Jack Dann & Gardner Dozois – Einhörner. Fantasy-Stories

Eine Jungfrauenprüfung & eine Schachpartie am Ende der Welt

Das Einhorn als Symbol von Stärke, Kraft, Schönheit, Sanftheit, aber auch von Männlichkeit geistert durch die Mythen, Märchen und Sagen der verschiedensten Völker in den unterschiedlichsten Kulturkreisen. Nur einer reinen Jungfrau, so heißt es, könne es gelingen, ein Einhorn zu fangen.

Kein Wunder, dass ein so scheues und symbolträchtiges Fabeltier auch die Phantasie der Fantasy- und Science-Fiction-Autoren unserer Tage angeregt hat. Einige der schönsten Einhorn-Geschichten stellt dieser Band vor:

– Larry Nivens Story über den Zeitreisenden, der ein Pferd aus der Vergangenheit herbeischaffen soll und statt dessen mit einem Einhorn zurückkehrt…
– Harlan Ellisons Story über ein Einhorn, das sich für das Seelenheil zweier Menschen opfert…
– Stephen R. Donaldsons Story über einen Menschen, der sich inmitten einer perfekten Zukunftswelt in ein Einhorn verwandelt…
– Roger Zelaznys Story über ein Schachspiel, dessen Ausgang darüber entscheidet, ob die menschen die Erde den Einhörnern überlassen müssen…
– Gene Wolfes Story über ein durch Genmanipulation entstandenes Einhorn…
– Sowie weitere Stories von Theodore Sturgeon, L. Sprague de Camp, Ursula K. LeGuin, Frank Owen, Gardner Dozois und T.H. White.
(Verlagsinfo)

Die Herausgeber

Jack Dann und Gardner Dozois haben in den achtziger und neunziger Jahren zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, die wiederum in anderen Anthologien landeten – auch in deutschsprachigen. Jack Dann schwenkte nach seinen Erfolgen im SF-Feld auf den Mainstream um und veröffentlichte mit „Die Kathedrale der Erinnerung“ einen monumentalen Roman über das Genie Leonardo da Vinci. Von ihm stammt auch die Bezeichnung „Cyberpunk“ für das Subgenre.

Gardner Dozois schrieb zwei SF-Romane, darunter „Fremde“ (Moewig SF) und wurde mit einer Reihe von Kurzgeschichten für den HUGO- und den NEBULA Award nominiert. Gardner Dozois gehört zu den größten Förderern des jungen Autors George R.R. Martin, wie man in dessen „Traumlieder“-Bänden nachlesen kann.

Jede Erzählung wird mit einer Bio-Bibliografie des Autors bzw. der Autorin eingeleitet. Ein kleiner Teaser weckt den Appetit des Lesers…

Die Erzählungen

1) Theodore Sturgeon: Seidenflink (The Silken Swift, 1953)

Rita ist die hinterlistige und zaubermächtige Tochter des lokalen Gutsherren. Hin und wieder begibt sie sich hinab ins Dorf, um sich einen Liebhaber auszusuchen. Diesmal fällt ihre Wahl auf den starken Del, der gern im Wirtshaus hockt. Betört von ihrem Duft und ihren tiefen Augen folgt er ihr ins Gutsherrenhaus. Sie hat ihm erzählt, sie sei noch Jungfrau und brauche ganz dringend einen starken Kerl.

Doch der Abend verläuft für den armen Del ganz anders als erwartet. Rita verfügt offenbar über die Macht des Mondscheins, der Del verwirrt, und über die Gabe des Zaubertrank, der Dell niederstreckt. Sie stößt ihn lachend in den Keller, von wo er auf der anderen Seite des Hügels in die Nähe eines Zauberteichs rollt.

Am Teich lebt die junge Barbara, die auf dem Dorfmarkt ihre Kräuter feilbietet. Sie ist ebenfalls eine Jungfrau, aber das weiß keiner außer dem Einhorn, das sie ab und zu besuchen kommt, um am Teich zu trinken. Diesmal findet sie jedoch Del an einer Hecke nahe dem Teich. Da er von Ritas Streichen blind ist, glaubt er, Rita käme nicht, ihn gesundzupflegen, sondern zu verhöhnen. Er stößt Barbara von sich, die sich in ihn verliebt hat.

Als Rita wieder mal ins Dorf kommt, stößt sie auf den gesundeten Del, der ihr von jungen Frau erzählt. War das nicht sie, Rita? Als Rita begreift, von wem Del erzählt, hat sie Mühe, ihr gefürchtetes Lachen im Zaum zu halten. Und als Del dann auch noch etwas von einem Einhorn am Teich faselt, steht ihr Entschluss: Sie muss es einfangen. Flugs lässt sie den Schmied ein goldenes Zaumzeug fertigen. Dieser Auftrag spricht sich in Windeseile herum, und als Rita zum Teich stapft, folgt ihr das ganze Dorf. Das Einhorn kommt denn auch, beobachtet von Del, Barbara und Rita. Doch die Dinge entwickeln sich für Rita und Del nicht wie erwartet…

Mein Eindruck

Die sehr anschaulich und lebhafte erzählte Geschichte stellt zwei gegensätzliche Frauenfiguren einander gegenüber. Hier die selbstbewusste Jungfrau Rita, reich und zaubermächtig wie Morgan le Fay, auf deren anderen Seite Barbara, „deren Liebe nach innen gerichtet“ ist. Beide singen Del, der blind zwischen ihnen zu wählen versucht, ein Lied oder ein Gedicht vor, das ihn betören soll. Wegen seiner Blindheit, die auch seelisch ist, fällt es Del schwer, zu wählen, selbst wenn er sein Herz entscheiden ließe.

