Hera Lind – Mit dem Rücken zur Wand

Sara steht mit dem Rücken zur Wand: Sie hat ein kleines Kind und ist mit dem zweiten schwanger, als ihr Mann tödlich verunglückt. Gleichzeitig hat sie Schulden, da ihr Mann und sie mit einem gemeinsamen Restaurant gescheitert sind. Da kommt es einem Glücksfall gleich, als ihre Oma ihr ein Haus vererbt – würde dieses nicht genau neben Saras Elternhaus stehen, in dem immer noch ihr Vater wohnt.

Saras Vater ist gewalttätig und hat sowohl Sarah als auch ihre Mutter jahrelang drangsaliert und geschlagen. Eines Tages hat Sara ihre blauen Flecken und Verletzungen einer Schulfreundin gezeigt. Daraufhin haben der Klassenlehrer und der Hausarzt dafür gesorgt, dass Sara ins Heim kommt – fort von ihrem brutalen Vater.

Sie ahnt, dass die Nachbarschaft nicht gut gehen wird. Dennoch macht sie zunächst einen Versuch und geht auf ihren Vater zu. Doch schon wieder beginnt er damit, sie zu beleidigen. Dies tut er in der Hoffnung, dass sie sich verteidigt und er daraufhin weiter draufhauen kann – im wahrsten Sinne des Wortes. Sara versucht, ihrem Vater aus dem Weg zu gehen. Doch eines Tages kommt es zum Eklat: Sie weist ihn darauf hin, dass er Dachziegeln gestohlen hat, woraufhin er sie so hart mit der Faust ins Gesicht schlägt, dass sich einige Zähne lockern und Sara große Verletzungen im Kiefer davon trägt.

Fortan reift der Plan, es ihrem Vater heimzuzahlen: Er müsste auch einmal so geschlagen und gedemütigt werden. Sara weiß auch schon, wer ihr bei diesem Plan helfen könnte. Doch dann geht alles furchtbar schief…

Es ist erst vorbei, wenn du dich wehrst

Schon seit einigen Jahren konzentriert sich die Erfolgsautorin Hera Lind auf Tatsachenromane, mit denen sie regelmäßig in den Bestsellerlisten landet. Schon einige ihrer Tatsachenromane habe ich gelesen, und immer wieder lief es mir dabei eiskalt den Rücken hinunter angesichts der Schicksale, die Hera Lind einem in ihrer Romanhandlung näher bringt.

Im vorliegenden Buch geht es um Gewalt in der Familie und einen Vater, der seine Frau und Tochter immer wieder beleidigt, quält und körperlich misshandelt. Sara war immer wieder das Opfer und musste hilflos mit ansehen, wie ihr Vater regelmäßig ihre Mutter schlug, bis diese blutend am Boden lag. Später wird sie selbst das Opfer. Als sie fürchten muss, dass womöglich ihre Kinder die nächsten sind, die unter den Wutanfällen ihres Vaters leiden müssen, keimt der Gedanke in ihr, sich zu wehren.

Als Leser kann man diesen Wunsch ohne Frage nachvollziehen. Welche Qualen Sara erlebt, ist einfach nur erschreckend. Völlig unverständlich bleibt es, warum die Polizei Saras Anzeige gegen ihren Vater als „lästig“ empfindet. Sie ist nicht nur sichtbar geschlagen worden, sondern hat auch die ärztliche Bestätigung für die körperliche Gewalt. Aber ihr Vater antwortet mit einer Gegenanzeige und behauptet, Sara habe ihn mit einem Gegenstand angegriffen. Sara ist sprachlos und hilflos.

Die Geschichte reißt einen dermaßen mit, dass man nur so durch das Buch fliegt, um Saras ganze Geschichte zu erfahren. Die Qualen durch ihren Vater tun einem selbst körperlich weh. Allerdings fragt man sich immer wieder: Warum verkauft sie das Haus nicht und zieht einfach weg? Sie müsste ja nicht gleich in eine andere Stadt ziehen und könnte ihr Kinder im gewohnten Umfeld belassen. Aber nicht mit dem Vater auf einem gemeinsamen Grundstück?!

So sehr man also Saras Verzweiflung nachvollziehen kann, so wenig versteht man doch, warum sie ihrem Vater nicht aus dem Weg geht und das Haus verkauft. Sie hat ja selbst keine persönlichen Erinnerungen an das Haus ihrer Großmutter. Sie hätte dem Konflikt doch besser ausweichen können.

Auch das Verhalten von Saras Lebensgefährten Daniel bleibt mir vollkommen unverständlich. Er scheint rein aus Bequemlichkeit bei ihr zu wohnen und beim kleinsten Konflikt zu seiner Mutter zu flüchten. Für einen erwachsenen Mann hat er keinerlei Format – warum also nimmt sie ihn immer wieder bei sich auf? Kommt sie auch hier nie aus ihrer Opferrolle raus?

Zwei Geschichten in einer

Hera Lind rollt Saras Geschichte nach und nach auf: Immer wieder springen wir in Saras Vergangenheit zurück, um zu erfahren, was sie alles als Kind schon erlitten hat. Aber dann bekommt natürlich auch die Gegenwart viel Raum, um zu verstehen, was aus ihrem Vater geworden ist und wie er sich gegenüber seiner erwachsenen Tochter verhält.

Erst nach und nach kommen wir dem Punkt näher, an dem Sara sich dann das erste Mal gegen ihren Vater zur Wehr setzt. Was ja bekanntlich schief geht, denn schon in der ersten Szene begegnen wir Sara während der Gerichtsverhandlung nach der schweren Körperverletzung an ihrem Vater. Was also ist vorgefallen? Wie konnte dieser „Racheplan“ dermaßen aus dem Ruder laufen? Und kommt Sara davon? Welche Schuld trägt sie überhaupt?

Das Buch reißt einen komplett mit und nimmt einen vollkommen gefangen. Ich habe es im Rekordtempo durchgelesen, weil ich so fasziniert von der Geschichte war. Aufgrund der kleineren Fragezeichen und auch im Vergleich zu anderen Tatsachenromanen von Hera Lind, die ich in letzter Zeit gelesen habe, gibt es dennoch „nur“ vier Sterne, aber eine klare Leseempfehlung.

Taschenbuch: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3453292291
Diana Verlag

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