Hayford Peirce – Der zeitgereiste Bonaparte

Achterbahnfahrt durch eine Parallelwelt

Napoleon hat ganz Europa unterworfen – einschließlich Großbritannien. Der Familienklüngel der Bonapartes drängelt sich auf den Thronen zwischen Oslo und Neapel, St. Petersburg und London. Die gedemütigten englischen Nationalisten sinnen auf Rache.

Und als endlich eine Zeitmaschine zur Verfügung steht, gibt es nur noch ein Ziel: die Weichen rechtzeitig anders zu stellen, den verhassten Korsen aus dem Verkehr zu ziehen und ihn durch einen harmlosen Doppelgänger zu ersetzen.

Doch man zupft nicht ungestraft am Raum-Zeit-Gefüge herum. Und dieser Doppelgänger wird unsterblich berühmt als Initiator der Champagnerherstellung, dessen Erfindung man in dieser Parallelwelt schlichtweg verschwitzt hatte. … (Verlagsinfo)

Der Autor

Hayford Peirce (January 7, 1942 – November 19, 2020) was an American writer of science fiction, mysteries, and spy thrillers. He attended Phillips Exeter Academy and received his BA from Harvard College.[citation needed] He wrote numerous short stories for the science-fiction magazines Analog, Galaxy, and Omni, as well as mystery shorts for Alfred Hitchcock’s Mystery Magazine and Ellery Queen’s Mystery Magazine. Most of his stories are light-hearted and satiric in tone, with elements of black humor and occasional surprising grimness.[citation needed]

The Encyclopedia of Science Fiction says that „he established a name for lightly written tales whose backgrounds were unusually well conceived.“[1]

Science fiction

Napoleon Disentimed, Tor Books (1987) ISBN 0-8125-4898-1 („Der zeitgereiste Bonaparte“)
The Thirteenth Majestral (1989), reissued as „Dinosaur Park“ (1994) ISBN 0-8125-4892-2 (both editions) („Der 13. Majestral“)
Phylum Monsters, Tor Books (1989) ISBN 0-8125-4894-9
Chap Foey Rider, Capitalist to the Stars (2000) (short story collection)
Jonathan White, Stockbroker in Orbit (2001) (short story collection)
The Burr in the Garden of Eden, Wildside Press (2001) ISBN 1-58715-277-0 (first published in Germany as „Ein Paradies mit Tücken„, (1998), Heyne)
Sam Fearon: Time Scanner (2001) (short story collection)
Flickerman, Wildside Press (2001)
The Spark of Life, Wildside Press (2001)
Black Hole Planet, Betancourt & Company (2003) ISBN 1-59224-935-3
Aliens, Betancourt & Company (2003) (short story collection)
With a Bang, and Other Forbidden Delights (2005) (short story collection)
The 13th Death of Yuri Gellaski, Wildside Press (2005) ISBN 0-8095-8944-3
In the Flames of the Flickerman , Wildside Press (2011) ISBN 978-1-4344-3037-3

Krimis und Agententhriller

Trouble in Tahiti: Blood on the Hibiscus (2000)
Trouble in Tahiti: P.I. Joe Caneili, Discrétion Assurée (2000)
Trouble in Tahiti: Commissaire Tama, Chief of Police (2000)
Trouble in Tahiti: The Gauguin Murders (2001)
The Bel Air Blitz (2002)

Handlung

Kevin Deane de Courtney McNair von Mac Nair ist nichtirgendein ein Schwindler, Hochstapler oder Gauner, sondern der beste weit und breit. Allerdings sind die Polizeibehörden diesbezüglich anderer Meinung und verfolgen ihn unablässig. Aus diesem Grund hat er sich aus dem lieblichen Europa in die Wildnis des nordamerikanischen Vermont abgesetzt. Als er sich eines schönen Sommertages 1937 mit seinem Wagen auf den Weg macht, um eine weitere heikle Operation einzufädeln, schneidet ihm ein großer schwarzer Cadillac den Weg ab. Eine Kollision um Haaresbreite vermeidend stoppt er seinen Wagen, doch von dem anderen ist nichts zu sehen.

