J.R.R. Tolkien – König Arthurs Untergang (herausgegeben von Christopher Tolkien)

Beowulf-Tradition trifft König Artus

Das große Epos um Arthur erzählt, wie der tapfere König sich zum Waffengang ostwärts in ferne, heidnische Länder begibt. Während der König außer Landes kämpft, verliebt sich der Ritter Lancelot in Arthurs Frau Guinever und schafft damit einen unüberwindlichen Konflikt. Als auch noch der verräterische Mordred die Macht an sich zu reißen versucht, treibt die Handlung einem Abgrund entgegen …

Neben der Edda und dem Nibelungenlied ist die Arthursage die wichtigste Quelle aller neueren Fantasyliteratur, die hier erstmals in J. R. R. Tolkiens eigener Fassung vorliegt.

Neben der kongenialen Übersetzung von Hans-Ulrich Möhring enthält diese Ausgabe auch den Text des englischen Originals. (Verlagsinfo)

Dem 165. Brief in Humphrey Carpenters Ausgabe der Briefe Tolkiens lässt sich entnehmen, dass Tolkien Mitte der 1930er Jahre an dieser Dichtung arbeitete. In fast 1000, nach altenglischem Modell gebildeten, alliterierenden Versen, die in fünf Gesängen geordnet sind, erzählt Tolkien von den letzten Tagen des legendären Britenkönigs, von Guinever, Lancelot und Mordred. Tolkiens Auffassung von den Mängeln des arthurischen Zeitalters hat er in seinem Brief von 1951 an Milton Waldman formuliert.

Das Versepos „The Fall of Arthur“ ist ein unvollendetes Gedicht J.R.R. Tolkiens, das Versmaß des altenglischen „Beowulf“(ca. 800 AD) imitierend, aber in quasi-modernem, vielfach altertümelndem Englisch verfasst. 2013 hat Tolkiens Sohn Christopher dieses 949 Verse lange Gedichtfragment postum herausgegeben.

Der Autor

John Ronald Reuel Tolkien wurde am 3. Januar 1892 in Bloemfontein (Südafrika) geboren und wuchs in England auf. Von 1925 an war er Professor für englische Philologie in Oxford und erwarb sich schon bald großes Ansehen als einer der angesehensten Philologen weit über die Grenzen Englands hinaus. Seine besondere Vorliebe galt den alten nordischen Sprachen. Seine weltbekannten Bücher »Der Hobbit«, »Der Herr der Ringe«, »Das Silmarillion« haben die Fantasyliteratur entscheidend geprägt und wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Millionen von Lesern werden seither von den Ereignissen in Mittelerde in Atem gehalten. J. R. R. Tolkien starb 1973 in Bournemouth. (Amazon.de)

Handlung des Gedichts

Erster Gesang

König Arthur weilt im finsteren Germanien, um zusammen mit seinem besten Ritter Gawain in einem blutigen Krieg die Sachsen zu unterwerfen. Da erreicht ihn die Nachricht aus der fernen Heimat, dass in Logres (Britannien) sein Neffe Mordred die Macht an sich gerissen habe und sich anschicke, Königin Guinever (sic!) zu heiraten, um sich den Thronanspruch zu sichern. Arthur muss den Feldzug abbrechen und über den Ärmelkanal nach Hause segeln, in der Hoffnung, noch nicht zu spät zu kommen.

Zweiter Gesang

Unterdessen hat Mordred tatsächlich Königin Guinever ein Ultimatum gestellt: Entweder sie heirate ihn (um seinen Thronanspruch und einen Nachfolger zu sichern), oder er werde sie versklaven und sie dann zwingen, ihm zu Willen zu sein. Die Waliserin Guinever sehnt sich nicht etwa nach ihrem Göttergatten, sondern nach Ritter Lancelot du Lac aus dem Hause Benwick.

Ihn liebte und verführte sie wie eine wilde Fee, bis der König davon Wind bekam. Arthur verbannte Lancelot von seiner Tafelrunde, nahm aber Guinever wieder in Gnaden auf. Lancelot weiß unterdessen, dass Guinever in Not ist, doch ein Ruf Arthurs um Beistand erfolgt nicht.

