Interview mit Andreas Gruber, Teil 1

Andreas Gruber wurde am 28.08.1968 in Wien geboren. Er studierte an der Wirtschaftsuniversität Wien, arbeitet als kaufmännischer Angestellter in einem Teilzeitjob, hat einen Sohn und lebt verheiratet in Grillenberg in Niederösterreich.

1996 begann er mit dem Schreiben von Autorenportraits, die im Magazin |Space View| abgedruckt wurden. Ab 1997 verfasste er Kurzgeschichten für Fanzines wie |Fantasia|, |Nocturno|, |Sagittarius|, |Solar-X| und das |Andromeda|-SF-Magazin. 1999 war er mit einer Story Preisträger des [NÖ Donaufestivals.]http://www.donaufestival.at

Mittlerweile erschienen seine Kurzgeschichten in zahlreichen Magazinen, u. a. |Alien Contact|, |Nova|, |Omen|, |phantastisch!| und |Space View|, sowie in Anthologien der Verlage |Aarachne|, |Abendstern|, |Basilisk|, |BeJot|, |Bielefeld|, |BLITZ|, |Lacrima|, |Midas|, |Richter|, |Schröter|, |Shayol|, |Storia|, |UBooks|, |VirPriV|, |Wurdack| und |Ulmer Manuskripte|.

Sein Kurzgeschichtenband „Der fünfte Erzengel“ (|Shayol|, derzeit in 2. überarb. Aufl.) wurde zum |Deutschen Phantastik-Preis| 2001 nominiert und erreichte den 4. Platz. Mit seinem zweiten Kurzgeschichtenband „Die letzte Fahrt der Enora Time“ (|Shayol|, derzeit in 2. überarb. Aufl.) erzielte er 2002 den 1. Platz beim |Deutschen Phantastik-Preis| in den Kategorien „Beste Kurzgeschichte“ und „Beste Kollektion“, sowie den 2. Platz beim |Deutschen Science-Fiction-Preis| und den 3. Platz beim |Kurd-Lasswitz-Preis|.

Die phantastische Detektiv-Kurzgeschichten-Serie „Jakob Rubinstein“ erschien im |Basilisk|-Verlag und erzielte beim |Deutschen Phantastik-Preis| 2004 den 4. Platz.

Der Roman „Der Judas-Schrein“ erschien im April 2005 als Hardcover im |Festa|-Verlag und gewann 2006 den |Deutschen Phantastik-Preis| in der Kategorie „Bestes Roman-Debut“. Danach Arbeitsstipendium Literatur 2006, österreichisches Bundeskanzleramt. Ende 2007 erschien der Roman „Schwarze Dame“ im |Festa|-Verlag und Anfang 2008 der Roman „Das Eulentor“ im |BLITZ|-Verlag. Für das dritte Quartal 2008 ist der Roman „Die Engelsmühle“ im |Festa|-Verlag in Vorbereitung.

|Die Biographie wurde der offiziellen Autoren-Website http://www.agruber.com entnommen und geringfügig bearbeitet.|

_Andreas Gruber auf |Buchwurm.info|:_

[„Schwarze Dame“ 4584
[„Der Judas-Schrein“ 2113
[„Der fünfte Erzengel“ 1907

_Erster Teil des Interviews mit Andreas Gruber, geführt von Alisha Bionda am 24. Februar 2008_

_Alisha Bionda:_
Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, einige Fragen zu beantworten. Als Erstes eine persönliche Frage: Was gibt es über dich als Menschen zu sagen? Was zeichnet dich in deinen Augen aus?

_Andreas Gruber:_
Schwierige Frage. Kennst du die Szene aus Mel Brooks‘ „Frankenstein Junior“, in der Marty Feldman und Gene Wilder ein Grab ausheben, um an Leichenteile ranzukommen? Alles geht schief, was nur schiefgehen kann, aber Marty Feldman sagt: „Es könnte schlimmer sein, es könnte regnen!“ In der nächsten Sekunde setzt dann tatsächlich der Regenschauer ein. Ich bin wie Marty Feldman in der Rolle des Igor: auch dann noch positiv gelaunt, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht. Es gibt nämlich immer eine Situation, die noch schlimmer sein könnte.