Er findet den schwarzen Cadillac hangabwärts im Wald, wo er auf einen Baum aufgefahren ist. Der Kofferraum ist aufgesprungen, und eine ziemliche große Hutschachtel ist auf den Boden gefallen: Darin glitzert MacNair etwas entgegen, das mit unzähligen Diamanten besetzt ist. Unverkennbar handelt es sich um die Gotteshaube jenes kalifornischen Sektenführers, der kürzlich von den New Yorker Polizeibehörden verfolgt wurde. Doch werden Cops kennt, weiß, dass sie mit der Mafia zusammenarbeiten. Die beiden Insassen des Wagens sehen ihm ganz wie zwei Mafiosi aus. Kurzerhand schickt er sie ins Land der Träume und nimmt die Preziose an sich.

Soll er einen Finderlohn beanspruchen oder die Diamanten Stück für Stück verscherbeln? Leider ist das gute Stück leicht demoliert. In seinen Innereien befindet sich diverse Elektronik und ein Schalter für den Batteriestrom. Einmal gedrückt, bringt der Schalter diese Götterhaube zum Erstrahlen – und schickt den Bediener in eine Parallelwelt.

Düsseldorf 1991

MacNair landet im Laboratorium eines deutschen Hauses in Düsseldorf, denn hier gibt es ebenfalls eine Art Zeitmaschine. Diese wird gerade von einer Geheimgesellschaft gebaut, die die französische Fremdherrschaft abschütteln will. Nachdem er die Götterhaube in einem Karton versteckt hat, liest er all die deutschsprachigen Dokumente auf dem Schreibtisch. Leider ist er der deutschen Zeitmaschine splitternackt entstiegen und als drei Leute in der Tür auftauchen, schnappt er sich einen der hellen Laborkittel.

Prof. Hubmaier ist der Leiter des Labors und denkt, hier sei seine Zeitmaschine sicher. Pustekuchen! Gleich zwei französische Spione haben sich bei ihm eingenistet. Einer davon, Kleinmutter, hat das Strahlen der Götterhaube gesehen und sofort einen Bericht an das „Sonderdirektorat“ abgeschickt. Der Geheimdienst des Marquis de Vèzelay reagiert sofort, selbst wenn der Bericht erst einmal auf Unglauben stößt. Doch während sich MacNair als einen Erben des englischen Thrones, der ebenfalls von den Franzosen okkupiert worden ist, ausgibt, zieht sich das Netz enger zusammen. MacNair muss feststellen, dass die Götterhaube verschwunden ist.

Erwischt

Doch wegen unsachgemäßer Handhabung in fremden Händen – ein kleiner Druck auf den Energieschalter reicht schon – teleportiert sie wieder zu ihm zurück. Kaum in Sicherheit gebracht, wird sie auch schon wieder gesucht. MacNair, der seinen Anspruch gegenüber englischen Widerständlern aus Schottland (ausgerechnet!) verteidigt hat, sieht sich eines schönen Morgens der geballten Staatsmacht der Vereinigten Staaten von Europa gegenüber: die Geheimpolizei! Sein Versteck in einem Geheimfach der riesigen Dresdner Bibliothek nützt ihm nichts: Explosionen erschüttern das Haus und bescheren ihm einen Blackout. Die Deutschen, gründlich, wie sie nun mal sind, haben ihre Zeitmaschine mit Sprengstoff gesichert, damit sie nicht dem Feind in die Hände falle.

Und so kommt es, dass MacNair von MacNair in einem französischen Gefängnis in Metz die Augen aufschlägt und dem Chef der französischen Geheimpolizei persönlich gegenübersteht bzw. -liegt. Dieser hat ein politisches – und, wie er sagt, ganz bestimmt kein finanzielles – Interesse an den 30.000 Diamanten in der Krone. Solche fortgeschrittene Technologie sollte durch und an Seiner Majestät Curie-Institut genauestens untersucht werden. Das findet MacNair jedoch nicht und zieht ihm mit der Bettpfanne eins über den Schädel.

Bangor, Maine/Franklin

Mit dem Geld des Geheimdienstchefs in der Tasche mogelt sich MacNair in die Freiheit, besteigt einen Zug nach Paris und dort ein Flugzeug, das ihn in die heimatlichen Staaten bringt, genauer gesagt: in seine Heimatstadt Bangor. Die liegt in der hiesigen Welt allerdings nicht in Maine, sondern in Franklin, benannt nach Benjamin Franklin, ihrem ersten Gouverneur. MacNair hat eine sehr sentimentale und somit ziemlich närrische Idee: Er will sein Gegenstück finden, das es ja auch in dieser Parallelwelt geben dürfte.

