Ingebjørg Berg Holm – Wütende Bärin

Schon der Prolog des ungewöhnlichen Romans „Wütende Bärin“ lässt nichts Gutes verheißen und zeigt das Programm für den ganzen Roman. Da wird ausführlich und eindringlich beschrieben wie eine Leiche im hohen Norden verwest und wie die einzige Bedeutung des Menschen in seiner Funktion als Nahrungsquelle von Tieren und der Düngung der norwegischen Erde besteht. An dieser Stelle glaubt man es noch, es mit einem Kriminalroman zu tun zu haben.

Dann werden Nina, Njal und deren zweijährige Tochter Lotta, sowie Sol, Njals Ex-Frau vorgestellt. Bis auf das Kind über das man nicht viel mehr erfährt, als dass es der Spielball der drei Protagonisten ist, sind allesamt wenig sympathisch. Trotzdem werden die Lesenden hinein gesogen in die Psychospiele der drei Erwachsenen. Dabei geht es eher um Unausgesprochenes als um Ausgesprochenes: sexueller Missbrauch, den Wunsch zu töten… sich auf jeden Fall gegen den Anderen durchzusetzen. „Wütende Bärin“ ist kein Roman, den man mal eben so in einem Rutsch durchliest. Er ist aber auch kein Roman, den man vor dem Ende für längere Zeit aus der Hand legt, denn die Autorin versteht es, immer wieder die Neugier des Lesers anzustacheln: Hat Njal nun oder hat er nicht? Was hat Nina mit Lotta auf dem Balkon gemacht? Und was ist zwischen Sol, Lotta und Njal?

Die von Beginn an bedrohliche Stimmung des Romans wird immer ausgeprägter, je mehr man von den einzelnen Ich-Erzählern erfährt, denn ihre Gedanken und Gefühle werden ungefiltert und unkommentiert wiedergegeben. In Andeutungen zwar, die den wunden Punkt nicht genau benennen, aber doch schonungslos genug, um zu verstehen, dass in allen Protagonisten etwas brodelt, das zur Katastrophe führen kann. Ihre tiefen seelischen Verletzungen, ihre Ängste, ihre egoistischen Ränke, vor allem der Wunsch, Lotta zu besitzen (und nicht wie immer behauptet wird zu „beschützen), werden offengelegt. Nicht etwa die Liebe, sondern die Furcht vor dem Jugendamt und die Tatsache, dass Sol nach vielen Fehlgeburten nun ein behindertes Kind bekommen wird, sowie der mögliche Verlust des Forschungsaufenthalts, sollte man nicht gemeinsam nach Svalbard gehen, bringen Njal und Nina wieder zusammen. Man ahnt, dass das nicht gut gehen kann.

Außerdem muss man wohl in Skandinavien geboren und aufgewachsen oder leidenschaftlicher Klimaforscher sein, um den Wunsch zu verstehen, mit dem sich zwei Erwachsene mit einem kleinen Kind während der Polarnacht in eine abgelegene Hütte zurückziehen. Berg Holm stellt in ihrem Thriller nicht umsonst eindrücklich dar, wie der Aktionskreis sich immer enger und enger um die Protagonisten zieht bis die Katastrophe unausweichlich ist. Seitenlang wird erklärt, wie gefährlich Eisbären sind, dass man nie ohne Waffe irgendwo hingehen darf und in wie viele Schichten Kleidung sich die Menschen hüllen, um nicht zu frieren. Wem dabei noch nicht ungemütlich wird, der bekommt spätestens eine Gänsehaut, wenn Njal, Nina und Lotta zwischen Eis und Schnee in der winzigen Hütte zurückbleiben, einzig umgeben von Gefahr und Dunkelheit.

„Wütende Bärin“ ist ein ungewöhnlicher, einzigartiger Roman, der wichtige aktuelle Themen in eine verstörende Dreiecksgeschichte verpackt: Machtmissbrauch, sexuelle Gewalt, Metoo-Erfahrungen, pro und contra Kinderwunsch, sowie Klimawandel. Doch vor allem handelt der Roman davon, was geschieht, wenn aus Liebe Hass wird und, wie der drohende Verlust des Kindes eine Frau in eine wütende Bärin verwandeln kann. Erschreckend und faszinierend zugleich.

Gebundene Ausgabe: 360 Seiten
ISBN-13: 978-3961941827
kjm-buchverlag.de

Der Autor vergibt: [Rating: 5/5] Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)