Hohlbein, Wolfgang – Als der Meister starb

Man schreibt das Jahr 1883. Vor der Küste Schottlands zerschellt der Viermastsegler „Lady of the Mist“ auf den tückischen Riffen. Okkulte Kräfte haben ihn angegriffen. Nur wenige Menschen überleben die Katastrophe und schlagen sich landeinwärts durch. Unter ihnen befindet sich ein Mann, der die Schuld an dem Unglück trägt. Ein Mann, der gejagt wird von uralten, finsteren Göttern, aber auch von Zauberern, denen er zu entkommen suchte: Roderick Andara, den man den „Hexer“ nennt. (Verlagsinfo)

Der Autor

Wolfgang Hohlbein hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden. Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

Der Sprecher

Jürgen Hoppe, 1938 in Görlitz geboren, ist Rundfunk- und Fernsehjournalist sowie Sprecher, Autor, Moderator und Korrespondent verschiedener Sendeanstalten. Sein facettenreiches Talent stellte er bei der Interpretation unterschiedlichster Texte unter Beweis. (Verlagsinformation)

Der Sprecher des Prologs ist Dirk Vogeley. Der Gesang stammt von Andreas Grundmann („My father’s son“), Steve Whalley („The age of damnation“) und Elizabeth Eaton („Sopran auf „Lady of the Mist“). Die Verlagsinfo nennt zehn Mitglieder der Band, die Beiträge zur Musik lieferte.

Der Autor Howard Phillips Lovecraft und sein Cthulhu-Mythos

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.

Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit.

PROLOG

Eine ernste Stimme (Dirk Vogeley) klärt den Hörer darüber auf, was es mit den Großen Alten auf sich hat und dass mit ihnen grundsätzlich nicht gut Kirschen essen ist. Vor zehntausenden von Jahren beherrschten sie die Erde, doch ihre Sklaven rebellierten. Die Großen Alten siegten doch unter Opfern, denn sie weckten die Älteren Götter, die sie bekriegten. Die Älteren Göttern verbannten die Großen Alten in die finstersten und ungemütlichsten Ecken des Universums, einer jedoch schlummert in der Tiefe der Ozeane im vergessenen R’lyeh: Cthulhu!

„Das ist nicht tot, was ewig liegt, bis dass der Tod die Zeit besiegt.“

Handlung

Der Viermastsegler „Lady of the Mist“ hat den Hafen von New York vor 34 Tagen verlassen. Sein Kurs zeigt Richtung London, momentan muss er Schottlands Westküste passieren. Man schreibt das Jahr 1883, aber die „Lady“ befindet sich in einer Flaute und ist von dichtem Nebel umgeben. Es könnte genauso gut das Jahr 10.000 vor Christus sein.

Das findet jedenfalls Robert Craven, der sich auf seiner ersten Auslandsreise befindet. Er ist seinem Mentor und Dienstherrn Randolph Montague gefolgt, der krank in seiner Kajüte liegt. Robert, 24 Jahre jung, äußerst seine nervöse Furcht nur gegenüber Kapitän Bannermann, einem aufrechten Seebären. Er meint, den Fangarm eines Kraken an der Reling gesehen zu haben. Auch Montague ist der Nebel nicht geheuer und er bittet Bannerman eindringlich, das Schiff irgendwie von hier wegzubringen.

Zu spät! Der Fangarm eines Monsters hat die Reling durchbrochen und sich einen Matrosen geschnappt. Montague wappnet sich und seinen Diener Robert mit Medaillons, in die jeweils ein roter Stein eingelassen ist. Montague erscheint kraftvoller, mächtiger. Es sieht nicht nur wie Zauberei aus – das ist es auch! Er gibt sich als Roderick Andara zu erkennen, den man auch als „Hexer“ kennt oder vielmehr verflucht. Und auch Robert hat die „Gabe“ …

Andara vertreibt den Nebel, Wind kommt auf, da explodiert das Meer förmlich und eine Riesenwelle trifft die „Lady“ mittschiffs, dass die Takelage wackelt. Tentakel mit gefräßigen Mäulern schlängeln sich an Deck und schnappen sich ihre Lieblingsbeute: Matrosen. Ihr Blut wirkt wie Säure und verätzt die Haut. Andara errichtet einen Schutzbann, um das Ungeheuer zurückzuzwingen.

