Vielseitige Auswahl an rebellischen SF-Stories
Cyberkriminelle, Computer, Internet und Virtuelle Realität – eine Kombination, die für inzwischen Alltag geworden ist. Aber vor knapp 30 Jahren, anno 1996, war das heutige Schreckensszenario erst vage am Horizont abzusehen. Seit 1982 schrieben Autoren regelmäßig über „Hacker“, obwohl man sich nicht ganz sicher war, was das für Typen waren.
Warum 1982? Nun, das war das Jahr, als der kanadische Englischlehrer William Gibson mit seinen Stories den Begriff „Cyberspace“ erschuf, mit seinem Roman „Neuromancer“ 1984/85 wie eine Supernova im SF-Feld erstrahlte und mit der Story „Burning Chrome“ die bis heute beste Hacker-Story aller Zeiten schrieb – auf einer uralten Schreibmaschine…
Die Herausgeber
Jack Dann und Gardner Dozois haben in den achtziger und neunziger Jahren zahlreiche Kurzgeschichten veröffentlicht, die wiederum in anderen Anthologien landeten – auch in deutschsprachigen. Gardner Dozois gehört zu den größten Förderern des jungen Autors George R.R. Martin, wie man in dessen „Traumlieder“-Bänden nachlesen kann. Dann schwenkte nach seinen Erfolgen im SF-Feld auf den Mainstream um und veröffentlichte mit „Die Kathedrale der Erinnerung“ einen monumentalen Roman über das Genie Leonardo da Vinci. Von ihm stammt auch die Bezeichnung „Cyberpunk“ für das Subgenre.
Jede Erzählung wird mit einer Bio-Bibliografie des Autors bzw. der Autorin eingeleitet. Ein kleiner Teaser weckt den Appetit des Lesers…
Vorwort
In ihrem Vorwort gehen die Herausgeber dem Ursprung des Begriffs „Hacker“ nach und stoßen dabei nach 1968/69 auf den Begriff des „Phone Phreaks“. Das war ein Typ, der mit Hilfe eines Adapters kostenlos Ferngespräche führen konnte. Auch Apple-Mitgründer Steve Jobs war ein Phone Phreak.
Es gab literarische Vorläufer für die Verbindung zwischen Mensch, Hirn und Computer. Samuel R. Delany schrieb die Novelle „Time considered as a double-helix of semi-precious stones“ (Deutsch in einem Bastei-Lübbe-Storyband) und James Tiptree jr., also Alice Sheldon, veröffentlichte schon in den siebziger Jahren die Story „The girl who was plugged in“ (deutsch in einer Übersetzung des Septime-Verlags).
Zusammen definierten William Gibson und Bruce Sterling ab 1982/84 in ihren Stories und Essays, was „Hacker“ taten, könnten und sollten. Die klügsten und besten Autoren, die diese beiden Burschen NICHT nachahmten, beschrieben hingegen Hacker, die an DNS herumpfuschten, an Biomechanik bastelten und die conditio humana veränderten.
1) William Gibson: Burning Chrome (1982)
Im Mittelpunkt stehen die zwei Hacker Bobby Quine und Automatic Jack; letzterer ist der Ich-Erzähler, ein Typ mit einem künstlichen Arm. Ihre nicht ganz legale Tätigkeit besteht im Eindringen in durch EIS geschützte EDV-Systeme von Konzernen (EIS: Elektronisches Invasionsabwehr-System). Damit machen sie gutes Geld. Doch diesmal übernehmen sie sich fast: Denn Bobbys neues Ziel Chrom ist weder die Regierung noch die Wirtschaft, sondern die Gangster-Halbwelt: Zu den „Boys“ gehört jetzt ein Girl namens „Chrom“. Ständig wäscht das Chrom-IT-System illegales Geld, um es auf ein Nummernkonto in Zürich zu überweisen.
