Interview mit Michael K. Iwoleit

_Buchwurm.info:_
Hallo, Michael, wo bist du und was machst du gerade? Ich hoffe, es geht dir gut.

_Michael Iwoleit:_
Ich befinde mich gerade an meinem Arbeitsplatz in Wuppertal und beschäftige mich mit diversen Dingen, die in diesem Jahr noch unerledigt geblieben sind, unter anderem den Antworten für dieses Interview. Nach einem Jahr, das nicht nur für mich, sondern für die SF-Szene als Ganzes sehr unglücklich verlaufen ist – ich erwähne nur die vielen Todesfälle, national und international -, sind die Ansprüche ans Literarische, Geschäftliche und ans Wohlergehen deutlich heruntergeschraubt, aber ich habe fürs neue Jahre einige vielversprechende Projekte ins Auge gefasst und blicke einstweilen zuversichtlich in die nähere Zukunft. Zurzeit arbeite ich an einer neuen Novelle, die in meiner ersten Kurzgeschichtensammlung erscheinen soll, und an einem umfangreichen Romankonzept.

_Buchwurm.info:_
Viele Leser kennen dich noch nicht. Stell dich doch bitte ein wenig selbst vor!

_Michael Iwoleit:_
Geboren wurde ich 1962 in Düsseldorf und lebe heute in Wuppertal. Nach einer Ausbildung zum Biologisch-technischen Assistenten habe ich einige Semester Philosophie, Germanistik und Sozialwissenschaft studiert und dann für zwei Jahre am Botanischen Institut der Universität Düsseldorf gearbeitet.

Seit 1989 bin ich hauptberuflicher Autor, Übersetzer, Kritiker und Herausgeber vor allem im Bereich Sciencefiction und phantastische Literatur. Nebenher habe ich als Texter für Werbung und Softwareindustrie gearbeitet. Ich habe ca. 30 Erzählungen veröffentlicht, vier Romane und zahlreiche literarische und populärwissenschafliche Essays. Einige meiner Storys erschienen im Ausland, darunter in den USA, in Polen, Kroatien, England und Italien.

2002 habe ich mit Ronald M. Hahn und Helmuth W. Mommers das Magazin [Nova]http://www.nova-sf.de/ gegründet, das sich der zeitgenössischen deutschsprachigen Sciencefiction widmet und das ich heute mit Ronald M. Hahn und Frank Hebben herausgebe. Einen gewissen Bekanntheitsgrad habe ich mit meinen Novellen erreicht, für die ich dreimal den deutschen Science-Fiction-Preis und einmal den Kurd-Laßwitz-Preis erhalten habe.

_Buchwurm.info:_
Bist du zurzeit mehr Autor und Übersetzer oder mehr Herausgeber? (Wahrscheinlich Letzteres, wenn der Launch von [InterNova]http://inter.nova-sf.de/ bevorsteht.)

_Michael Iwoleit:_
Im Moment bin ich hauptsächlich mit meinen eigenen literarischen Projekten beschäftigt. Wie meine Mitherausgeber arbeite ich ohnehin nur nebenher und, weil beide Magazine keine Gewinne abwerfen, nur aus Spaß an |Nova| und |InterNova|. Dass wir, ungeachtet der zunehmenden Belastung durch den Hauptberuf, inzwischen schon seit sieben Jahren ein unabhängiges Publikationsforum für deutsche SF in Gang gehalten haben – auch wenn nicht immer alles reibungslos läuft – erstaunt niemanden so sehr wie uns. Wir hoffen, dass es noch eine Weile so weitergehen und irgendwann vielleicht sogar eine zweite Herausgebergeneration das Magazin weiterführen wird. Mit Frank Hebben haben wir, was das angeht, ja schon einen vielversprechenden Mann an Bord geholt.

_Buchwurm.info:_
Hat die Welt auf das SF-Magazin [InterNova]http://inter.nova-sf.de/ gewartet, das im Januar 2010 als Online-Magazin neu gestartet werden soll? Was zeichnet das Magazin gegenüber anderen und vor allem gegenüber seinem Schwestermagazin |Nova| aus?