Das ganz Dorf schaut gespannt zu, als das Einhorn kommt, um zwischen den beiden Jungfrauen zu wählen. Es ist offensichtlich kein Pferd, sondern trägt ein goldenes Horn. Sein Kommen verwandelt die gesamte Umgebung, und aus dem Teich wird auf einmal ein Sumpf. Als es dann seine Wahl trifft, ist die Überraschung groß – und die Wut…

2) L. Sprague de Camp: Eudorics Einhorn (Eudoric’s Unicorn, 1977)

Eudoric ist ein unternehmender Ritter in der Provinz. Er fasst den Plan, seine Kutschenlinien auszudehnen und benötigt dafür die Einwilligung des Erzherzogs. Den findet er in der kaiserlichen Hauptstadt. Kaum hat er ihm angeboten, die Kutschengewinne besteuern zu können, bekommt er eine junge Frau in Aussicht gestellt und eine Audienz beim Kaiser selbst bewilligt.

Der Kaiser jedoch steckt in der Klemme. Der Cham der nomadischen Horden hat ihm einen Jungdrachen für seinen Privatzoo geschenkt, und nun muss er sich revanchieren. Da Sir Eudoric schließlich ein ausgewiesener Drachentöter und Riesenspinnenjäger sei, könne er doch wohl imstande sein, ein Einhorn einzufangen und dem Kaiser zu überlassen, nicht wahr? Selbstredend verspricht Eudoric selbiges Einhorn, verabschiedet sich und macht sich erst einmal kundig, was ein Einhorn denn ist.

Sein Freund, der Freizeitmagier, macht ihm klar, dass eine Jungfrau nötig ist, um ein Einhorn zu fangen. Doch weh, eine solche edle Jungfer ist schwer zu finden. Die meisten sind bereits versprochen und vergeben, aber da wäre noch Bertrud, die untersetzte Tochter von Ulfred dem Ungewaschenen. Leider ist sie ebenso ungewaschen wie ihr Vater und das Einhorn unternimmt lieber wütend einen Angriff auf sie, als ihr seinen Kopf in den Schoß zu legen.

Allerdings hat die Prozedur des Waschens und Badens unerwartete Folgen für Bertrud: Sie verspürt eine nie gekannte Vitalität und Geilheit in ihren geschrubbten Gliedern und schmiegt sich an den Ritter. Eudoric darf sie natürlich nicht entjungfern, will er seinen eigenen Plan nicht vereiteln. Nun ist guter Rat teuer. Doch es kommt alles ganz anders…

Mein Eindruck

Sprague de Camp ist ein richtiger Spaßvogel unter den Schreibern von Phantastik, und bei dieser hintersinnigen, frivolen Story macht er keine Ausnahme. Eudoric ist ein rechtschaffener Yankee, wie er im Buche steht, doch die anderen, die ihm höhergestellt sind, wissen ihn nach Strich und Faden auszunützen. Er bekommt zwar seine Kutschenlinienerweiterung, doch auf Petrillas Hand muss er ebenso verzichten – der Cham schnappt sie ihm weg – wie auf fünfzig Prozent der Kutscheneinnahmen, denn die erlegt ihm der Erzherzog als Steuer auf.

So ein Ritter hat’s eben schwer, doch Eudoric weiß sich zu behelfen. Der Freizeitmagier gibt ihm den Tipp mit der Hexe Svanhalla, die ihn ihrerseits an die nicht allzu holde Bertrud verweist. Als Bertrud der Verlockungen des Fleisches erliegt, fragt Eudoric die Hexe erneut. Und die hat eine Lösung parat, an die er noch gar nicht gedacht hat: Sie ist selbst noch Jungfrau. Vom ALTER einer Jungfrau für den korrekten Einhornfang stand nämlich nichts im Kleingedruckten…

3) Larry Niven: Der Flug des Pferdes (The Flight of the Horse, 1977)

Hanville Svetz wird mit seinem Zeitmaschinenkäfig ins Jahr 1200 AD zurückgeschickt. Sein Auftrag: ein pferd für den Generalsekretär beschaffen. Leichter gesagt als getan. Da er aus einer industriellen Umgebung mit vier Prozent CO2 in der Luft, trifft ihn die hiesige ländliche Luft wie eine Überdosis Sauerstoff. Sogleich setzt er sich einen Helm auf. Das erste Wesen, das er sieht, gleich tatsächlich dem Pferd aus dem uralten Kinderbuch, das ihm als Referenz dient. Allerdings ist es weiß und bewaffnet. Und es ist extrem intelligent, so dass es sofort Reißaus nimmt.