Er erklärt Robert, was das für ein Wesen ist: ein Killer, herbeigerufen von seinen Verfolgern, um Andara zu töten. Er gibt Robert die Chronik von Jerusalem’s Lot, die unter anderem die Hexenverfolgung und -prozesse in Salem, Massachusetts, zum Thema hat. Damals wurden Hexer beiderlei Geschlechts vertrieben, darunter auch Andaras Ahnen. Doch 1863 gab es ein neues Pogrom, dem scheinbar nur Andara selbst entkommen konnte. Nun muss Andara erkennen, dass weitere Hexer überlebt haben und ihn für seinen Verrat bestrafen wollen.

Sie haben Yog-Sothoth beschworen, einen der Großen Alten. Und dieses Ungeheuer treibt den stolzen Segler direkt auf die tückischen Klippen an der Küste zu …

Nach dem Untergang des Schiffs und dem Tod Andaras begeben sich Robert, der nach London muss, und wenige anderen Überlebende unter Kapitän Bannermans Führung in das nächstgelegene Dorf Goldsby. Es liegt idyllisch am Loch Sheen, umgeben von Schafweiden. Sie ahnen nicht, dass sie vom Regen in die Traufe gekommen sind. Und der erste Mensch, den sie antreffen, ist offensichtlich ein Verrückter: Er nennt sie Mörder …

Mein Eindruck

Der Roman trägt eigentlich den falschen Titel. (Dieser ist zudem negativ besetzt, so dass er nicht gerade zum Buchkauf einlädt.) Während nämlich der alte Meister, eben Roderick Andara, stirbt, entsteht praktisch vor unseren Augen der neue Meister Robert Craven, Andaras leiblicher Sohn und sein geistiger Schüler: der neue „Hexer“. Und so wie Andara Lovecrafts Schüler war, so geht auch Craven zu Lovecraft, um eine Ausbildung als Magier zu erhalten und das geistige Erbe seines Vaters – v. a. die riesige okkulte Bibliothek – anzutreten.

Doch dieses Erbe ist nicht eitel Sonnenschein, sondern mit der Gabe seines Vaters übernimmt er auch die Feindschaft von dessen Verfolgern, den Hexern von Salem. Wie schon im schottischen Goldsby attackieren sie Craven auch in London, wo sie ihn in einem dramatischen Showdown dem Monster vom Loch Sheen opfern wollen. Da sind sie aber an den Falschen geraten!

ACHTUNG, SPOILER!

Dieses Monster ist wirklich eine lustige Erfindung. Angelehnt an die Sage von Nessie, dem Monster von Loch Ness, handelt es sich um einen Saurier aus der Urzeit. Das Viech kann nicht nur gut schwimmen – es legt die Strecke Schottland – London in sieben Wochen zurück. Es hat auch ein prachtvolles Gebiss mit den Beißerchen eines Tyrannosaurus Rex. Und natürlich hat es einen riesigen Appetit auf frisches Magierfleisch mitgebracht. Leider hat es bei seinem Angriff auf Craven nicht das tonnenschwere Gewicht von Kirchenglocken berücksichtigt …

SPOILER ENDE

Ja ja, es ist schon ein Kreuz mit den Monstern: Wenn man sie zu deutlich zeigt, wirken sie allzu leicht lächerlich. Auch der Große Alte namens Yog-Sothoth kommt uns daher etwas spanisch vor, obwohl er sich doch mit seiner körperlichen Erscheinung ziemlich zurückhält. Das hindert uns aber nicht daran, ihn für einen besonders bösartigen Riesenkraken zu halten. Diese Verkörperung würde eigentlich viel eher zu Cthulhu, dem Bewohner der Tiefsee, passen. Dass der Torwächter Yog-Sothoth sich zu niederen Killerdiensten hergibt, dürfte sicherlich der dichterischen Freiheit des Autors zu verdanken sein.

Zauberin gut, alles gut?

Richtig gut hat mir hingegen Priscilla gefallen. Die schöne, junge Frau, die Bannermann & Craven in Goldsby zur Flucht verhilft, betört den jungen Magier mit ihrer Schönheit und Hilfsbedürftigkeit. Die bösen, bösen Hexer von Salem dürfen sie nicht bekommen, so viel ist schon mal klar. Und welchen schöneren Augenblick könnte es für Robert geben, als dass sie ihre lästigen Klamotten von sich schmeißt und sich ihm in aller nackten Pracht darbietet?

