Ian Rankin – Ein kalter Ort zum Sterben (John Rebus 21)

Das schottische Edinburgh droht zum Schauplatz eines Unterweltkriegs zu werden. Der pensionierte Polizist Rebus mischt sich wie üblich fintenreich ein, während er außerdem in einem nie geklärten Uralt-Mord in Prominenten-Kreisen ermittelt und dabei ebenfalls für Unruhe sorgt … – John Rebus ist in seinem 21. Fall aktiver denn je, auch wenn ihn Gesundheitsprobleme plagen. Das Talent des Verfassers vertuscht, dass ein solcher Grad von Pensionärs-Präsenz kaum realistisch ist; hinzu kommt eine spannende, mehrschichtige Krimi-Story und nicht aufdringliche Figuren: Die Reihe bleibt lesenswert!

Das geschieht:

Ex-Inspektor John Rebus ist für den Ruhestand nicht geschaffen. Hinzu kommt das Warten auf die Ergebnisse einer Untersuchung, die der Herkunft eines Schattens auf einem der zigarettenrauchgepeinigten Rebus-Lungenflügel nachgeht. Ihr Eigentümer ahnt nichts Gutes und sucht Ablenkung durch Ermittlungen in einem alten, nie geklärten, längst ‚kalten‘ Fall: Vor beinahe vier Jahrzehnten wurde die Gattin eines renommierten Bankiers ermordet in einem Hotel gefunden. Da sie alles andere als treu war, gab es mehr als genug Verdächtige, jedoch nie handfeste Beweise.

Da einige der in den Fall verwickelten Personen noch leben und zur Edinburgher Prominenz gehören, darf Rebus keinen Beifall für sein neuerliches Aufrühren des faktisch ad acta gelegten Mordes erwarten – für ihn ein weiterer Anreiz, denn nach wie vor liebt Rebus es, den Reichen & Mächtigen = Gierigen & Selbstgefälligen auf die Nerven zu gehen.

Es kommt noch besser: Rebus kann sich in einen aktuellen Fall einmischen! In Edinburghs Gangstermilieu rumort es: Der junge Darryl Christie hat den alten Platzhirsch Morris Gerald „Big Ger“ Cafferty herausgefordert. Als Christie überfallen und verprügelt wird, fürchtet die Polizei den Ausbruch eines Unterweltkrieges, weshalb eine Sondereinheit erscheint und sich in Edinburgh einnistet.

Detective Inspector Siobhan Clarke, die Rebus (oft widerwillig) als Mentor anerkennt, bezieht ihren alten Chef ein, weil diesen mit Cafferty eine lange ‚Freundschaft‘ verbindet. Da außerdem Malcolm Fox in die Sondereinheit berufen wurde, bieten sich Rebus weitere Möglichkeiten, seine Freunde zum Wohle der Gerechtigkeit (und seines Seelenfriedens) zu instrumentalisieren …

Altes Spiel unter neuen Bedingungen

Obwohl Ian Rankin das Problem, einen Polizisten ermitteln zu lassen, der seinen Job pensionsbedingt aufgeben musste, recht geschickt gelöst hat, dürfte er sich trotzdem für die Idee verfluchen, John Rebus parallel zur Realgeschichte altern zu lassen, womit er sich selbst in diese Schwierigkeit gebracht hat. Zu seinen Gunsten kann er allerdings anführen, dass er wie sonst auch niemand einst in Erwägung gezogen hätte, dass dieser Rebus sich vier Jahrzehnte hartnäckig in den Bestsellerlisten hält – Fortsetzung folgt garantiert!

Vielleicht ist es sogar günstig, dass sich die Verhältnisse geändert haben: Viele etablierte Krimi-Reihen leiden unter inhaltlicher Auszehrung. Die Leserschaft hasst grundlegende Veränderungen, fordert aber gleichzeitig Spannung durch neue Einfälle. Das Ergebnis ist allzu oft eine endlose Folge eigentlich deckungsgleicher Variationen. Rankin musste dagegen echte Entscheidungen treffen, denn Rebus ist altersbedingt ein Pensionär, weshalb es keinen Trick gibt, ihn offiziell wieder in Dienst zu stellen.

Also müssen er und Rankin sich etwas einfallen lassen, um weiter ‚mitspielen‘ zu können, zumal kein Zweifel besteht, dass die Ermittlungsarbeit buchstäblich zu Rebus‘ Lebenselixier wird: Nachdem ihn der Verfasser Jahrzehnte hat sündigen = trinken und vor allem rauchen lassen, droht nun die Endabrechnung. Was sich auf Rebus‘ Röntgenbild abzeichnet, begleitet ihn und uns, die Leser, als dunkle, hin und wieder ins Gedächtnis zurückgerufene Drohung über das Finale hinaus.

Alter Gauner erfindet sich neu

Schon im 20. Band der Serie („Das Gesetz des Sterbens“) kündigte sich ein gravierender Wechsel in Edinburghs Unterwelt an: „Big Ger“ Cafferty, der lange das Sagen hatte, wird alt. Gleichzeitig ist eine neue Generation von Verbrechern herangewachsen, die einerseits auf die digitale Gegenwart setzen, während sie andererseits durch brutale Gewalt die Konkurrenz niederhalten.