Zwecks Suche nimmt er verschiedene Werkzeuge mit und beginnt, in den Suchflug zu gehen. Nach einer Weile entdeckt er einen Reisenden, der zu Fuß geht, aber sofort das Weite sucht. So gelangt er zu einem Ort, wo er das weiße Pferd wiedersieht: Es kniet vor einem etwa sechzehnjährigen Mädchen. Es ist leicht, dem Mädchen ein paar Edelsteine vor die Füße zu werfen und es damit anzulocken. Es setzt sich auf das Pferd und beginnt, dem fliegenden Svetz hinterherzufliegen. Der Flug dieses Pferdes ist wirklich eine Schau.

Das Pferd in den Käfig zu locken, erfolgt mit Erlaubnis der Jungfer, doch kaum ist das Pferd im Käfig, beginnt es mit der Waffe auf seinem Käfig, sämtliche Steuerinstrumente zu durchbohren. Svetz drückt den Knopf für den Notstart und verliert das Bewusstsein. Kaum öffnet er die Käfigtür im Forschungszentrum, als das Tier zu toben beginnt. Niemand hat die Männer gewarnt, dass es ein Horn auf der Stirn haben könnte. Als Svetz in seinem Bett im Krankenhaus liegt, erfährt er, wie die Gefahr gebannt wurde: Die junge Zeera habe es eingefangen, weiß der Kuckuck, auf welche Weise.

Bleibt jetzt noch die Frage zu klären, wie man dem Generalsekretär ein Pferd mit Horn erklären soll. Da hat Svetz eine brillante Idee mit fatalen Folgen…

Mein Eindruck

Der bekannte Autor von „Ringwelt“ hat in seiner Anfangszeit – er verkaufte seine erste Story anno 1964 – viele gute Ideen und sehr viel Humor. Die vorliegende Geschichte ist gutes Beispiel dafür. Er kreuzt H.G. Wells‘ Roman „Die Zeitmaschine“ mit der bekannten Fantasy-Legende von gehörnten Pferd, das nur auf Jungfrauen positiv reagiert. Das Ergebnis ist sehr pfiffig.

Der Leser erfährt aber auch sehr viel Schlimmes über die Zeit, aus der Svetz startet. Durch Verbrennung fossiler Rohstoffe ist der Anteil an Kohlendioxid auf gewaltige vier Prozent gestiegen, also das Zehnfache des um 1200 AD üblichen Wertes. Der Unterschied zwingt Svetz zu Anpassungen, die für einen Alien-Planet angemessen erscheinen – mit Svetz als Erkunder. Dabei ist er der Alien. Der jeweilige Standpunkt ist also sehr relativ.

Die Pointe besteht darin, dass der Trick mit dem nachträglich geänderten Kinderbuch so gut funktioniert, dass man ihn auf Drachenjagd schickt. Es konnte ja keiner wissen, wie groß die vom Generalsekretär gewünschte Gila-Echse sein würde…

4) Harlan Ellison: An der Bergab-Seite (On the Downhill Side, 1972)

Paul Ordahl wandelt zusammen mit seinem Einhorn durch das French Quarter von New Orleans, um die Frau zu treffen, die sich derzeit Lizette nennt. Vor ihr verbeugt sich das Einhorn. Sie erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten, und es wird zunehmend unverständlich, warum das Einhorn dieser über hundert Jahre alten Ehebrecherin seine Reverenz erwiesen hat, wohingegen bei ihm die Sache jklar ist: Er ist ein Selbstmörderin, nachdem er seine Frau Bernice in den Irrsinn getrieben hatte.

So wandeln sie nun als Geister durch die uralte Stadt und warten auf die Mitternacht. Dahinter liegt die Bergab-Seite, wo sich ihr Schicksal entscheidet. Nach einem Streit, der durch seine Eifersucht gegenüber einem Flamenco-Tänzer ausgelöst wird, enteilt sie auf einen offenen Platz, dann auf den Saint Louis Friedhof. Dort stehen zahlreiche Grabmäler und Mausoleen, und in einem davon verschwindet Lizette.

Kommt er zu spät, um sie zu retten? Sie liegt entkleidet auf einer Altarplatte, umringt von den fordernden Dämonen der Unterwelt. Eine geistige Barriere hindert Paul daran, ihr zu Hilfe zu eilen, doch für sein Einhorn gilt diese Schranke nicht. So wird Lizette befreit und kann zu Paul zurückkehren, doch das Einhorn opfern sich für sie. Alle seine Farbenwerden ihm von den Dämonen zuerst geraubt, dann auch seine Hülle. Derart erlöst können Paul und Lizette entkommen, bis zum nächsten Mal…

Mein Eindruck

Der routinierte Drehbuchautor Ellison versteht es, die besondere Stimmung im alten New Orleans und auf einem seiner alten Friedhöfe heraufzubeschwören. Es ist eine Welt, die nur halb real, halb gespenstisch ist. Nun setzt er zwei Figuren in dieses Setting, die beide mit einem besonderen Werdegang ausgestattet sind. Der Joker im düsteren Spiel der Untoten ist jedoch das Einhorn, über das zunächst nur die üblichen Legendendetails bekannt sind: die Jungfrauenprobe und dergleichen.