_Alisha Bionda:_
Was magst du und was nicht?

_Andreas Gruber:_
Ich mag nicht, wenn mich jemand anlügt, falsche Freunde, die sich einschleimen und hinter dem Rücken anderer Lügen verbreiten, ebenso wenig kleingeistige Kriege, weil sich jemand beleidigt fühlt. Ich mag ehrliche Freundschaften, Spaziergänge im Wald, Grillfeste, „Wickie und die starken Männer“, Bastian Pastewka, die „Benny Hill Show“ oder einen Stan-Laurel-&-Oliver-Hardy-Film an einem verregneten Sonntagnachmittag im Fernsehen.

_Alisha Bionda:_
Welche Hobbys hast du?

_Andreas Gruber:_
Lesen, Kinobesuche, Heavy-Metal-CDs sammeln, Acrylbilder malen, die ich verschenke, und regelmäßig bei |Amazon| oder |eBay| stöbern, ob es Angebote gibt. Eine Woche ohne Amazonbestellung ist eine verlorene Woche! Ein Schnäppchen bei |eBay| gibt meinem Leben wieder einen Sinn. Alles klar?

So, dann trainiere ich noch zweimal pro Woche Karate, als Ausgleich zu meiner sitzenden Tätigkeit, sonst hätten mich meine Rücken- und Nackenschmerzen schon längst um den Verstand gebracht. Und seit einem Jahr hat sich ein neues Hobby entwickelt. Heidi und ich spielen mit unseren beiden Nachbarehepaaren Würfelpoker. Dafür haben wir – frei nach John Carpenters „Die Klapperschlange“ – die Bangkok-Regeln erfunden. Eine Partie dauert ca. 80 Minuten, drei Partien sind an einem Abend Minimum. Wer verliert, bei dem findet die nächste Pokerpartie inklusive Abendessen statt. Einmal haben Heidi und ich siebenmal hintereinander verloren. Die Nachbarn hatten sozusagen eine Dauerkarte bei uns gebucht. Die waren schon so peinlich berührt, dass sie Getränke, Chips und Süßigkeiten zum Abendessen mitgebracht haben.

_Alisha Bionda:_
Wolltest du immer schon Schriftsteller werden oder war es eher eine Folge deiner persönlichen Entwicklung?

_Andreas Gruber:_
Nein, ich wollte schon als Junge Autor werden. Mit sechzehn Jahren habe ich Story-Hommagen an die John-Sinclair- und Larry-Brent-Heftromanserie geschrieben. Statt Ghouls haben Suko und John Sinclair so genannte Gössingers gejagt, denn einer meiner Schulkameraden hieß Gössinger. Meine Storys haben mich in der Schule nicht gerade beliebt gemacht, wie du dir sicher vorstellen kannst. Mit etwa 21 Jahren habe ich einige Kurzgeschichten geschrieben, die von |Heyne| und |Bastei| abgelehnt wurden, und nach einer längeren Pause habe ich wieder mit dem Schreiben begonnen.

Damals habe ich Nikolai von Michalewsky, den mittlerweile verstorbenen Autor der Mark-Brandis-Serie aus dem |Herder|-Verlag, in einem Brief um ein Autogramm gebeten und ihm geschrieben, dass ich versuchen möchte, ebenfalls Autor zu werden, da mir so viele Ideen im Kopf herumschwirren. Er war sehr freundlich, hat mich in seinem Antwortschreiben motiviert, hat aber auch geschrieben, dass der Weg hart sei und er mir ein dickes Fell wünscht. Ähnliches schrieb mir der Autor Martin Eisele zurück, den ich ebenso gern gelesen habe. Ich besitze beide Briefe noch, und manchmal stöbere ich in meiner Autogrammmappe. Im Nachhinein betrachtet, waren die Antworten ziemlich untertrieben, aber wahrscheinlich wollten die beiden meinen Jugendtraum nicht völlig zerstören.