_Michael Iwoleit:_
2005 erschien eine Print-Ausgabe von |InterNova|, die sich leider so schlecht verkauft hat, dass wir das Magazin in dieser Form nicht weiterführen konnten. Ich gehe deshalb davon aus, dass die Idee, die wir mit |InterNova| verfolgen, sich auch online keiner besonderen Popularität erfreuen wird.

Die Idee selbst scheint mir aber nach wie vor so interessant, dass ich sie auf keinen Fall aufgeben will (auch wenn sich die Realisierung von [InterNova online]http://inter.nova-sf.de/ aufgrund widriger Umstände lang verzögert hat): |InterNova| präsentiert herausragende SF-Storys von Autoren aus all den Ländern, die zwar über eine kreative lokale SF-Produktion verfügen, aber aufgrund der kommerziellen Übermacht der englischsprachigen Autoren selten außerhalb ihres Heimatlandes präsentiert werden.

Englische und amerikanische Autoren sind zwar nicht ausgeschlossen, der Schwerpunkt liegt aber auf Autoren aus Ost- und Nordeuropa, Südamerika und Asien. Wir haben für dieses Projekt Kontakte zu Autoren aus über zwanzig Ländern geknüpft, und in jedem Land fanden sich interessante Autoren auf internationalem Niveau.

Ich wünsche mir, dass wir mit |InterNova| eine kleine Gegenstimme zu einer Auffassung von Sciencefiction etablieren können, die SF im Wesentlichen als eine amerikanische Literaturform mit ein paar exotischen Anhängseln betrachtet. Diese Auffassung ist weder durch die Vielfalt noch die Qualität internationaler Sciencefiction gerechtfertigt.

_Buchwurm.info:_
Und warum sind alle Beiträge in Englisch? Wendet sich das Magazin nicht auch an deutsche Leser?

_Michael Iwoleit:_
Als internationales SF-Magazin richtet sich |InterNova| auch an ein internationales Publikum, und Englisch ist die einzige Sprache, die von einem nennenswerten Anteil der internationalen SF-Leserschaft verstanden wird. Ich sehe darin eigentlich kein großes Problem, denn auch in Deutschland gehen immer mehr Leser dazu über, ganz oder teilweise englische Originale zu lesen – was sicher etwas mit dem, im Verhältnis zu früheren Jahren, zurückgegangenen Angebot an deutschen Übersetzungen zu tun hat -, und solche Leser werden auch mit |InterNova| keine Schwierigkeiten haben. Es könnte sein, dass |InterNova| später auch deutsche und vielleicht sogar spanische Übersetzungen anbieten wird, aber dazu müssen wir zunächst sehen, wie sich das Projekt entwickelt und in welchem Maße freie Mitarbeiter an einer Kooperation interessiert sind.

_Buchwurm.info:_
Ich kenne dich als langjährigen Autor für die Erzählbände des Verlags [Heyne]http://www.randomhouse.de/heyne/ , die Anfang des Jahrtausends eingestellt wurden. Wie würdest du deine thematische Ausrichtung beschreiben bzw. worum geht es dir beim Erzählen?

_Michael Iwoleit:_
Beim Schreiben spielen so viele Motivationen eine Rolle, dass sich diese Frage kaum mit wenigen Worten beantworten lässt. Zunächst einmal ist es immer wieder ein aufregendes und sehr befriedigendes Erlebnis, einem anfangs noch vagen Gebilde, dem Keim einer Geschichte, die einem unfertig durch den Kopf geht, eine konkrete, sinnliche Form zu verleihen, die von anderen nachvollzogen werden kann.

