Isaac Asimov – Wasser für den Mars. SF-Erzählungen


Drei klassische SF-Stories und eine Novelle

Dieser Story-Band umfasst vier bekannte Erzählungen aus den frühen 1950er Jahren. Die Verlagsinformation klärt den Leser darüber auf, was der Biochemiker Isaac Asimov tut und geschrieben hat. Besonderes Lob: „Asimovs Romane und Erzählungen sind jeweils von einer äußerst spannenden und faszinierenden Handlung getragen. Der Stil ist immer ansprechend, flüssig und fesselnd. Hinzu kommen eine leichte, fassliche Ausdrucksweise und ein klarer, übersichtlicher Aufbau. Der Autor versteht es, die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen in seinen Erzählungen so zu schildern, dass auch der Leser ohne technische Spezialkenntnisse mit Interesse und Verständnis folgen kann.“. Tja, anno 1965 wussten sich die Verlagslektoren noch verständlich auszudrücken, ohne BookTok zu zitieren.

Der Autor

Isaac Asimov, geboren 1920 in Russland, wuchs in New York City auf, studierte Biochemie und machte seinen Doktor. Deshalb nennen seine Fans ihn neckisch den „guten Doktor“. Viel bekannter wurde er jedoch im Bereich der Literatur. Schon früh schloss er sich dem Zirkel der „Futurians“ an, zu denen auch der SF-Autor Frederik Pohl gehörte. Seine erste Story will Asimov, der sehr viel über sich veröffentlicht hat, jedoch 1938 an den bekanntesten SF-Herausgeber verkauft haben: an John W. Campbell. Dessen SF-Magazin „Astounding Stories“, später „Analog“, setzte Maßstäbe in der Qualität und den Honoraren für gute SF-Stories. Unter seiner Ägide schrieb Asimov nicht nur seine bekannten Robotergeschichten, sondern auch seine bekannteste SF-Trilogie: „Foundation“. Neben SF schrieb Asimov, der an die 300 Bücher veröffentlichte, auch jede Menge Sachbücher, wurde Herausgeber eines SF-Magazins und von zahllosen SF-Anthologien.

Die Erzählungen

1) Wasser für den Mars (The Martian Way, 1952)

Die Menschen haben den Mars besiedelt und bauen dort jede Menge Rohstoffe ab. Der regelmäßige Verkehrsstrom von Raumschiffen von der Erde zum Roten Planeten hat mehrere Auswirkungen. Die Raketen werfen Reaktionsmasse ab: vor allem Wasser, aber auch Stufen der Hülle, die aus Metall sind. Um dieses wertvolle Metall als Rohstoff zurückzugewinnen, haben sich auf dem Mars „Müllsammler“ gefunden, die eifersüchtig über ihren jeweiligen Raumsektor wachen.

Mario Rioz ist ein alter Müllsammler-Hase auf den Verkehrswegen, doch sein neuer Kollege Ted Long ist eigentlich Bergwerksingenieur und neu in diesem Job. Während Mario wieder mal fette Beute erspäht, schaut sich Ted die Fernsehnachrichten an. Dort wettert ein Agitator namens John Hilder gegen die Marsianer, die der Erde das Wasser wegnähmen. Keiner ahnt, wohin diese Propaganda noch führen wird.

Zwölf Monate später. Die Erde hat dem Mars den Wasserhahn zugedreht, und der Mars stellt seinerseits die Müllsammlerflüge ein. Das einseitige Wasserembargo, das die Hilder-Partei herbeigeredet hat, belastet die Wirtschaft des Mars in steigendem Maß und die Müllsammler denken daran, diesen Zustand nicht eskalieren zu lassen. Ted Long hat eine fabelhafte Idee, die er seinen Kollegen Mario Rioz und Richard Swenson unterbreitet. Allerdings bedeutet sie, dass Swenson seine Frau Dora und seinen kleinen Sohn Peter ein Jahr lang nicht sehen wird.