Im Cyberspace sieht das streng geschützte Computer-System Chrom aus wie ein Kindergesicht, doch mit stahlglatten, kalten Augen. Getarnt als Finanzamt-Buchprüfer dringen die beiden Hacker in Chrom ein, gerüstet mit einem russischen Militärvirenprogramm, das keine Gnade kennt. Jack hat es zufällig in New York City bei seinem Hehler entdeckt. Sind sie drin, transferieren sie die Unsummen von Geld, die ihnen in die Hände fallen, auf geeignete Konten: 90 Prozent gehen an Wohltätigkeitsorganisationen, den immer noch erklecklichen Rest teilen sie sich partnerschaftlich.
Und wofür das alles? Nicht für Macht, not for fun, sondern – wie romantisch! – für ein Mädchen. Rikki Wildside nennt Bobby seine neueste Eroberung, und auch Jack hat einiges für sie übrig, wovon Bobby nichts weiß. Rikki will unbedingt in Hollywood oder Chiba City ein SimStim-Star werden (SimStim: simulierte Stimuli), doch dafür braucht sie noch den richtigen, aber sauteuren Satz künstliche Augen von Zeiss-Ikon. Jack würde ihr die Ikons bezahlen, denn er weiß dass die billigen Augen von Sendai ihr binnen sechs Monaten die Sehnerven verbrennen würden.
Doch die beiden wissen etwas zu wenig über ihre Teilzeitgeliebte. Und so gucken die beiden schließlich dumm aus der Wäsche, als Jack über einen Mittelsmann entdeckt, dass Rikki als sehr spezielle Prosituierte in genau jenem Etablissement arbeitet, das sie selbst gerade zugrunde gerichtet haben: Chrom ist die Besitzerin des „Haus der blauen Lichter“. Aber Jack ist kein Unmensch. Er zahlt ihr Flug nach Tokio. Ob sie je zurückkehrt? Jack stellt sich vor, dass sie zu einem „Auf Wiedersehen“ winkt…
Mein Eindruck
Gibsons dritte „Sprawl“-Story nach „New Rose Hotel“ und „Johnny Mnemonic“ ist die mit Abstand beste seiner damaligen Story-Sammlung „Cyberspace“. Die Story ist nicht nur romantisch und ironisch, sondern auch enorm spannend. Das liegt an der raffinierten Erzählstruktur. Das Eindringen ins EIS von „Chrom“ wird nicht in einer einzigen Szene erzählt, sondern häppchenweise eingeflochten in die sogenannte Back-Story, die Vorgeschichte. Daher ist man neugierig darauf, ob der Riesencoup gelingt – und was danach kommt.
Interessant ist nicht nur die militärische Killer-Software, die Jack vom Finnen kauft, der selbst Diebesgut verkloppt. Interessant ist auch Rikkis Job. Als Mitarbeiterin im „Haus der blauen Lichter“ lässt die den Freier ihren Körper benutzen, während sie im Tiefschlaf liegt und einen Orgasmus nach dem anderen vortäuscht – alles mit der Hilfe von (nicht ganz legalen) Drogen. Peu à peu erfahren wir, dass Jack selbst einmal ein Kunde des „Hauses der blauen Lichter“ war. Das ist der Grund, was er damals von Nekrophilie redete – sehr zu seinem Nachteil, denn er wurde ausgeknockt und erwachte erst zwei Tage später in einem Schlafsarg.
Der Titel „Burning chrome“ ist ein Meisterstück der Vieldeutigkeit. Natürlich lässt er sich mit „Chrom brennt“ übersetzen, aber auch mit „brennendes Chrom“ und „Chrom verbrennen“. Und wenn man sich die beiden Anfangsbuchstaben wegdenkt, wird etwas Zivilisationskritisches daraus: ROM VERBRENNEN und DAS BRENNENDE ROM. Das wiederum bringt den Literaturkenner zu T.S Eliots epochalem Gedicht „The Waste Land“, in dem Karthago von Rom niedergebrannt wird. Ergo: Bei Gibson schlagen die Karthager zurück.
