Greg Iles – Infernal

Das geschieht:

Ihre Fotografien von den Schlachtfeldern dieser Welt haben sie berühmt gemacht. Doch nun ist Jordan Glass ausgebrannt. Sie begibt sich auf eine Reise nach Asien – und gerät in Hongkong vom Regen in die Traufe: In einem Kunstmuseum findet sie eine unheimliche Ausstellung. Der anonyme, hoch talentierte Maler bildet Frauen ab: nackt, schlafend – oder sogar tot? Jordans faszinierte Abscheu verwandelt sich in Schrecken, als sie in einem der ‚Modelle‘ ihre Zwillingsschwester Jane erkennt. Die ist vor einem Jahr in New Orleans während eines Jogginglaufes spurlos verschwunden. Das FBI kennt noch mehr dieser Fälle, denen eines gemeinsam ist: Eine Lösegeldforderung wurde nicht gestellt, eine Leiche nie gefunden.

Können nun die Ermittlungen wieder aufgenommen werden? Die Behörden sind willig aber auch ratlos. Kein Mensch hat den Künstler bisher gesehen. Auf eigene Faust beginnt Jordan nach ihm zu fahnden. In New York kann sie seinen Galeristen ausfindig machen. Auch dieser Christopher Wingate behauptet jedoch, seinen Auftraggeber nicht zu kennen, und bedroht die lästige Jordan, die ihm ein lukratives Geschäft zerstören kann. Doch plötzlich geht die Galerie in Flammen auf, denen nur Jordan entkommt. Der unheimliche Maler ist wohl näher als gedacht und schützt sich rigoros davor, enthüllt zu werden.

Die Zahl der Verdächtigen ist groß. Sie reicht von diversen geheimnisvollen Künstlern in den USA über den zwielichtigen ‚Geschäftsmann‘ De Beque auf den Cayman-Inseln bis zu skrupelarmen ‚Kunstliebhabern‘ aus Asien, die jeden Preis für eine neue „Schlafende“ zu zahlen bereit sind. Jordan arbeitet inzwischen im Team mit dem FBI-Agenten John Kaiser und dem Profiler Arthur Lenz. Diese sind irgendwann bereit, Jordan als Köder einzusetzen. Kann der unbekannte Mörder widerstehen, nach der einen auch die andere Schwester zu ‚fangen‘ und zu malen? Wie sich bald herausstellt, kann er es nicht. Als Mörder ist er mindestens so talentiert wie als Künstler, was sein aktuelles Modell in akute Lebensgefahr bringt …

Seltsamer Mörder in rasanter Handlung

Dies ist keine wirklich originelle Story; die Inhaltsangabe deutet es bereits an. Doch die Variation des Bekannten ist durchaus ein Schlüssel zu guter Unterhaltung. Greg Iles ist die Umsetzung fabelhaft gelungen: „Infernal“ ist – den irreführenden & nichtssagenden deutschen Titel verzeihen wir deshalb gern – ein spannender, rasant erzählter Thriller, der seine Leser nicht loslässt.

Wirklich eine Leistung, denn wie viele immer bizarrer mordende Serienkiller haben wir seit Hannibal L. über uns ergehen lassen müssen? Da ist es wirklich die richtige Entscheidung, den „Maler“ bis zuletzt außen vor zu lassen und stattdessen seine Verfolgung als Suche nach der Nadel im Heuhaufen zu inszenieren. Viele falsche Spuren werden gelegt, aber sie sollen keine Buchseiten schinden, sondern tragen zur Handlung bei, indem sie lebendig und realitätsnah (oder jedenfalls so wirkend) die moderne Ermittlungsarbeit der Polizei bzw. hier des FBI zeigen, die nach wie vor viel mit der Arbeit eines Sherlock Holmes zu tun hat.