Wo gibt es im Sonnensystem sonst noch natürliches Wassereis? Auf den Monden des Jupiter, im Asteroidengürtel (Vesta etc.) und in den Ringen des Saturn. Sie sind etwa ein Jahr Raumflug entfernt. Doch das „Handbuch der Raumfahrt“ besagt, dass Menschen spätestens nach sechs Monaten Raumflug einen Koller kriegen und reif für die Klapse werden. Ted Long entgegnet, dass das Handbuch von Flachländern, also Erdlingen, geschrieben wurde, aber nicht auf Marsianer anzuwenden ist. Marsianer verbringen ihr ganzes Leben wie in einem Raumschiff, mit aufbereiteter Luft, verpacktem Wasser, verpackten Lebensmitteln, unter Kuppeln. Sie sind optimal an den Raumflug angepasst.

Das gibt den Ausschlag. Rioz und Swenson wollen Longs Vorschlag unterstützen. Als Mars-Kommissar Hamish Sankov vom UN-Generalsekretär selbst gesagt bekommt, dass die Regierung gegen die Hilder-Partei nichts ausrichten kann und gegen das Embargo nichts unternehmen will, gibt er Longs Leuten grünes Licht. Denn wer zuletzt über die Flachländer lacht, lacht am besten. Das Abenteuer „Saturn-Eis“ kann beginnen…

Mein Eindruck

Eigentlich sind solche guten Stories über die Unternehmungen der Menschheit die Domäne von Robert Heinlein, und in seiner „Future History“ (zuerst 1940) hat er sie oft genug beschrieben. Doch bei Heinlein kommt es öfters zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, z.B. in „Universe“, was nun dem guten Doktor Asimov überhaupt nicht liegt. Er hält es lieber mit der Politik und der Wirkung, die geschaffene Fakten nun mal zeitigen.

Hier ist es das Eis vom Saturn, das die hochnäsige Delegation von der Erde nicht nur verblüfft, sondern auch der Lächerlichkeit preisgibt. Der Mars dreht den Spieß um: Wenn die Erde von ihren Quintillionen Wasser keinen Liter erübrigen kann, dann sitzt sie echt auf dem Trockenen und hätte vielleicht für Wasser vom Mars Bedarf, der gerne bereit wäre, mit ein paar Millionen Tonnen auszuhelfen!

Das ist eine wunderbare Pointe, aber der Eindruck könnte entstehen, dass die Marsexpedition zu den Saturnringen ein langweiliger Spaziergang wäre. Das Gegenteil ist der Fall, denn in den Ringen spielen die Gesetze der Physik, mit denen sich Asimov bestens auskennt, eine unvorhergesehene Rolle. Das einzige Detail, das unanschaulich ist, besteht in der Anordnung der Marsschiffe innerhalb der Eiskugel, die sie gekapert haben. Hier ist der Punkt, an dem der naturwissenschaftlich gebildete Leser seine Kenntnisse und Vorstellungskraft zum Einsatz bringen sollte.

2) Keine Angst vor kleinen Tieren (Youth, 1952)

Nach einem Weltkrieg ist die Gesellschaft wieder zum Landleben zurückgekehrt. Latte, der Sohn des Astronomen aus der Stadt, ist der Neue und zu Besuch auf der Farm des Industriellen und seiner Frau. Die haben einen Sohn, dessen Spitzname „Red“ lautet und der dem spindeldürren „Latte“ seinen Spitznamen verliehen hat. Red fragt: „Was hältst du vom Zirkus?“ Er muss Latte erst einmal erklären, was das ist. Er habe nämlich zwei kleine Tiere gefangen und in der Scheune in einem Käfig versteckt. Die wolle er dressieren, um sie im Zirkus auftreten zu lassen. Aber er habe keine Ahnung, was die kleinen Wesen fressen. Deshalb verlangt Red von Latte herauszufinden, was die Viecher fressen. Latte versucht es zunächst mit Gras und Blätter, doch Nüsse und Beeren können sie nicht auftreiben.

Der Astronom und der Industrielle spekulieren, welche Planeten und Wesen es im Universum geben könne. Die Vorstellungskraft des Astronomen ist unbegrenzt, wie sich zeigt, die des Industriellen jedoch sehr. Neben Gesteinsplaneten wie dem eigenen und den Gasplaneten im äußeren Sonnensystem müsse es auch hochdichte Welten geben, die eine viel höhere Schwerkraft und eine dichtere Atmosphäre aufweisen, argumentiert der Astronom. Dann erfahren sie von einem lauten Donnerknall jenseits des Hügels. Als sie nachschauen, entdecken sie eine silberfarbene Konstruktion, die mal ein Raumschiff gewesen sein können. Leider sind alle Insassen bei der Bruchlandung ums Leben gekommen, wie es scheint.

