Dramatisch inszeniertes Grusel-Hörspiel
Man schreibt das Jahr 1883. Vor der Küste Schottlands zerschellt der Viermastsegler „Lady of the Mist“ auf den tückischen Riffen. Okkulte Kräfte haben ihn angegriffen. Nur wenige Menschen überleben die Katastrophe, unter ihnen befindet sich ein Mann, der die Schuld an dem Unglück trägt. Ein Mann, der gejagt wird von uralten, finsteren Göttern, aber auch von Zauberern, denen er zu entkommen suchte: Roderick Andara, den man den „Hexer“ nennt. (Verlagsinfo)
|Hinweis|
Im Gegensatz zum Hörbuch, das von Jürgen Hoppe gelesen und vom ANDARA Project vertont wurde, handelt es sich bei dieser Fassung um ein dramatisch inszeniertes Hörspiel, das Regisseur Oliver Döhring mit allen Schikanen vertont hat, die man von seinen John-Sinclair-Hörspielen gewohnt ist.
_Der Autor_
Wolfgang Hohlbein hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden. Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.
_Das Hörspiel_
Buch und Regie gehen auf das Konto von Oliver Döhring, dem Macher der John-Sinclair-Hörspiele. Die eminent wichtige Tontechnik stand unter der Kontrolle von Arne Denneler, die Originalmusik stammt von Christian Hagitte, Simon Bertling und Florian Göbels. Für den Zuhörer sind jedoch die Stimmen der Sprecher am wichtigsten. Darunter finden sich illustre Namen wie Helmut Krauss, David Nathan, Helmut Gauß, Detlef Bierstedt, Lutz Riedel und viele andere.
Im Booklet werden sie den einzelnen Rollen genau zugewiesen. Klappt man das Booklet auseinander, so erblickt man das vollständige Gemälde, das man im Ausschnitt auf dem Titel sieht. Nun ist aber auch der Dämon zu erkennen, der sich hinter dem Hexer aus den Wolken schiebt …
_Der Autor Howard Phillips Lovecraft und sein Cthulhu-Mythos_
Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die |Großen Alten|, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.
Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit.
_Handlung_
Der Viermastsegler „Lady of the Mist“ hat den Hafen von New York vor 34 Tagen verlassen. Sein Kurs zeigt Richtung London, momentan muss er Schottlands Westküste passieren. Man schreibt das Jahr 1883, aber die „Lady“ befindet sich in einer Flaute und ist von dichtem Nebel umgeben. Es könnte genauso gut das Jahr 10.000 vor Christus sein.
Das findet jedenfalls Robert Craven (David Nathan), der sich auf seiner ersten Auslandsreise befindet. Er ist seinem Mentor und Dienstherrn Randolph Montague (Helmut Gauß) gefolgt, der krank in seiner Kajüte liegt. Robert, 24 Jahre jung, äußert seine nervöse Furcht nur gegenüber Kapitän Bannermann, einem aufrechten Seebären (Helmut Krauss). Er meint, den Fangarm eines Kraken an der Reling gesehen zu haben. Auch Montague ist der Nebel nicht geheuer und er bittet Bannerman eindringlich, das Schiff irgendwie von hier wegzubringen.
Zu spät! Der Fangarm eines Monsters hat die Reling durchbrochen und sich einen Matrosen geschnappt. Montague wappnet sich und seinen Begleiter Robert mit Medaillons, in die jeweils ein roter Stein eingelassen ist. Montague erscheint Craven auf einmal kraftvoller, mächtiger. Das sieht nicht nur wie Zauberei aus – das ist es auch! Er gibt sich als Roderick Andara zu erkennen, den man auch den „Hexer“ nennt oder vielmehr als diesen verflucht. Und auch Robert hat die „Gabe“ …
Andara vertreibt den Nebel, Wind kommt auf, da explodiert das Meer förmlich und eine Riesenwelle trifft die „Lady“ mittschiffs, dass die Takelage wackelt. Tentakel mit gefräßigen Mäulern schlängeln sich an Deck und schnappen sich ihre Lieblingsbeute: Matrosen. Ihr Blut wirkt wie Säure und verätzt die Haut. Andara errichtet einen Schutzbann, um das Ungeheuer zurückzuzwingen.
Er erklärt Robert, was das für ein Wesen ist: ein Killer, herbeigerufen von seinen Verfolgern, um Andara zu töten. Er gibt Robert die Chronik von Jerusalem’s Lot, die unter anderem die Hexenverfolgung und -prozesse in Salem, Massachusetts, zum Thema hat. Damals wurden Hexer beiderlei Geschlechts vertrieben, darunter auch Andaras Ahnen. Doch 1863 gab es ein neues Pogrom, dem scheinbar nur Andara selbst entkommen konnte. Nun muss Andara erkennen, dass weitere Hexer überlebt haben und ihn für seinen Verrat bestrafen wollen. (Szenen mit diesen Hexen und Hexern, darunter Mrs. Andara und Lyssa, sind zwischengeschaltet und bilden eine zusammenhängende Parallelhandlung.)