Die Sache hat nur einen winzigen Haken: Sie ist in Wahrheit weder jung noch eine Unschuld vom Lande. Und erweist sich also ein besonders perfider Köder, um Robert in die Hände seiner Gegner zu treiben. Priscillas Verwandlung hat ziemlich hohes Gruselpotenzial.

Der Sprecher

Der Endsechziger Jürgen Hoppe verfügt immer noch über eine durchaus kräftige Stimme, die er wirkungsvoll einzusetzen weiß. Zwar ist seine Modulationsfähigkeit nicht so ausgeprägt wie etwa bei Kerzel und Pigulla, doch die Kraft seines Ausdrucks trägt besonders bei dramatischen Stoffen zur Wirkung der Geschichte bei. Ein Horrorstoff wie „Als der Meister starb“ mit seinen zahlreichen dramatischen Konfrontationen bietet sich hierfür geradezu an.

Hoppe evoziert das Grauen nicht nur bei den Angriffen der diversen Monster, sondern auch bei entsprechenden psychologischen Regungen des Grauens, so etwa wenn sich Cravens geliebte Priscilla nicht als das entpuppt, was sie zu sein scheint. Wesentlich einfacher ist der Effekt, wenn der Hausdiener von Howard Phillips Lovecraft sich durch sein besonders tiefes Sprechorgan auszeichnet, um bedrohlich zu erscheinen. Der Hörer merkt gleich: Mit diesem Gorilla – er heißt übrigens Rolf – ist nicht gut Kirschen essen.

Die Musik

Das Hörbuch weist einen erstaunlich hohen Gehalt an Musik auf. Schon der Prolog weist Hintergrundmusik auf, dann folgt in der Pause ein längeres Stück professionell produzierten Mystic- oder Gothic-Rocks. Später folgen auch Songs, gesungen von Steve Whalley und Andreas Grundmann (s. o.). Diese Musik stammt von |ANDARA Project|, und für die Kompositionen und die englischen Songtexte zeichnet laut Verlagsinfo der Ton-Regisseur Albert Böhne verantwortlich, der auch den Text des Hörbuchs bearbeitet hat. In Personalunion ist Böhne somit der Meister aller Klassen.

Über die Qualität von Songtexten auf Hörbüchern kann man sich streiten, so etwa über Kunzes Stück „Der weiße Rabe“ auf den Poe-Hörspielen Lübbes. Bei Böhnes englischen Texten ist jedenfalls weitaus weniger zu verstehen, worum es geht. Das liegt aber nicht an der Aufnahmequalität, sondern vielmehr an der leisen Wiedergabe auf meiner Stereoanlage. Ich empfand ansonsten die Hintergrundmusik nicht als aufdringlich oder gar störend, sondern vielmehr passend.

Allerdings fragt sich manchmal der Hörer, warum er die Musikstücke mitbezahlen soll, die doch einen nicht unbeträchtlichen Teil der Laufzeit ausmachen – geschätzt etwa 20 Minuten Pausenmusik und Abspann. Immerhin teilen die Songs den langen Text deutlich auf.

Unterm Strich

„Als der Meister starb“ richtet sich von seiner begrenzten Originalität und seinem einfachen Stil her an ein junges Publikum, das wohl vor allem männlich sein dürfte – warum sonst sollte es eine junge schöne Hexe erotisch finden? Pubertierende Jungs dürften sich auch wesentlich leichter mit dem jungen, angehenden Magier Robert Craven identifizieren, der von seinem bislang unbekannten Vater in die okkulten Künste eingeweiht wird. Dass er sein Können an der Seite weiterer Magier auf die Probe stellen darf, ist nur folgerichtig. Ob er die Prüfung besteht, soll hier nicht verraten werden.

Der Sprecher Jürgen Hoppe macht im Zusammenspiel mit der Band |ANDARA Project| das Hörbuch beinahe zu einem Hörspiel, so spannend und eindrucksvoll sind die Szenen dargestellt. Wer also keinen hohen Ansprüche an Horrorliteratur stellt, wird mit diesem Hörbuch gut unterhalten werden.

221 Minuten auf 3 CDs
Originalfassung: „Gespenster-Krimi“ Band 567; 1983
Hörspielfassung 2004 unter der ISBN 3-7857-1409-2

www.luebbeaudio.de