John C. Higgins – Ein Fisch geht ins Netz

Um ein erpresstes Lösegeld zurückzuerlangen, setzt das FBI den festgesetzten Kidnapper zu üblen Strolchen in die Gefängniszelle. Als den Insassen ein Ausbruch gelingt, scheint das Gesetz das Nachsehen zu haben … – Aber keine Sorge, denn in diesem systemkonservativen „Law-&-Order“-Krimi bekommt jeder Strolch, was ihm zusteht: eine Kugel in den Leib oder die Todesstrafe. Trotz (oder wegen?) der brutalen Schwarz-Weiß-Zeichnung schreibt Higgins spannend und schnell: ein Krimi als Erinnerung an einen sehr speziellen Zeitgeist.

Das geschieht:

Der unverbesserliche Kriminelle Jerry Barker hat in Erfahrung gebracht, dass Millionär Lambert seinen einzigen Sohn Danny ins Montain-Rangers-Ferienlager geschickt hat. In den Bergen des US-Staates Colorado soll der asthmakranke Junge sich erholen. Barker lauert ihm auf und verschleppt ihn in einen alten Feuerwachtturm tief in der Wildnis. Dann fordert er vom Vater ein Lösegeld von 200.000 Dollar. Dies kassiert er, obwohl Danny bei einem Fluchtversuch tödlich abstürzt. Kurz darauf wird Barker gefasst. Da die Leiche seines Opfers verschwunden bleibt, kann er nur zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt werden. Die will er absitzen und anschließend das vergrabene Lösegeld holen.

Barker landet auf Cascabel Island, einer Gefängnisinsel nach dem Vorbild des berüchtigten Alcatraz. Damit es ihm dort möglichst unbequem wird und er Entführung und Lösegeldbesitz gesteht, setzt ihn FBI-Agent Jim Madden zu vier besonders üblen Mördern und Schlägern in eine Zelle. Sie hassen Kidnapper und setzen Barker mächtig zu, aber dieser lässt sich nicht einschüchtern. Stattdessen sieht er sich in einen schon lange eingefädelten Ausbruchsplan verwickelt. Rollo Lamar, der Anführer der Zellengruppe, erweitert ihn nun um ein wichtiges Detail: Sollte die Flucht gelingen, könnte Bargeld den Gangstern sehr hilfreich sein.

Lamar weiß, dass Barker irgendwo 200.000 Dollar versteckt hat. Er stellt ihn vor die Alternative zu sterben oder mit den vier Sträflingen zu flüchten. Barker willigt ein, den Ausbruch zu unterstützen. Natürlich weiß er, dass sein Leben verwirkt ist, sobald das Geld geborgen wurde, aber es ist ein langer Weg bis zum Versteck, auf dem Jerry Barker sicherlich eine Möglichkeit finden wird, seinen Peinigern sowie dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen …

In der Kürze liegt die Würze

Wenig mehr als eine Stunde dauerte in den 1930er bis 50er Jahren ein typisches B-Movie. Möglichst billig produziert, wurde es dem Hauptfilm vorausgeschickt, um das Publikum in Stimmung zu bringen, das zudem zwei Filme für eine Eintrittskarte geboten bekam. Weil Zeit und Geld knapp waren, verzichtete die Handlung auf Haken und Ösen. Geradlinig und schnörkellos ging es zur Sache. Gerade deshalb entstanden Filme, die wesentlich besser alterten als viele Großproduktionen: Eine straff erzählte Geschichte funktioniert auch nach vielen Jahren hervorragend. Im Kino oder heute vor dem Bildschirm verzeiht man diesen B-Movies deshalb manche Sünde, weil sie in turbulenter Unterhaltung verschwindet. Gedruckt funktioniert dies weniger gut. Manche zeitgenössische Schandtat wird deutlicher bewahrt, als es selbst ihrem Verursacher lieb sein kann.

John C. Higgins schrieb das Drehbuch zum Thriller „Big House, U.S.A.“, B-Movie-Routinier Howard W. Koch (1916-2001) verfilmte es 1955. Das Drehbuch diente außerdem als Vorlage zu einem „Roman zum Film“ um. Ein Buch entstand, das ähnlich rau und (unfreiwillig) ehrlich ausfiel wie der Film, den Koch genretypisch möglichst knallig inszenierte: Gut gegen Böse, weiß gegen schwarz. Zwischentöne gibt es nicht, und nie darf das Handlungstempo abflauen.

Zumindest mit dieser Prämisse freundet sich auch der heutige Leser gern an. „Ein Fisch geht ins Netz“ – für den blödsinnigen deutschen Titel ist der Verfasser nicht verantwortlich – ist Unterhaltung pur. Jegliche literarischen Ansätze fehlen, die Story steht im Vordergrund. Higgins rührt zusammen, was Spannung verspricht: richtig böse Gauner, ein finsteres Gefängnis, ein riskanter Ausbruch, dazu Verfolgungsjagden, Schießereien und selbstverständlich eine schöne und damit verdächtige Frau.

Trotz oder gerade wegen solcher Klischees unterhält „Ein Fisch geht ins Netz“ besser als erwartet. Auch die Darstellung der Schauplätze beschränkt sich auf das Nötige; solche erzählerische Ökonomie wünscht man vielen modernen Krimi-Autoren! Nie geht es zimperlich zur Sache; da verkocht schon einmal ein Pechvogel in einem riesigen Heizkessel, ein kleiner Junge stürzt von einem hohen Turm in den Tod, oder eine Leiche wird per Lötlampe unkenntlich gemacht.

