_Lennon forever: Kultfigur in Zeit-Dokumenten_
Die erste derartige Biografie war Elvis, einer anderen Musikerlegende, gewidmet. Der Elvis-Band hat mich einigermaßen beeindruckt. Auch diesmal ist das so, obwohl Lennon ein Musiker ganz anderen Kalibers ist: Er ist auch ein Künstler und ein Vordenker für eine Generation gewesen. Das kann man von den wenigsten Rock-’n‘-Rollern behaupten.
_Der Autor_
James Henke ist Chefkurator und Ausstellungsleiter am |Rock and Roll Hall of Fame and Museum| in Cleveland, Ohio. Ehe er zur Hall of Fame kam, arbeitete er mehr als 15 Jahre lang als Redakteur und Autor beim „Rolling Stone“-Magazin.
Henke ist Autor der Bücher „The Rock Pack“ und „Human Rights Now!“. Er ist Mitherausgeber von „The Rolling Stone Illustrated History of Rock and Roll“, von „The Rolling Stone Album Guide“ sowie von „I want to take you higher: The psychedelic era, 1965-1969“.
_Inhalte: Das Buch_
Das Prinzip ist natürlich das gleiche wie beim Elvis-Buch: eine Biografie. Aber warum kostet das Buch dann 50 Euro?, mag man sich fragen. Es gibt zwei Zutaten, die keine andere Lennon-Biografie vorweisen kann: erstens die CD (siehe den Abschnitt unten) und zweitens die Reproduktionen von Zeitdokumenten. Diese sind der eigentliche Witz an der Geschichte.
Was man unter einem „Zeitdokument“ verstehen soll, darüber streiten sich die Geister. Daher lässt sich das Gemeinte am besten mit Beispielen erklären. Das allererste Dokument, das man (nach der CD) zu sehen bekommt, ist eine eingeklebte Tüte, in der sich eine Reproduktion von Lennons Song „In my life“ (1965) befindet. Der Text ist signiert, wobei das Initial-L doppelt durchgestrichen ist, um ein Pfund-Zeichen zu signalisieren, ergo: Lennon = money! Die Beatles hatten den Zenit ihres Erfolgs erreicht, den Höhepunkt der Beatlemania. Daher verblüfft dieser sehr persönliche Song doch einigermaßen – ein guter Einstieg in die biografischen Hintergründe, die im Folgenden ausgebreitet werden. Ich setzte die Lennon-Biografie als bekannt voraus. (Sonst würde dieser Text nämlich so lang wie ein Buch werden.) Wer’s gern genauer haben möchte, kann sich bei [wikipedia]http://de.wikipedia.org/wiki/John__Lennon schlau machen.
Zu den anderen (extrem begehrten) Dokumenten zählen
– Eine Lennon-Zeichnung von 1952
– Ein Tagebucheintrag von 1950
– Ein Zeugnis von 1955/56 (sieht übel aus!)
– Eine Visitenkarte von Lennons erster Rock-’n‘-Roll- und Skiffle-Band „The Quarry Men“
– Ein Programmheft zu einem Auftritt besagter Steinbrucharbeiter im August 1957
– Der Konzertvertrag der „Silver Beetles“ (sic!) von 1960
– Eine Eintrittskarte für ein „Beatles“-Konzert im Carn Club 1964
Von da an kann man sich schon denken, was kommt: Sammelbildchen (zum Teil mit Lennons hinterlistigen Bemerkungen), Eintrittskarten und weitere Star-Reliquien. Aber niemand muss sich Sorgen machen, dass deswegen das Buch auseinanderfallen könnte: Die Bindung ist ziemlich flexibel und stark, und außerdem steckt der großformatige Band in einem stabilen Karton-Schuber. Auch dessen Rücken macht im Regal einiges her.
1964 veröffentlichte Lennon sein erstes Solo-Buch: „In seiner eigenen Schreibe“ (In his own write). 1966 begann Lennon an den Beatles zu (ver)zweifeln: War „HELP!“ schon ein Hilferuf, so hörten nun die Live-Konzerte auf, die zu Brüllereignissen entartet waren, in denen Teenies kreischten, was das Zeug hielt. Lennon spielte in einem bitteren Antikriegsfilm mit, der auch prompt in der ersten Ausgabe des berühmten Fachblattes „Rolling Stone“ vom 9.11.67 (tolles Faksimile!) gewürdigt wurde.
Hinzu kam 1966 Lennons geradezu historische Begegnung mit Yoko Ono, eine unabhängige Frau, obendrein Künstlerin und zudem Ausländerin! Lennon hätte sich kaum eine größere Herausforderung suchen können, aber Ono bestimmte fortan sein Leben. Doch vorerst kamen 1967 Sgt. Pepper und der Maharishi (Faksimile des Textes von „Lucy in the Sky with Diamonds“). Auf einem der Fotos sind auch der Liedermacher (und Popidol) Donovan und – ja, tatsächlich – Mia Farrow, die spätere Gattin von Woody Allen, zu sehen.