2) Tom Maddox: Spirit of the Night (1987)
Der Ich-Erzähler und seine Frau Carol, die Finanzexpertin, schließen in Alexandria, einer Vorstadt von Washington, D.C., eine Firmenbeteiligung an BioTron, die biologische Computer herstellen will, ab, als die Dinge beginnen, aus dem Ruder zu laufen. Schon die Tatsache, dass der Firmengründer Moshe Bergman einen Leibwächter namens Clayton benötigt, gibt unserem Chronisten zu denken. Als er dann ins Hyatt Hotel zurückkehrt, in dem er die anderen gelassen hat, liegt Clayton mit einer Schusswunde am Boden. Er feuert einen Schuss aus einem .357-Colt-Revolver ab, der höllisch laut ist. Und warum? „Bergman und deine Frau wurden gerade entführt, Mann! Lauf, solange du noch kannst!“
Verwirrt macht unser IT-Experte kehrt, denn er fühlt sich reichlich desorientiert. Er nimmt den Zug nach Richmond, Virginia, und von dort den Flieger nach San Francisco/Berkeley, wo er wohnt. Die alte Uni-Stadt verfügt über eine reiche, ausgebuffte Hackerszene, der er einst selbst angehörte. Mit einem neuen Laptop hackt er sich in die nötigen Datenbanken ein, um nach Carol zu suchen. Nichts! Er sucht nach nach Bergman: wieder nichts! Wie kann das sein, fragt er sich verwundert.
Da kann nur einer helfen: sein alter Freund Rolly. Der lebt in einer Hackerhöhle – dreckig, aber auf dem neuesten technischen Stand. Rolly freut sich, seinem alten Kumpel aus Hackertagen helfen zu können und fordert alle gefallen ein, die man ihm noch schuldet. So kommt er nicht nur an Code s und Passwörter, sondern auch an eine Knacker-Software der NSA. Er wendet sich an den Sicherheitschef von BioTron, und schon beim zweiten Versuch gibt der Mann klein bei, weil alle seine Aktienpakete – upps! – verschwunden sind. Er sei unschuldig und BioTrons Investoren ebenso.
Unser Mann glaubt dem Sicherheitschef und hat einen kognitiven Durchbruch: Es gibt eine Instanz in den Netzwerken, die etwas dagegen hat, dass BioTrons Patent für den Bau eines molekülbasierten Computers jemals realisiert wird. Diesem Es, das er GAIA und INFINET nennt, muss mal einer ordentlich in den Hintern treten. Er eröffnet den Krieg – und dann schlägt INFINET zurück…
Mein Eindruck
Diese Kriminalstory ist ein Thriller, der ein hohes Tempo vorlegt. Indem der Autor mit zahlreichen, meist erfundenen Details aufwartet, erscheint auch das Geschehen real. Und das macht den Krieg gegen INFINET so wahrscheinlich und bedrohlich. Natürlich muss INFINET ein gewisses Maß an Bewusstheit aufweisen, um die Bedrohung durch BioTron zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Diese Bewusstheit erfordert den Intelligenzgrad einer Künstlichen Intelligenz, die momentan (Anfang 2025) noch nicht erreicht ist. Aber bis zu diesem „Singularität“ genannten Phänomen ist es nicht mehr lange.
Bemerkenswert ist das Zusammenspiel bzw. der nahtlose Übergang von illegaler Hackerwelt und legaler Wirtschaftswelt. Die Hackerszene war bis etwa 1991/92 geduldet, als das Bundesgesetz sie in die Illegalität verschob. Bruce Sterling, Wortführer des Cyberpunk-Subgenres, schrieb darüber das Buch „The Hacker Crackdown“ (1992). Die vorliegende Story erschient 1987, also 4-5 Jahre vor dem Crackdown und erlaubt somit einen spannenden Einblick in die damalige Hackerszene – zu der übrigens auch Studenten wie Steve Jobs gehörten.