Da beide unerlöste Seelen sind, zieht es sie in die Gefahrenzone, den Friedhof, in der Hoffnung, auf der „Bergab-Seite“ an den fordernden Dämonen vorbeizugelangen. Die Hoffnung wird enttäuscht und Lizette gefangen. Sind es Ghoule oder Götter, die sie einfordern? Das bleibt unklar, ebenso wie der Grund, warum Paul nicht zu ihr gelangen kann. Nun folgt die Stunde des Einhorns. Es bleibt dem leser überlassen, wofür dieses Symbol steht, aber ich würde mal auf die Liebe tippen.

Viele von Ellisons Geschichten drehen sich um Tod und Verdammnis, die durch Liebe und Erlösung bekämpft werden müssen – und können. Aber wenige sind so stimmungsvoll und stimmig in das alte New Orleans eingebettet. Glücklicherweise treten hier keine Jahrhundert e alten Vampire auf – die überlässt der Autor seiner Kollegin Anne Rice.

5) Stephen R. Donaldson: Mythologisches Lebewesen (Mythological Beast, 1978)

Norman arbeitet für die Nationalbibliothek, hat eine Frau namens Sally und einen Sohn namens Enwell. Er denkt, er sei normal und ungefährlich, so wie alle anderen. Das sagt ihm auch sein implantierter Biomitter am Handgelenk. Doch eines Morgens wächst ihm eine Beule auf der Stirn. Der Biomitter und auch der KI-Doktor im Krankenhaus versichert ihm, dass er in Ordnung sei. Nur das Terminal der Frau an der Rezeption, die so tut, als wäre sie eine Rezeptionistin, sagt etwas anderes: SOFORT ZERSTÖREN! Norman ist ein vorsichtiger Mann und er kann sogar lesen, im Gegensatz zu der Frau. Er löscht diese Meldung, löscht alle Dateien des Tages auf allen Computern des Krankenhaus.

Tage vergehen, und er verändert sich weiter. Er forscht im Netz nach seinem Aussehen und fragt, was er sei. Antwort: ein Einhorn. Das macht ihm ein ganz klein wenig Angst, und Angst ist strengstens verboten. Dann geht er zu seinem Chef. Der genehmigt ihm, ein paar Bücher über imaginäre Wesen und mythologische Bestien auszuleihen. Dann forscht er im Netz nach dem Begriff „Furcht“. Jetzt wird ihm einiges klar: Er ist in Gefahr. Der Versuch, mit seiner Frau sprechen, führt nur dazu, dass sie katatonisch wird. Der Biomitter an seinem Handgelenk schreit in roten Farben.

Er wird ein strahlend schönes Wesen. Durch seine Schnelligkeit, Stärke und das diamantharte Horn gelingt es ihm nicht nur, seinen Häschern zu entkommen, nein, er kann damit die gepanzerte Vordertür des Allgemeinen Krankenhaus einrennen. Denn was wäre, wenn es noch mehr von seiner Sorte gäbe? Sie würden in die Notfallabteilung zur Zerstörung gebracht werden. Die Wucht seines Angriffs ist schneller als jede Reaktion. Es gibt hier keine Einhörner, nur den Medicomp, der veranlasst, Nervengas ausströmen zu lassen. Er zerstört ihn mit seinem Horn.

Seine Flucht ist schnell und unwiderstehlich, in letzter Sekunde erreicht er die frische Luft, die sich noch vor dem Krankenhaus befindet. Das Gebäude steht in Flammen, und eine Menschenmenge hat sich neugierig versammelt. So etwas haben die Leute noch nie gesehen, und sie wissen nicht, was sie tun sollen. Da entdeckt er ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, das eine auffallende Beule auf der Stirn aufweist. Und als er es begrüßt, zeigt sie keinerlei Furcht…

Mein Eindruck

Es ist eine graue, völlig reglementierte und vollständig automatisierte Welt, in der Norman lebt. Die Ursachen für Furcht sind abgeschafft, kontrolliert und überwacht. Deshalb ist das Auftauchen seines Horns zunächst einmal etwas Unbekanntes. Was könnte es sein? Es gibt keinerlei Referenz dafür, nicht einmal in Kinderbüchern (s.o.). Aber die „Transmutation“ wird vom Zentralcomputer als solche erkannt, was bedeutet, dass so etwas immer wieder mal vorkommt. Mutation ist indes eine der beiden Triebfedern der Evolution, die andere ist Selektion. Die Frage ist von vornherein, wie sich die Menschheit gegenüber einer Abweichung verhält und ob sie diese als Chance oder als Bedrohung beurteilt.

Einhorn Norman ist ein glorreiches Wesen, stark, schnell, wunderschön und in seinem Zorn unaufhaltsam – so wie die Macht der Phantasie. Denn ist er nicht sein ganzes Leben lang betrogen worden? Um seine Freiheit, seine Identität, seine Fähigkeiten – die meisten Menschen haben nie gelernt zu lesen. Er ist so etwas wie ein Fossil, der Baby-Boomer einer untergegangenen Ära. Er kann sogar ein Terminal bedienen und so seine digitalen Spuren verwischen. (Die Informatik ist hier noch auf dem Stand der 1970er Jahre.) Ganz klar, dass er Furcht und Schrecken verbreitet: der Sehende unter den Blinden. (Dazu gibt es eine schöne, lehrreiche Story von H.G. Wells.)

