Helmut Newton – Autobiographie

Nude Photographer: Das Abenteuer Leben

Wer ist der Mann hinter der Linse der kamera? Wer ist der Mann, der uns auf dem Titelbild über den gestreckten Zeigefinger anvisiert? Man kennt Newtons Bilder, seine Nuditäten, seine teuren Bücher. Aber nur wenig ist über den Menschen Helmut Newton bekannt, der als Jude Neustaedter geboren wurde. Schlicht erzählt er von einem aufregenden Leben in einem unruhigen Jahrhundert. Darum ist wohl auch seine Autobiographie einfach nur so genannt: „Autobiographie“.

Der Autor

Helmut Newton [ˈnjuːtn̩] (ursprünglich Helmut Neustädter; * 31. Oktober 1920 in Berlin; † 23. Januar 2004 in Los Angeles) war ein deutsch-australischer Fotograf.

Der 1920 in Berlin geborene Autor war wahrscheinlich der berühmteste Fotograf des 20. Jahrhunderts. Seit er mit seiner provokativen Ausstellung „Big Nudes“ weltweit bekannt wurde, sind ihm zahlreiche Auszeichnungen für seine Arbeiten zuteil geworden. 1992 wurde ihm beispielsweise das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Er lebte in Monte Carlo.

Newton starb im Alter von 83 Jahren in der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 2004 nach einem Verkehrsunfall mit seinem Cadillac in Los Angeles im Cedars-Sinai Medical Center. Sein Wunsch war es, in seiner Geburtsstadt Berlin beigesetzt zu werden. Am 2. Juni 2004 wurde seine Urne in einem Ehrengrab auf dem III. Städtischen Friedhof Stubenrauchstraße in Berlin-Friedenau beigesetzt. Unter den Trauergästen waren unter anderem Bundeskanzler Gerhard Schröder, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der britische Schauspieler Roger Moore. Mehr Infos.

Hinweis

Das Buch ist in zwei Abschnitte aufgeteilt: „Das Leben“ (1920 bis ca. 1985) und „Die Arbeit“ (ca. 1930 bis 2001).

Das Leben

Newton ist der Sproß einer Berliner Fabrikantenfamilie und wuchs verwöhnt von seiner Mutter und stets schwächlich gehalten auf, bis ihn sein Vater schließlich zum Schwimmen schickte. Dabei entwickelte er endlich so etwas wie eine Sportlerkondition, kam aber dabei auch dem schönen Geschlecht um etliches näher.

Neben der Schule verdiente er sich ein Taschengeld mit Hilfsarbeiten für Berliner Fotografen, und mit 16 trat er als Lehrling in das Atelier der berühmten Fotografin Yva ein. Um der Verhaftung durch die Nationalsozialisten zu entgehen, verließ er Deutschland 1938 mit Hilfe eines von seiner Mutter gekauften Schiffstickets Richtung China. Der Grenzzoll gestattete ausreisenden Juden nur minimale Geldbeträge. Bettelarm kam er daher in Singapur an und durfte an Land gehen. Doch er war kein Kind von Traurigkeit und frönte an Bord wie an Land mit etlichen Damen dem Liebesspiel.

So hielt er es in der britischen Kronkolonie mehrere jahre aus, bis die Japaner näher marschierten und fast alle Ausländer interniert wurden. Im Internierungslager nahe Melbourne musste er in Obstplantagen schuften, danach trat er der australischen Armee bei: eine gute Zeit. Nach dem krieg eröffnete er in Melbourne ein kleines Fotostudio. Als er seine heutige Frau June kennenlernte und heiraten wollte, machte er mit jüdischen Vorurteilen Bekanntschaft: Entweder sah er von einer Verbindung mit der nichtjüdischen „Schickse“ ab oder er musste auf einen lukrativen Dauerauftrag verzichten. Newton – er hatte inzwischen seinen Namen ändern lassen – verzichtete lieber und heiratete.