Ob unser Chronist jemals seine Frau Carol zurückbekommen wird, erfahren wir nicht. Der totale digitale Krieg ist jedenfalls eröffnet, und INFINET ist am Zug…
3) Greg Egan: Blood Sisters (1991)
Karen und Paula sind eineiige Zwillinge, „Blutschwestern“, wie Karen sagt. Dennoch besteht Paula an ihrem neunten Geburtstag auf einem speziellen Blutritual, indem sie ihr Blut vermischen. Von nun an würden ihre Körper Schicksal teilen, behauptet Paula. Blödsinn, erklärt Karen. Sobald sie ihre Teenagerjahre hinter sich haben, trennen sich ihre Wege und die Kommunikation wird spärlicher. Karen bekommen gerade noch mit, wie ihre Schwester als Öko-Reporterin von einem Schauplatz einer Öko-Katastrophe zum nächsten fliegt.
Unterdessen kommt es zu einer fahrlässigen Freisetzung eines Krankheitserregers aus einem Labor. Der Monte-Carlo-Erreger besteht aus drei Komponenten: einem Bakterium, einem Virus und aus weißen Blutkörperchen, den Leukozyten. Zwanzig Jahre später bekommt Karen von Dr. Packard den niederschmetternden Befund, dass sie den Monte-Carlo-Erreger aufweist, dass ihre Leukozyten sich im Todeskampf befinden und sie möglicherweise nur noch drei Monate zu leben habe.
Doch Karen ist eine Kämpferin. Sie weigert sich, von ihrem Freund Martin trösten oder bemuttern zu lassen, sondern rafft sich auf, ihre Schwester ausfindig zu machen. Paula ist laut gehackter Satcom-Datenbank in Gabun. Nach einer halben Stunde, in der sie sich auf den neuesten Stand bringen, fragt Paula endlich: „Warum rufst du an?“ Karen sagt ihr endlich, dass sie an Monte-Carlo-Leukämie und sie Grund zu der Annahme habe, dass auch Paula diesen Erreger, der längst weltweit verbreitet ist, eingefangen habe. Nach vier Wochen erhält Karen die Nachricht von Paulas Tod, gerade zu dem Zeitpunkt, als ihr Medikament sie heilt.
Auch Martin taucht bei Paulas Bestattungsfeier auf, doch Karen verjagt ihn fauchend. Sie überlässt alle Medien den Agenten, Verlagen, Sendern usw., doch dann entdeckt sie eine Dose mit genau den gleichen Kapseln, die sie selbst genommen hat. Aber warum musste dann Paula sterben, während sie geheilt wurde? Sie probiert eine der Kapseln, doch die schmeckt völlig anders, nämlich gar nicht bitter. Die chemische Analyse kostet zwar, aber sie lohnt sich: Paulas „Medikament“ war nur ein Placebo, also ohne jeden Wirkstoff. Warum musste sie sterben?
Sie befragt eine investigative Journalistin, und die erklärt ihr die harte Realität bezüglich Placebos und Doppel- und Tripelblindtests. Langer Rede kurzer Sinn: Alle Probanden in den Test werden belogen. Es sei nämlich wichtiger, gute Daten zu erhalten als das Leben von Patienten. Das sei purer Zynismus, entgegnet Karen, doch die Reporterin erwidert, dass die vor 20 Jahren erlassenen Gesetze dafür sorgten, dass sie, die Reporterin, für 25 Jahre hinter Gitter wandern würde, würde sie einen spezifischen Betrugsfall wie den von Paula publik machen.