6) Ursula K. Le Guin: Der weiße Esel (The White Donkey, 1980)

Sita ist die Ziegenhirtin des kleinen indischen Dorfes. Als Nana ihr erzählt, es gäbe tief im Wald einen saftigen Weideplatz, macht sich Sita eines Tages dorthin auf. Weil ihr Onkel sie gewarnt hat, nimmt sie sich vor Schlangen in acht. Schon nach wenigen Tagen werden ihre Tiere vom saftigen Gras fett, was Sita freut. Aber ein weiterer Gast stellt sich an diesem abgeschiedenen Ort ein: ein weißer Esel.

Sita überlegt, wem dieser Esel gehören könnte, und findet niemanden. Es ist ein wilder Esel. Aber sie hat noch nie einen Esel gesehen, der so wohlgenährt war und ein Horn auf der Stirn hatte. Als das Tier seinen Kopf in ihren Schoß legt, lässt sie es gewähren und streichelt es. Erst als Sita erfährt, dass sie verheiratet werden soll, muss sie von ihrem Lieblingsesel Abschied nehmen.

Mein Eindruck

Der weiße Esel ist ein Einhorn, soviel ist dem kundigen Fantasyleser schnell klar. Und dass Einhörner Jungfrauen auswählen, um ihnen den Kopf in den unberührten Schoß zu legen, ist eine weithin bekannte Legende. Was jetzt noch fehlt, ist der männliche Jäger, der das Symbol der Unschuld erlegt. Dieser Part ereignet sich zum Glück nicht.

Aber Sita ahnt dennoch, dass die Heirat und der damit verbundene Verlust der Unschuld das Ende der intimen Beziehung zu dem wilden Einhorn bedeutet. Sie weiß das, weil sie nun ihre Pflichten als Gattin, Mutter und Hausfrau erfüllen muss, so dass fürs Ziegenhüten keine Zeit bleibt. Somit wird die Geschichte zur Parabel über das Schicksal jeder indischen Frau, ganz besonders auf dem Lande – und vielleicht sogar für das Schicksal aller Frauen seit dem Anbeginn der Zeit.

7) Roger Zelazny: Einhorn-Variationen (Unicorn Variations, 1981)

Martin hat sich auf seinem Trip in einer Geisterstadt niedergelassen. Der Saloon schützt ihn vor dem Wind in dieser Wüste, ist aber sonst ziemlich verfallen und heruntergekommen. Auf einen der Tische ist ein Schachbrett eingeritzt, und er stellt ein paar seiner eigenen Figuren auf. Er war mal ziemlich gut, denkt er, und macht einen Zug mit einem Bauern. Der Zug wird erwidert. Sein unsichtbarer Gegenspieler ist ziemlich gut, findet er nach ein paar Zügen, und er kann nur hoffen, ein Patt zu erzielen.

Er nimmt einen Schluck aus dem Dosenbier, das er in seinem Rucksack mitgebracht hat. Sein Gegenspieler verlangt ebenfalls ein Bier, materialisiert sich: ein Einhorn, das von Horn bis Huf pechschwarz ist. Mit besagtem Horn öffnet es eine Dose quasi im Handumdrehen. Er nennt sich Tlingel und macht einen weiteren vernichtenden Zug. Martin will allmählich wissen, um was Tlingel spielt. Nun, es geht einfach um die Nachfolge: ob Fabelwesen aus dem Dämmerland die Menschen ablösen werden. So wie die Menschen diese Erde ruiniert haben, wäre es wirklich an der Zeit. Tlingel schaut vielsagend den desolaten Saloon an. Die mythologischen Wesen würden sie restaurieren.

Bevor es dazu kommt, bedingt sich Martin ein Auszeit aus. In Ordnung, dann in einem Monat. Martin reist in die Berge, wo er über seinen nächsten Zug nachsinnt. Ein haariger Humanoide, der sich Gren nennt, einen Sasquatch, lehrt ihn, wie schnell man ein Schachspiel verlieren kann. Natürlich ist Gren scharf auf sein Bier. Mit diesem Wissen kehrt Martin zu Tlingel zurück – und gelangt wieder an den Rand des Verlierens. Nochmal zu Sasquatch. Der wird jetzt von einem Greif begleitet, der Unmengen von Martins Bier vertilgt. Die nächste Runde mit Tlingel erbringt immerhin ein Patt. Tlingel ist verblüfft, lässt sich aber nichts anmerken.

Da heult der Wind vor dem restaurierten Saloon und es treten ein: Gren, drei weitere Sasquatsche und mehrere Greife. Alle wollen ein Bier oder auch zwei. Null problemo, versichert Martin, bevor er die Partie gegen Tlingel trickreich zu Ende bringt. Nun haben sich die Ausgangsbedingungen für die Übergabe der Erde beträchtlich geändert, findet Martin, als er Tlingel schachmatt setzt…

Mein Eindruck

Diese witzige Novelle hat 1982 zu Recht einen der großen Preise der SF & Fantasy erhalten, nämlich den HUGO Award der SF-Leser. Neben den Schachzügen, die den einen oder anderen Schachprofi entzücken dürften, spielen der Saloon, das irgendwie unerschöpfliche Bier und die drei mythologischen Wesen eine Rolle. Leser – besonders amerikanische – lieben Loser, und Martin scheint der geborene Loser zu sein. Der Verlust von Leib, Leben und Erde scheint sicher zu sein. Für seinen Gegner scheint das einerlei zu sein: Das schwarze Fell legt die Assoziation mit Satan nahe.