Weil die Tiere die Nahrung verweigern, aber das Wasser gerne trinken, lässt sich Red dazu hinreißen, einen Laib Hackfleisch aus der Küche zu stehlen. Die Köchin ist außer sich und droht mit Kündigung. Die Hausherrin befürchtet eine mittlere Katastrophe und bekniet ihren Ehemann, den Industriellen, den Dieb zu fangen und zu bestrafen. Es könne nur Red sein. Der bekennt sich nicht schuldig, sondern schiebt die ganze Schuld auf Latte.

Früher oder später müssen sie ihre Tiere den beiden Herren zeigen. Und tatsächlich: Eines der beiden Tiere hat eine Waffe in der Hand! Sie müssen also intelligent sein. Der Astronom findet heraus, dass Telepathie die einzige Methode ist, mit den Tieren zu kommunizieren. Das Missverständnis klärt sich auf. Die Aliens haben die beiden Jungs verschont, denn für Jugendliche haben sie viel Rücksichtnahme und Verständnis übrig. So kommt es, dass die Tiere freigelassen und in ihr Raumschiff zurückgebracht werden. Als der Forscher und der Kaufmann zurück auf den sich entfernenden Planeten schauen, entdecken sie, warum der eine Junge „Red“ genannt wird…

Mein Eindruck (Achtung, SPOILER!)

Die beiden Denker vergleichen von Anfang die Vor- und Nachteile bestimmter Planetentypen, daher weiß der Leser gleich, dass es um Vergleiche geht. Und die sind, wie jeder weiß, stets abhängig vom jeweiligen Standpunkt. Die Akteure sind die beiden Jungen, die die „Tiere“ betreuen wollen. Der Trick, den der Autor anwendet, besteht darin, den Leser glauben zu lassen, dass die Welt, die die Jungen und Denker bewohnen, unsere eigene Welt nach einem Atomkrieg sei. Erst der letzte Satz enthüllt den Irrtum, der darin steckt: Nicht die „Tiere“ sind die Aliens, sondern die Bewohner dieser Welt, und die „Tiere“ sind menschliche Forscher.

So unterschiedlich die beiden Lebensformen also sind, so ähnlich sind sich ihre Irrtümer und falschen Annahmen. Das einzige Detail, das diese Ähnlichkeit stört, ist die Fähigkeit zur Telepathie. Sie existiert auf beiden Seiten, sonst könnten die beiden Spezies nicht miteinander kommunizieren. Bei uns wurde die Telepathie bis jetzt noch nicht entwickelt. Wenigstens haben wir es schon bis zur Empathie gebracht. Das einzige, was mir nicht an dieser Story gefallen hat, ist die Verwendung des diskriminierenden Begriffs „Rasse“. An anderer Stelle fällt der Begriff „euthanasieren“, als befände sich der Autor noch in den 1920er oder 1930er Jahre, als Euthanasie auch in den USA diskutiert wurde, gleich zusammen mit „Eugenik“.

3) In der Tiefe (The Deep, 1952)

Viele Jahrtausende sind die Wesen bereits unter der Erde, denn ihre Sonne hat sich immer weiter abgekühlt. Je mehr die Temperatur an der Oberfläche sank, desto tiefer mussten die Tunnel und Höhlen gegraben werden. Dort unten geht es naturgemäß eng zu, so dass man die Geburtenrate streng limitieren musste. Wenda ist die Glückliche, der das Produzieren eines lebensfähigen Fötus erlaubt wird. Natürlich wird der Fötus streng überwacht, während er in einem Labor heranwächst. Das Ergebnis ist Roi. Wenda entwickelt ihre fremde Gefühle für dieses neue Wesen und verfolgt seinen Werdegang, bis der Tag des Abschieds kommt: Roi darf an einer Expedition teilnehmen, die an die Oberfläche führt. Denn der Denker Gan hat sich ein wagemutiges Unterfangen ausgedacht: den Exodus.