_Alisha Bionda:_
Wann hast Du zu schreiben begonnen? Und womit?

_Andreas Gruber:_
Mit 28 habe ich meinen ersten Roman getippt, einen 500-Seiten-Schmöker, den ich aber mittlerweile von der Festplatte gelöscht habe. Du hast es sicher erraten! Er war grottenschlecht, und |Heyne| und |Bastei| wollten ihn nicht einmal geschenkt haben. Im Jahr darauf folgten SF-Storys, die handwerklich ein wenig besser waren und in Fanzines wie |Solar-X|, |Alien Contact|, |Fantasia| oder dem |Andromeda|-SF-Magazin veröffentlicht wurden. Das war 1997 und 1998. Damals träumte ich davon, einmal – bloß einmal – in einer Anthologie veröffentlicht zu werden, um endlich einmal ein richtiges Buch mit meinem Namen drin in Händen zu halten.

Im Wiener |Aarachne|-Verlag von Ernst Petz erschienen dann tatsächlich meine ersten Horror- und SF-Storys in Anthologien, auf die ich mächtig stolz war – und immer noch bin. Mit einer Kollektion von vier Horrorstorys habe ich mich dann bei Boris Koch für eine weitere Ausgabe in seinem Kleinverlag |Medusenblut| beworben. Zu jener Zeit stieg er gerade von Heften auf Bücher um und meinte, er könne nur Bände mit mindestens 150 Seiten rausbringen. Rasch habe ich meine Festplatte nach weiteren tauglichen Texten durchsucht, und so entstand 2000 der Erzählband „Der fünfte Erzengel“.

_Alisha Bionda:_
Hast du eine fest strukturierte Methode, wie du eine Kurzgeschichte „angehst“?

_Andreas Gruber:_
Zunächst muss mal eine konkrete Idee her, dann tippe ich den Anfang wild drauflos. Falls ich in die Story reinkippe, schreibe ich die Rohfassung komplett durch, was aber eher selten passiert. Meist reihe ich sämtliche Ideen chronologisch wie in einem Exposé aneinander und versuche, die Story in Szenen zu unterteilen. Danach tippe ich den Text runter, ohne mir den Kopf darüber zu zerbrechen, ob die Fakten nun stimmen oder nicht. Danach kommt der Part, wo ich die Charaktere, die bis dahin ein merkwürdiges Eigenleben entwickelt haben, in Form von Aussehen, Gesten, Dialogen, Erzählperspektiven und inneren Monologen ausarbeite. Anschließend kommt der Part mit den Recherchen, ob alles stimmt, und dann lese ich mir den Text mehrmals auf dem Monitor durch, korrigiere herum, gruppiere Absätze um, bis ich mit der Story und dem Stil halbwegs zufrieden bin.

Fünfmal ausgedruckt, an fünf Testleser verteilt, dann trudelt schön langsam das erste Feedback ein. Danach beginnt das mühsame Überarbeiten, damit die Charaktere interessanter werden, die Handlung plausibler wird, aber trotzdem spannend bleibt. Zu guter Letzt drucke ich den Text aus und überarbeite ihn auf dem Papier, bis er sich knapp und flüssig liest, keine Tipp-, Rechtschreib-, Stilfehler oder Wortwiederholungen drin sind. Das widerspricht dem Klischee des intellektuellen Künstlers, der in der Abendsonne sitzt und eine Geschichte aufs Papier kritzelt, wenn ihn die Muse küsst. Ich wäre zwar gern so, bin ich aber nicht – leider.

_Alisha Bionda:_
Schreibst du gerne zu einer bestimmten Zeit? Lieber tagsüber, lieber abends/nachts? Wie sieht dein Tagesablauf aus?