Nur ist der klassische Satan der Hebräer ein Entzweier, und dieser Tlingel wird durch das Teamwork der Fabelwesen mit Martin besiegt. Tlingel ist, wenn überhaupt, ein sehr amerikanischer Satan, dem von einem archetypischen Yankee Paroli geboten wird. (Solche Siege über den Teufel bilden in der amerikanischen Literatur ein eigenes Subgenre, das auf eine lange Tradition zurückblicken kann, zweifellos ein Erbe des Puritanismus.) Am Schluss wird es richtig spannend, denn da setzt Martin alles auf eine Karte und spielt auf eigene Faust.

Dass diese Story auch eine Öko-Botschaft hat, lässt sich leicht übersehen. Nun wird nämlich abgerechnet. Weil die Welt buchstäblich zum Teufel geht, stehen die Nachfolger des Menschen schon bereit, um ihn abzulösen. Besser geht’s immer. Dass aber ausgerechnet mythologische Wesen die Nachfolger sein sollen, von denen der Mensch bislang nur fabulierte, ist ein sehr witziger Einfall des Autors. Es gibt wenigstens eine Sache, die den letzten Menschen mit seinen Nachfolgern vereint: Bier, und zwar in rauen Mengen. Allerdings hat das Einhorn ein Gegenmittel, das einen Rausch während des Spiels vereitelt…

8) Gardner Dozois: Das Opfer (The Sacrifice, 1982)

Der Alte Wald ist bei Nacht noch unheimlicher als sonst. Federblume begibt sich trotzdem hinein, denn es gilt, eine Pflicht zu erfüllen, um die Götter gnädig zu stimmen. An ihrer Seite ist ihr Vater Nachtwind, der Häuptling, und der junge Kriegshäuptling Feuerhaar, hinter ihr schleicht der alte Zauberer Hinkebein durchs Gras. Schon lange hat es nicht mehr geregnet, und ein Opfer sei nötig, sagt er – hier unter der großen Eiche auf der Lichtung.

Sobald die anderen drei gegangen ist, versucht Federblume ihre Furcht zu beherrschen. Doch dann kommt er, der Erwartete. Er stapft durchs Unterholz, als gehöre ihm dieser Wald, und kommt schnurstracks zu ihr, als kenne er keine Furcht. Demütig senkt sie ihr wehrhaftes Horn, und er legt seinen schrecklichen Kopf in ihren Schoß…

Mein Eindruck

Die Stimmung kombiniert Tolkiens unheimlichen Alten Wald (aus dem „Herrn der Ringe“) mit der Kultur der indigenen Völker Nordamerikas, etwa der Lakota. Die Pointe kommt völlig überraschend und stellt alle Erwartungen des Lesers auf den Kopf. Die Rollen von Mann und Einhorn sind vertauscht. Worin besteht nun ihr Opfer, mag sich der Leser verwundert fragen. Eine Verwandlung in Menschengestalt könnte die Antwort sein.

9) Frank Owen: Die Versuchung (The Unicorn, 1952)

Der Bauer Lin Wong nimmt Lin Mie zur Frau und hofft, schon bald viele Kinder zu bekommen, die seine Felder bestellen. Denn er liebt den Luxus und die Gemütlichkeit, seine Pfeife schmauchend. Doch zehn Jahre gehen ins Land in der Provinz Hangzhou, ohne dass Mie ein Kind bekommt. Müde vom einsamen Tagwerk legt sie sich in den Schatten eines Baumes, bis ihr schließlich ein Kind erscheint. Es liegt in ihrem Schoß und muss etwa drei Jahre alt sein. Lin Mie nennt Lin Mu, denn Mu bedeutet Baum und Lin Wald.

Lin Wong ist misstrauisch gegenüber diesem unverhofften Familienzuwachs, aber als der Junge anbietet, ein Einhorn anstelle eines Ochsengespanns herbeizuschaffen, stimmt Wong zu. In der tat rackert das Einhorn für zehn Ochsen und schafft Arbeit weg, dass es eine wahre Freude ist.

Doch es ist allgemein bekannt, dass ein so edles Tier nur einem Hochwohlgeborenen zusteht. Dies findet auch der Räuber Loo Tak, den die Kunde vom Einhorn erreicht, und er beschließt, es sich anzueignen. Er hat vier Leibwächter, die jeden Widerstand brechen. Als er hört, dass er nur mit einem Jungen, einer Frau und einem Bauern als Widerstand zu rechnen hat, begnügt er sich mit nur einem Leibwächter. Er hat jedoch nicht mit dem Einhorn, dessen Horn ihn durch die Luft wirbelt und dessen Hufe ihn in den Erdboden stampfen. Der Leibwächter nimmt Reißaus.

