Henning Boëtius – Phönix aus Asche

1937 explodiert das deutsche Luftschiff „Hindenburg“ am Himmel über Lakehurst in den USA. Noch Jahre später versucht einer der Überlebenden zu klären, wieso dies geschah; er entlarvt nicht nur die Urheber, sondern findet seine verschollene Liebe wieder … – Mischung aus Historien-Thriller und Liebesgeschichte, wobei die Verknüpfung nicht immer gelingt; auch aufgrund der persönlichen Verbindung des Verfassers zur „Hindenburg“-Historie – sein Vater steuerte das Luftschiff – entwickelt sich dennoch eine spannende, berührende Geschichte.

Das geschieht:

Rom im Sommer 1947: Per Olsen steht vor Martas Wohnungstür. Die junge Frau erkennt in dem angeblichen schwedischen Journalisten und Schriftsteller Birger Lund wieder, ihren ehemaligen Geliebten, den sie zehn Jahre zuvor an Bord des deutschen Luftschiffs „LZ 129“, genannt „Hindenburg“, kennengelernt hatte. Es war über dem Hafen von Lakehurst in New Jersey/USA explodiert, wobei mehr als sechzig Menschen starben. Lund wurde schwer verletzt; nach zahlreichen Gesichtsoperationen hat er seine Identität gewechselt. Er ist besessen von der „Hindenburg“-Katastrophe, deren Ursache er aufdecken will.

Lund trifft Edmund Boysen, der einst am Höhenruder der „Hindenburg“ stand seine Erinnerungen aufleben lässt. Der Seemann war fasziniert von dem gigantischen Luftschiff, das Anfang der 1930er Jahre gebaut wurde. Boysen lässt das Meer hinter sich und heuert auf der „Hindenburg“ an. 1936 lernt er auf einer Abendgesellschaft die junge Irene Meier-Franke kennen. Die beiden verlieben sich, und ein Jahr später sind sie verlobt. 1937 verlässt Boysen Frankfurt an Bord der „Hindenburg“; gerade wurde er zum Dritten Offizier und Navigator befördert.

Mit auf die Reise nach New York geht auch Birger Lund. Er lernt die mondäne Marta kennen. Das furiose Ende der „Hindenburg“ trennt die Liebenden. Lund schlüpft in die Rolle des bei einem anderen Unfall in New York umgekommenen Journalisten Per Olsen, denn als Mitglied einer antifaschistischen Gruppe ist er weder in Nazi-Deutschland noch in den betont neutralen Vereinigten Staaten wohlgelitten. Fortan reist er unstet umher; die Katastrophe von Lakehurst lässt ihn nicht los. Zehn Jahre später findet er endlich die Kraft, sich seinen inneren Dämonen zu stellen – und Marta, die Liebe seines Lebens, wiederzusehen.

Gemeinsam decken Lund und Boysen die wahren Hintergründe des Desasters auf: Die Nazis waren es, die das Luftschiff, das weit mehr als ein reines Transportmittel war, sondern ein Symbol für die Verständigung zwischen den Völkern jener Länder, die es regelmäßig anflog, in die Luft sprengten. Im säbelrasselnden „Dritten Reich“ gab es keinen Platz für die friedlichen Riesen …

Ein Schiff in den Wolken

Manchmal wird die alte Binsenweisheit, nach der das Leben die besten Geschichten schreibt, mit Nachdruck bestätigt. Nach der Lektüre dieses Buches fragt man sich, wieso niemand früher auf die Idee gekommen ist, eine spannende Geschichte vor der Kulisse der deutschen Riesen-Luftschiffe zu erzählen. Natürlich trifft dies nicht zu, aber sicher ist, dass „Phönix aus Asche“ (trotz des ebenso melodramatischen wie nichtssagenden Titels) eine besondere Stellung unter den ‚Zeppelin-Romanen‘ einnimmt.

Zeppelin: Heutzutage fällt es schwer sich vorzustellen, dass einst Fahrzeuge, die so groß wie Passagierschiffe waren – die „Hindenburg“ maß gerade zwanzig Meter weniger als die „Titanic“ – am Himmel schwebten (oder „fuhren“, wie man korrekt sagt). Die Wirkung muss unglaublich gewesen sein; man kann sie ansatzweise nachempfinden, wenn man beobachtet, welches Aufsehen selbst die kleinen Luftschiffe erregen, die es in kleiner Zahl wieder gibt, wenn sie über einer Stadt auftauchen.