Ich gehöre dabei zu den Autoren, denen die Atmosphäre, die Stimmungen, die Bilder und psychischen Zustände in einer Geschichte wichtiger sind als die vordergründige Handlung. Ich arbeite deshalb oft sehr lang an einer Story, vor allem in stilistischer Hinsicht, und bevor es mir nicht gelungen ist, die Nuancen herauszuarbeiten, die mir von Anfang an vorgeschwebt haben, kann ich eine Geschichte nicht abschließen und muss viele Passagen immer wieder neu schreiben. Die Sprache ist mitunter ein sehr widerspenstiges Material, und oft ist es mehr eine Frage des Fleißes und der Hartnäckigkeit, bis man den Erzählton getroffen hat, der zu einer Geschichte gehört.

Ich bin schon einige Male gefragt worden, ob es in meinen Storys eine thematische Leitlinie gibt.

Wenn ich es auf eine knappe Formel bringen müsste, würde ich sagen, dass mein Hauptthema das Problem der Identität ist. Die meisten meiner Protagonisten machen auf diese oder jene Weise eine Ich-Auflösung durch. Ihnen werden falsche Erinnerungen untergeschoben, sie machen körperliche oder seelische Transformationen durch, ihre psychische Integrität wird angegriffen usw.

Als Autor wählt man Motive danach aus, wie erzählerisch reizvoll sie einem erscheinen, deshalb kann ich wenig dazu sagen, warum mich ausgerechnet solche Ideen immer wieder faszinieren. Aber vielleicht wird sich irgendwann einmal ein Kritiker finden, der meine Erzählungen interessant genug für eine genauere Analyse hält und hier eine Interpretation anbietet.

_Buchwurm.info:_
Ich habe deinen Roman [„Psyhack“]http://shop.fabylon-verlag.de/themes/kategorie/detail.php?artikelid=3&kategorieid=4&source=1 gelesen und rezensiert. Was wolltest du mit dieser Geschichte sagen und welche Leser wolltest du mit dem Roman erreichen?

_Michael Iwoleit:_
Zunächst ging es mir darum, Möglichkeiten zu realisieren, die in der Urfassung des Story – einer Novelle, für die ich 2006 den Deutschen Science-Fiction-Preis erhalten habe – unberücksichtigt geblieben sind. Gewöhnlich halte ich nichts davon, eigene Stoffe mehrfach zu bearbeiten.

In diesem Fall aber wurden soviele Themen in der Novellenfassung nur gestreift – etwa die politischen Aspekte, vor allem die Konzepte hinter dem Parzellen-Projekt -, dass mir eine Ausarbeitung lohnend erschien. Auch das Ende der Kurzfassung hat mir selbst nie recht gefallen, und ich habe bei der Romanfassung die Gelegenheit genutzt, die Geschichte auf eine Weise aufzulösen, die mehr bietet als das obligatorische unhappy end.

Der ganzen SF-Motive ungeachtet, handelt es sich um eine sehr menschliche Geschichte, und ich hoffe, dass darin der Reiz des Romans besteht: Es geht um einen Menschen, der mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird und einen Weg finden muss, mit seinem Leben und seiner Schuld ins Reine zu kommen.

Ich habe mir erhofft, dass der Roman für Leser interessant sein könnte, die wie ich der Meinung sind, dass eines der Lieblingsthemen der aktuellen Sciencefiction – der Upload eines menschlichen Bewusstseins, also seine Umwandlung in ein Software-Gebilde, das beliebig manipuliert werden kann – oft noch sehr oberflächlich behandelt wird. Wenn es mir gelungen ist, das Thema zum Vehikel für eine menschlich anrührende Geschichte mit psychologischen Tiefgang zu machen, dann habe ich mein Ziel erreicht.

_Buchwurm.info:_
Ich fand die Geschichte klasse, aber warum hast du sie denn im Mittelteil rückwärts erzählt?

_Michael Iwoleit:_
Die Idee, die psychische Rekonstruktion des Protagonisten in umgekehrter Chronologie zu erzählen, ist mir beim Schreiben gekommen. Ich habe mich vorher mit meiner Verlegerin Uschi Zietsch (|Fabylon|-Verlag) darüber beraten, und sie hat mich zu dieser ungewöhnlichen Vorgehensweise ermutigt, die durchaus einige Leser irritiert hat. Bei genauer Lektüre des Romans, glaube ich, erscheint diese Erzählweise plausibel.