Doch die Kunde vom Einhorn erreicht auch die Ohren des Generals Lim, der noch nie eine Schlacht geschlagen hat, aber in seinem geerbten Palast Speisen und Konkubinen vernascht. Lim führt in seinem Wappen das Einhorn und ist der Ansicht, sich ein echtes Einhorn kaufen zu können. Mit seiner Entourage begibt er sich in die Provinz zu Lin Wong und bietet ihm einen Scheffel voll Gold für sein Einhorn. Wong akzeptiert das verlockende Angebot. Doch der Sohn und die Frau haben ebenfalls mitzureden: Sie besteigen das Einhorn und reiten von dannen…

Mein Eindruck

Orientalisch-chinesische Fantasy war die Spezialität von Frank Owen, erfahren wir aus der Einführung. Und so wundersam die Geschichte vom chinesischen Einhorn Qi-lin auch anmuten mag, so hält sie für den Leser auch eine Lehre bereit. Die einzige Methode, mit der man es erwerben kann, ist die Liebe – etwa zu einem Kind. Wer diese Liebe durch geldwert ersetzen will, muss sich mit dem Verlust des Fabeltieres abfinden.

Hinweis:
Das Qi-lin spielt in dem Spielfilm „Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse“ eine zentrale Rolle, denn es ist der Schiedsrichter, wer der nächste Meister aller Zauberer werden soll. Allerdings hat Grindelwald eine ganze Reihe von Listen auf Lager, damit diese Wahl auf keinen anderen als ihn fällt.)

10) Gene Wolfe: Die Frau, die vom Einhorn geliebt wurde (The Woman the Unicorn Loved, 1981)

Dr. Anderson traut seinen Augen kaum und holt sofort seine Fotokamera. Ein strahlend weißes Einhorn tänzelt über den Campus vor seinem Institut und wird sofort von bewundernden Studenten umringt. Sein Kollege Dumont holt ihn nach unten, hat aber wieder mal sein Betäubungsgewehr vergessen. Nur eine junge Dame scheint in der Lage zu sein, das Fabelwesen zu beruhigen. Als ein Helikopter der Polizei auftaucht und Tränengas versprüht, löst sich die Versammlung auf. Das Einhorn entkommt den Kugeln der Cops.

Wenig später entdeckt Anderson die junge Dame in seinem Büro. Sie nennt sich Julie. Nach einer Weile merkt er, was mit ihr los ist: Sie hat das Einhorn, ein genetisches erschaffenes Wesen, versteckt. Sie will es in Sicherheit bringen. Aber wo ist es? Na, in der Bibliothek, wo es immer dunkel ist und wo Julie den Wächter als Freund hat. In der Bücherei finden sie nur noch die Leiche des Wächters vor, durchbohrt von einem Horn.

Als Julie Dr. Anderson küsst, brauchen sie nicht zu warten, bis das Fabelwesen eifersüchtig aus seinem Versteck stürmt und Dr. Anderson mit seinem tödlichen Horn angreift…

Mein Eindruck

Soweit die oberflächliche Erzählung, doch wie so häufig bei Wolfe gibt es eine Tiefenstruktur, die in vielen Bemerkungen und Gedichten angedeutet wird. Dr. Anderson rezitiert klassische Gedichte über Einhörner – oder was man in vergangenen Epochen dafür hielt. Und er weist darauf hin, dass das schottische Wappentier das Einhorn sei, das englische aber der Löwe. Die Geschichte spielt aber in Wisconsin.

Wie auch immer: Julie scheint viel älter zu sein als ihre geschätzten 20 Jahre – sie ist Dozentin für Biologie und somit auch qualifiziert für genetische Experimente. Sie könnte eine Göttin der Liebe sein. Und Andersons Helfer Ed könnte ebenfalls viel älter sein als seine 18 Jahre, vielleicht eine Verkörperung des Merkur. Die antike, mythische Vergangenheit ragt in die Vergangenheit hinein, symbolisiert durch das Fabelwesen, das aus der Retorte kommt.

11) T.H. White: Das Einhorn (The Unicorn, 1939, Romanauszug)

Die Stimmung auf den Orkney-Inseln ist, gelinde gesagt, kompliziert. Der König von England, Pellinore, ist auf Schloss Dunlothian eingetroffen, aber liebeskrank und unfähig zu jeglicher Unternehmung. Königin Morgause versucht, ihm und den beiden Rittern Sir Grummore und Sir Palomides ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Doch ihre vier Söhne Gawaine, Gareth, Gaheris und Agravaine sinnen auf Abwechslung und wollen sich bei ihrer gestrengen Frau Mutter, die sie auszupeitschen beliebt, einschmeicheln. Doch wie? Es müsste schon was Besonderes sein.

Sie gehen zum heiligen Mönch, der sie das Lesen gelehrt hat. Tatsächlich zeigt er ihnen ein Buch voll schöner Bilder von wundersamen Geschöpfen. So fällt ihr Blick auf die Abbildung eines Einhorns: Es hat sein Horn und den Kopf in den Schoß eines Mädchens gelegt, während das Mädchen die Jäger herbeiruft. Was, wenn sie ihrer Mutter ein solches edles Tier als Trophäe bringen könnten? Das gäbe doch Pluspunkte, oder?