Hier verkörpern Darryl Christie, der smarte Nachwuchs-Mobster, und Glushenko, der vertierte „Russe“, der seine Opfer gern mit einem Säbel traktiert, diese beiden Pole. Dazwischen ist viel Raum für nicht gerade wenige Strolche, mit denen Rankin seinen Krimi bereichert. Wie üblich gehören Schlips-Schurken dazu, die sich hinter Ämtern und gesellschaftlicher Prominenz verstecken, während sie nach Herzenslust ihre Macht missbrauchen, sich bereichern und sogar mit Mord davonkommen. Hinzu kommen alt gewordene Rockmusiker, deren betontes Rebellentum gegen ein Establishment, dem sie längst angehören, aufgesetzt und peinlich wirkt.

„Big Ger“ hatte der Leser eigentlich schon abgehakt. Er schien sich nur noch um ein sicheres Altenteil zu bemühen und täuschte damit selbst den misstrauischen Rebus, mit dem ihn eine seltsame ‚Freundschaft‘ verbindet. Die beiden Männer kennen einander so lange, dass sie sich schätzen gelernt haben. Nichtsdestotrotz ist Rebus weiterhin bemüht, Cafferty hinter Gitter zu bringen. Dieses Mal behält jedoch der alte Gauner die Nase vorn – ein Ränkespiel, das Rankin geschickt der Handlung unterhebt und in seinen Details erst im Finale auflöst.

Freunde mit dicken Geduldsfäden

Mit diesem 21. Band der Serie ist Malcolm Fox – der als Figur seiner eigenen Reihe scheiterte und von Rankin kurzerhand ins Rebus-Universum integriert wurde – endgültig neben Rebus und Siobhan Clarke ins Triumvirat der Hauptpersonen aufgerückt. Der Autor gönnt ihm viel Raum, um beispielsweise das komplizierte Verhältnis zur spielsüchtigen Schwester darzustellen – ein Drama, das Rankin in der Handlung verankert, statt es (à la Elizabeth George) neben dem Krimi-Geschehen wuchern zu lassen.

Ansonsten ordnet er die drei Handlungsstränge lose den genannten Hauptfiguren zu. Clarke kann sich weiterhin nicht recht durchsetzen, ist aber unverzichtbar als Bindeglied zwischen Rebus und dem ‚frischen‘ Verbrechen, von dem er sonst ausgeschlossen bliebe. Rankin vermeidet es übrigens klug, die drei Ebenen im Finale zusammenzuführen; es gibt keine Zusammenhänge, was der Glaubwürdigkeit ungemein zugutekommt.

Auf diese Weise hat Ian Rankin mit „Ein kalter Ort zum Sterben“ – gegen den nichtssagenden Deutsch-Titel kann er wie üblich nichts – kein Meisterwerk geschrieben, wobei sich die Frage stellt, ob dies angesichts einer zwanzigbändigen Vorgeschichte – die durch zahlreiche Rebus-Storys ergänzt wird – Überraschungen i. S. einer literarischen Wiedergeburt überhaupt geben kann. Stattdessen geben wir uns Leser mit dem Nächstbesten und keineswegs Selbstverständlichen zufrieden: Rebus & Co. sorgen weiterhin für soliden Lektüre-Spaß!

Autor

Ian Rankin wurde 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studierte er ab 1983 Englisch. Schon früh begann er zu schreiben. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versuchte er sich an einem Roman, fand aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erschien 1986 in einem studentischen Kleinverlag.

Noch im selben Jahr ging Rankin nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitete. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionage-Roman „Watchman“ (1990, dt. „Der diskrete Mr. Flint“). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasste Rankin in rascher Folge drei Action-Thriller. 1991 griff er eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. „Verborgene Muster“) zum ersten Mal hatte auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. Mit diesem gelang Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftete. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. „Das zweite Zeichen“) spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt den dunklen Seiten nach, die den Steuerzahlern von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft und Medien gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Nachdem er Rebus 2007 in den Ruhestand geschickt hatte, begann Rankin 2009 eine neue Serie um den Polizisten Malcolm Fox, kehrte aber bereits 2012 zu seiner Erfolgsfigur zurück.

Ian Rankins Rebus-Romane kamen ab 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnete ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 2004 wurde Rankin für „Resurrection Man“ (dt. „Die Tore der Finsternis“) mit einem „Edgar Award“, 2007 „The Naming of the Dead“ (dt. „Im Namen der Toten“) als „BCA Crime Thriller of the Year“ ausgezeichnet. Rankin gewann weiter an Popularität, als die britische BBC 2000 mit der Verfilmung der Rebus-Romane begann.

Gebunden: 475 Seiten
Originaltitel: Rather Be the Devil (London : Orion Books 2016)
Übersetzung: Conny Lösch
https://www.ianrankin.net
http://www.randomhouse.de/goldmann

E-Book: 2149 KB (Kindle)
ISBN-13: 978-3-6411-8314-1
http://www.randomhouse.de/goldmann

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