Also muss Karen selbst tätig werden. Mit etwas Mühe gelingt es ihr nach vier Wochen, in das Netzwerk des Placebo-Herstellers einzudringen. Es gibt ja immer irgendeinen Mitarbeiter, der nicht so Computer-affin ist. Sie klaut den Algorithmus für die Zugangsroutine und passiert alle Prüfungen. Nach reiflicher Überlegung entscheidet sie sich für eine Änderung des Testverfahrens. Der Vierfachblindtest sorgt dafür, dass ALLE hergestellten Exemplare des Medikaments wirksam sind. Diese Änderung bleibt nicht lange unbemerkt…
Mein Eindruck
Dies ist eine sehr bewegende Geschichte über das, was mit Opfern falscher Medikamentenversorgung und Placebo-Testverfahren passiert. Während der Covid-Pandemie hat man das ebenso gesehen wie während der AIDS-Epidemie. Viele Gesetze wurden geändert, um die Freigabe neuer Arzneien zu beschleunigen, darunter die für die ausreichende Anzahl von Testreihen und ihren Ergebnissen. Wie viele gepaschte Medikamente ausgegeben wurden, ist unbekannt, ebenso die Zahl der dadurch verursachten Todesfälle.
Der Autor entlässt einen mit einigen bitteren Einsichten und Kenntnissen, die den Leser wütend machen können. Karen kommt für ihren Teil zum Schluss, dass nur ein hacken der Produktionsverfahren genügt, um die – völlig legal sanktionierte – Misere zu beenden, die ihrer Schwester das Leben gekostet hat. Das muss nicht heißen, dass man Karen als Charakter mag, aber man kann sie wenigstens respektieren.
4) Pat Cadigan: Rock On (1984)
Gina ist eine Synderin, die mit Cyberware aufgerüstet ist. Was sie eigentlich draufhat, ist schwer zu beschreiben. Kurz gesagt, scheint sie körperlichen Sex in puren Rock & Roll zu verwandeln, also in Live- oder aufgezeichnete Musik-Performances. Als sie The Misbegotten kennenlernt, ist sie gerade ihrem Macker / Manager Man O’War davongelaufen, von Kalifornien nach Boston, Massachusetts.
Die Misbegotten-Typen sind auch aufgerüstet und modifiziert, kriegen aber das Business nicht so richtig auf die Reihe. Obwohl Gina mindestens doppelt so alt ist wie diese kleinen Strolche, können sie sie zwingen, für sie zu syndigen. Drei Aufnahmen kriegen sie zusammen, vertreiben sie im Netz, machen Kohle – dann taucht Man O’War auf, um Gina abzuholen: Er hat die Misbegotten aufgekauft. Sie hat keine Lust, ihren Vertrag mit ihm weiterzuführen, aber die anderen sind stärker. Sie ist die Sklavin ihrer eigenen Spezialität…
Mein Eindruck
1984 war der Punk schon auf dem absteigenden Ast, aber immer noch ein gutes Geschäft, sofern man ihn als Lebensgefühl und Subkultur verkaufen konnte. Davor war zwar noch „Sex & Drugs & Rock’n’Roll“ als Lifestyle angesagt, aber die Punker fügten die No-future-Attitüde hinzu. Bei Gina ist nur noch Sex (der nirgendwo beschrieben wird) und Rock & Roll übriggeblieben.
Rotzfrecher Straßen-Slang, den man heutzutage kaum noch versteht, beschreibt ihr Erleben in dieser stilechten Story. Die Autorin strickte daraus die beiden Romane „Synder“ und „Bewusstseinsspiele“ (beide deutsch bei Heyne).
5) Robert Silverberg: The Pardoner’s Tale (1987)
Die Aliens, genannt „Wesenheiten“, haben die Welt erobert und viele Städte mit einer dicken, hohen Mauer versehen. Diese wurde natürlich nicht von ihnen, sondern von Menschen errichtet, so wie die von Los Angeles. Allein schon der Tunnel, der vom Alhambra-Tor ins Becken von L.A. führt, ist 50 Meter lang. Der Mann, der sich gegenüber der Wächter-KI als „John Doe“ ausgibt, ist bis zur Halskrause mit elektronischen Implantaten gespickt. Die doofe KI auszutricksen, ist eine seiner leichtesten Übungen.