Weil die eigene Welt fürs Überleben ungeeignet erscheint, soll der Exodus auf eine andere, geeignetere Welt erfolgen. In Ermangelung von Raketen und Raumschiffen muss der Transfers per Seelenprojektion erfolgen. Telepathie und Teleportation kennt man ja schon, nun soll Roi die Ehre haben, eine Tele-Station auf der Fremdwelt einzurichten. Bis zum Aufschlag geht alles glatt, dann beginnen die Probleme.

Denn Rois Seele landet im Körper der nur vier Monate alten Säugling Walter, der gerade mit seiner Mutter Laura einen Transkontinentalflug zu seinem Vater in Asien unternimmt. Denn Walters Vater ist bei Militär und irgendwo auf einem Stützpunkt stationiert: Er hat seinen Sohn noch nie gesehen. Laura ist erstaunt, als ihr Sohn erst erstarrt und dann zu brüllen anfängt. Das Milchfläschchen fällt zu Boden und zerbirst, allgemeines Chaos breitet sich aus.

Dieses Durcheinander nutzt Roi, um mithilfe der Tele-Station seine Gedanken auszusenden und den Verstand des Piloten zu durchforsten. Mit dem Flieger sei alles in Ordnung, erfährt er. Doch seine weiteren Nachforschungen über die Fortpflanzungsmethoden dieser „Erdlinge“ sind erschreckend primitiv: Sie tragen ihre Nachkommenschaft im eigenen Leib aus – igitt! Er berichtet Gan, dass er den Besuch dieser Welt nicht empfehlen könne…

Mein Eindruck

Auch wenn die Ironie auf der Hand liegt, so ist dies doch der schwächste Beitrag des Autors zu dieser Auswahl. Denn es ist die Methode des Transfers von geist und Materie, die sehr kompliziert erklärt wird. Für einen Professor der Biochemie wie Asimov mag sie leicht zu verstehen sein, doch dem Leser wird sie sehr umständlich erklärt. Sobald man sich jedoch durch diese Stelle durchgebissen hat, ergibt sich der Rest wie von selbst.

Der Gegensatz zwischen Rois Volk und den Erdlingen besteht in der Fortpflanzungsmethode, die ja über die Zukunft des jeweiligen Volkes – hier als „Rasse“ bezeichnet – entscheiden dürfte. Als bestünde Rois Volk aus lauter Kommunisten, wird über jede Schwangerschaft einzeln bestimmt. Die Mutter braucht eine Genehmigung. Bei den Erdlingen ist es eher umgekehrt: Selbst bei der Frau eines Militärangehörigen wie Laura ist keine Lizenz nötig, um ein Baby zu bekommen. So viel Freiheit wiederum schockiert Roi – und er empfiehlt, die Erde zu meiden.

Was ist zu lernen, funkt er Gan telepathisch an: „Ist es besser, seine Eltern zu kennen, oder mit seinen Kindern befreundet zu sein?“ (S. 108) Das ergibt sich daraus, dass Roi seine Mutter Wenda nicht kennt. Als er zu ihr zurückkehrt, begrüßt er sie telepathisch als „Freund“. Der Autor sinniert hier also über den relativen Wert von Mutterliebe bzw. Freundschaft für den Fortbestand eines Volkes. Dabei überlässt er dem Leser das Urteil.

4) Im Licht der Doppelsonne (Sucker Bait, 1954)

Das terranische Raumschiff GGG fliegt zu einem Doppelsternsystem namens Lagrange, um herauszufinden, was die Ursache für die Vernichtung der ersten Siedlerkolonie vor einem Jahrhundert war. Die Meldung für den Vorfall ging in den wirren der Bürokratie des Weltenbundes verschütt, bevor ein junger Mnemoniker namens Mark Annuncio sie entdeckte und zum ungeeignetsten Zeitpunkt zur Kenntnis brachte: Lagrange war wiederentdeckt und von der Weltenregierung als idealer Kolonieort angepriesen worden. Die Verlegenheit des Vorsitzenden der Regierung war maximal, aber Marks Betreuer, der Psychologe Oswald Meyer Sheffield, bot dem Präsidenten eine Lösung an: die Entsendung eines Forschungsteams, das die Ursache herausfinden würde.