Dritter Gesang

Lancelot, der wegen seiner Affäre mit der Königin die Tafelrunde verlassen musste, befreit die zum Tode verurteilte Königin. Dabei erschlägt er drei Brüder Gawains. Die Königin findet jedoch nicht zurück in Lancelots Arme, sondern trennt sich erneut von ihm. Auf ihrer Flucht zurück ins heimatliche Wales, wo die Burg ihres Vater Leodegrance Schutz verspricht, wird sie von Mordreds Schergen verfolgt. Sie kann ihnen entkommen, vielleicht durch Feenkunst. In Benwick hört Lancelot von Mordreds Verrat, wartet aber vergeblich auf Arthurs oder Guinevers Ruf, sie gegen Mordred zu unterstützen.

Vierter Gesang

Die 230 Verse des vierten Gesangs schildern die erfolglose Verfolgung Guinevers durch Mordreds Männer bis an die Mauern von Wales. Damit ist wohl Offas Wall gemeint, der sich von der Irischen See bis zur walisischen Südküste zieht.

Mordred hat in der Zwischenzeit sein Heer aufgestellt, um Arthurs Rückkehr zu verhindern. Er ist nicht amüsiert, als ihm der Leiter der Verfolgungsjagd seinen Misserfolg berichtet. Angeführt von Gawain gelingt Arthurs Flotte die Landung an der Küste von Kent. Der Ort wird Romeril genannt, heißt aber heute Romney.

Fünfter Gesang (unvollendet)

Der fünfte Gesang, der Arthurs Gefühle und Zweifel angesichts der bevorstehenden Schlacht thematisiert, bricht nach Vers 63 ab. Ganz klar ist die Zeichnung Arthurs als christlicher König, denn er führt das Bild der Jungfrau Maria und Muttergottes in Wappen und Segel, ebenso wie sein bester Mann, Sir Gawain.

Mordred jedoch wird als Anführer von Heiden gezeichnet, so etwa als Chef des Königs von Gotlands und des Piraten Rodbard. Somit wird die Rückeroberung von Logres (ohne Wales) zu einem Religionskrieg, einer Reconquista im Namen des christlichen Gottes, dem Heilsbringer. In einem handschriftlichen Zusatz äußert Arthur dennoch Zweifel gegenüber Gawain, ob ein Frontalangriff die beste Strategie wäre, und peilt einen Umweg an.

Mein Eindruck

„König Arthurs Untergang“ stellt Tolkiens einziges Wagnis dar, sich lyrisch in der Welt der Legenden um König Arthur zu bewegen. Allerdings bewerkstelligte er bei diesem Versuch die gelungenste und reifste seiner alliterierenden Versdichtungen, für die er das Modell der altenglischen Stabreime à la „Beowulf“ verwendete. Daraus ergibt sich für den englischen wie den deutschen Leser: Dies ist keine leichte, flüssige Lektüre.

Tolkien wurde durch Geoffrey von Monmouths „Historia regum Britanniae“ und Thomas Malorys „Le Morte d’Arthur“ (12. Jh.) zu seinem Versepos inspiriert, aber anscheinend nicht von den Epen des Chretien de Troyes. In den letzten Tagen der Regentschaft Arthurs über das Königreich Logres angesiedelt, erzählt Tolkien von dessen verzweifeltem Versuch, sein Reich von seinem abtrünnigen Sohn Mordred zurückzuerobern. In den eröffnenden Versen erleben wir Arthur und Gawain, die sich auf eine Schlacht vorbereiten. Es ist die Geschichte von einer finsteren Welt, von Rittern und Prinzessinnen, Schwertern und Zauberei, Queste und Verrat. Die Natur spiegelt vielfach den Gemütszustand der Figuren wider.

Auch Tolkiens „König Arthurs Untergang“ präsentiert die großen Themen des literarischen Werks des Autors: den Verlust der Identität, Verrat, Opferbereitschaft, Heldenmut und Ruhm, die sich später im „Herrn der Ringe“ wiederfinden. Trotz der thematischen Nähe ist „The Fall of Arthur“ keine Sword & Sorcery oder High Epic Fantasy, denn phantastische Elemente fehlen fast völlig. Diese neue Versdichtung steht in engerer Beziehung zu den früheren altenglischen Studien Tolkiens, deren Echo auch in „Sir Gawain and the Green Knight“ (dt. bei Klett-Cotta) oder „The Legend of Sigurd and Gudrún“ (dt. bei Klett-Cotta) zu lesen ist. Der Herausgeber rückt das Epos sogar in die Nähe des „Silmarillion“ (1977), Tolkiens ältester Dichtung (ab 1916).