Der Doppelgänger

Er hat sich nicht geirrt, hätte aber damit rechnen müssen, dass dieser Kevin Frost ein ebenso durchtriebener Gauner ist wie er selbst. Schon beim ersten Gelage in Frosts ländlicher Hütte – er wird von den Behörden als Bigamist gesucht – erzählt er ihm, was ihm, MacNair, widerfahren ist und sogar, was es mit der kostbaren Götterhaube auf sich hat. Der nächste Drink ist einer zuviel.

Während MacNair pennt, macht sich Frost auf den Weg, in Europa dessen Platz einzunehmen. Allerdings begegnet er nicht nur dem Geheimdienstchef, den es zu narren gilt, sondern auch der unwiderstehlichen Mireille von Luxemburg, ihres Zeichens die drittreichste Frau der Welt – und Nichte von König Napoleon dem Fünften…

Mein Eindruck

Das unvorhersehbare Auftauchen der Götterhaube, die von einem Kopf zum anderen teleportiert, und die Bereitstellung der deutschen Zeitmaschine in dem schottischen Schloss des Widerstands sorgen für zahlreiche Verwicklungen, deren folgenschwerste eine Art Zeittasche ist, in der man den ersten Napoleon verstecken will: Er ist quasi „entzeitlicht“ (worauf der O-Titel „Napoleon Disentimed“ hinweist).

Denn der Kaiser aller Franzosen – und diverser unterworfener Völker – war von 1806 bis 1808 tatsächlich wie vom Erdboden verschluckt. Da würde es ja nicht so schnell auffallen, wenn man ihn a) in einer Zeittasche verstecken und b) wenn ein Doppelgänger seine Rolle spielen würde. Schließlich fällt diese Rolle MacNair alias Kevin Frost zu, die einander nicht ausstehen können. Allerdings müsste man erst einmal Napoleon Bonaparte entführen…

Ob das alles so klappt, wie es sich der Widerstand vorstellt, darf hier nicht verraten werden. Nur soviel darf preisgegeben werden, weil es ja schon in der englischen Wikipedia steht: „Am Schluss erwirbt MacNair nicht nur eine schöne Gattin und ein etwas heruntergekommenes Schloss in Frankreich, ihm gelingt auch die Erfindung des modernen Wasserklosetts und des echten Champagners“, denn wie könne man „wie Gott in Frankreich“ leben, wenn es dort nicht mal diesen edlen Schaumwein gibt?

Die Handlungsstränge dienen wie ein endlos geflochtenes Band bzw. wie eine Serie von Zeitschleifen vor allem dazu, die begrenzte Anzahl von Figuren männlichen wie weiblichen Geschlechts durch verschiedene Umstände zu führen, sei es im frühen 19., sei es im späten 20. Jahrhundert. Diese mehr oder weniger komischen, zuweilen auch dramatischen Umstände dienen dazu, die Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen der Figuren hervorzuheben. Die Götterhaube wie auch die Zeitmaschine fungieren als Katalysatoren.

Damen-Duo

Das wird bei den zwei Doppelgängern am deutlichsten. Die beiden Damen, die das Duo begehren, sind natürlich sehr darauf, den richtigen Lover zu erwischen, wiederzubekommen, ins Jenseits zu befördern oder was auch immer. Mrs Babcock auf der einen Seite, Erzherzogin Mireille auf der anderen Seite – an den Begegnungen mit diesen lieblichen Furien müssen Kevin MacNair und sein Double Kevin Frost beweisen, dass sie es wert sind, geheiratet zu werden. Als professionelle Lügner gaukeln sie den Damen alles Mögliche vor. Es gibt aber einen feinen Unterschied.

Die glubschäugige Mireille ist, wie sich zeigt, scharf auf die „Krone“ aus 30.000 Diamanten, denn sie wäre zu gerne Königin. Ihr steht der Sinn nach materiellem Wohlstand, aber vor allem nach Status – je höher, desto besser. Kevin Frost verspricht ihr die Krone, obwohl diese längst von den Osmanen stibitzt wurde. Mrs. Babcock hingegen ist zwar nominell Millionärin, aber nach Veruntreuung ihres Vermögens arm wie eine Kirchenmaus. MacNair nimmt sie trotzdem, denn der französische Geheimdienstchef Vézelay hat einen lukrativen Deal mit ihm gemacht. Und außerdem braucht Frankreich einen anständigen Schaumwein –damit lässt sich hier bestimmt ein Vermögen machen.

