Hohlbein, Wolfgang – Nemesis 3 – Alptraumzeit

_Nemesis: Geheimnisse im Funkraum_

Der exzentrische Multimillionär von Thum hat drei Männer und drei Frauen auf die Burg Crailsfelden eingeladen. Zwei von ihnen sollen sein Millionenerbe antreten. Nichts verbindet die Eingeladenen, außer dass ihre Eltern irgendwann gemeinsam mit von Thum ein Internat in Cralsfelden besucht haben.

In der Nacht ihrer Ankunft kommen bereits drei von ihnen auf mysteriöse Weise ums Leben. Kein Wunder, dass die Überlebenden einander misstrauen. Ihr Gastgeber ist verschwunden, und in den dunkelsten Nachtstunden sind sie allein mit ihren Ängsten und der Gewissheit, dass in den Mauern der Burg der Tod umgeht.

Dieses Internat war in den 1940er Jahren mehr: Es war eine Zuchtanstalt für arische Kinder, vom „Lebensborn“ betrieben. Aber auch Spuren zur Napola, der Nazi-Kaderschule, sind zu finden: Ein Napola-Dolch steckt im Leib des Hünen Stefan, der zu entkommen versuchte. Die Überlebenden entdecken in sich dunkle Abgründe, die sich im Tunnelgewirr unter der Burg auf unheilvolle Weise widerspiegeln …

_Der Autor_

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 35 Millionen Bücher laut |Focus| 40/2006). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

_Der Sprecher_

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der Tonmeister war Heiko Schlachter. Die Aufnahme fand im Juli 2006 bei Kino-im-Kopf-Produktion, Augsburg, statt (toller Name!).

Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Ullstein|-Verlag.

_Vorgeschichte_

Die Erben: Frank Gorresberg (der Erzähler), Stefan, Eduard Krause
Die Erbinnen: Maria Gärtner, Judith, Ellen
Der Hausmeister: Claus Zerberus
Der Rektor: Klaus Sänger (tot)
Der Burgbesitzer: von Thum (verschwunden)

Sechs potenzielle Erben werden auf Burg Crailsfelden eingeladen, doch die Umgebung ist der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Erst haben alle sechs den gleichen üblen Albtraum, dann verschwindet der Gastgeber auf rätselhafte Weise in einem Brunnenschacht. Ein erster Fluchtversuch mit einem Auto scheitert auf spektakuläre Weise: Der Wagen wird von einem herunterrauschenden Fallgatter fast zweigeteilt.

In den mittelalterlichen Säulengängen unter der Burg sind nicht nur Kerkerzellen zu besichtigen. Hinter einem Kanisterstapel entdeckt der scharfsinnige Stefan auch einen geheimen Raum. Hier finden sich nicht nur ein Dolch der Napola (einer nationalsozialistischen politischen Anstalt), sondern auch Zeitungsartikel über Nazigold. War unser braver Hausmeister hinter diesem Zeug her? Er erzählt, im Dritten Reich seien in der Burg nicht nur Nazis untergebracht gewesen, sondern auch ein Kinderheim und eine Klinik, wo Frauen uneheliche Kinder zur Welt bringen konnten.

Frank, der Erzähler, fragt Maria Gärtner wegen der von ihm im Rektorzimmer gefundenen Fotos, denn sie stammt aus dem Dorf Crailsfelden. Nun, sagt sie, eines steht fest: Die sonderbaren Runen auf den Fahnen dieser Pfadfinder sind keine Hakenkreuze. Es sind die Runen, die für den Lebensborn reserviert waren. Der „Lebensborn“ war eine reichsweite Organisation, in der SS-Angehörige und andere „rassische Eliteangehörige“ mit ausgewählten Frauen Kinder zeugen konnten, um die arische Rasse zu verbessern und ihren Fortbestand zu sichern. Eine Zuchtanstalt. Aber eigentlich kann das nicht sein, denn das Auto, vor dem die Pfadfinder auf dem Foto stehen, wurde erst ab 1953 gebaut …

Als sich Stefan, der Hüne, über die Burgmauer abseilen will, wird er von gierigen Fledermäusen attackiert. Doch nicht an den Bissen stirbt Stefan, sondern an dem Nazi-Dolch, der in ihm steckt …