Tolkien hat sein Gedicht „König Arthurs Untergang“ Jahre vor dem „Hobbit“ (1937) oder dem „Herrn der Ringe“ (1954/55) verfasst. Dennoch, und das macht sein Biograph John Garth in einer Buchbesprechung plausibel, ebnete dieses Gedicht den Weg zu Tolkiens späteren, populäreren Romanen. Wie die unheimlich bedrohlichen Ringgeister im „Herrn der Ringe“, so fegen auch Arthurs Ritter wie der Sturm durch Düsterwald, der hier Mirkwood heißt.

Aber die Welt von Arthurs Sturz ist nicht Mittelerde, sondern Europa an der Schwelle zu dem dunkeln Zeitalter, das dem Niedergang des römischen Imperiums (ca. 440 AD) und dem Scheitern Arthurs in Britannien folgte. Arthur und Gawain stemmen sich in dem Gedicht in einem letzten, heroischen Versuch gegen die andrängenden, heidnischen Sachsen, um den politischen Status quo und die indigene christliche Kultur der Britannier zu bewahren. „Mirkwood“, der düstere Wald, liegt nicht in Mittelerde, sondern in den östlichen Wäldern Deutschlands, ein Name, den Tolkien in den frühen 1930er Jahren für ein Kinderbuch, seinen „Hobbit“, adaptierte. Auch dieser Wald ist, wie alle Naturphänomene bei Tolkien, ein Symbol: die Verwirrung der Seele und die daraus folgende Gefahr.

Begleittexte

A) Das Gedicht in der Artus-Tradition:

Der Herausgeber stellt Tolkiens Schöpfung in die arthurische Tradition, die seit dem 12. Jahrhundert existiert. Er erläutert, wie sein Vater auf die Idee kam, mit dieser literarischen Tradition zu brechen und stattdessen ein viel älteres Versmaß zu verwenden, nämlich das des „Beowulf“ aus dem Jahr 800. Die Unterschiede zu Malorys „Tale of the Death of Arthur“ sind massiv. Nicht nur wird Artus selbst anders charakterisiert, auch die Beziehungen zwischen Lancelot und Guinevere einerseits sowie Lancelot und Artus andererseits sind anders gezeichnet.

B) Das ungeschriebene Gedicht und seine Beziehung zum „Silmarillion“:

Hier sammelt der Herausgeber sämtliche Notizen, die den Fortgang der Handlung im Gedicht betreffen. So etwa Sir Gawains Tod und des in der Schlacht von Camlann gefallenen König Arthurs „Entrückung“ ins Segensreich – das später „Valinor“ oder „Tol Eressea“ genannt wurde, aber hier noch „Avalon“ heißt und evtl. bei Glastonbury verortet wurde. Es gibt noch viele weitere Verbindung zun den Heldengeschichten des „Silmarillion“ bzw. zu dessen Weltentwurf. Auch von Guineveres Ende ist die Rede.

C) Die Entwicklung des Gedichts (rund 70 Seiten):

Die Vorarbeiten zum „Arthur umfassen stolze 120 Seiten, was auf die Sorgfalt des Autors schließen lässt. Doch befanden sie sich in einem chaotischen Zustand, der auf die Vielzahl der Versionen und die Verschiebung von Textblöcken zurückzuführen sei. (Mit einer Textverarbeitung wäre das kein Problem gewesen.)

Durch diese Verschieb- und Versetzungen hat auch der heutige Leser noch die Aufgabe, Verse, die sich als Rückblende erweisen, korrekt einzuordnen. So erging es mir mit der Geschichte zwischen Lancelot und Guinevere.

Der Herausgeber geht bei seiner Analyse von Teil 3 zu Teil 1 und dann erst zu Teil 2 über, bevor er die letzten beiden Teile behandelt. Im Fortgang deckt er bislang unerwähnte Textpassagen auf.

D) Anhang 1: Altenglische Dichtung

Hier erläutert der Herausgeber die Prinzipien, nach denen altenglische Dichtung – soweit sie erhalten ist – seinerzeit gestaltet wurde. Der kurze Text von elf Seiten Umfang hilft, die literarische Leistung Tolkiens zu beurteilen. Verdient sie Respekt oder Spott?