Es ging darum, den Helden bis an den Anfang seiner Geschichte zurückzuführen und ihn in einen Zustand zu versetzen, der ihm einen Neuanfang ermöglicht. Betrachtet man die Geschichte aus dem Blickwinkel des Protagonisten, aus seiner Bewusstseinslage heraus, scheint mir die umgekehrte Erzählweise die einzig logische. Im Übrigen wird der Roman dadurch auch formal sehr viel interessanter.

_Buchwurm.info:_
Wie reagierten die Leser auf diese Geschichte? Hast du viele Exemplare davon verkaufen können?

_Michael Iwoleit:_
Die Reaktionen der Leser und Kritiker waren überwiegend positiv. Insbesondere hat mich gefreut, dass mir offenbar gelungen ist, die menschlichen Aspekte der Geschichte so intensiv und nachvollziehbar darzustellen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Überdurchschnittlich gut verkauft hat sich der Roman nicht. Wie die meisten zeitgenössischen deutschen SF-Bücher hat auch mein Roman nicht viel mehr als etwa 500 Leser erreicht. Mehr war realistischerweise nicht zu erwarten.

_Buchwurm.info:_
Gibt es für dich noch viele Publikationsmöglichkeiten im deutschsprachigen Raum? Wie entwickelt sich der Markt? Oder muss man als Autor zunehmend auf Online-Medien ausweichen?

_Michael Iwoleit:_
Als hauptberuflicher Autor, der darauf angewiesen ist, mit seinen Arbeiten Einnahmen zu erzielen, verschlechtern sich die Bedingungen auf dem SF-Markt leider immer mehr. Es gibt einen großen und sehr lukrativen Markt für deutschsprachige Fantasy, aber kaum noch einen für deutschsprachige Sciencefiction. Deutsche SF-Autoren, die kommerzielle Erfolge gelandet haben – vor allem Andreas Eschbach und jüngst Frank Schätzing -, kann man an einer Hand abzählen, und es bleiben noch Finger übrig.

Das meiste, was sich an literarisch interessanten Entwicklungen in der deutschen SF abspielt, findet im semiprofessionellen Bereich statt, also bei Verlagen wie |Wurdack| oder Magazinen wie |Exodus| oder |Nova|, die zwar mit professionellem Qualitätsanspruch arbeiten, aber froh sein können, wenn die Produkte ihre eigenen Produktionskosten wieder einfahren.

Auch wenn ein baldiger Einbruch des Fantasy-Markts vorausgesagt wird, mache ich mir wenig Hoffnung, dass sich die Bedingungen für deutsche SF in absehbarer Zeit bessern werden. Es könnte damit zusammenhängen, dass die Sciencefiction in einer Welt, die selbst immer SF-artiger erscheint, an Interesse und Glaubwürdigkeit eingebüßt hat. Die SF ist auf dem Weg, zu einem Zweig der allgemeinen Literatur zu werden, und wenn überhaupt, so finden sich hier vielleicht auch Chancen für deutsche SF-Autoren.

_Buchwurm.info:_
Mit welchen Veröffentlichungen können wir in nächster Zukunft von dir rechnen?

_Michael Iwoleit:_
Ich hoffe, dass ich die Arbeit an meiner ersten Kurzgeschichtensammlung, die ich aufgrund einer Erkrankung aufschieben musste, in Kürze beenden kann. Das Buch ist unter dem Titel „Die letzten Tage der Ewigkeit“ bei |Wurdack| vorgesehen und enthält bekannte und weniger bekannte Erzählungen aus den letzten zehn Jahren sowie eine neue, umfangreiche Novelle.

_Michael K. Iwoleit auf |Buchwurm.info|:_
[„Psyhack“ 5162