_Handlung_

Allmählich wird den in der Burg eingeschlossenen Besuchern klar, dass nicht nur dieser Ort, sondern auch sie selbst ein Geheimnis bergen, dessen Schleier früher oder später gelüftet werden muss. Als Einzige reflektiert die Ärztin Ellen halbwegs rational, um was es hier gehen könnte: eine Versuchsanordnung, so viel ist ihr klar. Mit den sechs Erben als Laborratten. Und zwar auch in sexueller Hinsicht: Frank hat mit Judith geschlafen und Ed mit Maria. Es ist bestimmt kein Zufall, dass die Damen gerade ihre fruchtbaren Tage haben …

Unter den Fotos, die Frank Gorresberg im Zimmer von Rektor Sänger entdeckt hat, ist auch eines, das Sänger mit SS-Sturmbannführer Richard Krause zeigt. Er ist, wie Ed gesteht, sein Großvater. Maria zitiert aus einem Buch, in dem Krause als eine Art Killer im Osten beschrieben wird, doch Ed protestiert: Sein Opa sei der einzige Mensch auf der Welt gewesen, der sich je um ihn, Ed, gekümmert habe. Seltsam: Auch die anderen vier Überlebenden haben eine Vergangenheit als Waisenkinder vorzuweisen.

Sie müssen hier raus! Auf den alten Bauplänen, die sie im Rektorzimmer finden, ist ein Gang eingezeichnet, der unter der Burgmauer durchführt – hoffentlich ins Freie. Doch unten in den Tunneln stellt Claus Zerberus, Hausmeister und Nazigoldjäger, konsterniert fest, dass alles umgebaut worden ist. Frank haut sich, trotz seiner rasenden Kopfschmerzen, mit dem Pickel einen Durchgang zu einem parallel verlaufenden Tunnel. Weiter geht’s bis zu einer Wand, die den Schriftzug „Funkraum“ in gotischer Schrift trägt. Dahinter liegt ein weiterer Tunnel, in dem Frank durch ein simples Drehen des altertümlichen Schalters eine wahre Lichtflut auslöst. Dieser Komplex muss also über eine eigene Stromversorgung verfügen.

In den zugemauerten Räumen finden sie Dokumente, die Ellen als Laborprotokolle identifiziert: Blutwerte, immer wieder Schädelmessungen. Doch der nächste Raum wurde gesprengt und ist völlig verwüstet. Was befand sich hier? Frank, der unter ständigen Kopfschmerzen leidet, reißt bei einem besonders heftigen Migräneanfall einen Stützbalken um und bringt die Decke zum Einsturz. Als er nach dem Sturz halb betäubt da liegt, suchen ihn Albträume und Kinderstimmen heim. Wieder erscheint ihm Miriam alias Maria, die von blonden Kindern verfolgt wird, bis sie auf der obersten Kante des Zentralturms der Burg steht …

Als er mit Judith wieder in die Küche zurückkehrt, findet er ein Blutbad vor. Nun sind sie nur noch zu viert …

_Mein Eindruck_

Der Erkenntniswert dieser dritten Episode hält sich in Grenzen: Dass sich in den Tunneln des alten Internats und vormaligen Müttergenesungsheims eine ganze Menge Nazikram befindet, hatten wir schon ab Episode 2 erwartet, als die Fotos aus Rektor Sängers Schreibtisch auftauchten. Nun wird jedoch die dafür nötige Infrastruktur sichtbar: ein medizinisches Forschungslabor, ein Funkraum, die Unterbringungsräume des SS-Personals. Aber was hat dies alles mit ihnen zu tun, und wozu hat der Millionär sie, ausgerechnet dieses Sextett, hierher bestellt?

Diese Frage gibt den Anstoß zu einer Menge Spekulationen, wie schon zuvor. Doch nun gibt es zwei weitere Aspekte zu berücksichtigen: die Ermordung von Stefan mit einem Napola-Dolch und den Tod von Ed, ebenfalls mit einem Messer. Oder mit einem Skalpell? Der Verdacht fällt auf die Chirurgin Ellen, die sicherlich einen solchen Schnitt fachgerecht ausführen könnte. Doch was sollte ihr Motiv sein?

Ein weiterer, zunehmend wichtiger werdender Erzählstrang betrifft Franks geistige Abwesenheiten und Visionen, seine Kopfschmerzen und die Empfindung von tiefen Vibrationen im Untergrund der Burg. In einer chronologisch zusammenhängenden Parallelhandlung läuft der Junge Frank vor bösen Kindern weg, an der Hand seine Freundin Miriam. Doch Miriam hat im Gegensatz zu allen Kindern schwarzes Haar statt blondes. Diesmal führt Frank und Miriams Flucht sie auf die Spitze des zentralen Turms, und es sieht ganz so aus, als befände sich Miriam in Lebensgefahr. Aber warum nur? Diese Parallelhandlung konnte Aufschluss über die wahre, verdrängte Identität der sechs Erben geben.