_Andreas Gruber:_
Da ich im Büro einen Teilzeitjob im Controlling habe, bin ich oft tagelang mit Zeitausgleich zu Hause. Da arbeite ich von sieben Uhr früh, wenn Heidi das Haus verlässt, bis abends durch. An einem Tag pro Woche, meinem so genannten Schreibtag, arbeite ich bis 23.00 Uhr. Sonst bin ich ab ca. acht oder neun Uhr abends für die Familie da, für einen gemeinsamen Fernsehabend, Kinobesuch oder einen Spieleabend – entweder Würfelpoker oder eine Monsterpartie von den „Siedlern von Catan“.

_Alisha Bionda:_
Bevorzugst du eine bestimmte Atmosphäre oder benötigst du besondere Ruhe, wenn du schreibst?

_Andreas Gruber:_
Ich kenne Autorenkollegen, die können nur schreiben, wenn sie in einem Kaffeehaus sitzen oder mit einem Laptop in der Bibliothek einer Uni. Das würde bei mir nicht klappen. Ich brauche Ruhe beim Arbeiten. Im Zug kann ich zwar Manuskripte überarbeiten – die ÖBB-Wagons haben einen Tisch zum Runterklappen, ähnlich wie in einem Flugzeug, worauf man herrlich korrigieren kann – aber schreiben kann ich nur in meinem Arbeitszimmer. Als Heidi und ich uns vor knapp fünf Jahren ein Fertigteilhaus aufstellen ließen, habe ich mir durch langes Verhandeln das schönste Zimmer im Haus – mit großer Fensterfläche, Balkon und Aussicht auf den Bach im Garten – erkämpfen können. Wichtigerweise klebt ein Schild mit der Aufschrift „Büro“ an der Tür. Da sitze ich nun am PC und arbeite. Vor, hinter und neben mir sind Wandregale, vollgestopft mit Büchern, DVDs und CDs. Wenn mir mal gerade nichts einfällt, schalte ich schnell ins Internet auf die |Amazon|-Seite und bestelle mir etwas. Von meinem Balkon aus sehe ich immer, wenn der Lieferant von |DHL| vor dem Grundstück stehen bleibt und ein Paket bringt. Dann ist der Tag gerettet.

_Alisha Bionda:_
Schreibst du an mehreren Projekten gleichzeitig oder trennst du das strikt?

_Andreas Gruber:_
Grundsätzlich würde ich die einzelnen Projekte gern trennen, da ich ein ähnlicher Ordnungsfreak bin wie der TV-Detektiv Monk, d. h. eine Story beenden, den Schreibtisch aufräumen, den Kopf freimachen, und danach das nächste Projekt beginnen. Leider ist das nicht immer möglich. Durch die lange Phase, in der eine Kurzgeschichte entsteht, wie Rohfassung, Testlesen, Überarbeiten, Korrigieren, Anmerkungen des Lektorats einarbeiten und den endgültigen Feinschliff hinbiegen, ist eine Story im Fertigwerden, während die nächste schon begonnen wird. Dazwischen drängen sich immer wieder alte Storys rein, die neu überarbeitet werden, oder neue Storyideen, die ich festhalten möchte, bevor sie ins Nirvana entschwinden. Zu Spitzenzeiten liegen etwa sieben Manuskripte in den unterschiedlichsten Stadien auf dem langen Regal in meinem Schreibzimmer. Und falls der Stapel runtergekämpft ist und sich nur noch ein oder zwei Manuskripte dort befinden, beginnen die grauen Zellen in meinem Kopf schon zu rotieren: Alter, was könntest du als nächstes machen?

_Alisha Bionda:_
Welchem Genre ordnest du dich zu? Und welches reizt dich am meisten?

_Andreas Gruber:_
Als Zwangsneurotiker à la Adrien Monk ordne ich Dinge gern in geistige Schubladen ein. Bei mir selbst gelingt mir das leider nicht. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wo ich mich reintun sollte. Das ist der Horror jedes Verlagsleiters, wenn er seinen Autor nicht schubladisieren kann. Ich habe ja nicht nur das Problem, dass ich gern Sciencefiction, Horror, Phantastik, Krimis, Thriller und Satiren schreibe, sondern die Genres auch noch gern vermische, und dann kommt beispielsweise so ein Horror-Krimi wie „Der Judas-Schrein“ dabei heraus. Ich lese gern all diese Genres – und das ist das Problem: Ich schreibe liebend gern, was ich selber lese. Auf meinem Nachttisch geben sich Clive Barker, David Morrell, Tom Sharp und Ben Bova sozusagen die Türklinke in die Hand. Letztendlich hat sich in den letzten Jahren aber herauskristallisiert, dass mir das Schreiben im düsteren Thriller- und phantastischen Horror-Genre am meisten Spaß macht – da kommen auch die meisten Ideen.