Gesagt, getan. Statt einer edlen Jungfer muss Meg, die Küchenmagd, herhalten und mitkommen, wenn sie in den Wald ziehen. Meg fürchtet die Strafe ihrer Chefin und weint in einem fort. An einer Lichtung angelangt, wird sie mit ihren Zöpfen festgebunden. Die Jungs haben keinerlei Plan, aber die Legende wird schon stimmen. Sie legen sich auf die Lauer. Sollen sie es einfangen oder töten? Agravaine ist fürs Töten.

Als das schöne Fabelwesen schließlich auftaucht und seinen Kopf liebevoll in Megs Schoß legt, ist das Mädchen sofort in es verliebt. Doch als Agravaine seinen Speer wirft und es in die Flanke trifft, schreit sie laut auf und läuft weg. Agravaine ist in einem Blutrausch, der sich aus Eifersucht speist. Doch damit endet der Horror nicht, sondern wird immer schlimmer…

Mein Eindruck

Der blutigen Geschichte vom Tod des Einhorns liegt die bekannte mittelalterliche Legende zugrunde, die in manchen Wandbehängen abgebildet ist. Der Hintergrund ist die Ära von König Artus, doch der tritt gar nicht auf. Vielmehr steht der spätere Artus-Ritter Sir Gawaine mit seinen Brüdern und seiner Mutter Morgause (von ihrem Gatten ist keine Rede) im Mittelpunkt. Richtig ist hingegen, dass die Orkneys von den Engländern erobert wurden. Die Provinz und den Fußballklub Lothian gibt es bis heute.

Der Autor hat diese Geschichte in seinen vierteiligen Romanzyklus „The Once and Future King“ (ab 1939) eingefügt. Dabei arbeitete er Elemente in die Legende ein, die die Vorlage praktisch auf den Kopf stellen und die Szene mit heftigen Emotionen aufladen, die man in einer galanten Fantasy nicht erwarten würde: Eifersucht, Schuldbewusstsein, Mordlust, Liebe, Furcht und vieles mehr. Den nichtsahnenden Leser erwartet eine grausige Schlachtszene, und auch der Ausgang der Geschichte sieht für die Jungs ganz anders aus als erwartet.

Die Übersetzung

S. 14: „ein klapperndes Gestell mit Sch[n]ürhaken“: Das ist überflüssig.

S. 84: „das Signal des Kybernetisch an seinem Handgelenk befestigten Biomitters“: Das K in „Kybernetisch“ sollte kleingeschrieben werden, denn das Wort ist kein Substantiv, sondern ein Adverb.

S. 88: „Sind Sie sicher, dass Sie [die Beule] nicht normal ist?“ Das zweit Sie muss kleingeschrieben werden.

S. 93: Falsches Tempus. „…wo sie abgesaugt werden.“ Hier muss aber das Präteritum stehen, also „wurden“,

S. 101: „und den A[m]bulanzen“: Das M fehlt.

S. 114: „…dass er sich fragte, ob er ein Schachmatt schaffen würde.“ Nein, entweder ist Martin ziemlich endgültig schachmatt gesetzt oder er hofft noch auf ein Unentschieden, das man als Patt bezeichnet. Dieses ereignet sich später, ebenso wie danach ein richtiges Schachmatt. Hat der Übersetzer hier etwas nicht richtig verstanden?

S. 144: „dass es [das Einhorn] über eine überlegene Integrität verfügt“: Unter dieser Integrität kann man sich schwer etwas vorstellen. Vielleicht ist Intelligenz gemeint?

S. 145: „zum Gehöft von Li[n] Wong“: Das N fehlt.

S. 146: „mit Rubinen besetztem Jade“: Weil aber die Jade weiblich ist, sollte es korrekt „besetzter Jade“ heißen.

Unterm Strich

Diese Auswahl enthält einige herausragende Beiträge, die meist von exzellenten AutorInnen wie Zelazny, Donaldson oder Le Guin stammen. Sie sind mal lustig wie der Beitrag von Larry Niven oder tragisch wie der von T.H. White. Die zentrale Figur des Einhorns nimmt dabei vielfältige Gestalt an, wie es einem „mythologischen Wesen“ zukommt: als schachspielender Satan, als genmanipulierte Kreatur, als fabulöse Transmutation, als Jagdbeute und sogar als Himmelsmacht, die sich für Liebende einsetzt und opfert. Zuschreibungen wie „Pferd“ oder „Esel“ sind an der Tagesordnung.

L. Sprague de Camp nimmt den gesamten Einhorn-Mythos nicht so wahnsinnig ernst und treibt mit dem Leser sein frivoles Spielchen. Etwas ernster, aber genauso parodistisch gestimmt ist die Story von Großmeister Sturgeon. Einmal konterkariert der Herausgeber Dozois sämtliche Erwartungen: Nicht das Einhorn, sondern die „Jungfrau“ opfert sich – eine eher feministische Wendung. Dass auch Chinesen Einhörner kennen, hat sich seit dem Spielfilm „Dumbledores geheimnisse“ herumgesprochen: Das Qi’lin ist ein heiliges Tier, wenn es auch an Horneslänge etwas zu wünschen übriglässt.

Die Anthologie bietet Humor, Tragik und Feminismus in einer breiten Vielfalt. Mein eigener Favorit ist die Novelle von Roger Zelazny. Nur die Druckfehler verwirren oder irritieren.

Taschenbuch: 188 Seiten.
O-Titel: Unicorns
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 9783811867444

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