Sie haben Yogg-Sothoth beschworen, einen der Großen Alten. Und dieses Ungeheuer treibt den stolzen Segler direkt auf die tückischen Klippen an der Küste zu …
_Mein Eindruck_
Der Roman trägt eigentlich den falschen Titel. Während nämlich der alte Meister, eben Roderick Andara, stirbt, entsteht praktisch vor unseren Augen der neue Meister Robert Craven, Andaras leiblicher Sohn und sein geistiger Schüler – der neue „Hexer“. Und so wie Andara Lovecrafts Schüler war, so geht auch Craven zu Lovecraft, um eine Ausbildung als Magier zu erhalten und das geistige Erbe seines Vaters anzutreten. Doch dieses Erbe ist nicht eitel Sonnenschein, sondern mit der Gabe seines Vaters übernimmt er auch die Feindschaft von dessen Verfolgern, den Hexern von Salem.
Die Szenen, die im Jahr 1863 in Jerusalem’s Lot spielen, bilden die Vorgeschichte für das aktuelle Geschehen genau 20 Jahre danach. Wäre man ein Mystiker wie Andara, so könnte man von einer kausalen Beziehung sprechen. Dass Roderick Andara seine Mithexer im Stich gelassen hat, als das Pogrom begann, werteten sie als Verrat. Sie verfluchten ihn, und diejenigen, die entkamen, rächen sich nun an ihm. (Diese Szenen finden sich nicht im ersten Hörbuch.)
_Die Inszenierung_
Von Anfang an ist die Story wie ein Film aufgezogen. Jede Szene kann für sich stehen. Und Andara / Montague braucht auch nicht lange von der Vergangenheit zu erzählen, denn auch diese wird inszeniert – siehe oben. Auch sonst wird nicht allzu viel geschafelt, denn es gibt einiges zu tun. Als der Riesenkrake angreift, ist Not am Mann, und die beiden Hexer müssen den Angriff abwehren.
Da die Geräusche wunderbar nahtlos eingeflochten sind und mit der unterlegten Musik eine Einheit bilden, erhält das Hörspiel sehr schnell den Charakter eines Films ohne Bild. Dieses entsteht vielmehr im Kopf des Zuhörers. Was stellt man sich vor, wenn der Fockmast der „Lady“ herunterkracht und aufs Deck donnert?
Einmal zuckte ich unwillkürlich zusammen. Das war, als in Jerusalem’s Lot eine Tür unvermittelt eingetreten wird und der Pöbel in das Haus platzt. Auch die nachfolgenden körperlichen Misshandlungen eines Hexers sind nicht dazu angetan, Wohlgefühl zu verbreiten.
Stimmen sind naturgemäß sehr wichtig bei einem Hörspiel, und der Tongestalter kann sich hier sehr viel mehr erlauben, als das bei einem Hörbuch der Fall wäre. Daher stellt der Zuhörer erstaunt fest, dass manche Bannsprüche oder Beschwörungen – sei es von Andara oder anderen Hexern – verzerrt erklingen, in dem Sinne, dass sie machtvoller wirken: Die ursprüngliche Stimme wird doppelt aufgenommen, mit Hall unterlegt oder mit einem zweiten Filter verzerrt. Das Ergebnis ist für ein Horror-Hörspiel durchaus überzeugend.
_Unterm Strich_
„Als der Meister starb“ richtet sich von seiner begrenzten Originalität und seinem einfachen Stil her an ein junges Publikum, das vermutlich vor allem männlich sein dürfte. (Leider wurde die Szene mit der jungen Hexe ebenso gekürzt wie das Finale in London.) Jungs dürften sich wesentlich leichter mit dem jungen, angehenden Magier Robert Craven identifizieren, der von seinem bislang unbekannten Vater in die okkulten Künste eingeweiht wird. Schade, dass nur das erste Drittel des Buches als Hörspiel gestaltet wurde. Aber zu diesem Preis und mit dieser Laufzeit – knapp eine Stunde – ist sicherlich nicht mehr zu realisieren.
Bei „Als der Meister starb“ handelt es sich um ein spannend und eindrucksvoll inszeniertes Hörspiel, bei dem jeder Horrorliebhaber akustisch auf seine Kosten kommt: Das ist Kino für die Ohren, und Oliver Döhring lässt es an keinen Zutaten fehlen, um die Illusionsmaschine des Kinos auf volle Touren zu bringen und auf den Zuhörer loszulassen. Wer keine allzu hohen Ansprüche an Horrorliteratur stellt, wird mit diesem Hörspiel gut unterhalten werden – und auch an der einen oder anderen Stelle zusammenzucken. Garantiert.
Ein kleiner Hinweis, den man wegen der dunklen Farbe zu übersehen geneigt ist: „Empfohlen ab 16 Jahren“. Kann man gerne übersehen.
Weitere Hörspiele aus der Reihe „Gespensterkrimis“: „Im Verlies der blutigen Träume“, „Der Turm des Grauens“ und „Das Dämonenhaus“.
57:45 Minuten auf 1 CD