_Alisha Bionda:_
Deinen Anfang nahmst du mit dem Verfassen von Kurzgeschichten. Was reizt dich daran?

_Andreas Gruber:_
Bei Kurzgeschichten kann man herrlich herumexperimentieren: verschiedene Erzählperspektiven ausprobieren, in der Gegenwart oder in der Mitvergangenheit schreiben, in der zweiten Person schreiben, diverse Rückblenden einbauen, literarisch anspruchsvoll oder einfach nur trashig schreiben, mit Pointen oder Überraschungseffekten arbeiten. Viele Dinge funktionieren im Roman einfach nicht, die kann man nur in einem kurzen Text rüberbringen. Beispielsweise hätte ein Roman mit einer Auflösung à la „The Sixth Sense“ wenig Sinn, als Kurzgeschichte hingegen schon. Für eine Story genügt eine kleine, gute Idee, die man in einem Fünf-Seiter unterbringen kann, aber im Normalfall keinen Roman tragen würde. Mit Kurzfilmen ist es ja ähnlich. Die werden nicht umsonst Kleinodien Hollywoods genannt, da sie genauso Filmmusik, Schnitttechnik, Kameraführung, Überblendungen und all das zu bieten haben, was einen abendfüllenden Spielfilm ausmacht, nur eben auf fünf Minuten komprimiert.

_Alisha Bionda:_
Gibt es einen Autor, dessen Kurzgeschichten du besonders magst?

_Andreas Gruber:_
Oh ja, ich liebe die Kurzgeschichten von Torsten Sträter („Jacks Gutenachtgeschichten“). Der Mann hat einen Stil, den ich regelrecht verschlinge. Der beutelt die Storys, die Dialoge, die Vergleiche und seine einzigartigen bildhaften Beschreibungen nur so aus dem Handgelenk, dass mir auf jeder Seite staunend den Mund aufklappt. Frank Hebben ist auch so ein Kaliber, der es schafft, erfrischend, knapp und einzigartig zu schreiben. Jeder Text ist eine Bereicherung. Demnächst erscheint Hebbens erster Kurzgeschichtenband, auf den ich mich schon tierisch freue. Ich mag die Storys von Michael Siefener („Somniferus“) wahnsinnig gern, denn die sind so schön düster, ruhig und klassisch wie die alten Schwarzweiß-Filme, die ich so sehr liebe. Joe R. Lansdale („Sturmwarnung“, „Wilder Winter“) bewundere ich wegen seiner genreübergreifenden Crossover-Storys und seines kaltschnäuzigen Stils, der so wirkt, als würde er direkt aus dem Bauch heraus schreiben. Die Kurzgeschichten von David Morrell („Rambo“, „Creepers“, „Level 9“) verschlinge ich auch noch, das sind echte Juwelen, Romane in Miniform. Dann mag ich auch noch die Storys von Robert Sheckley („Aliens“) und William Tenn. Die sind zwar schon etwas ältere Semester, aber wow! So zu schreiben ist eine echte Kunst.

_Alisha Bionda:_
Dein großartiger Kurzgeschichtenband „Der fünfte Erzengel“ wurde dankenswerterweise erneut von |Shayol/Medusenblut| aufgelegt. Wie kam es dazu?

