Frank Hebben – Prothesengötter

Dreizehn Erzählungen in einem Band, vom Autor zusammengestellt. Also die geballte schöpferische Kraft Frank Hebbens mit den Geschichten seiner persönlichen Wertschätzung. Für Hebben-Leser eine Goldgrube, aber in dieser Zusammenstellung für jeden interessierten Science Fiction-Leser ein Genuss. Hebben mischt unter die bewährten und teilweise preisnominierten Kurzgeschichten mehrere noch unveröffentlichte neue Stücke als Anreiz und erhöht dadurch den Verkaufswert des Buches.

Betrachten wir also zunächst diese frischen Geschichten etwas genauer:

»Gelée Royale« ist eine typisch ausweglose und bizarre Projektion in Hebbens Kosmos einer menschlichen Zukunft. Kontrolle durch Systeme und KI, weitaus dramatischer als Big Brother, wenn auch bei weitem nicht so brutal. Der Protagonist, ein einsam hausender und online arbeitender Mann, wird mit systemfremden künstlichen Organisationen in Form mechanischer Bienen konfrontiert. Allein ihre Existenz führt bei ihm zu rebellischen Gedanken, und ihre Fähigkeiten bringen ihn in direkten Kontakt mit den Rebellen. Ein heftiger Rückschlag durch die absolut scheinende Kontrolle des Systems macht seine Entwicklung rückgängig. Für ihn beginnt die »Bewusstwerdung« von Neuem.

Von den drei neuen Geschichten ist diese die typischste. In diesem Buch liest man ja nur Hebben. Man versinkt also in seinem Stil und seiner düsteren Vision; seine abgehackte Sprache, sonst unauffällig in Anthologien eingefügt, tritt deutlich zu Tage und erzeugt die typische Intensität seiner Geschichten, hier konzentriert in einem ganzen Buch. »Gelée Royale« erreicht nicht ganz die Klasse von »Der Wühler« oder »Marionettentheater«, beides hochtragische, entsetzlich eindringliche Storys. Dennoch vermittelt es wunderbar die trostlose Stimmung hebbenscher Weltentwicklung und würde in jeder gemischten Anthologie seinen Platz behaupten.

»Exodus 1906 AD« und »Imperium Germanicum« sind zwei unterschiedliche Geschichten mit mehreren Gemeinsamkeiten, die man eher als untypisch für Hebben bezeichnen könnte. Nichtsdestotrotz verdienen sie ihren Abdruck im vorliegenden Buch. »Exodus« wirft ein Schlaglicht auf das dramatische Ende des Konflikts »Men vs. Machine«, angesiedelt im alten deutschen Kaiserreich, in dem schon Zeppeline flogen. Hier hat die deutliche Kluft zwischen Anwendung und Verständnis die Entscheidung gefällt. »Imperium Germanicum« scheint eine Alternativgeschichte zum Ersten Weltkrieg zu sein und entpuppt sich dann doch als hochgradig punkige Zukunft. Das alternative Ende führt nicht zur Befriedigung.

Beide Geschichten, so unterschiedlich sie auch sind – die eine kurz, die andere lang, die eine Zukunft, die andere Vergangenheit, die eine Punk, die andere Alternativ, etc. … – kommen gut nebeneinander aus. Was Hebben in diesen Stücken an Stil, Wortgewalt, Intensität, Kreativität äußert, ist ein gutes Bildnis seines schriftstellerischen Wesens. Diese Erkenntnis lässt sich aufgrund der Sache problemlos auf das ganze Buch ausdehnen.

Alle anderen Geschichten des Buches sind jede für sich eindrucksvoll und höchst unterhaltsam. Fast alle versinken sie in Düsternis und endzeitlicher, teils offener, teils subtiler Brutalität. Einige (wie auch »Gelée Royale«) hinterlassen die Ahnung an eine bessere Zukunft oder an den späteren Erfolg durch die Handlungen der tragischen Figuren, die Hoffnung auf eine neue Epoche, die sich aus den Trümmern menschlichen Versagens entwickeln könnte. Am deutlichsten zeigt dies die letzte Geschichte »Ω« und führt dadurch aus dem Sumpf vergeudeter Anstrengung, öliger Konflikte, bizarrer Symbiosen/Prothesenmenschen, blutiger Cyberkriege in die doch noch nicht so abgründige reale Welt.

Sollte man ein Schlagwort prägen auf Frank Hebben und seine Visionen, es lautete »Intensität«. Seine Geschichten sind einfach intensiv!

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