Einen solchen gut bezahlten Flug hatte Kapitän Follenbee noch selten gehabt, also war er gleich dabei, aber unter der Bedingung, dass die Crew nicht erfahren dürfe, dass alle Siedler umgekommen war. Nun hat er es mit einer neuen Gefahr zu tun: Mark Annuncio. Dieser höchst seltsame Mann ist noch seltsamer als die hochspezialisierten Wissenschaftler – und er will Einblick in das persönliche Logbuch des Kapitäns! Der lässt ihn kurzerhand einsperren.

Dr. Sheffield hat seine liebe Mühe, Mark freizubekommen und muss viel erklären, was den Mnemonischen Dienst des Innenministeriums anbelangt. Dann muss er sich mit den Spezialisten auseinandersetzen. Kaum ist man auf dem einzigen Planeten namens Junior alias Troas gelandet, dürfen die Spezialisten loslegen, nur Mark und Sheffield nicht, Mit einem fiesen Trick überlistet Sheffield den Wachhund Cimon, den Astrophysiker. Ein Monat vergeht ergebnislos, dann macht Mark einen Aufstand: Er sagt der Mannschaft die Wahrheit über diese Welt und zwingt so alle zu einem verfrühten Notstart: Kein Crewmitglied will auf einer Welt voller Leichen bleiben.

Auf dem Rückflug kommt es zur informellen Gerichtsverhandlung. Die Angeklagten: Mark und Sheffield, sein angeblicher Helfershelfer. Die Ankläger: Kapitän Follenbee. Die Anklage lautet auf Anstiftung zur Meuterei und darauf steht die Todesstrafe. Nun muss Mark endlich sein verräterisches Verhalten begründen. Gleichzeitig enthüllt er die Ursache für das Massensterben der Siedler…

Mein Eindruck

Der Autor kombiniert diese Krimihandlung mit einer Art Wissenschaftssatire. Da er als Professor der Biochemie selbst Wissenschaftler war, kannte Asimov die Eigenarten von Wissenschaftlern zur Genüge, und an der Uni Boston musste er mit ihnen zurechtkommen. So gelingt ihm ein genaues Porträt jedes einzelnen Wissenschaftlers: des Mediziners, Physikers, Chemikers und Astrophysikers. Auch der Kapitän hat die gleiche Macke: Dünkel und Angst um die eigene Stellung inklusive Profilneurose. Nur Sheffield lässt er als Geisteswissenschaftler gut davonkommen.

Dieser Forscherclique steht der Außenseiter relativ schutz- und wehrlos gegenüber. Klar, dass sie ihm alle, mit Ausnahme, Sheffields, misstrauen und ihn nicht ernstnehmen. Dabei ist das Wissen, das er mit seinem fotografischen Gedächtnis aufgenommen hat , die einzige Lösung des Rätsels und die Rettung für alle Beteiligten der Expedition. Denn der Giftstoff, den sie aufgenommen haben, kann bis zu drei Jahre nachwirken.

Zudem ist diese Novelle von rund 70 Seiten ein feines Beispiel für Asimovs Kunst des Weltenbaus. Nicht nur die Astrophysik mit den verschiedenfarbigen Sonnen funktioniert, auch die Chemie auf „Junior“ wirkt stimmig. Der Leser erwartet jederzeit den Angriff eines Untiers, doch nichts dergleichen passiert: Der Feind befindet bereits in den Körpern der Expeditionsmitglieder.

Das einzige, was ich bedaure, ist der Missgriff bei der Namensgebung: Lagrange ist ein etablierter astrophysikalischer Begriff für bestimmte Schwerkraftpunkte im hiesigen Sonnensystem. Es gibt sogar eine Langrange-gesellschaft. Ihr Ziel: die Errichtung von künstlichen Welten an den L5-Punkten in Erdnähe. Die Rosinante-Trilogie von Alexis Gilliland sowie die Paratwa-Trilogie von Christopher Hinz spielen auf den zerbrechlichen L5-Kolonien und nutzen die vielfältigen Aspekte dieses reizvollen Schauplatzes mit maximaler Wirkung.

