Reginald Hill – Die rätselhaften Worte

Das geschieht:

Mid-Yorkshire in der gleichnamigen englischen Grafschaft zum Schau- und Spielplatz des bizarren und in Serie mordenden „Wordman“. So nennen die Journalisten mit der für ihre Spezies typischen Begeisterung jenen offenbar geistesgestörten aber wohl organisierten Unhold, der damit beginnt, die örtliche Prominenz nach einem seltsamen Schema auszurotten. Zunächst bringt niemand den ersten „Dialog“ mit dem ungeklärten Tod eines Handwerkers in Verbindung, der offenbar einem Unfall zum Opfer gefallen ist. Der Text liegt in einem prall gefüllten Postsack, der in der Mid-Yorkshire-Stadtbibliothek eintrifft. Dort hat man die einheimischen Freizeit- und Nachwuchs-Literaten aufgefordert, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Gesucht wird die beste Kurzgeschichte, und das hat den Wordman auf den Plan gerufen.

Erst Mord Nr. 2 ruft Detektiv Superintendent Andrew Dalziel, Chief Inspector Peter Pascoe und Sergeant Edgar Wield vom Mid-Yorkshire Criminal Investigation Departments auf den Plan: Jax Ripley, Nachrichtenredakteurin eines regionalen Senders, wird zur Hauptperson seines zweiten „Dialoges“, was für die ehrgeizige Frau das Todesurteil bedeutet.

Leider ist die Kreis der Verdächtigen groß. Mid-Yorkshire entpuppt sich als Hort eifriger Wortliebhaber und Schriftsteller. Die Kulturszene ist klein aber keineswegs friedlich, wie Pascoe verblüfft feststellt. Lieber würde er ohnehin seinen alten Feind Franny Roote als Wordman entlarven. Leider muss er ihn mit Samthandschuhen anfassen, was Roote sehr genau weiß und nutzt, um Pascoe bis zur Weißglut zu reizen.

Während die Ermittlungen trotz interessanter Erkenntnisse über manchen nur vorgeblich braven Bürger Mid-Yorkshires auf der Stelle treten, bleibt der Wordman fleißig. Weitere „Dialoge“ gehen ein, denen zuverlässig Morde folgen. Diese werden immer spektakulärer, der Wordman immer dreister, da er sich inzwischen der Polizei überlegen und den irdischen Gesetzen enthoben fühlt. Der Wahnsinn treibt ihn zum Äußersten, und ihm bleibt genug Scharfsinn, sein Schreckensregiment auf eine ganz neue Ebene zu heben …

Idyll mit dornigem Unterholz

Zum 18. Mal stürzen sich Peter Pascoe, der unvergleichliche Andy Dalziel und der unerschütterliche Sergeant Wield in ein neues kriminalistisches Abenteuer. Wie eigentlich immer gelingt Reginald Hill ein einmaliger Thriller, dessen Qualität einmal mehr wundern macht, wieso dieser Autor hierzulande so lange auf Geheimtipp-Level herumdümpeln musste.

Vielleicht sind Hills Romane zu schräg? Zwar neigt auch Peter Pascoe zur skandinavisch anmutenden Melancholie, aber ihm steht der Vorgesetzte und Freund Dalziel zur Seite, der jeden Schatten lautstark, ordinär und witzig zu vertreiben versteht. Einen Falstaff habe ich ihn in einer früheren Besprechung genannt; keine Ahnung, ob mir das zuerst eingefallen ist; es würde mich wundern, weil es so vorzüglich passt. Trotzdem ist Andy Dalziel nicht die Witzfigur, als die er sich oft (und trügerisch) gibt, sondern weist Charaktertiefe und Tragik auf. Hill ist zu klug, um dies allzu aufdringlich in den Mittelpunkt zu rücken oder gar die Handlung ersetzen zu lassen, was dem Leser viel zu oft die Freude an einem an sich guten = spannenden Kriminalroman vergällt.

Während die Konkurrenz weiterhin beliebte Polizei- oder Detektiv-Serien durch immer gleiche Wendungen und Figurenzeichnungen auslaugt, beackert Hill wacker neue Felder. Wurde beispielsweise Fall 16 („Das Dorf der verschwundenen Kinder“) von gotischem Horror geprägt, war Fall 17 („Das Haus an der Klippe“) ein Polit-Thriller. Nun also – und recht spät – versucht sich Hill auf dem Serienmord-Sektor. Er wäre freilich nicht der originelle und eigensinnige Autor, den man so schätzt, wenn er nicht erneut eigene Wege ginge: „Die rätselhaften Worte“ ist auch ein „Whodunit“ reinsten Wassers: ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Polizei und Übertäter als Rätsel- und Vexierspiel.

