Hesemann, Michael – Hitlers Religion

Der frühere „Magazin 2000“-Herausgeber lebt mittlerweile ausschließlich von seinen vielen Sachbüchern, die meist Bestseller-Status haben. In seinem aktuellsten Buch beschäftigt er sich mit den spirituellen und okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. Obwohl unter Historikern nach wie vor eher Tabu, gibt es dennoch bereits eine ganze Anzahl solcher Studien. Zunächst erhält man beim Lesen auch den Eindruck, dass sich Hesemanns Werk nicht so sehr von den bisherigen Veröffentlichungen unterscheidet. Auch stellt sich anfangs die Frage, wie seriös seine Untersuchungen zu nehmen sind, da er sich im groben an „Hitlers Tischgesprächen“ von Hermann Rauschning orientiert, deren Wahrheitsgehalt bekannterweise sehr angezweifelt wird. Was er dann allerdings auf dieser Grundlage und zudem an der – wenn auch sehr dezimierten – Bibliothek Hitlers rekonstruiert, ist eine große Leistung, die anders daherkommt als die Versuche seiner Vorgänger. Tatsächlich reiht er sich damit ein in die Reihe der großen wichtigen Hitlerbiografen wie Joachim C. Fest, John Toland und Ian Kershaw und ergänzt auch die profunden Studien Werner Masers oder Guido Knopps. Hesemann kann recht überzeugend darlegen, dass Hitlers Nationalsozialismus durchaus eine ernstzunehmende Religion darstellte und nicht – wie bislang – einfach unter reinen politischen Gesichtspunkten gesehen werden darf. Diese These ist gesellschaftlich ungeheuer provokant, aber die vorliegende Studie ergibt Sinn und erscheint recht überzeugend.

Hitler war zeitlebens Katholik und deswegen werden von Historikern die immer genannten Verflechtungen zum heidnisch-völkischen Germanentum und zu den okkulten Bewegungen als nicht haltbar bezeichnet, da unter der Nazi-Herrschaft diese verboten und verfolgt wurden. Aufgrund seiner umfangreichen Recherchen bietet Hesemann allerdings ein detailliertes Bild all dieser damaligen Strömungen und zeigt auf, welche Wechselwirkungen es zwischen Hitler und anderen Nazi-Größen in der Auseinandersetzung mit Führern dieser Bewegungen tatsächlich gab. Nicht anders als ebenso bei den Kirchen wurden diese zeitweise unterstützt, zeitweise abgelehnt und bekämpft. Das Nazi-Regime war mit ständigem Taktieren verschiedenster Positionen befasst und zeichnete sich vor allem durch die Brutalität aus, mit welcher einstige Bündnispartner ausgemerzt wurden – je nach Situation und scheinbarer Notwendigkeit. In der Einschätzung der Bewegung Hitlers machten auch fast alle völkischen und okkulten Lager einen groben Fehler, indem sie in den Anfängen Hitler unterstützten und tatsächlich einen prophezeiten Messias zu erkennen glaubten. Entgegen der Darstellung der gegenwärtigen Antifaschisten und Linken wird dabei aber auch genauso klar, dass all die völkischen Bewegungen und okkulten Gruppierungen – zusammengefasst unter Lebensreformbewegung – natürlich nicht pauschal als faschistische Wurzel und Wegbereiter betrachtet werden können. Dennoch bewegten sich die Nazis in ihrer Anfangszeit in all diesen Kreisen und Hitler sah sich natürlich als Führer in der Rolle eines Wotanspriesters und benutzte auch seinen Vornamen Adolf entsprechend als „Adewolf“ (der edle Wolf), was sich auch in den Namen seiner Hauptquartiere widerspiegelte (Wolfsschanze, Wolfsschlucht, Wolfsburg). Hitler ersetzte alle christlichen Feiertage mit naturreligiösen Entsprechungen.

Der Leser dieser „esoterischen“ Hitler-Biografie erhält einen sehr umfangreichen Einblick in die Geschichte der relevanten geisteswissenschaftlichen und spirituellen Strömungen des letzten Jahrhunderts und kann aufgrund der Neutralität und Objektivität, die Hesemann wahrt (im Gegensatz zu bisherigen Historikern, welche sich allesamt parteiisch positionierten), auf spannende Weise verfolgen, wie sich vieles, das auch immer noch positiv erscheint, in diese furchtbare, monströse, menschenfeindliche Diktatur entwickeln konnte. Selbst der Antisemitismus war ursprünglich ja nicht mit diesem schrecklichen Ausgang geplant, selbst Hitler schreckte davor zurück, die Brutalität des christlichen Mittelalters und der damals schon vorhandenen Judenfeindlichkeit zu wiederholen. Obwohl er offiziell – trotz Unterschiedlichkeiten – gegenüber den Kirchen immer Christ blieb und der Vatikan ihm dies auch – ebenso zwar mit Misstrauen – im Grunde glaubte, weist Hesemann nach, dass die Nazis die Politik („erst die einen, danach die anderen“) verfolgten und dass nach erfolgreicher Judenvernichtung in gleicher Weise die Vernichtung der Christen geplant war. Das Buch endet mit dem bekannten – in der Welt immer noch beispiellosen – Schrecken der Gaskammern, der letztlich auch zum Zusammenbruch des Nazi-Regimes führte. Ohne diese Bestialität wäre der 2. Weltkrieg vielleicht ganz anders ausgegangen und Deutschland hätte seine Kriege gewinnen können. Aber mit diesem gewaltigen Völkergenozid hatte sich Nazi-Deutschland endgültig isoliert, und keine Macht der Welt stand am Ende noch auf seiner Seite.

Hesemann hat mit dieser Biografie sein bislang wichtigstes und bedeutendstes Werk vorgelegt, mit dem er auf lange Zeit ein Standardwerk geschaffen haben dürfte, dem sicherlich noch intensivere und detailliertere Forschungsarbeiten anderer Autoren folgen werden. Auch in aktueller politischer Hinsicht ergibt es durchaus Sinn, sich mit diesem Buch zu beschäftigen. Denn ähnlich wie der fanatisierte islamische Fundamentalismus einen „Heiligen Krieg“ führt, verfolgten auch die Nazis eine heilsgeschichtliche Mission. Und nicht von ungefähr ist Hitler ein Idol der Radikal-Islamisten.

Ergänzende Literatur zu den okkulten Wurzeln des Dritten Reiches:
[Das schwarze Reich 179 von E. R. Carmin.