Harry Harrison – Tod vom 5. Planeten

Eine Weltraum-Expedition bringt keine neuen Erkenntnisse, sondern eine unbekannte Seuche zurück zur Erde. Während Mediziner fieberhaft, aber lange vergeblich nach einem Heilmittel suchen, beginnen sich nicht nur Tod und Angst, sondern auch Panik und Aufruhr in der Bevölkerung zu verbreiten … – Der Katastrophen-Thriller mischt sich mit der Science Fiction; quasi dokumentarisch schildert Autor Harrison eine globale Katastrophe, die durch eine kleine Gruppe tapferer Fachleute (und Soldaten) in letzter Sekunde abgewendet werden kann.

Das geschieht:

Nachdem es auf seiner Mission zum Riesenplaneten Jupiter verlorengegangen zu sein schien, kehrt das Forschungsraumschiff „Perikles“ unverhofft zur Erde zurück, um auf dem Kennedy-Airport in New York City notzulanden. Polizei und Rettungskräfte machen sich auf den Weg; zuerst vor Ort ist das kleine Team um Ambulanzarzt Sam Bertolli, dem aktuell auch die Pathologin Dr. Nita Mendel angehört.

Aus dem Wrack taumelt der grässlich entstellte Zweite Offizier: Commander Rand ist an einer pestähnlichen Seuche erkrankt. Bevor er die „Perikles“ verließ, hat er die Ein- bzw. Ausstiegsluke sorgfältig gesichert. Offensichtlich soll niemand das Raumschiff betreten – oder verlassen? Über die Ursache seiner Sorge kann Rand keine Auskunft mehr geben; kurz nach der Landung ist er tot. Was immer er im Schiff halten wollte, hat mit ihm die Schranke durchbrochen: Die seltsame Seuche infiziert ihre Opfer nicht direkt. Stattdessen befällt sie zunächst Vögel, um erst dann auf Menschen überzuspringen. Wenn dies geschieht, ist der Krankheitsverlauf stets tödlich.

Da Vögel auf dieser Erde praktisch allgegenwärtig sind, gelingt es nicht, sie als Zwischenwirte auszuschalten. Die Epidemie breitet sich in New York und Umgebung aus. Zunächst überträgt sie sich nicht von Mensch zu Mensch, weshalb Bertolli und Mendel trotz ihrer Begegnung mit Commander Rand überleben. Als Mediziner werden sie in Ereignisse verwickelt, die rasch ihre Kompetenz übersteigen. Die Bürger werden erst unruhig, dann panisch. Den von der Regierung angeordneten Maßnahmen wollen sich viele misstrauisch entziehen; sie glauben nicht an Hilfe, sondern fürchten „zum Wohle des Volkes“ in Lager gesperrt und womöglich umgebracht zu werden. Damit liegen sie nicht falsch, denn ein überforderter Krisenstab plant die Infektionsherde durch den Einsatz atomarer Waffen buchstäblich auszubrennen – ein Vorgehen, das nicht nur Bertolli unbedingt verhindern will …

Es lag in der Luft

Natürlich wurde die Erde schon vor dem „Tod vom 5. Planeten“ von außerirdischem Unheil bedroht. Vor allem die triviale Science Fiction kam nicht ohne Invasoren aus. Allerdings waren diese in der Regel mit bloßem Auge erkennbar, konnten Waffen halten und waren intelligent sowie bösartig. Krankheitserreger taugen dagegen weniger als Bedrohung, weil sie über keinen freien Willen verfügen und ihre Opfer nicht gezielt attackieren.

Zwar gab es schon in den 1960er Jahren den „Science Thriller“, der keine Blaster schwingenden Kämpfer, sondern Wissenschaftler ins Zentrum stellte, die einer Gefahr im Rahmen ihres Wissens und ihrer Ausrüstung zu Leibe rückten. Sein eigentlicher Durchbruch stand aber noch bevor. Das vielleicht elementare Frühwerk des Genres erschien erst vier Jahre nach Harrisons Werk. Michael Crichton veröffentliche „The Andromeda Strain“ (1969; dt. „Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“), Robert Wise verfilmte das Buch 1971. Beide schufen Klassiker sowie Blaupausen für den „Science Thriller“ als Buch und Film.