_Andreas Gruber:_
Etwa ein Jahr nach dem Erscheinen war der Band in Boris Kochs |Edition Medusenblut| vergriffen. Zwei Drittel der Auflage hat er verkauft, ein Drittel habe ich bei Lesungen und in meinem Freundes- und Bekanntenkreis unters Volk gebracht. Im Jahr darauf erschien dann die SF-Collection „Die letzte Fahrt der Enora Time“ bei |Shayol|, und als ich in Berlin auf dem |Alien Contact Con| das Buch präsentierte, sprachen mich Boris Koch und Hannes Riffel darauf an, was ich davon hielte, wenn |Shayol| den „fünften Erzengel“ neu auflegen und Hannes Riffel das Lektorat übernehmen würde. Da gab’s nicht viel zu überlegen. Ich sagte zu, räumte mir aber die Möglichkeit ein, sämtliche Texte gründlich zu überarbeiten, bevor sie Hannes in die Finger bekam. Dabei erweiterte ich die Handlung der Storys um einige Ideen, die mir im Lauf der Jahre gekommen waren. Außerdem bat ich darum, ein Vorwort schreiben zu dürfen. Mit einem neuen Farbcover von Rainer Schorm ist dann im November 2004 die zweite Auflage erschienen.

_Alisha Bionda:_
Hast du eine Kurzgeschichte, die du selbst als deine beste bezeichnen würdest?

_Andreas Gruber:_
Eigenlob stinkt bekanntlich, daher werde ich dir diese Frage nicht beantworten. Allerdings kann ich dir verraten, bei welcher Story mir das Schreiben am meisten Spaß gemacht hat. Da habe ich drei klare Favoriten: „Ristorante Mystico“ (in: „Nocturno #6“, |VirPriV|), „Souvenirs vom Sensenmann“ (in: [„Der Tod aus der Teekiste“, 3894 |Schreiblust|-Verlag und auf der |LITERRA|-Seite) und „Tief unten in Dudewater, Louisiana“ (in: „Liber Vampirorum IV“, |Midas Publishing|). Allen drei Storys ist gemein, dass sie vor Ideen nur so strotzen und eine ziemlich verwirrende, verschachtelte Handlung haben. Die Idee, so etwas schreiben zu wollen, kam mir das erste Mal, als ich den Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ sah. Zunächst sträubte ich mich gegen diesen Film, da ich ihn für französischen Kitsch hielt, doch als mir befreundete SF-Fans den Film ans Herz legten und ich dann auch noch erfuhr, dass er von Jean-Pierre Jeunet stammte, dem „Alien 4“-Regisseur, borgte ich ihn mir in der Videothek aus. Ich war gleich von Beginn an ein Fan des Films, der neben „Memento“, „Fight Club“, „Die Wonder Boys“ und „Bube, Dame, König, Gras“ zu meinen fünf Lieblingsfilmen gehört. Jedenfalls wollte ich etwas Ähnliches zu Papier bringen – eine Aneinanderreihung verrückter Ideen, die trotzdem eine Handlung ergaben. Und obwohl die Arbeiten an diesen Texten die wohl schwierigsten und langwierigsten waren, bereiteten sie mir am meisten Freude.

_Alisha Bionda:_
Man kann Beiträge von dir in einigen Anthologien finden. Was ist ausschlaggebend dafür, an welchem Projekt du dich beteiligst? Herausgeber? Verlag? Thematik?

_Andreas Gruber:_
Ausschlaggebend ist eigentlich nur, ob ich eine passende Idee habe und die Zeit, sie umzusetzen – oder ob eine zum Thema passende Story in der Schublade liegt. Wichtig ist mir nur, dass der Verlag den Text lektoriert und Druckfahnen versendet. Ob der Herausgeber nun einen etablierten Namen hat oder ein absoluter Newcomer ist, ist für mich nicht wichtig, da auch ein Newcomer, der eine Vision verfolgt, hunderte Texte liest, seine Freizeit opfert und monatelange Arbeit in das Projekt buttert, mit einer Story unterstützt werden sollte.