Zum Lob gesellt sich negative Kritik. Lassen wir einmal den Einwand beiseite, dass eine Bundesbehörde wie das FBI den Teufel tun würde, eine Privatperson wie Jordan Glass direkt an seinen Ermittlungen zu beteiligen oder den hier heraufbeschworenen Gefahren auszusetzen. Schlimmer wiegt, dass Greg Iles als Thriller-Autor manchem Politiker gleicht: Was er mit den Händen kunstvoll aufbaut, wirft er mit dem Hintern wieder um. Übersetzt bedeutet das: „Infernal“ ist in der Tat ein infernalisch spannender Roman, der seine Qualitäten jedoch im Finale fast gänzlich verspielt.

‚Schreckliches‘ Ende ohne Spannung

Selbstverständlich gerät die Heldin in die Gewalt des mörderischen Schurken, ist ihm nackt, halb betäubt und damit buchstäblich hilflos ausgeliefert. Das ist so ein Klischee geworden, dass man sich gar nicht groß aufregen oder es gar glauben mag. Später sitzen Mörder und Opfer quasi gemütlich zusammen, und ersterer erzählt letzterem ausführlich die Geschichte seines Lebens voller Übeltaten. Seite um Seite geht das so und dient sichtlich nicht der Story, sondern allein dem Zweck, die diversen Fäden der Handlung zum finalen Knoten zu schürzen.

Dann folgt selbstverständlich das große Schlussduell zwischen Gut und Böse, das erwartungsgemäß mit dem knappen Sieg der Heldin ausgeht. Dies hier zu verraten ist kein Spielverderben, weil wohl kein Leser mit einem anderen Ausgang rechnet. Man hat solche handgreiflichen, mit vielen Ausrutschern, Fehlschüssen und gestaffelten Toden des Bösewichts in die Länge gezogenen Final-Auseinandersetzungen ein wenig zu oft gelesen aber auch im Film gesehen, um davon noch beeindruckt werden zu können.

Anschließend verrät Iles seine Geschichte und seine Leser endgültig, indem er dem eigentlichen Schlussakt ein Happy-End anklebt, das in seiner süßlich-klebrigen Unwahrscheinlichkeit jeder Beschreibung spottet. Hier wird besonders deutlich, dass Iles nicht nur Roman- sondern auch Drehbuchautor ist, der beim Schreiben vorsichtshalber gleich beide Medien berücksichtigt. Gar so plump und dreist sollte dies aber nicht geschehen!

Frauenheldin aus Männersicht

Obwohl primär Mainstream-Thriller-Autor par excellence, ist Greg Iles durchaus nicht frei von schriftstellerischem Ehrgeiz. Wieso sonst hätte er sich der Herausforderung gestellt, ein ganzes Buch aus der Sicht einer Frau zu beschreiben? Grundsätzlich kann man dies nachvollziehen: „Infernal“ würde mit einem männlichen Hauptdarsteller nicht funktionieren.

Iles muss sich dessen bewusst gewesen sein, dass er ein großes Risiko einging. Zwar gehören Männer und Frauen biologisch einer Art an, aber es gibt bekanntlich gewisse Unterschiede im Denken und Handeln. Je tiefer man in Geist und Seele seiner Hauptfigur vordringt, desto größer wird die Gefahr, über Wesenszüge oder Verhaltensweisen zu schreiben, die man nur aus zweiter Hand kennt, d. h. sich angelesen oder über die man quasi in Feldforschung informiert hat.

Iles ist ein handwerklich geschickter aber nicht wirklich begnadeter Schriftsteller. Er hätte sich besser darauf beschränkt, Jordan Glass zu beobachten. Stattdessen versucht er das Unmögliche: Als männlicher Ich-Erzähler will er mit seiner weiblichen Figur verschmelzen. Das klappt im thrillertypischen Bereich (Flüchten/Verfolgen, Spurensuche usw.) ganz gut, wirkt aber sofort künstlich, wenn sich Iles lang & breit darüber auslassen zu müssen glaubt, wie eine Frau wie Jordan Glass in den beschriebenen Situation tatsächlich empfinden würde. Ins Lächerliche kippt das schließlich um, als Iles sich an diversen Sexszenen aus weiblicher Sicht versucht. Er scheint sie mit dem Blick in ein entsprechendes Lehrbuch und dem Ohr am Mund feministisch korrekter Ratgeber geschrieben zu haben.