John Doe ist ein Ablassverkäufer, das heißt, es verkauft Vergünstigungen gegenüber den drakonischen Verfügungen, Gesetzen und Strafen, mit denen die Wesenheiten die Bürger der Stadt unterjochen und schwach halten. Weil alle Guthaben digital verwaltet werden, kann ein Kunde John Doe die Zugangscodes geben, um a) seinen Kreditstatus nachzuweisen und b) Abhebungen vornehmen zu lassen. So ein Ablass ist nicht billig, aber es ist besser, als die vollen zehn Jahre an der Mauer schuften zu müssen. Besser bloß drei Jahre Restschuld und einen anschließenden Transit, nicht wahr? Der erste Klient am Pershing Square braucht nur 15 Minuten Überredung.
Bei Klientin Nummer zwei geht es sogar noch schneller: Die Japanerin hat zwei Säuglinge daheim, deren Vater gestorben ist. Nun wird sie nur von ihrem Schwiegervater unterstützt, der recht gutbetucht aussieht. Der letzte Bescheid der Aliens hatte ein verheerende Wirkung: Sie soll in Zone 5 wechseln, um dort Zerstörungstests ausgesetzt zu werden. Sie ist völlig verzweifelt, doch ihr Schwiegervater hilft aus. Ein ehrlicher Deal, der den TAZ-Vermerk binnen sieben Tagen erlöschen lässt.
Doch John Doe wird ein klein wenig zu gierig. Er bleibt und gerät an einen Anti-Ablassverkäufer-Androiden. Der sieht wie eine graue Maus aus, doch kaum hat John Doe sein Implantat an das des vermeintlichen Kunden gelegt, bricht die digitale Hölle über ihn herein. Nach mehreren Anläufen des widerstands kann er sich gerade noch davor bewahren, dass erst sein Bio-Computer-Implantat und dann sein Gehirn zu Mus zerquetscht wird. Bisher hat er sich selbst für den besten Hacker der freien USA gehalten, aber dieser Android verfügt über unglaubliche Rechenkapazität und Einfallsreichtum: Er ist sogenannter Borgmann, ein Typ mit einem terminal, das mit den Großrechnern der Aliens verbunden ist. John Doe gibt auf und wird abgeführt.
Im Verwaltungszentrum der Aliens an der Figueroa Street erlebt er eine Überraschung. Die Ermittlungsrichterin ist eine ehemalige Klientin von ihm. Als sie vor 20 oder noch mehr Jahren jung, hübsch und in Not war, gab er ihr eine Niete. Der Ablass platzte, als sie die Stadt verlassen wollte. Deswegen ist sie heute noch stinksauer auf ihn. Was blieb ihr anderes übrig, als in die Dienste verhassten Eroberer zu treten? Aber er erklärt ihr, dass er sich seinerzeit in sie verliebt hätte, und das sei ganz schlecht fürs Geschäft. Daher die Niete.
Die Richterin bewundert seine Leistung, die er als Hacker im Duell bewiesen hat, und will ihn rekrutieren. Er ist einverstanden, hat aber eine klitzekleine Bedingung: Ein letztes Duell mit dem Borgmann-Androiden. Sie ist einverstanden, denn was kann schon passieren? Zu ihrer Überraschung ignoriert John Doe den Androiden völlig und fällt gleich über die Datenbänke des Großrechners her. Es dauert geschlagene 1000 Millisekunden, bevor der Alarm ertönt und Johns Pseudo-Ego aus dem Mainframe geworfen wird.
Die Richterin ist schockiert und geradezu angeekelt von Johns ketzerischem Verhalten. Da er bewiesen hat, dass er nur Sabotage und Widerstand im Sinn hat, kommt Kollaboration nicht infrage: Sie verweist ihn der Stadt. John gehorcht gerne und lässt Los Angeles hinter sich. Es gibt ja noch viele weitere Städte, wo es menschliche Sklaven zu befreien gibt.