Gut und böse, FBI gegen Gauner & Kommunisten

Lange fügt sich die Figurenzeichnung angemessen simpel ins Geschehen, doch dann folgt das Kapitel 19, das es in sich hat: Die Charaktere werden hinterfragt bzw. gewogen und bewertet. Hier wird es hässlich, denn der reine Unterhaltungsroman dient nun als Transportmittel für Kritik an (angeblichen) realen Missständen, zu denen – man lese und staune – auch das Bemühen um die Rehabilitation gezählt wird. Dem Verbrecher Barker werden vom Verfasser entsprechende Aussagen in den Mund gelegt. Er muss sich abfällig über jene äußern, die Kriminelle nicht einfach einsperren, sondern ‚bessern‘ wollen: „Rehabilitierung nannten sie das, aber es war nur eine Menge Quatsch, um all den Psychiatern und Ärzten und Sozialfürsorgern und allen Phrasendreschern Arbeit zu geben …Wenn ein Mann schon mal eine Sache außerhalb des Gesetzes drehte und gefangen wurde, na schön, dann sperrte man ihn ein, okay!“ (S. 61/62)

Ohnehin hätten die Polizei und vor allem Madden bzw. das FBI Wichtigeres zu tun, als notorische Kriminelle zu jagen, denn „natürlich gab es immer noch zu viele einheimische Kommunisten, die frei waren, sich ihres Lebens freuten und denen es wohlerging, die aber beständig wühlten, Amerikas Ordnung unterminierten und die USA an einen neuen Attila in Moskau übergeben wollten. Die Hunnen und Mongolen Asiens befanden sich ja wieder einmal auf einem Eroberungszug, um die westliche Welt zu zerstören und ihre Bevölkerung zu Sklaven zu machen“ (S. 65/66). Diese Sätze muss man heute zweimal lesen, um glauben zu können, dass solcher hetzerischer Unfug einst verbreitet werden durfte, zumal diese Passage völlig unvermittelt auftaucht und mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat: „Big House, U.S.A.“ entstand in der Hochzeit des Kalten Krieges, in dem Opportunisten gern die Gelegenheit nutzten, sich demonstrativ und moralisierend auf die ‚richtige‘ Seite zu schlagen.

Unter den Umtrieben von Gangstern und Kommunisten leidet natürlich vor allem ein wirklich redlicher US-Amerikaner wie Agent Madden: „Immer seltener fand Madden etwas Zeit für seine beiden Jungen Butch und Timmy, und seine Frau beschwor ihn, mehr zu schlafen. Was den kleinen Garten betraf, den er an den Sonntagen rund um ihr neues kleines Heim … hatte anlegen wollen, so musste der noch einige Zeit warten.“ (S. 66) Schmerzt jedem guten Menschen nicht das Herz angesichts Verzichts auf das bescheidene, private Glück? Agent Madden setzt sogar noch eines darauf: „Dabei war es nicht einmal so, dass Madden den Eiskalten rachsüchtig verfolgte. Seine Ausbildung schloss das aus. Er verachtete den Burschen natürlich, aber ansonsten blieb Barker für ihn ein durchaus menschliches Untersuchungs- und Forschungsobjekt.“ (S. 66) Wer wäre nicht bereit, einen solchen Heiligen zu unterstützen und seine Mitmenschen zukünftig aufmerksam zu mustern, um potenzielles Lumpenpack vorzusortieren?

„Zeitgeist“ nennt man solche Erscheinungen oder Auswüchse. Solchen Schutt gilt es in Kauf zu nehmen, möchte man die dazwischen aufscheinende Unterhaltung genießen. „Ein Fisch geht ins Netz“ ist ein seltsames, wohl nicht grundlos vergessenes Werk. Doch gerade die rüde Offenheit kann fesseln.

Ein seltsamer Weg zur Veröffentlichung

Selbst intensive Nachforschungen fördern keinen Beleg für eine US-Veröffentlichung von „Ein Fisch geht ins Netz“ zutage. Deshalb ist es möglich, dass John C. Higgins entweder nur in Deutschland einen Verleger für sein Werk fand bzw. er dieses Buch zum Film selbst gar nicht geschrieben hat, d. h. ein (ungenannt bleibender) deutscher Söldner-Autor es unter seinem Namen verfasste. Dafür spricht auch die Lücke zwischen deutscher Filmpremiere – die im März 1956 unter dem Titel „Blutgeld“ stattfand – und diesem Buch, das erst neun Jahre später veröffentlicht wurde, was wenig sinnvoll scheint. Die Informationen sind vorerst jedoch zu aussageschwach, um das Rätsel lösen zu können.

Autor

John C. Higgins wurde am 28. April 1908 im kanadischen Winnipeg geboren. In den 1930er Jahren ging er als nach Hollywood. Ab 1935 entstanden 36 verfilmte Drehbücher. Primär schrieb Higgins Krimis, so die Vorlage zum James-Stewart-Thriller „Murder Man“ (1935; dt. „Der elektrische Stuhl“). Nach dem II. Weltkrieg erweiterte Higgins seine Themenpalette. Weiterhin lieferte er Krimi-Drehbücher (u. a. für Anthony Manns „He Walked by Night“; dt. „Schritte in der Nacht“), schrieb aber auch Horror- („Black Sheep“, 1956) und SF-Filme („Robinson Crusoe on Mars“, 1964, dt. „Notlandung im Weltraum“). Higgins‘ letztes Drehbuch wurde 1972 verfilmt. Er starb am 2. Juli 1995 in Los Angeles.

Taschenbuch: 158 Seiten
Originalausgabe: Big House, U.S.A.
Übersetzung: Jutta Leder
http://www.randomhouse.de/heyne

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