Darüber hinaus überfrachtet Iles Jordan Glass mit allzu vielen, nur vordergründigen Seelenlasten. Vater tragisch verschollen, Mutter säuft, Geschwisterstreit, Schlachtfeld-Weltschmerz, verdrängte Vergewaltigung: Alles ist ein bisschen zu dick aufgetragen.

Die anderen Rollen

Agent John Kaiser: ein schmuckvoll vom Leben angewitterter Gutmensch, natürlich ebenfalls von dekorativer Seelenpein geplagt, aber letztlich so, wie frau (nach Greg Iles) sich Mr. Right vorstellt. Tatsächlich ist Kaiser eine konturenschwache Figur, die vor allem dort zum Einsatz kommt, wo Jordan anstelle des FBI nicht auftreten kann, ohne die Handlungslogik endgültig ad acta zu legen. (Überhaupt wird unauffällig, aber doch deutlich ein Loblied auf das FBI gesungen, was sich bei einer eventuellen Verfilmung sicherlich positiv auf die Mitarbeit der Behörde auswirken wird …)

Der Mörder (über den hier nicht allzu verraten werden soll, um dem Leser den Spaß nicht zu verderben) ist erfreulich fremd und bösartig, so lange er sich der Handlung fernhält. Als er endlich die Maske vom Gesicht nimmt, ist man als Leser enttäuscht, denn dahinter kommt keine in ihrer Bosheit faszinierende Gestalt zum Vorschein. Der „Maler“ quatscht zu viel und erklärt haarklein, was man a) ohnehin bereits ahnt oder gar weiß und b) lieber gar nicht wissen will, weil man es nicht glaubhaft oder gar zu klischeehaft findet.

So ist es vor allem die Figurenzeichnung, die das abschließende Urteil über „Infernal“ prägt: pure Unterhaltung, die zielsicher ins Hirn des Lesers trifft, so lange sie ihr ehrenwertes Anliegen verfolgt, aber dort sogleich zu schwächeln beginnt, wo des Verfassers Ambitionen seine Fähigkeiten übersteigen.

Autor

Greg Iles wurde 1960 als Sohn eines US-Botschaftsarztes im deutschen Stuttgart geboren. Als die Dienstzeit des Vaters endete, ging die Familie in die Vereinigten Staaten zurück, wo Iles in Natchez, Mississippi, zur Schule ging und an der University of Mississippi studierte.

Nach seinem Abschluss (1983) spielte Iles mehrere Jahre in einer Rockband. Anfang der 1990er Jahre arbeitete er an einem ersten Roman. 1993 erschien „Spandau Phoenix“, ein Historien-Thriller um den deutschen Kriegsverbrecher Rudolf Hess. Obwohl Iles schnell auch in Deutschland erfolgreich veröffentlicht wurde, blieb sein (politisch unkorrekter) Erstling hierzulande ohne Übersetzung.

Greg Iles ist ein fleißiger Autor. Jährlich bringt er ein vielhundertbändiges Werk auf den Buchmarkt. Er schreibt Thriller ohne bzw. mit vor allem vorgeblichem Tiefgang, die sich routiniert der einschlägigen Klischees bedienen und damit ideale Kandidaten für die Bestsellerlisten der lesenden Welt sind.

Über sein Werk informiert Greg Iles auf dieser Website.

Taschenbuch: 544 Seiten
Originaltitel: Dead Sleep (New York : G. P. Putnam and Sons 2001)
Übersetzung: Axel Merz
http://www.luebbe.de

eBook: 713 KB
ISBN-13: 978-3-8387-1723-4
http://www.luebbe.de

Hörbuch-Download: 17 Stunden 29 min. (ungekürzt; gelesen von Uve Teschner)
http://www.audible.de

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