Trotz der Lakehurst-Katastrophe vom 6. Mai 1937, die selbst den historisch weniger bewanderten Zeitgenossen bekannt ist – die Katastrophe wurde zufällig gefilmt, und diese Aufnahmen sowie die von Entsetzen geschüttelte Stimme des Live-Reporters sind weltberühmt geworden – konnte es nicht ändern: Die Menschen lieben Luftschiffe, sie sind von ihnen fasziniert. Flugzeuge sind Massentransportmittel und werden als solche kaum beachtet oder – wenn eines abgestürzt ist – mit Misstrauen betrachtet.

Das Ende eines Traums

Luftschiffe wurden und werden dagegen mit den Luxus-Linern der Weltmeere gleichgesetzt. Die „Hindenburg“ war 245 Meter lang und glitt doch scheinbar schwere- sowie lautlos und wahrhaft majestätisch durch die Lüfte; ein Vorteil des Riesenrumpfes, der von Gas getragen wurde und die Motorkraft nur für den Vortrieb oder zum Abbremsen benötigte. Im Inneren verbarg sich eine auf ihre Art erstaunliche Technik sowie im Passagierbereich ein Kabinentrakt, dessen Luxus den Standards zeitgenössischer Grandhotels nicht nachstand. Aus solchem Stoff werden Legenden gewoben! (Wer mehr über die „Hindenburg“ erfahren möchte, sollte einen Blick in den von Rick Archbold verfassten und von Ken Marshall kongenial illustrierten Prachtband „Luftschiff Hindenburg und die große Zeit der Zeppeline“ werfen, der zumindest antiquarisch weiterhin erhältlich ist.)

Ihr dramatisches Ende verwandelte die „Hindenburg“ in einen Mythos. Wer weiß heute noch, dass es ein ebenso gigantisches Schwesternschiff – die „Graf Zeppelin II“ gab -, das nach 1937 problemfrei seinen Dienst versah? Es ist vergessen, während die „Hindenburg“ unsterblich wurde.

Was den Giganten zum Absturz brachte, konnte nie völlig geklärt werden. Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass die Regierung Nazi-Deutschlands – Hitler war kein Freund der Luftschiffe, die keinen militärischen Nutzen aufwiesen – die „Hindenburg“ sprengen ließen, um daraus wie nach dem Reichstagsbrand politisches Kapital zu schlagen. Stattdessen war eher der Sonnenschutz-Anstrich der Luftschiffhülle verantwortlich für das Unglück. Teile wurden später in den Labors der NASA untersucht. Wie man herausfand, hatte man fatalerweise einen Schutzlack verwendet, der keine elektrische Leitfähigkeit besaß. Die „Hindenburg“ flog Lakehurst an einem Gewittertag an. Dabei hatte sich die Hülle stark aufgeladen, was normalerweise kein Problem war, denn die Ladung – immerhin mehrere Tausend Volt – konnte über die Landeseile abfließen, sobald diese den Boden berührten. Am 6. Mai 1937 war die Spannung allerdings so hoch, dass sie sich unter Funkenbildung entlud; ein Zündimpuls für das mit Wasserstoff gefüllte Luftschiff.

Schnödes Unglück wird dramatisch (v)erklärt

Henning Boëtius verwirft verständlicherweise die recht prosaische Auflösung einer unglückseligen Verkettung physikalischer Umstände zugunsten eines finsteren und wesentlich effektvolleren Komplotts. Diese Möglichkeit wurde schon nach der Katastrophe 1937 diskutiert und von den US-Behörden untersucht, wobei dies nie durch Beweise belegt werden konnte. Die Kommission fällte ein neutrales Urteil: Unfall, genaue Ursache unbekannt: Der Absturz der „Hindenburg“ auf US-amerikanischem Territorium war ein arges Politikum; die Amerikaner konnten zudem eine gewisse Mitverantwortung nicht leugnen: Sie hielten das Monopol auf die Herstellung von Helium, eines Gases, das ebenso wie Wasserstoff ein Luftschiff schweben lässt, jedoch nicht entflammbar ist. Den Deutschen mochten die USA kein Helium liefern, und so musste die „Hindenburg“ mit der explosiven Alternative gefüllt werden.

