang von der irdischen Bühne machen. Es ist die Aufgabe des Genre und seiner Community, dafür zu sorgen, dass man sich an sie als Pioniere, Vordenker und literarische Exponenten erinnert.

Schwächen

Die Zahl der Druckfehler wurde gegenüber dem HUGO-Band 1 stark reduziert. Es gibt zwar hie und da falsche oder fehlende Endungen, aber dagegen ist wohl kein Kraut gewachsen.

S. 39: „Ca[s]par“: Das S fehlt.

S. 71: „über sehr exotische[r] Orte verfügt…“ Das R ist überflüssig.

S. 99: „Nancy Kress: The Pri[n]ce of Oranges“. Das N ist überflüssig.

S. 114: „…in der er auf jeglichen Erklärungsversuch[e]… verzichtet.“ Das E ist überflüssig.

S. 211: „Faktor für die Ngumi-Krieg“. Es sollte „den Ngumi-Krieg“ heißen.

S. 242: „Me[n]schheit“. Das N fehlt.

S. 257ff: „Der Muli“ statt „Das Muli“, im Original „The Mule“, siehe den Retro-HUGO für 1946.

Unterm Strich

Der Zeitraum 1985 bis 2000 bildet den Übergang von der Revolution des Cyberpunk (ab 1983 bis 1986) und der Humanisten (K.S. Robinson, Nancy Kress, Connie Willis u.a.) hin zu einer allumfassenden Ausbreitung der Science Fiction in immer mehr Medien. In Band 3 wird die Ausbreitung ebenso aktuell wie akut. Doch selbst in diesem kurzen Zeitraum konnte ein ausgezeichneter Autor wie Lucius Shepard aufsteigen und wieder verschwinden. Ohne die Übersetzungen seiner Erzählungen und Romane v.a. im Heyne-Verlag hätten wir nie etwas davon gemerkt.

Von Autoren wie James P. Kelly ist bislang nur ein Viertel ihres Ausstoßes übersetzt worden, wie Kettlitz vermerkt. Daher kann dieser Überblick als Anregung dazu dienen, sich die entsprechenden Texte – zumindest die mit dem HUGO geehrten – im Original zuzulegen. Sie sind regelmäßig in voluminösen Jahresbesten-Anthologien zu finden.

Autorinnen

Erfreulich angestiegen ist die Vielzahl von weiblichen Autoren, die einen Spitzenpreis nach dem anderen einheimsen konnten. Connie Willis, Nancy Kress oder Kristine Kathryn Rusch sind indes keine Heimchen vom Herd, sondern Herausgeberinnen, Dozentinnen und Aktivistinnen. Manche „Geekette“ mit wissenschaftlichem Hintergrund weiß sich mit starken Argumenten gegen den Sexismus im Genre und v.a. im Verlagsmarkt zu wehren. Die Lesergemeinde ist also durchaus zu Selbstkritik fähig.

Fans

Immer wieder verblüffend ist das Auftauchen von Fan-Aktivisten wie David Langford, der nahezu ein Dutzend HUGOs einheimste. Solchen Leuten ist die Lebendigkeit der US-amerikanischen SF-Szene zu verdanken, manchmal sogar während eines Weltkriegs, wie man an Forry Ackerman (s.o.) sieht. Auch Fan Artists findet man viele, und unter den Profis muss es nicht immer Jim Burns oder Don Maitz sein.

Kritik

Neben zahlreichen hilfreichen Werk-Beschreibungen und erfreulich vielen Biografien liefert der Autor auch kritische Würdigungen (s.o.). Sein Urteil ist fundiert und durch andere Meinungen ergänzt bzw. abgesichert. Diese Verrisse sind also nicht an den Haaren herbeigezogen und schon gar nicht einseitig oder gar wütend – derart persönliche Gründe für einen Verriss sind unglaubwürdig und entwerten die Meinungsäußerung. Umso lieber habe ich daher lobende Urteile gelesen, umso mehr, als sich viele positive Wertungen mit meinen eigenen Erfahrungen decken oder sie ergänzen.

Für wen sich das Buch eignet

Dieses Buch eignet sich als Einführung und Nachschlagewerk, wenn der Interessierte, Fan oder Rezensent einfach nur die wichtigsten Werke (Buch, Zeitschrift, Film, Serie, Audio, Grafik) in den Genres Science Fiction und Fantasy (und manchmal auch Horror) kennenlernen oder nachschlagen will. Die Darstellung ist meist unvoreingenommen und objektiv, zudem war man um eine möglichst umfassende Informationslage bemüht.

Der Preis

Mit knapp 19 Euro liegt der Preis bereits an der Grenze für ein Taschenbuch aus einem Nischenverlag – und weit über dem Durchschnittspreis für ein Taschenbuch aus einem Großverlag wie Random House oder Lübbe. Allerdings eignet sich das Buch als SF-Sammlerstück und findet hoffentlich seinen Weg in den sekundärwissenschaftlichen Markt an Universitäten und Bildungseinrichtungen. Es ist ratsam, alle drei Bände zu erstehen.

Paperback: 282 Seiten
ISBN-13: 9783944720739

www.golkonda-verlag.de

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