Doch das Genre und seine Zutaten gab es wie gesagt früher. „Tod vom 5. Planeten“ präsentiert sie ein wenig holprig, aber alles ist schon da: die unsichtbare Gefahr, ihre überforderten Gegner, wenig hilfreiche Politiker und Medien, das kopflose Volk, die rettende Entdeckung in letzter Sekunde – und eine Romanze im Angesicht des lauernden Todes.

Der nüchterne Schrecken

Als SF-Roman ist „Tod vom 5. Planeten“ buchstäblich geerdet. Zwar kommt das Unheil vom Jupiter, der jedoch als Schauplatz nur eine Nebenrolle spielt. Was dort geschah, wird eher pflichtgemäß in einer Rückblende erzählt. Für die Handlung relevant ist die Seuche, gegen die auf der Erde kein Kraut gewachsen ist. Harrison bringt einen Hauch von publikumsträchtigen Horror ins Spiel, indem er die Opfer in wandelnde Pestilenzen verwandelt, doch auch das ist von sekundärer Bedeutung: Es geht um den ‚großen Sprung‘, den eine Pandemie schon in den 1960er Jahren machen konnte.

Die moderne Technik beflügelte eine nie gekannte Mobilität. Binnen weniger Stunden konnte der Mensch jeden Kontinent erreichen. Dass dies auch für Krankheiten galt, war eine Erkenntnis, die jene, denen die Reise- und Transportmöglichkeiten Beweglichkeit und Einkünfte bescherten, den ‚Unken‘ überließen: den Mahnern und Warnern (bzw. Spielverderbern), die auch die Schattenseiten sensationeller Durchbrüche bedenken. Harrison spielt durch, was man schon 1965 eigentlich nicht nur ahnte.

Obwohl es reichlich ‚Action‘ gibt, ist sie keineswegs Dreh- und Angelpunkt des Geschehens. Die Vehemenz einer unsichtbaren Drohung, die sich nicht eindämmen lassen will, bestimmt das Tempo. Harrison gibt den Ereignissen ‚Gesichter‘, ein typisches Merkmal des Katastrophenfilms, der in den 1970er Jahren für Blockbuster sorgte. Zuschauer wie Leser benötigen Figuren, mit denen sie sich identifizieren, um die sie bangen oder die sie hassen können, während reale Katastrophenbewältigung Teamwork darstellt und die meisten Teilnehmer anonym bleiben.

Immer dort, wo es brennt

Für seine Rolle als unermüdlichen Streiter gegen den Tod hat Harrison Sam Bertolli mit einer entsprechenden Vita ausgestattet. Als Arzt ist er ein Spätzünder, denn bevor er Medizin studierte, war Bertolli (Elite-) Soldat – ein ‚Zufall‘, der ihm nun sehr nützt, da er weiß, wie man in kritischen Situationen kurzentschlossen durchgreift. An seiner Seite (bzw. hinter seinen breiten Schultern) stürzt sich Nita Mendel ins Gefecht. Sie ist ein ‚echter‘ Doktor, aber selbstverständlich trotzdem hübsch und gern bereit, sich von Bertolli trösten zu lassen, wenn die Lage gar zu finster ist. (Als es richtig ernst wird, liegt sie todkrank darnieder und muss im Wettlauf mit der Zeit von ihrem Geliebten gerettet werden: Allzu selbstständig durften Frauen 1965 noch nicht sein …)

Damit die beiden umgehend an die Brennpunkte dieser Geschichte gelangen, sitzt am Steuer des (turbinengetriebenen) Ambulanzwagens „Killer Dominguez“, ein mit allen Wassern gewaschenes, aber moralisch reines Getto-Kind, das mit Bleifuß und loser Zunge für bewährtes „Buddy“-Feeling sorgt. Später ersetzt ihn ein knurriger General, der auf Politiker pfeift und persönlich sowie mit der Waffe in der Hand tatendurstig dorthin vorstößt, wo die Ursache der Seuche buchstäblich wartet: an Bord der „Perikles“.

