Harry Harrison – Die Sklavenwelt (Todeswelten 2)

Ein Ingenieur gegen Idealisten & Despoten

Jason dinAlt, der Psi-Mann, Spieler und Abenteurer, wird von Pyrrus, wo er seinen letzten Auftrag ausgeführt hat („Die Todeswelt“), gewaltsam entführt, um auf Cassylia wegen Falschspielerei vor Gericht gestellt zu werden. Unterwegs gelingt es ihm, die Steuerzentrale des Raumschiffs zu demolieren. Er muss auf einem unerforschten Planeten notlanden.

Dort fallen Jason und seine Häscher Wilden in die Hände, die sie in die Sklaverei verschleppen. Aber Jason bemerkt, dass die Eingeborenen Werkzeuge mit sich führen, die einer höheren Kulturstufe entstammen. Sollte es auf dieser Sklavenwelt einen Stützpunkt einer höherstehenden Zivilisation geben? Um dies herauszufinden, muss er zunächst einmal die Sklavenketten loswerden… (korrigierte Verlagsinfo)

Der Autor

Harry Harrison, geboren am 12. März 1925 in Stamford, Connecticut, studierte in New York City die Schönen Künste, bevor er zur Armee eingezogen und im Zweiten Weltkrieg Ausbilder am Maschinengewehr wurde. Nach dem Krieg verdiente er sein Geld zunächst als Zeichner und dann als Herausgeber verschiedener Zeitschriften und Magazine.

Seine schriftstellerische Laufbahn begann 1951 mit der Kurzgeschichte „Rock Diver“; der Durchbruch gelang ihm mit seinen bekannten „Todeswelt“-Romanen (1960-1968) und nicht zuletzt durch seine burleske Figur Jim diGriz, die Stahlratte, eine Art galaktischer James Bond, quirlig, augenzwinkernd, unverdrossen und stets zu Streichen aufgelegt – wie sein Schöpfer selbst. Von Harrison stammt aber auch die als „Soylent Green“ mit Charlton Heston verfilmte Dystopie „New York 1999“.

Die Abenteuer der Stahlratte:

1) Agenten im Kosmos (The Stainless Steel Rat, 1961)
2) Rachezug im Kosmos (Heyne 06/3393)
3) Ein Fall für Jim Bolivar DiGriz, die Stahlratte (dt. 1974, Heyne 06/3417)
4) Jim DiGriz, die Edelstahlratte (The Stainless Steelrat Wants You, 1978, dt. 1979)

Der To-the-stars-Zyklus (dt. bei Heyne)

1) Heimwelt
2) Radwelt
3) Sternwelt

Todeswelten-Trilogie (dt. bei Heyne)

1) Die Todeswelt (06/3067)
2) Sklavenwelt (06/3069)
3) Barbarenwelt (06/3136)
Sammelband in der Heyne SF Bibliothek.

EDEN-Trilogie (dt. bei Goldmann)

1) Westlich von Eden
2) Winter in Eden
3) Rückkehr nach Eden

Handlung

Jason dinAlt verfügt über ein Psi-Talent, mit dem er telepathische und telekinetische Kräfte ausüben kann. Leider ist sein Talent nur schwach und unzuverlässig, aber bislang hat es ihn am Leben gehalten: Er nutzt es für seine Spielleidenschaft. Sein letzter Besuch in einer Spielbank fand auf Cassylia statt, dem er keine Träne nachweint. Doch die Cassylianer vermissen ihn so sehr, dass einer ihrer Bürger Jason gefangen nimmt, um ihn vor Gericht zu stellen.

Entführt

Jason glaubt seinen Ohren nicht zu trauen: Der Typ, der sich Mikah Samon nennt und das Schiff steuert, ist ein idealistischer Ritter, der seiner Heimat Cassylia etwas Gutes tun will, indem er Jason seiner gerechten Strafe zuführt. Das findet Jason ziemlich ungerecht, denn die Cassylianer hatten versucht, ihn seines rechtmäßigen Gewinns zu berauben und ins jenseits zu befördern. Aber Mikah sind solche Feinheiten schnuppe. Jasons Plan, das Schiff aus dem hyperraum zu befördern, gelingt: Es stürzt auf einen unbekannten Planeten ab.

