Harry Harrison / John Holm – Der Hammer des Nordens (Hammer und Kreuz 1)

Wie würde Europa aussehen, wenn das Christentum im 9. Jahrhundert nicht über die „Heiden des Nordens“ gesiegt hätte? Der bekannte Science-Fiction-Autor Harry Harrison erzählt in seiner abenteuerlichen Trilogie „Hammer und Kreuz“, wie die Mönche und Bischöfe von einem listenreichen Günstling der nordischen Götter aus England vertrieben werden und selbst ein Kreuzzug nichts mehr nützt. Erstklassige Unterhaltung mit einer tieferen Botschaft.

Handlung

Der junge Shef ist zu Beginn nur der niederste aller Familienangehörigen auf dem Hof seines Vaters, des englischen Thanes Wulfgar. Shef ist lediglich Wulfgars Stiefsohn, und ihm droht das üble Schicksal, zum Sklaven degradiert zu werden. Seinen wahren Vater kennt Shef (noch) nicht. Als jedoch die Wikinger, die im 9. Jahrhundert das gesamte Nord- und Westeuropa beherrschen und plündern, auch in Shefs Dorf einfallen und seine Schwester Godive entführen, nimmt sich Shef vor, Godive wieder zu befreien. Leichter gesagt als getan.

Vier der mächtigsten und brutalsten Wikingerhäuptlinge sind aus Dänemark nach Nordengland gekommen, um ihren an König Ellas Hof grausam hingerichteten Vater Ragnar Lodbrok zu rächen, die vier englischen Königreiche zu vernichten und die Christen zu verjagen. So lautet der Schwur der vier Ragnarssons. Der grausamste und unheimlichste der Brüder ist Ivar, genannt „der Knochenlose“. Er wird von seinen Gefolgsleuten heimlich so genannt, weil er impotent ist und dafür Frauen und Männer gleichermaßen büßen lässt. Doch die Priester der nordischen Götter haben Ivar in der Anderswelt als Beinlosen gesehen, als Lindwurm, der Menschen frisst.

Mit rund zehntausend Männern sind die Wikinger gelandet und haben ein riesiges Lager errichtet, von dem aus sie Northumbrien verwüsten. Als Shef sich als Schmiedegehilfe anheuern lässt, erfährt er, dass seine Schwester Ivar dem Knochenlosen als Sklavin zum Geschenk gemacht worden ist. Natürlich befürchtet er das Schlimmste für sie.

Als die Truppen des englischen Königs Edmund von Ostanglien das Lager angreifen, ergreift Shef sofort die Chance, Godive und seinen Halbbruder Alfgar zu befreien. In einem kritischen Moment hat er die Gelegenheit, Ivar zu töten, doch Godive stellt sich ihm entgegen. Selbst als Ivars Champion Brand ihn angreift, wehrt Shef den Angriff ab, weil er meint, seine Schwester werde bedroht. Das Schlachtenglück wendet sich bereits im nächsten Moment: Shef und Godive entkommen ihren Verfolgern, doch auch Ivar wird gerettet und schlägt das Heer Edmunds. Edmund foltert er grausam zu Tode. Godive wird von Alfgar entführt, während Shef selbst, von Alfgar verraten, in Ivars Gewalt gerät.

Nachdem Shef im Zweikampf gesiegt hat, schließt er sich dem Heer der wütenden Ragnarssons als Erfinder von Kampfmaschinen wie dem Katapult an. Seine große Stunde schlägt vor den Mauern der reichen Stadt York, hinter denen sich König Ella, der Mörder Ragnar Lodbroks, verschanzt hat. Wie so oft hat Shef auch diesmal Träume, die ihm zwei Götter schicken: auf der einen Seite der Allvater Odin, der versucht, möglichst viele tote Krieger für den Endkampf gegen Lokis Riesen zu bekommen – ein trügerischer Freund; auf der anderen Seite jedoch wirkt der Gott Rigr, über den selbst die Priester nur wenig wissen: Er wandert durch die Welt und bringt den Menschen eine Kulturstufe nach der nächsten sowie die dazugehörigen Erfindungen. Sein Totem ist daher eine Stufenleiter. Kein Wunder, dass Shef so viele Erfindungen macht.

Und mit diesen gelingt es den Truppen der Ragnarssons, York zu stürmen. Nun offenbart sich Shef die ganze Heimtücke der christlichen Kirche. Der Bischof und sein listiger Diakon Erkenbert (dieser taucht im zweiten Band wieder auf) sind vor allem daran interessiert, den Anhängern der Kirche den Zehnten, die Pacht und letztlich, besonders im Falle ihrer Sklaven, auch die Lebenskraft abzupressen. Alles Silber und Gold scheint zu Reliquien, Schmuck und Münzen geschmolzen zu werden. Mit diesem Reichtum bestechen sie die Ragnarssons, die Klosterkirche zu verschonen, während sie ihnen die Hintertür zu Stadt öffnen. Als Shef und sein Freund Brand die Kirche stürmen wollen, stellen sich ihnen höhnisch grinsend die Ragnar-Brüder entgegen. Doch König Ella ist der Dumme: Ivar der Knochenlose wartet schon …

Aufstieg zum König

Natürlich kommt es zum Bruch mit den verräterischen Ragnarssons und Shefs Anhänger spalten sich ab. Allerdings geraten sie dadurch den übrigen englischen Königen in die Quere. Es ist äußerst spannend mitzuverfolgen, wie sich Shef aus einer Klemme nach der anderen befreit, den befreiten Sklaven neue Tricks mit Katapult etc. beibringt und selbst den gefürchteten Wikingern neue Gedanken eintrichtert. Dem Leser werden die immensen grundlegenden Unterschiede zwischen den Wikingern und Engländern, sprich: ehemaligen Angeln und Sachsen und Nachkommen der Römer, sehr deutlich nahe gebracht.