Nun wird aus „Tod vom 5. Planeten“ doch ein ‚echter‘ SF-Roman, denn wie sich inzwischen jede/r Leser/in denken kann, hat man vom Jupiter (der übrigens selbst für einen primär unterhaltsamen Genre-Titel erstaunlich realitätsfern beschrieben wird) ein besonderes ‚Andenken‘ mitgebracht. Die Auflösung des Seuchen-Mysteriums und des ihm folgenden Desasters kann wie üblich mit seiner Entwicklung nur bedingt mithalten, obwohl Harrison mit einigen SF-Klischees bricht und beispielsweise die Frage nach einer korrekten Definition des Begriffs „Invasion“ stellt. Das sorgt insgesamt für keine Sternstunde der Science Fiction, ist aber unterhaltsam und kommt erfreulich rasch und abschweifungsarm zum Thema.

Autor

Harry Harrison, Sohn irisch-russischer Eltern, wurde als Henry Maxwell Dempsey am 12. März 1925 in Stamford, US-Staat Connecticut, geboren. Im Zweiten Weltkrieg diente er im US Army Air Corps. Nach dem Studium an einer Kunsthochschule begann in den späten 1940er Jahren eine Zusammenarbeit mit dem Comic-Zeichner Wally Wood. In den 1950er Jahren textete Harrison Comics (u. a. den „Flash-Gordon“-Zeitungsstrip) und leitete eine Agentur für Werbegrafik. „Rock Diver“, eine erste Science-Fiction-Story, erschien 1951. Erst Ende des Jahrzehnts wurde Harrison hauptberuflicher Autor.

Seine unterhaltsamen und oft humorvollen Romane und Storys fanden ihr Publikum. Nachdem SF-Kollege Robert A. Heinlein mit „Starship Troopers“ 1959 ein Bestseller gelungen war, begann Harrison den bierernsten Militarismus dieses Buches satirisch zu kritisieren. Ab 1961 erschienen die (insgesamt zwölf) Romane der „Stainless-Steel-Rat“-Serie, ab 1965 folgten sieben Bände „Bill, the Galactic Hero“). Eine andere, betont ernste Seite zeigte Harrison als Autor des Romans „Make Room! Make Room!“ (1966; dt. „New York 1999“/„Soylent Green“), der vor dem ökologischen Kollaps warnte. Zwischen 1993 und 1997 entstand in Zusammenhang mit John Holm – ein Pseudonym, hinter dem sich der Mediävist und Sprachenspezialist Tom Shippey verbarg – die Trilogie „The Hammer and the Cross“ (dt. „Hammer und Kreuz“). Shippey hatte ihn bereits für die „Eden“-Trilogie (1984-1988) beraten.

Harrison war ein Kosmopolit, der u. a. in Mexiko, Italien, Dänemark und Irland lebte. Für seine Verdienste – er war nicht nur Autor, sondern 1965 auch Mitbegründer und Vizepräsident der „Science Fiction and Fantasy Writers of America“ (SFWA) und 1976 Gründer der internationalen Organisation „World SF“, die sich für alle engagiert, die professionell im Bereich SF aktiv sind. Zeit seines Lebens setzte sich Harrison zudem für die Kunstsprache Esperanto ein; er war u. a. Ehrenpräsident der „Esperanto League of North America“.

Bis ins hohe Alter war er ein gern und oft gesehener Gast auf Science-Fictions-Conventions. Seit 2002 verwitwet und Vater zweier Kinder, starb Harry Harrison am 15. August 2012.

Taschenbuch: 155 Seiten
Originaltitel: Plague from Space (New York : Doubleday 1965)
Übersetzung: Fritz Moeglich
Cover: Eddie Jones
https://www.ullsteinbuchverlage.de

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