Absturz

Der Planet ist keineswegs unbewohnt, seine Luft atembar, die Schwerkraft erträglich. Doch gleich nach dem Absturz werden Jason und Mikah von einem groben Typen, der sich Ch’aka nennt, gefangengenommen und wie Sklaven behandelt. Das Ch’aka mit seiner Armbrust äußerst treffsicher ist, bemüht sich Jason um Gehorsam – und unterdrückt Mikahs Protest nach Kräften.

Schon bald trifft sich der Sklavenhalter mit anderen seinesgleichen, die ebenso über Relikte einer höheren Technologiestufe ausgestattet sind. Das gibt Jason Anlass zum Grübeln. Das Sklavenmädchen Ijale hat ein Auge auf ihn geworfen. Zum Dank für ein wenig Fleisch zeigt sie ihm ihren kostbarsten besitz: eine rote Glasperle. Jason bemitleidet sie und lässt sie erzählen – von Leuten, die über Fahrzeuge verfügen…

Verkauft

Nachdem Ch’aka Jasons „Freund“ Mikah verkauft hat, verspürt Jason den Wunsch, Mikah wiederzufinden. Es gelingt ihm, Ch’aka zu töten und an seine Stelle zu treten. Leider unterliegt er einem anderen Sklaventreiber, wird verraten und an eben jene Autobesitzer verkauft, von denen Ijale sprach. Deren Anführer staunt nicht schlecht, als Jason ihm ohne Hinzugucken beschreibt, wie dessen lokale Ölraffinerie beschaffen ist.

Jason verspricht ihm, nicht nur die Anlage zu verbessern, sondern auch einen der LKW fahrtüchtiger zu machen. Da sie diese LKW aus der fernen Stadt Appsala gegen Öl und Alkohol beziehen, sind die Gefährte ganz schön teuer – und sie können sie nicht reparieren. Da darf nun Jason anpacken. Sein geheimer Plan lautet, einen Sklavenaufstand anzuzetteln und mit dem reparierten LKW nach Appsala zu fliehen.

Doch kaum hat Mikah das üble Wort „Revolution“ vernommen, als er auch schon Zeter und Mordio zu schreien beginnt…

Mein Eindruck

Satire

In mehreren Sprüngen arbeitet sich der Held von Kulturstufe zu Kulturstufe. Das sieht nach Erfolg aus, doch immer wieder kommen ihm die idealistischen Vorstellungen seines „Freundes“ Mikah in die Quere. Sie lauten: kein Krieg, keine Revolution, keine Ausbeutung usw. Ja, Mikah zitiert sogar aus der Bibel: „Richte nicht, auf dass du nicht gerichtet wirst.“ Er hält auch lieber die andere Wange hin, statt sich gegen seine Versklavung zu wehren.

Mit derlei christlichen Possen hat Jason ebenso wenig am Hut wie seine Freundin Ijale. Die sagt Mikah klipp und klar, was auf dieser (namenlosen) Welt Sache ist, und das ist so ungefähr das Gegenteil von christlichen Werten. In dieser Hinsicht erweist sich der Roman als Satire auf idealistische Ritter- und Bibelwerte.

Technikkenntnisse

Auf der technischen Ebene legt der Autor ein erstaunlich kompetentes Wissen über Mechanik, Motoren, Maschinen und die Prinzipien der Physik an den Tag. Anhand seines Werdeganges (s.o.) hätte ich das nicht erwartet. Aber er hat in der Army vermutlich mehr getan als Maschinengewehre auseinandergenommen und zusammengesetzt. Wo Not am Mann war, hat er sich im Krieg wohl auch, wie einst Stanislaw Lem und die spätere Queen Elizabeth II. von England, als einfacher Automechaniker betätigt.