E) Anhang 2: Zur deutschen Textgestalt

Der Übersetzer hat einiges dazu zu sagen, nach welchen Vor- und Maßgaben er das Original ins Deutsche übertragen hat. Allerdings verweist er auf die Übersetzung von „Die Legende von Sigurd und Gudrun“, wo ab S. 68ff. die Grundbegriffe der Stabreimdichtung erläutert werden. Dieser Verweis spricht die Literaturwissenschaftler an, und der Übersetzung kann sich damit eine umfangreiche Wiederholung sparen.

Einige Entschuldigungen bringt der Übersetzer vor, so etwa jene, dass er die stabreimende Alliteration auch bei nur ähnlich klingenden Konsonanten wie F und PF sowie ST, SCH und SP ausführte. Eine weitere Entschuldigung betrifft die alliterierende Übersetzung einzelner Passagen in den Erläuterungen in „Die Entwicklung des Gedichts“. Dafür sind die Zeilen umso verständlicher, finde ich.

Die letzte Entschuldigung betrifft die grenzwertigen Vermutungen, die der Herausgeber zu beinahe unleserlichen Versen angestellt hat. Da kann der Übersetzer sich nur mit unkritischen Übernahmen aus der Affäre ziehen, denn er kann ja nicht die Vorlage kritisieren.

F) Anhang 3: Literaturverzeichnis:

Genannt werden im Index v.a. Primärquellen wie etwa Malory und natürlich Tolkien, aber nur sehr wenige Sekundärliteratur, u.a. von C.S. Lewis, Tolkiens engstem Kollegen.

Die Übersetzung

Ich konnte keine Druckfehler finden. Daher entfällt eine Kritik der Übersetzung.

Unterm Strich

Der Leser erhält etwa 80 Seiten Gedicht (rund 1000 Verse) und etwa 197 Seiten Erläuterungen. Dieses Inhaltsverhältnis charakterisiert das Buch ganz klar als literaturwissenschaftliche Leistung. Der Tolkien-Fan sieht sich einem Gedicht gegenüber, das nur als Fragment vorliegt, obwohl es einen riesigen Entwurf als Vorarbeit vorweisen kann. Wer will, kann sich den Gesamtentwurf erarbeiten – es könnte sich lohnen.

Der Inhalt des Gedichts ist einigermaßen simpel, weicht aber in wesentlichen Punkten von der überlieferten Artus-Legende à la Malory ab. So taucht beispielsweise nirgendwo ein gewisser Merlin auf, und auch Parzival glänzt durch Abwesenheit.

Der Kern ist jedoch vorhanden: Mordreds Verrat, Lancelots Kampf um Guineveres Freiheit, die Flucht der Königin, die Rückkehr Arthurs an der Spitze eines christlichen Heers, um die heidnischen Thronräuber wie etwa den Piraten Radbod zu erledigen und den Thron zurückzuerobern. Die Schlacht bei der Landung in Kent ist siegreich, der Rest nicht ausgeführt – immerhin eine Menge Action. Dies ist ein Religionskrieg, und so deutlich wurde er noch selten zuvor charakterisiert. Die Schlacht von Camlann, in der Artus fällt, sowie seine Entrückung ins Segensreich Avalon wurden nicht ausgeführt. Nach Angaben des Herausgeber wollte Tolkien offenbar Malorys Version folgen.

Das wichtigste erzählerische Merkmal ist der Stabreim. Obwohl auch noch bei Malory zu finden, stammt Tolkiens Handhabung doch aus dem frühen neunten Jahrhundert, nämlich aus dem „Beowulf“. Diese Form verleiht Tolkiens Version nicht nur den Bezug zu altnordischen Heldenepen, sondern entwickelt auch eine Brücke zu seinem Legendarium, dem „Silmarillion“ und dessen Heldenepen und Weltentwurf. Unter diesem Aspekt wird das Buch wieder für – sehr ambitionierte und kenntnisreiche – Tolkien-Fans interessant.

Dieses Buch gibt’s als Taschenbuch nur auf Englisch, auf Deutsch nur gebunden. Das ist in Ordnung, denn die gebundene Form rechtfertigt deren hohen Preis, den der deutsche Leser für die Leistung des Übersetzers und Verlags entrichten muss.

Gebunden: 287 Seiten.
O-Titel: The Fall of Arthur, 2013
Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Möhring.
ISBN-13: 9783608960501

www.hobbitpresse.de

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