Die Übersetzung

Die Übersetzer haben gute Arbeit erledigt. Der Text ist selbst für Nichtchemiker verständlich. Doch es sind ihnen auch Druckfehler unterlaufen. Anfangs habe ich darüber hinweggesehen, aber ab S. 115 häuften sich die Fehler übermäßig.

S. 116: „und überl[i]egenem Intellekt“: Das E ist überflüssig.

S. 119: „Dass er ihm einen Rechenschieber in den Leib bohrt.“ OK, das ist kein Fehler an sich, aber die Tatsache, dass der Autor eine Zukunft mit Rechenschiebern in Aussicht stellt, ist niederschmetternd. Na, wenigstens gibt es im Weltenbund-Universum bereits Rechenmaschinen: Sie sind ständig überlastet, weil sie noch auf analoger Technik basieren.

S. 133: „da die Achse [von] Junior nicht geneigt war.“ Etwas fehlt hier, ob nun das Wörtchen „von“ oder ein Genitiv-S.

S. 136: „Wie hoch ist der Prozentsatz an Kohlendioxyd genau?“ (fragt Cimon, und Vernadsky antwortet:) „0,016 Millimeter“. Das ist eine recht unpassende Antwort, will dem physikalisch gebildeten Leser scheinen. Was haben Prozentsätze mit Millimetern zu tun?

Unterm Strich

Die Mars-Story ist in diesem Storyband ebenso herausragend wie die Novelle über die Lagrange-Expedition. Die Titelstory hat mir sogar wesentlich besser gefallen als die Novelle, für die der Autor nicht nur einen Fehlgriff bei der Planetenbenennung getan hat, sondern auch Unmengen an Biochemie- und Astro-Wissen über den Leser ergießt. Sie funktioniert aber bestens als Wissenschaftssatire und psychologisches Drama. Die mittleren Stories sind zwar kompetent geschrieben, aber nicht umwerfend.

Frauenfiguren

Asimovs Frauenbild (und das seiner meist männlichen Leser) ist geradezu archaisch zu nennen. Frauen gehören in die Küche („Youth“) oder auf die Kinderstation („In the deep“), aber auf keinen Fall in die Politik (Titelstory) oder – Gott bewahre! – in die Wissenschaft („Doppelsonne“). Sollte sich jemals ein weiblicher Zweibeiner auf die GGG verirren, so wären wahrscheinlich Chaos, Panik und Wahnsinn die Folge.

Außenseiter

Nicht, dass die GGG nicht schon genug Wahnsinn an Bord hätte: der egoistische Dünkel der Wissenschaftler ist das Haupthindernis, das vereitelt, dass die Ursache für die Katastrophe gefunden wird, die die Siedlung heimgesucht hat. Das verheißt nichts Gutes für die Zukunft des Weltenbundes. Deshalb wird ausgerechnet derjenige Außenseiter, der die Lösung kennt, niedergemacht und vor Gericht gestellt. Aber die Wissenschaftsgemeinde ist weit davon entfernt, sein Verdienst anzuerkennen, denn er blamiert sie ja alle.

Gutgläubige Idioten?

Was der Autor mit seinem O-Titel „Sucker Bait“ meinte, erschließt sich wohl am ehesten einem Amerikaner: Ein „sucker“ ist ein Gutgläubiger, und ein „bait“ ist ein Köder. Wenn es also um Rätsel wie die auf Lagrange geht, so sind die Wissenschaftler jedem Zweifel an sich und ihren Methoden abgeneigt, was sie im Umkehrschluss zu gutgläubigen Idioten macht, die auf jeden noch so geringen Hinweis hereinfallen. Diesen psychischen Mechanismus demonstriert Sheffield ausgerechnet am Astrophysiker Cimon. Kein Wunder also, wenn Cimon im Prozess als Chefankläger Sheffields auftritt: Rache ist Blutwurscht! Die bittere Pointe folgt auf dem Fuß: Wahrscheinlich ist es Langrange gelungen, sie allesamt zu vergiften, und sie sind todgeweiht.

Taschenbuch: 180 Seiten.
O-Titel: The Martian Way, 1952
Goldmann, München 1965
Aus dem US-Englischen von Iris und Rolf H. Foerster.
ISBN 9783442230501

Goldmann-Verlag

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