Allerdings wissen die Leutchen auf dieser Barbarenwelt nicht, was ein Wissenschaftler oder Techniker ist. Für sie sind solche Wunderwerker entweder heilig oder Zauberer oder gleich beides. Das lernt Jason spätestens, als er sich mit dem Fürsten der Perssonoj – den LKW-Bauern – in Appsala zusammentut, um ein paar Batterien zu bauen. Da alle Esperanto sprechen, sind Jasons ketzerische Ideen für dieses Vorhaben auch von den altehrwürdigen Weisen des Herzogs bestens zu verstehen. Und sie lehnen sie natürlich strikt ab – bis einer von ihnen einem Funkensprung der Elektrizität zum Opfer fällt. Merke: Überholte Kasten von Wissenshortern behindern den Fortschritt. Höchste Zeit, neue Saiten aufzuziehen – und auch das bedeutet erst Revolution und schließlich Krieg. Das wiederum ruft Mikah erneut auf den Plan.

Showdown

Ein paar neue Ideen, ein paar neuartige Waffen, und schon bricht zwischen den Clans in Appsala der ultimative Krieg aus, der den Ketzer und seine Unterstützer vernichten soll. Ein Vorbild für diese grandiose finale Schlacht lieferte zu Beginn der Neuzeit das italienische Mittelalter der Renaissance. Damals entwarf und baute Leonardo da Vinci eine Unmenge von neuartigen Waffen, bis hin zum Panzer. Nur das Eintreffen der Pilotin Meta von Pyrrus (siehe „Die Todeswelt“) bewahrt Jason vor dem Ableben.

Die Übersetzung

S. 13: „die Aquinas“: Gemeint sind nicht mehrere Bücher, sondern Thomas von Aquino bzw. dessen Werke.

S. 74: „die Größe spielt kein[e] Rolle“. Das E fehlt.

S. 94: „Ausschau hal]t]en“. Das T fehlt.

Unterm Strich

Der Roman ist eine sehr flott und humorvoll-ironisch erzählte Satire auf die idealistisch-christlichen Werte, die der Held immer wieder überwinden muss, um überhaupt weiterzukommen und sich zu befreien. Sein Gegenspieler Mikah kann aber auch nicht verhindern, dass Jason aus der Sklaverei entkommt und bei einem Herzog zu einem „Zauberer“ aufsteigt. Dass dies den Neid und Zorn der anderen Herzöge von Appsala auf sich zieht, übersieht Jason zunächst, doch Mikah weiß es für sich zu nutzen, um Jason erneut aufzuhalten. Appsala wirkt wie eine jener Renaissance-Städte wie Florenz, in der sich einst verschiedene Adelsfamilien und Polit-Fraktionen (siehe Dantes Biografie) bekriegten.

Mich hat besonders das breite Fachwissen über Maschinen, Physik, Chemie und Mechanik beeindruckt, das der Autor an den Tag legt, als er Jason sein Ingenieurswissen zur Selbstbefreiung anwenden lässt. Der Aufstieg von Technik und Wissenschaft ist eng mit dem Protestantismus verwoben und war im 16./17. Jahrhundert der katholischen Kirche, für die Mikah steht, ein Dorn im Auge. Der Papst exkommunizierte bekanntlich Königin Elizabeth I. und zwang Galileo Galilei dazu, seinen ketzerischen Lehren abzuschwören – neben einigen anderen Häretikern wie Jan Hus usw.

Die Handlung rast dahin – zumindest in der wahrscheinlich gekürzten deutschen Übersetzung. An einigen Stellen fehlen offensichtlich weiterführende Passagen, und vorbereitete Szenen sind nicht zu finden. So kommt es, dass ich den Roman an nur einem Tag lesen konnte. Die finale Schlacht um die Befreiung der schönen Ijale ist der Höhepunkt des Buches, gefolgt von einem Epilog, in dem der Held gerettet wird. Plötzlich wird aus dem Helden ein Ritter der Wissenschaft und Zivilisation – von dem sich Mikah mit Grausen abwendet. Ironie und Humor finden sich überall, was die heitere Lektüre nicht wenig fördert.

Taschenbuch: 157 Seiten
Originaltitel: Deathworld II (The Ethical Engineer) 1962
Aus dem Englischen von Wulf H. Bergner
ISBN-13: 9783453305410

www.heyne.de

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