Von vornherein schließe ich nur Druckkostenzuschussverlage aus oder Verlage, die keine Belegexemplare an ihre Autoren verteilen. Solche Fälle gibt es, und wenn ich mich nach einem Belegexemplar erkundige, habe ich schon öfters die patzige Antwort erhalten, dass ich eigentlich froh sein müsste, wenn mich der Verlag überhaupt druckt, denn schließlich ist das ja Werbung, und wenn ich nicht will, gäbe es Dutzende, die nur darauf warten, dort gedruckt zu werden. Also klein sein, nichts rausrücken wollen, aber dann auch noch frech und überheblich sein – finde ich nicht okay. Mir ist klar, dass Kleinverlage keine Autorenhonorare bezahlen können, da die Bücher aus der eigenen Tasche finanziert werden – aber zumindest ein Belegexemplar als Anerkennung für die Story sollte schon drin sein. Übrigens gibt es die Verlage, die so gearbeitet haben, mittlerweile nicht mehr auf dem Markt. Ich bin nicht schadenfroh, aber es beweist mir, dass sich Qualität und Engagement letztendlich durchsetzen.

_Alisha Bionda:_
Hast du ein schriftstellerisches Vorbild?

_Andreas Gruber:_
Mehrere sogar. Stilistisch finde ich Joe R. Lansdale unübertroffen. Ich habe nie versucht, seinen Stil zu kopieren, da ich meine Grenzen kenne. Lansdale schreibt aus dem Bauch, und ich bin viel zu sehr Kopfmensch, als dass mir das je gelingen würde. Mir bleibt also nur, Lansdale zu bewundern. Was die Entwicklung und das Zeichnen von Charakteren betrifft, ist Dennis Lehane („Mystic River“, „Shutter Island“) ein klares Vorbild. Von ihm habe ich mir einige Tricks und Kniffe abgeschaut. Was die Handlung betrifft, bewundere ich die Arbeiten von David Morrell, der sogar seinen Kurzgeschichten so viel Aufmerksamkeit widmet, dass Mini-Romane dabei herauskommen, die man locker auf 500 Seiten hätte auswälzen können. Und was das Œuvre eines Schriftstellers betrifft, so sehe ich in Markus Heitz ein klares Vorbild. Er hat es geschafft, seine Fantasyromane der Ulldart- und Zwergen-Reihe bei |Piper| unterzubringen, seine SF-Shadowrun-Reihe bei |Heyne| und seine Horrorromane „Ritus“ und „Sanctum“ in einer Reihe bei |Droemer/Knaur|. Ihm ist es gelungen, seine breiten Ideen zu verwirklichen, ohne sich dem Schubladisieren der Verlage zu beugen. Das hat – so viel ich weiß – bisher nur Wolfgang Hohlbein geschafft.

_Alisha Bionda:_
Schreibst du lieber alleine oder würdest du auch mit einem Co-Autor arbeiten? Wenn ja, wer würde dich da reizen?

_Andreas Gruber:_
Co-Autor ist so ein heikles Thema. Ich habe ein paar Mal versucht, gemeinsam mit Kollegen eine Story bzw. einen Roman zu verfassen, aber es hat nicht klappen wollen. Ich halte nichts davon, eine Story entwickeln zu lassen, um zu sehen, wohin man getrieben wird. Ich brauche ein festes Konzept, ein fixes Exposé und ein Ziel vor Augen. Ohne diesen „Leitfaden“ würde ich mich mit unplausiblen und unstimmigen Subplots verzetteln. Dazu kommt, dass ich mit manchen Ideen unzufrieden bin oder der Kollege mit meinen Ideen nichts anfangen kann. Das ist auch legitim, denn ich finde, jeder sollte das schreiben, wovon er überzeugt ist, ohne sich verbiegen zu müssen. Dann ist da noch die räumliche Barriere. Wenn man sich nicht gegenüber sitzt, um die Story zu besprechen, sondern nur telefoniert oder per E-Mail kommuniziert, wird es deutlich schwieriger, auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber um die Frage doch halbwegs zu beantworten: Reizen würde mich eine Gemeinschaftsarbeit mit Torsten Sträter. Allerdings lese ich seine Storys viel zu gern, als dass ich mich in seine Arbeit einmischen würde, weil ich lieber rausfinde, was er allein aus einem bestimmten Storythema gemacht hätte.