Man muss sich allerdings um den Geisteszustand Shefs sorgen, als er aus einem Grabhügel, in dem ein Schatz verborgen war, mit einem alten Steinzepter wieder auftaucht, das vom Geist des begrabenen Königs verflucht zu sein scheint. Shef beginnt, seine Freunde zu belügen und zu täuschen. Als die Franken auf einem christlichen Kreuzzug in Hastings landen, um die englischen Heiden – aber auch die hiesigen Christen! – zu vernichten, warnt er seinen Partner König Alfred von Wessex nicht etwa vor den Franken, sondern lässt ihn gehen. Alfred wird vernichtend geschlagen und kehrt in Lumpen zurück. Alfred kann nun froh sein, wenn er an Shefs Seite die entscheidende Schlacht gegen die Franken überlebt.

Diese Schlacht nahe Hastings konterkariert jene aus dem Jahr 1066, als Herzog Wilhelm von der Normandie ebenfalls seinen Fuß erobernd auf englischen Boden setzte. Diesmal geht die Sache anders aus. Die Schilderung der neuen Taktiken, der Einsatz der Maschinen gegen Kavallerie und von Frauen als Soldaten – all dies bildet den Höhepunkt dieser actionreichen, abenteuerlichen Erzählung. Und die Frauen haben dabei in Gestalt von Godive ein gewichtiges Wort mitzureden.

Mein Eindruck

Der Roman ist – ebenso wie die zwei Fortsetzungen – von der ersten Seite an spannend, actionreich, anrührend und voller Abenteuer. Sogar Humor lässt sich in Gestalt feiner Ironie oder nordischen Brachialwitzes erkennen. Zartbesaitete Gemüter seien an dieser Stelle eindringlich vor brutalsten und grausamsten Szenen gewarnt. Leider waren diese im Frühmittelalter an der Tagesordnung, wie uns die beiden Autoren in ihrem Vorwort glaubhaft versichern.

Das scheint mir aber nicht das Entscheidende an dieser Trilogie zu sein. Das Resultat von Shefs Aufstieg ist ja die Vertreibung der Kirchenhierarchie aus ganz England südlich von York – und das ist erst der Anfang. Damit einher geht der Aufstieg der nordischen Sekte des „Wegs Asgards“. Diese Sekte vertritt den Glauben an die nordischen Götter, aber auch Religionsfreiheit und einen Glauben an technischen Fortschritt, wie ihn Shef voranbringt.

Mönche müssen nun für ihren Lebensunterhalt selbst arbeiten und dürfen niemanden zwingen, zu ihrem Glauben überzutreten. Für Bischöfe wären all dies Ketzereien, doch für die unterdrückten und ausgebeuteten Engländer – Freie wie auch Sklaven – bedeuten sie einen riesigen Fortschritt in Richtung eines freien und sicheren Wohlstandes auf ihrem eigenen Land. Es ist fast, als wäre Amerika auf englischem Boden gegründet worden (wobei allerdings die ersten Amerikaner unserer Welt lange Zeit Sklavenhalter waren und blieben).

Doch wie das Ringen der Götter um Shefs Seele deutlich macht, ist auch der Weg Asgards nicht allein seligmachend. Odin darf keinesfalls die Oberhand behalten, doch auch Rigr ist ein Spötter, dem hin und wieder das Mitgefühl für menschliches Schicksal abgeht. Immer wieder wird Shefs Aufstieg mit dem Schicksal von Wieland dem Schmied verglichen. Diese Analogie zeigt die Zweischneidigkeit, die technischen Fortschritt allein auszeichnet: Wieland (nordisch: Wölund) schuf für den ihn gefangenhaltenden König Nidud wunderbare Schmuckstücke, tötete aber schließlich mit einer listenreich geschmiedeten Truhe dessen beide Söhne, vergewaltigte dessen Tochter und entkam dem König à la Ikarus auf selbstfabrizierten Schwingen. Ist dies das Verhalten eines verantwortungsvoll handelnden Königs? Wohl schwerlich.

Und so ist es Shefs Aufgabe in allen drei Bänden, die richtigen Visionen auszuwählen, um den Weg zu finden, der allen Menschen in seiner Zeit angemessen ist und ihnen nicht die Vernichtung bringt, etwa durch Maschinenkriege oder geistige Versklavung durch seine Sekte. Und bis es soweit ist und er alle Irrtümer begangen hat, die auf ihn warten, dürfen wir noch viele amüsante und spannende Abenteuer mit ihm erleben.

Unterm Strich

Shef ist zwar kein neuer ‚listenreicher Odysseus‘ und auch kein reiner ‚Wölund der Schmied‘, doch in ihm steckt von beiden etwas und noch einiges mehr.

Das Glossar des Übersetzers Frank Borsch ist dabei sehr hilfreich, denn es ermöglicht ein tieferes und genaueres Verständnis für die nordischen Götter- und Sagenwelt wie auch für real-historische Gestalten der Geschichte.

Taschenbuch: 635 Seiten
ISBN-13: 978-3453156487
www.heyne.de

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