Der Drogen-Tod von Manager Brian Epstein scheint den Anfang vom Ende der Beatles bedeutet zu haben, doch sie machten weiter, bis 1970. Doch 1967 war Lennon schon „besessen“ von Yoko Ono, denn er erhielt von ihr ungewöhnliche Briefe mit eindeutigen Aufforderungen. (Keine Angst: Die wurden nicht reproduziert!) Von 1967 bis 1971 beteiligte er sich an ihren Aktionen, z. B. gegen den Krieg. Ein Xmas-Gruß von John und Yoko ist eingesteckt.
Parallel dazu produzierte er wie Yoko konkrete Performance-Kunst, wovon aber nur das Wenigste wiedergegeben ist. Witzig ist vielleicht die Tasche („bag production“ heißt es in „Come together“) für das Projekt „Nutopia“, eine Aktion zur Gründung eines imaginären Staates, der den Idealen aus „Imagine“ (Faksimile des Textes) gerecht werden sollte. Folge: die Tasche ist nur ein Taschentuch, und das ist vollkommen weiß (wie das Klavier).
Mitte der 70er Jahre ist Lennon in erster Linie Hausmann und Vater für seinen zweiten Sohn Sean. Nach „Walls and Bridges“ folgte also eine lange Pause, bis 1980 das phänomenale Album „Double Fantasy“ erschien, das mit Songs wie „Starting over“ (Faksimile) und „Jealous Guy“ zu beeindrucken weiß.
1984 erschien ein posthumes Album namens „Milk and Honey“, das unter der Regie von Yoko Ono produziert wurde und einige bewegende Songs von beiden enthält. Sie stellten sich vor, sie könnten eine Reinkarnation des viktorianischen Künstlerpaares Elizabeth und Robert Browning sein. 1986 erschien mit „Menlove Avenue“ ein weiteres posthumes Album, 1998 die 4-CD-Sammlung „John Lennon Anthology“.
_Inhalte 2: Die Audio-CD_
Die beigelegte CD von 65 Minuten Länge enthält drei längere Interviews mit Lennon und Ono: von 1972 und 1974 sowie eines von 1980, das kurz vor Lennons Ermordung aufgenommen wurde. Lennon erzählt 1972 mitunter von recht persönlichen Themen wie etwa seiner vaterlosen Kindheit in Liverpool, seiner Ehe mit Ono, seiner Karriere mit The Beatles, über musikalische Einflüsse und den Durchbruch.
1974 sind die Themen schon etwas andere: Lennon hat gerade „Walls and Bridges“ veröffentlicht und gibt seine Eindrücke von New York City wieder. Außerdem kabbelt er sich offenbar mit den Ex-Beatles und der Plattenindustrie.
1980 ist das letzte Studioalbum „Double Fantasy“ gerade erschienen, als er Dave Sholin am 8.12. im Dakota-Gebäude ein Interview gewährt. Es ist sein Todestag. Lennen lässt sich über seine Zeit, die Kunst, Politik und Frauen im Allgemeinen aus, philosophiert über positives Denken und die 80er Jahre. Wenn er sie nur erlebt hätte!
Der Auftritt 1972 in der „Mike Douglas Show“ lieferte auch den Live-Mitschnitt einer Performance von „Imagine“. Diese Aufnahme ist als Track 16 auf der CD. Da ist nicht nur das Piano zu hören, sondern die komplette Begleitung: eine schöne Aufnahme.
Die Aufnahmequalität ist nicht gerade Dolby Digital mit Surroundeffekten, also sollte man nichts Welterschütterndes erwarten. Wenn man kein Englisch versteht, macht das auch nichts: Alle Texte sind übersetzt im beiliegenden Booklet von 32 Seiten Umfang nachzulesen!
_Unterm Strich_
Ich habe keinen Zweifel: Eine Biografie wie diese lässt den Künstler und Menschen John W. Lennon weitaus lebendiger werden als jede konventionelle Biografie, die es draußen auf dem Markt gibt. Sicher, es mögen die besonders kritischen Töne gegenüber dem Musiker fehlen, aber Kritik wird auch nicht unterdrückt. Ohnehin ist dieses Buch wohl eher etwas für Fans, die schon einiges über Lennon und sein Universum wissen und gesammelt haben. Sie können sich ihr Teil ohne Mühe dazu denken.
Wer Lennon noch nicht so gut kennt, dem wird das Buch eine authentischere Lebenswelt öffnen als so manches „Star-Album“, komplett mit Kinderzeichnungen und allem. Hervorragend finde ich, dass der Künstler Lennon endlich mal zu seinem Recht kommt, nicht wie sonst nur der Musiker. Auf der CD ist in den Interviews auch der Philosoph zu hören – eine allzu selten zu hörende Stimme im allgemeinen Beatles-Wahn. „In his own words“ – das ist genau der richtige Titel dafür.
Fazit: Wer es sich leisten kann, wird den Kauf dieser Biografie nicht bereuen.
|Originaltitel: Lennon Legend: An Illustrated Life of John Lennon, 2003
Aus dem US-Englischen übersetzt von Christian Kennerknecht|