_Alisha Bionda:_
Liest du regelmäßig? Wenn ja, was bevorzugt?

_Andreas Gruber:_
Oh ja – lesen, wenn ich im Zug sitze, vor dem Schlafengehen und wenn ich im Urlaub am Strand liege. Ich gebe ja kein gelesenes Buch wieder her. Sammeltrieb! Monk’sche Zwangsneurose! Was stapelt sich so in meinen Schränken? Sachbücher über Kampfsport, über fernöstliche Philosophie, Biografien über Filmregisseure wie die Cohen-Brüder, David Lynch, Terry Gilliam oder Billy Wilder, Bücher übers Schreiben, weil mich Technik und Arbeitsweise anderer Autoren interessieren. Außerdem bin ich ein Fan von SF- und Horror-Kurzgeschichten und sammle alle Anthologien, die ich auf Flohmärkten in die Finger kriege. Zuletzt habe ich Romane von Matthew Delaney, Robert Sheckley, Herbert Rosendorfer, Richard Laymon, Dan Brown und Andrew Vachss gelesen. Von Vachss werde ich sicher noch mehr lesen, der Typ ist ein Wahnsinn.

_Alisha Bionda:_
Gibt es Menschen, die dich bei deinem schriftstellerischen Werdegang unterstützt haben? Freunde, Familie, Kollegen? In deinen Anfängen und jetzt?

_Andreas Gruber:_
Die Liste mit den Namen dieser Menschen ist lang, sie sind in den Danksagungen und Widmungen meiner Bücher erwähnt. Darauf lege ich deshalb so viel Wert, weil der Weg vom Storyautor für Fanzines bis zum Romanautor für Klein- und Mittelverlage ein langer und steiniger war. Nikolai von Michalewsky hat nicht übertrieben! Ohne fremde Unterstützung hätte ich das nie geschafft und längst das Handtuch geworfen. Zu glauben, dass man diesen Weg allein gehen kann, ist meines Erachtens die arrogante Fehleinschätzung eines von sich selbst eingenommenen Autors. Solche Menschen habe ich kennengelernt – und mich nur noch gewundert. Doch zurück zu den Helfern, die mich seit zehn Jahren mit ihren Kommentaren in den Wahnsinn treiben.

Das Schreiben haben mir die Autoren Gabi Neumayr, Boris Koch und Malte Sembten beigebracht, die Workshopleiter Andreas Eschbach und Klaus Frick, die Lektoren Ekkehard Redlin und Hannes Riffel. Beim Überarbeiten der Handlung, der Charaktere und der Dialoge waren mir meine Testleser behilflich: meine Frau Heidi, meine Freunde Roman Himmler und Jürgen Pichler, sowie Günter Suda, der Blut geleckt hat und seit einigen Jahren selbst Storys in Anthologien veröffentlicht. Die Gespräche mit Günter sind ziemlich fruchtbar, da wir unsere Texte gegenseitig zerlegen und in letzter Zeit immer öfter über die Erzählperspektive des Protagonisten diskutieren, die meiner Meinung nach die am schwierigsten zu bewältigende Herausforderung des Autors darstellt. Zuletzt müssen noch jene Menschen erwähnt werden, die mir bei meinen Recherchen behilflich waren, denn immer wieder komme ich dahinter, dass ein Gespräch mit einem Profi, wie beispielsweise einem Kripobeamten, einem Chirurgen, einem Physiker oder einem Feuerwehrmann mehr taugt als eine Recherche im Internet. Diese Leute steuern unglaubliche Ideen zur Handlung bei, da sie einfach aus dem Fach kommen und die Szene kennen.

_Alisha Bionda:_
Vielen Dank für das Beantworten des ersten Teils des Interviews. In Teil zwei möchte ich dir gerne Fragen zu deinen bereits erschienenen Romanen stellen – ebenso zu deinen geplanten Projekten.

|Fortsetzung folgt.|