Hughart, Barry – Stein des Himmels, Der (Meister Li Band 2)

In „Der Stein des Himmels“, dem zweiten Meister-Li-Roman von Barry Hughart, hat Nummer Zehn der Ochse es vom Klienten zum Adlatus des Meisters gebracht. Der ist allerdings ziemlich mieser Laune. Das ändert sich erst, als der Abt eines kleinen Klosters ihn in seiner Stammkneipe aufsucht und um Hilfe bittet. Ein Mönch wurde ermordet und eine Schrift aus der Bibliothek gestohlen, die eigentlich völlig bedeutungslos ist und außerdem aus bestimmten Gründen eine Fälschung sein muss. Sie stammt aus einer Zeit, in der ein wahnsinniger Herrscher, genannt der lachende Prinz, über die Gegend des Klosters gebot und sie völlig verheerte. Nun glauben die Bauern, er sei zurückgekehrt, wie er es einst bei seinem Tod geschworen hat.
Meister Li besucht mit einem Nachkommen des Prinzen dessen Gruft, aus reiner Routine, um den Bauern die Angst zu nehmen: Der steinerne Sarg ist leer! Und Meister Li nicht mehr zu halten – Er geht buchstäblich bis in die Hölle, um dieses Rätsel zu lösen …

Meister Li geht auch in diesem Band mit gewohnter Hartnäckigkeit seiner Lieblingsbeschäftigung nach. Da er einfach jeden zu kennen scheint, weiß er auch immer, wen er fragen muss, wenn er eine Auskunft braucht. Aber der größte Schatz an der Art von Wissen, wie Meister Li sie zur Lösung seiner Fälle benötigt, liegt verschlüsselt in den Sagen und Geschichten, die das Volk sich seit altersher zu erzählen pflegt, auch wenn ein wenig klassische Bildung gelegentlich nicht schadet. So setzt er auch diesmal wieder Teil für Teil sein Puzzle zusammen, indem er sich bei den Bauern umhört, alte Beziehungen spielen lässt und natürlich seine Nase in jedes Loch steckt, über das er stolpert.

[„Die Brücke der Vögel“ 914 warf einen Blick in den taoistischen Götterhimmel. „Der Stein des Himmels“ schildert noch weit ausführlicher die chinesische Vorstellung vom Jenseits. In einer Weltanschauung der Wiedergeburt sieht das alles natürlich ganz anders aus. Aber abgesehen vom kulturellen Hintergrund und den Puzzleteilen, die Li dort findet, dient die Darstellung dieser Hölle als Basis für eine ganze Reihe bissiger Seitenhiebe gegen Bürokratie und Standesdünkel.
Überhaupt hat Li in diesem Band die so genannten Neokonfuzianer auf dem Kieker, seiner Beschreibung nach könnte man sie auch Neokonservative oder Die-ewig-Gestrigen nennen. Die Typen in diesem Band sind weit weniger skurril als im ersten, aber Lis trockene Kommentare zu allem, was ein Neo im Namen hat, sorgen wieder für einige Schmunzler und Lacher, und über Mondkinds Verführung eines Dämons kann man einfach nur grinsen!

Der Aufbau des Puzzlespieles ist auch diesmal wieder gut gemacht. Bei Hughart ist es nicht unbedingt so, dass alles, auch das beiläufig Erwähnte, für die Lösung des Rätsels von Bedeutung ist, was ernsthafte Krimiliebhaber auf einige falsche Fährten führen dürfte. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass man am Ende wirklich überrascht wäre, wenn Li den Täter entlarvt. Ab einem gewissen Punkt ahnt man es einfach. Die Art und Weise der endgültigen Aufdeckung ist trotzdem allemal noch interessant genug. Im ganz speziellen Fall dieses Bandes hatte ich allerdings ein kleines, logisches Problem:
Nach dem Tod des Mädchens findet Li einen Splitter des Steins in ihrem Körper. Dieser Splitter hat bei ihrer ersten schweren Verwundung dafür gesorgt, dass sie überlebte. Der lachende Prinz wurde durch ein Stück des Steines nach seinem Tod wieder lebendig. – Wenn der Stein solche Macht hat, wieso konnte das Mädchen mit dem Stein in der Brust dann überhaupt sterben?
Abgesehen davon, dass das Ende sonst nicht zu der alten Legende vom Stein und der Blume gepasst hätte.

Letztlich tut dieser kleine Knacks der gesamten Geschichte jedoch keinen Abbruch. Der Krimi ist schließlich nur ein Teil des Buches zwischen Witz, Fantasie und chinesischen Eigenheiten. Die Mischung ist es, die Hugharts Bücher ausmacht, und ich habe auch diesmal wieder jede Seite genossen.
Hughart bedient sich einr einfachen, prägnanten Sprache, was gut zu Ochse passt, der ja als Erzähler fungiert. Die Bücher lesen sich sehr leicht und flüssig. Auch beschränkt der Autor sich bei Beschreibungen auf das Wesentliche, lässt Zeiten manchmal im Zeitraffer laufen oder weniger wichtige Informationen einfach durch Ochse kurz zusammenfassen. Das strafft den Handlungsverlauf und vermeidet Längen, wirkt aber nicht hektisch oder überstürzt. Epik liegt ihm nicht, dementsprechend sind die Bücher mit ihren ca. dreihundert Seiten verhältnismäßig kurz, was zur Abwechslung auch mal angenehm ist.
Die einzelnen Bände des Zyklus sind in sich abgeschlossen, und auch wenn in „Der Stein des Himmels“ eine kurze Anspielung auf „Die Brücke der Vögel“ enthalten ist, ist es für das Verständnis der Geschichte nicht nötig, die anderen Bände zu kennen.

Barry Hughart wurde 1934 in Illinois geboren. Seine Kenntnisse über die chinesische Kultur schöpfte er aus Büchern über Religion und Kultur, Land und Leute, als er im Rahmen seiner Militärzeit bei der US Airforce in Fernost stationiert war, das Festland aber nicht betreten durfte. Die Faszination für dieses Land war so stark, dass er schließlich, zwanzig Jahre später, die Meister-Li-Romane verfasste. Außer seinen Romanen schrieb er auch Filmdialoge, unter anderem für „Devil´s Bridge“, „Man on the Move“ und „The Other Side of Hell“. Heute lebt er in Tucson, Arizona.

http://www.barryhughart.org/