June war Schauspielerin, am Theater und im Fernsehen. Doch als der Ruf aus London und Paris Newton ereilte, nahm er sie natürlich mit: Sie lernte Malen und Fotografie. In der Folge führte sie so manchen Auftrag aus und zu Ende, wenn ihr Mann dazu nicht in der Lage war, sei es aus Zeit- oder gesundheitlichen Gründen. Der Kettenraucher Newton erlitt ca. 1972 einen Hirnschlag und musste vorsichtig sein. Die 60er und 70er Jahre waren gute Jahre – die „Vogue“ zahlte gut -, doch die unablässige Arbeit forderte ihren Tribut von Newtons Körper.

Die Arbeit

Newton erklärt sein Handwerkszeug, seine Arbeitsweise und zahlreiche bemerkenswerte Fotoshootings. So fotografierte er einmal Mrs. Thatcher. Sie hasste ihr Foto, denn darauf sah sie aus wie ein Haifisch. Heute hängt es in der National Portrait Gallery in London.

Er erläutert auch, warum er ein Faible für nackte Frauen in ungewöhnlichen Situationen oder extravagantem Ambiente wie etwa Waschküchen hat. (Ich wusste nicht, dass er einmal Motive zu „Die Geschichte der O“ fotografiert hat.) Für manche Leute sind seine Frauenfotos pornografisch, aber richtigen Pornofans sind seine Fotos nicht hart genug.

Und er spricht seinen Printern ein dickes, demütiges, dankbares Lob aus: Das sind die Handwerker-Künstler, die aus kleinen Negativen große, manchmal überlebensgroße Drucke machen.

Mein Eindruck

Das Buch habe ich in zwei Tagen gelesen. Das ging so schnell, nicht weil so viele Fotos abgedruckt sind – die finden sich im Arbeit-teil -, sondern weil Newtons so kurze Sätze schreibt, die leicht verständlich sind und doch ganz genau eine Stimmung einfangen, eine persönlichkeit auf den Punkt bringen. Das ist bewundernswert bei einem Künstler, der nicht mit dem Wort arbeitet, sondern mit dem Bild.

Man darf sich von dieser Einfachheit nicht täuschen lassen. Was Newton sagt und was er meint, kann manchmal zweierlei sein. Er ist ein Meister des Understatements und der versteckten ironischen Kritik.

Newton vermittelt einen sehr sympathischen, aber nicht ungetrübten Eindruck. Er erzählt von einem Menschen, der auf seiner Odyssee auf die andere Seite der Weltkugel und wieder zurück nie sein Ziel aus den Augen verlor, ein erfolgreicher Fotograf zu werden. Für diesen Erfolg wollte er aber nicht seinen eigenen persönlichen Stil verleugnen müssen. Seine Auftraggeber war oft so freundlich, diesen Stil zu akzeptieren, aber nicht immer.

Newton hat vieles auf sich genommen, um dieses Ziel zu erreichen. Doch er hat auch Niederlagen und Demütigungen (siehe oben) einstecken müssen. Kurios sind manche davon: So schildert er etwa das peinliche Schweigen, das eintrat, als er die Modefotos zeigte, die er für die VOGUE von der Schauspielerin Hanna Schygulla geschossen hatte. Einziger Kommentar der Zuschauer: „Die Achselhaare.“ Tatsächlich: Schygulla zeigt fast stets ihr Achselhaar, in das sich Newton verguckt hatte. Zu schade: „Achselhaare gab es nicht in der Welt der VOGUE, niemals.“ Er hätte daran denken müssen. Shit happens.

Unterm Strich

Ich habe schon einige Biografien gelesen, aber nur wenige Autobiographien. Ich hielt dies immer für ein etwas überhebliches Unterfangen seitens des Urhebers. Newtons „Selberlebensbeschreibung“, um einmal Jean Paul zu bemühen, hat mich angenehm vom Gegenteil überzeugt: Ohne mich auf seine Seite ziehen zu wollen, zeigt er mir einen lebensfrohen, sinnlichen und klugen Menschen, der einiges einstecken musste und doch sein Ziel, ein erfolgreicher Fotograf zu werden, nicht aus den Augen verloren oder gar aufgegeben hat.

Ganz nebenbei lernen wir die Mode- und Fotografenwelt kennen, die Welt der Promis wie auch die der Nachtseite der Städte. Beides faszinierte Newton. Sein Buch erweitert den Horizont des Lesers, geistig wie visuell.

Hardcover: 335 Seiten
ISBN-13: 978-3570006726

www.randomhouse.de

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