Die feine britische Art

Hochgradig irre aber scheinbar übermenschlich schlaue Serienmörder hat es seit dem „Schweigen der Lämmer“ (allzu) viele gegeben. Der „Wordman“ reiht sich einerseits nahtlos in diese Galerie ein. Andererseits kreuzt Hill das inzwischen abgegriffene Killer-Treiben mit dem klassischen Rätsel-Krimi des „Goldenen Zeitalters“, das im angelsächsischen Sprachraum bis zum Zweiten Weltkrieg währte. Unglaublich verwickelte Plots zum Mitraten prägten es, wobei Autoren wie Ellery Queen, Agatha Christie, S. S. van Dine oder John Dickson Carr sich hervortaten.

Obwohl Mord auf Mord folgt, geschieht eigentlich nicht viel – auch das ein Markenzeichen des klassischen Vorbilds. Stattdessen wird (sehr) viel geredet. Im Mittelteil hängt die Handlung daher manchmal ein bisschen durch. Aber dann merkt der Leser, dass sich hier Puzzleteile zu einem Gesamtbild zu fügen beginnen.

Hill ist außerdem ein (gut übersetzter) Meister des Dialogs. Ein Feuerwerk witziger Wortspiele brennt er besonders dann ab, wenn Dalziel auf der Bildfläche erscheint. Dies geschieht maßvoll; wohl dosiert, könnte man sagen, denn der dicke Andy ist Hills Katalysator: Kommt er zum Einsatz, gibt es in der Regel eine unvorhersehbare Reaktion. Verdächtige plaudern, Vorgesetzte geben nach, Reporter vergessen nachzufragen – Dalziel schwebt allgegenwärtig über der Szene, selbst wenn er nicht körperlich anwesend ist.

Gewagtes Ende der besonderen Art

Das übliche Team der Detektive hat Hill wiederum leicht variiert. Nachdem Shirley Novello, die noch recht Neue, in „Das Haus an der Klippe“ eine Schussverletzung davontrug, ersetzt sie nun der noch jüngere aber umso eifrigere Constable Ethelbert „Bowler“ Hat. Er sorgt für den nötigen frischen Wind in Mid-Yorkshire und wird uns sicherlich wieder begegnen – womöglich in recht tragischer Rolle, denn Hill gelingt das seltene Kunststück, sein Werk mit einem echten Knalleffekt enden zu lassen.

Nicht so sehr die Auflösung als solche verblüfft, sondern die Art und Weise, wie der Verfasser sie präsentiert: Wieder bricht Hill die Regeln des Genres. Erlebten wir schon Pascoe und Dalziel in einer früheren Inkarnation als Äneas und Odysseus, wird der „Wordman“-Fall dieses Mal von den Opfern gelöst, deren Geister sich im Jenseits treffen, um das Puzzle endgültig zusammenzusetzen. Das ist so elegant wie ironisch und fügt sich nahtlos in das bisher so realistische Geschehen. Zu allem erfreulichen Überfluss gelingt Hill ein Cliffhanger der Sonderklasse, der zusätzlich neugierig macht, wie der Verfasser seine grandiose Serie fortsetzen wird!

Autor

Reginald Hill wurde 1936 in Hartlepool im Nordosten Englands geboren. Drei Jahre später zog die Familie nach Cumbria, wo Reginald seine gesamte Kindheit verbrachte. Später studierte er an der University of Oxford und arbeitete bis 1980 als Lehrer in Yorkshire, wo er auch seine beliebte Reihe um die beiden Polizisten Andrew Dalziel und Peter Pascoe ansiedelte.

Deren Abenteuer stellen nur eine Hälfte von Hills Werk dar. Der Schriftsteller war fleißig und hat insgesamt mehr als 40 Bücher verfasst: nicht nur Krimis, sondern auch Historienromane und sogar Science Fiction. Einige Thriller erschienen unter den Pseudonymen Dick Morland, Charles Underhill und Patrick Ruell.

Erstaunlich ist das trotz solcher Produktivität über die Jahrzehnte gehaltene Qualitätsniveau. Dies schlug sich u. a. in einer wahren Flut von Preisen nieder. Für „Bones and Silence“ (dt. „Die dunkle Lady meint es ernst“ bzw. „Mord auf Widerruf“) zeichnete die „Crime Writers‘ Association“ Hill mit dem begehrten „Gold Dagger Award“ für den besten Kriminalroman des Jahres 1990 aus. Fünf Jahre später folgte ein „Diamond Dagger“. Reginald Hill lebte mit seiner Frau Pat in Cumbria. Dort ist er am 12. Januar 2012 einer schweren Krankheit erlegen.

Taschenbuch: 720 Seiten
Originaltitel: Dialogues of the Dead (London : HarperCollins 2001)
Übersetzung: Sonja Schuhmacher u. Thomas Wollermann
http://www.droemer-knaur.de

eBook: 1110 KB
ISBN-13: 978-3-426-41475-0
http://www.droemer-knaur.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)