Hera Lind – Die Hölle war der Preis

Gisa Stein, genannt Peasy, träumt von einer Karriere als Balletttänzerin. Und tatsächlich schafft sie es bis an die Staatsoper und tanzt große Hauptrollen. Doch dann wird sie immer weiter degradiert – weil sie mit ihren Ansichten nicht in das System der DDR passt und nicht bereit ist, ihre Freunde und Bekannten zu bespitzeln. Ihr Mann Edgar steht zu ihr und beschließt, mit Peasy zusammen in die BRD zu fliehen. Im Januar 1974 steigen die beiden zu einem Unbekannten ins Auto, der sie an den Treffpunkt bringt. Dort warten sie über Stunden in der Kälte, bis endlich ein weiterer Mann kommt, der die beiden in seinem Kofferraum über die Grenze schmuggeln soll. Doch dann werden sie kontrolliert und im Auto entdeckt.

Nun beginnt für beide eine jahrelange Hölle, denn sie werden zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt, die Peasy im DDR-Gefängnis Hoheneck verbringt. Dort wird sie Tag für Tag aufs Schlimmste gequält, bis sie fast die Hoffnung verliert…

Gescheiterte Flucht

Hera Lind erzählt in ihrem neuesten Tatsachenroman die Geschichte von Peasy, die über 40 Jahre gebraucht hat, um über diese Geschehnisse zu berichten. Schon als Kind erlebt sie die Härte des DDR-Systems am eigenen Leib, als sie mit ihrer Familie nur wenige Wochen nach dem Einzug in ihr Traumhaus wieder ausziehen muss. Daran zerbricht später auch ihr Vater, der nach dem dritten Herzinfarkt verstirbt. Später erlebt auch Peasy, wie sie in der Oper immer weiter degradiert wird – von der Primaballerina zur Ensembletänzerin bis zur Näherin für Ballettschuhe. Sie verliert jegliche Hoffnung, in der DDR noch ihren Traum verwirklichen zu können. Als dann Edgars bester Freundin die Flucht in die BRD gelingt, reift auch in Peasy und Edgar der Gedanke, es ihr gleich zu tun.

Die eigentliche Geschichte beginnt allerdings erst nach der gescheiterten Flucht, als Peasy im Gefängnis landet und dort erleben muss, wie die Wärterinnen die Gefangenen den ganzen Tag quälen: Mit 40 Frauen eingepfercht in einer Zelle, die für weniger als die Hälfte der Frauen gedacht ist, mit zu wenig Essen, zu viel Arbeit und zu wenig Schlaf zehrt Peasy immer mehr aus. Dazu kommt die Hoffnungslosigkeit, weil sie nichts von Edgar hört. Die Befragungen ziehen sich über viele, viele Stunden, in denen Peasy völlig übermüdet und entkräftet ist, aber trotzdem nicht aufgibt. Sie verrät nichts und steht auch weiter zu dem, was sie getan hat. Dafür muss sie mit der vollen Härte des Systems büßen.

Was sie im Gefängnis erleben muss, lässt einen immer wieder schlucken. Bei den Beschreibungen von Frauen, die im Keller des Gefängnisses nackt in der Kälte und in knöchelhohem Wasser stehen, weil sie bestraft werden sollen, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Auch Peasy hatte ja gar nichts anderes vom Leben gewollt als zu tanzen. Doch wurde ihr das nicht zugestanden. Jahrelang musste sie für die Möglichkeit des Tanztrainings hart arbeiten, um ihren Beitrag zum Aufbau des Systems zu leisten. Aber gedankt wurde es ihr nicht.

Je weiter die Geschichte fortschreitet, umso mehr Hoffnungslosigkeit macht sich breit und umso mehr muss man fürchten, dass Peasy diese Härte nicht übersteht. Sie magert ab und bekommt immer größere Herzprobleme. Es sind wirklich unvorstellbare Qualen, die Peasy erdulden muss – die „politischen“ Insassen werden im Gefängnis sogar mehr gequält als die Schwerkriminellen, die wegen Mord einsitzen.

Ein unvorstellbares Schicksal

Als ich selbst noch Kind war, öffnete sich die Grenze zwischen DDR und BRD. Diesen Teil der Geschichte habe ich selbst hautnah miterlebt, auch wenn ich die Tragweite dessen nicht wirklich verstanden habe. Später im Geschichtsunterricht habe ich noch einiges über die DDR gelernt. Aber was es zu bedeuten hatte, wenn man ins Visier der Stasi-Spitzel gerät, das erzählt Hera Lind in diesem Roman. Selbst im Gefängnis fasst Peasy nur schwer Vertrauen zu anderen Frauen, denn nie kann sie sich sicher sein, ob das Mitgefühl echt ist oder ob die anderen Frauen sie womöglich weiter bespitzeln.

Peasys Leben ist geprägt von Misstrauen und Verzweiflung, Unterdrückung und Einschränkungen. Sie macht einen Schritt vor und zwei zurück, ohne dass sie sich eigentlich etwas hat zuschulden kommen lassen. Hera Lind schafft es vom ersten Kapitel an, ihre Figuren so zu zeichnen, dass man mit ihnen mitleidet – und zu leiden gibt es genug. So konnte ich das Buch zwar kaum zur Seite legen, weil es mich so in den Bann gezogen hat, aber eine leichte Lektüre ist es definitiv nicht.

Mich hat Peasys Schicksal tief bewegt und nachdenklich gestimmt. Das Buch wirkt definitiv nach.

Taschenbuch: 448 Seiten
ISBN-13: 978-3453360761
Diana Verlag

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