Die Rebellen

Und die Rebellen mit ihrer Zeitmaschine? Zunächst scheint die Idee, Bonaparte in eine Zeitkonserve von 1806 bis 1808 einzuschließen, einfach brillant: ein wertvolle Geisel, sollte man meinen. Aber den Nachfahren ist diese Geisel schnuppe, denn nichts hat sich dadurch verändert, denn MacNair, das Bonaparte-Double, macht einen so guten Job, dass Bonapartes Fehlen auf dem Thron kaum Auswirkungen auf die Gegenwart der Jahre 1992-1994 hat. (Allerdings gibt es da jemanden, der Bonaparte ans Leder will…) Da gucken die Rebellen in die Röhre, und als sie verraten und verhaftet werden, ist Schluss mit lustig. Da sie eh nicht die hellsten Geister sind, ist es nicht schade um sie.

Die Übersetzung

Die Übersetzung durch M. Windgassen erfreut den Leser durch einen ausgefeilten Sprachstil. Es gibt aber einen Ausdruck auf S. 108, den ich für fehl am Platz hielt: Eine Kemenate ist laut Sprachgebrauch des 19. Jahrhunderts kein Raum, wo sich Männer treffen können, sondern ein Frauengemach.

Das trifft aber laut Wikipedia nicht zu: „Eine caminata in den Quellen muss unabhängig vom Bezug auf reale Räume oder soziale Unterscheidungen allgemein als beheizbarer (Kamin-) Raum des hohen und späten Mittelalters verstanden werden. Der Duden definiert Kemenate zudem heute auch als umgangssprachlichen, scherzhaften Ausdruck für einen „intimen kleinen Raum, den jemand als seinen eigenen persönlichen Bereich hat“.

S. 184: Ein weiterer Zweifelsfall ist der Ausdruck „untertänlichste Öffentlichkeit“. Üblich wäre „untertänigste…“.

Ansonsten fand ich noch ein rundes Dutzend Druckfehler. Um den leser nicht zu langweilen, verzichte ich auf eine Auflistung.

Unterm Strich

Der turbulente Roman ist Robert A. Heinlein gewidmet. Heinlein schrieb zwei der verrücktesten, verwickeltsten Zeitreiseabenteuer, nämlich „All You Zombies“ und „By His Bootstraps“. So ähnlich verwickelt darf man sich den vorliegenden Roman vorstellen. Allerdings finden keine Geschlechterwechsel statt, sondern Identitätswechsel: MacNair wird Kevin Frost und umgekehrt, je nachdem, wonach gerade Nachfrage besteht. Die Sache mit dem jeweils „korrekten“ Bart wird grotesk ausgewalzt.

Neben den zerstrittenen Rebellen gegen die „Vereinigten Staaten von Europa“ und ihren alten Herrscher Napoleon V. spielen zwei Frauen eine gewichtige Rolle: die glubschäugige Mireille von Luxemburg, in deren göttlichen Busen (und ihre Moneten) sich Kevin Frost verliebt, sowie Frosts Bigamieopfer Mrs. Babcock in den USA, das in den Armen von MacNair neue Hoffnung schöpft und eine Zukunft findet.

Franzosen, Deutsche, Osmanen, Engländer, Schotten und Amerikaner geben sich ein munteres Stelldichein auf einer temporalen Achterbahnfahrt, deren Verlauf der Leser zu keinem Zeitpunkt vorhersehen kann. Aber wie die „Encyclopedia“ schon hervorhebt, ist der kulturelle Hintergrund der jeweiligen Nationalität ungewöhnlich detailliert und kenntnisreich herausgearbeitet.

Dies verleiht dem turbulenten Geschehen eine gewisse Erdung und Plausibilität. Drei Anhänge erläutern gewisse Details in der Erbfolge, eine Stammtafel visualisiert die Verwandtschaftsbeziehungen in den Herrscherhäusern dieser Parallelwelt. Und schließlich werden auch die Feinheiten der Champagnerherstellung genauestens erklärt. Offenkundig hat der Autor, ein Harvard-Absolvent, seine Hausaufgaben gemacht. Was der Leser mit der Handlung anfängt, ist ihm selbst überlassen. Man sollte die Achterbahnfahrt einfach genießen.

Hinweis

Die Fortsetzung dieses verwickelten Garns, das sich um MacNair, trägt den Titel „The Burr in the Garden of Eden„. Der deutsche Titel im Heyne-Verlag lautet: „Ein Paradies mit Tücken“ (1998).

Taschenbuch: 364 Seiten
Originaltitel: Napoleon Disentimed, 1987
Aus dem Englischen von Michael Windgassen
ISBN-13: 9783453058477

www.heyne.de

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