Eine Verschwörung wirkt natürlich dramatischer. So war es bereits 1975 in dem aufwändigen und gar nicht üblen Spielfilm „The Hindenburg“ (dt. „Die Hindenburg“), dessen Handlung sich um die letzte Fahrt des Luftschiffs rankt und naturgemäß zahlreiche Parallelen zum Boëtius-Roman aufweist. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von B-Movies, die mehr oder weniger verschlüsselt die „Hindenburg“-Story aufgreifen. In Filmen wie „Indiana Jones and the Last Crusade“ (1989; dt. „Indiana Jones und der letzte Kreuzzug“, „The Rocketeer“ (1991; ‚dt.‘ „The Rocketeer“) oder „Sky Captain and the World of Tomorrow“ (USA 2004) spielen Szenen in imposanten Luftschiff-Kulissen.

Hinzu kommen gleich zwei ‚große‘ Liebesgeschichten, die genretypisch intensiv starten und aufgrund zeitgenössischer Unwägbarkeiten – der „Casablanca“-Effekt – scheinbar tragisch enden, um schließlich doch ein glückliches Ende zu finden, während das gigantische Luftschiff effektvoll zerplatzt: Solche emotionale Überlebensgröße muss man lieben oder wenigstens erträglich finden.

Die Last der Erinnerung

Boëtius’ Vertrautheit mit dem Thema beruht nicht allein auf sorgfältiger Recherche. Man mag es kaum glauben, doch als die „Hindenburg“ 1937 auf ihre verhängnisvolle letzte Reise ging, stand am Höhenruder als „elevatorman“ des Schriftstellers Vater – Eduard Boëtius (1910-2002), der dem Inferno glücklich entrann und mehr als sechs Jahrzehnte später zu den letzten Überlebenden der „Hindenburg“-Besatzung gehört. Als unmittelbarer Zeitzeuge waren seine Erinnerungen für den Sohn natürlich eine unschätzbare Quelle. Allerdings gab es Vorbehalte, diese auch anzuzapfen: Vater und Sohn Boëtius standen sich nicht besonders nahe. Erst die gemeinsame, sich über Jahre hinziehende Arbeit an „Phönix aus Asche“ konnte diese Kluft allmählich schließen.

Ein Roman als therapeutisches Instrument – so überspitzt formuliert lässt sich der vielleicht einzige echte Vorbehalt auf den Punkt bringen. Mit „Phönix aus Asche“ blättert Boëtius nicht nur eine Chronik des Luftschiffs „Hindenburg“ auf, sondern erzählt auch, wie seine Eltern, die im Roman als Edmund und Irene Boysen auftreten, sich kennen- und lieben lernten. Das hemmt manchmal den Erzählfluss, auch wenn sich Boëtius bemüht, besonders den Vater nicht als Helden zu verklären, sondern auch seine weniger angenehmen Seiten – die schroffe Persönlichkeit, die Mitläuferschaft in der NS-Zeit – einzubeziehen.

Die persönliche Nähe verführt oder zwingt vielleicht den Autor dazu, sich der Familiengeschichte hier und da allzu intensiv zu widmen. Darüber hinaus stellt die „Hindenburg“-Katastrophe sehr – oder zu? – deutlich ein Symbol dar: Die ohnehin kurze Phase des Friedens nach 1918 endet – zumal als feuriges Fanal – am Vorabend des nächsten Weltkriegs. Dies unterstreicht freilich die Vielschichtigkeit, schmälert aber das Vergnügen an diesem außergewöhnlichen Buch, das höchst erfolgreich in den sonst scheinbar den Autoren des angelsächsischen Raumes vorbehaltenen Gefilden des ‚historischen‘ Techno-Katastrophen-Thrillers wildert, dabei aber durch seine wesentlich sorgfältigere Figurenzeichnung auffällt.

Taschenbuch: 413 Seiten
http://www.randomhouse.de/btb

E-Book: 844 KB
ISBN-13: 978-3-89480-566-1
http://www.randomhouse.de/btb

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