Wie schon in Episode 1 und 2 sind also die Hinweise, mit denen der Autor Spannung erzeugt, fein dosiert und führen nicht nur in eine, sondern in mehrere Richtungen. Die Figurenentwicklung kann man jedoch vergessen: Wann immer der Ich-Erzähler Frank einer wichtigen Entdeckung auf die Spur kommt, ereilt ihn entweder ein Blackout oder ein Albtraum, der unweigerlich mit Kopfschmerzen verbunden ist.

Kein Wunder, dass er sich gewissermaßen selbst Scheuklappen anlegt, um nicht über die Bedeutung seiner Entdeckung nachdenken zu müssen. Das ist seitens des Autors ein fieser Trick, um die Spannung um die Rätsels des Ortes aufrechtzuerhalten. Oder ist es ein Kniff, um eine posthypnotische Konditionierung anzudeuten, die nun allmählich zusammenbricht, so dass die wahre Identität der sechs Erben zutage tritt?

|Der Sprecher|

Dem Sprecher gelingt es, die durch die Klischees vorgegebenen Figuren einigermaßen zum Leben zu erwecken. Stefan ist (bzw. war bis Episode 2) der verlässliche Hüne mit einem ebenso tiefen Organ wie der Wirt Carl, der etwas schleppend spricht. Ed nervt mit seiner meckernden Proletenstimme à la Martin Semmelrogge. Frank selbst, der Ich-Erzähler, erklingt mit einer ganz normalen männlichen Stimme – allerdings viel zu selten.

Interessanter sind die Frauen. Judith ist die schutzbedürftige junge Frau, kann aber durchaus auch zu einer Waffe greifen. Ellen, die kaltschnäuzige Ärztin, ist ihr genaues Gegenteil: eine kühle Managerin, aber zunehmend hart am Abgrund der Hysterie. Maria liegt irgendwo dazwischen und wirkt deshalb am glaubwürdigsten. (Das soll sich in Episode 4 radikal ändern.) Allerdings ist diese Tonhöhe durch die männlichen Stimmbänder des Sprechers etwas begrenzt. Rufus Beck könnte in dieser Hinsicht sehr viel mehr Eindruck hinterlassen.

Nicht zu vergessen die Kinder. Kinder, wird sich der Leser nun fragen. Kinder treten doch gar nicht auf. Doch, tun sie, und zwar in den Albträumen, die Frank und die anderen immer wieder erleiden. Das Traum-Ich Franks rennt mir Miriam durch die brennende Stadt, verfolgt von Kindern. Deren Rufen und Drohen drückt der Sprecher sehr gut aus. Es klingt aber nicht so richtig bedrohlich.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür ist es recht preisgünstig.

_Unterm Strich_

Sechs kleine Negerlein – zwei gingen drauf dabei, nun sind es nur noch vier. Erben will sowohl gelernt als auch verdient sein. Doch was die sechs Erben auf der Burg durchmachen müssen, ist weit mehr als das übliche Spießrutenlaufen beim Nachlassverwalter. Hier wird mehr als Geld und Vermögen vererbt. Hier werden auch Altlasten weitergegeben: Erinnerungen, Konditionierungen, wohl auch Erbgut. Eine Versuchsanordnung, die einem bislang noch im Dunkeln liegenden Zweck dient.

Neben vielfältigen Spekulationsgrundlagen wie etwa dem Nazigold – eine falsche Fährte, wenn es je eine gab – sollten sich die Figuren (und wir natürlich mit ihnen) darüber Gedanken machen, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie deshalb ausgerechnet auf Burg Crailsfelden einbestellt wurden. Wer war dieser Klaus Sänger, Leiter und Mäzen eines Internats – Internats für welche Art von Kindern? Haben der Lebensborn und das arische Aussehen der meisten der Erben etwas miteinander zu tun? Offenbar sind noch Rechnungen offen, aber mit wem?

Diese Fragen müssen in den verbleibenden Episoden beantwortet werden. Folglich bleibt die Serie spannend. Der Sprecher tut wie der Autor sein Bestes, die klischeehaften Figuren mit Leben zu erfüllen. Er unterstützt die Spannung und die Mystik ebenso wie den ironischen Humor, der hie und da durchblitzt. Fortsetzung folgt – hoffentlich zu einem ebenso günstigen Preis.

|141 Minuten auf 2 CDs
Buchveröffentlichung: Nemesis 3, 2004|
http://www.hoerbucHHamburg.de