Der O-Titel geht auf die „Canterbury Tales“ (ab 1387) des Briten Geoffrey Chaucer zurück. Die „Geschichte des Ablasskrämers“ ist dort recht prominent repräsentiert.
Mein Eindruck
Es ist kaum zu glauben, dass eine derart erstklassige Story nie vom Heyne-Verlag übersetzt wurde. Sie erschien erstmals in dem Band „Die besten Stories der amerikanischen Science Fiction – World’s Best SF 7“ (1988). Offenbar bevorzugte Wolfgang Jeschke in seiner Anthologie „Ikarus 2002“ die 1985 veröffentlichte Novelle „Sailing to Byzantium“, die 1986 den Nebula Ward erhalten hatte.
Die Erzählung zeigt, dass auch Profi-Hacker nicht unverwundbar sind, aber sie schlagen zurück, wenn man ihnen auch nur die winzigste Chance gibt. Das sorgt für eine Menge Spannung. Interessanter ist jedoch das Szenario, das direkt aus Silverbergs Roman „Die Jahre der Aliens“ stammen könnte: Die Aliens haben die Menschheit erobert und unterjocht, doch nach Jahren der Anpassung wächst eine Generation des Widerstands heran, die hoffen lässt, das Joch abzuwerfen.
Was mich beim Lesen beeindruckte, ist die Menschlichkeit des Hackers: Er gibt zu, wenigstens einmal „verliebt“ gewesen zu sein – was man halt so „Liebe“ nennt. Dieses Argument besänftigt die Richterin ebenso sehr wie seine aufrichtig gemeinten Entschuldigungen. Letztes Endes läuft es auf das gleiche hinaus, wie bei seinen Deals mit den Klienten: auf Treu und Glauben, auf Vertrauen. Wie sich zeigt, ist dies auch die Achillesferse der Richterin.
Nur ein winziges Detail verrät das Alter der Story. John hält 60 Megabyte für unglaublich viel Speicher. Heute verfügt jedes Smartphone über 2000 Mal mehr Speicher.
6) Alexander Jaboklov: Living Will (1991)
Roman Maitland hat seine Computerfirma erfolgreich aufgebaut und lebt seit 30 Jahren zufrieden mit seiner Frau Abigail in einem standesgemäßen Haus. Abigail hat das Haus und den „weißen Garten“ gestaltet, wie einst im adligen England. Doch nun treten zwei Dinge in Romans Leben: Er soll eine KI von Hyperneuron testen und trainieren, und er verliert sein Gedächtnis durch Alzheimer. Diesen Prozess teilt er mit seinem besten Freund Gerard und Abigail.
Zunehmend stellt Roman fest, dass er massive Lücken in seinem Erleben entdeckt. Auf einmal findet er sich im Bett neben einer Frau wieder, die er nicht wiedererkennt. Er flippt aus und schreit, was sie hier wolle. Abigail ist erschüttert und unglücklich, selbst dann, als er sie wiedererkennt. Glücklicherweise kann er die KI trainieren, und so erkennt sie seine Eigenarten und Erinnerungen bald besser als er selbst und muss immer öfter für ihn einspringen.
Das Projekt „Humana“ wird erfolgreich abgeschlossen, was eigentlich ein Anlass zur Freude ist. Doch es ist auch der Beginn des Endes. Roman hat sein Testament längst geschrieben. Alles ist vorbereitet, sobald Gerard die Waffe besorgt hat: höchst illegal zwar, aber auch völlig funktionsfähig. Als es schließlich nichts mehr zu tun gibt, steckt sich Roman den Lauf in den Mund und drückt ab.
Gerard findet ihn als erster, dann folgt Abigail, die Pizza holen gegangen ist. Doch nicht sie sind es, die die Befehle geben, sondern die KI, mit Romans Stimme. Die testamentarische Anweisung Romans lautet, seine Persönlichkeit aus der KI zu löschen. Dazu müssen lediglich drei Codewörter eingegeben werden, um die Speicher, die die KI-Daten enthalten, zu löschen. Gerard erledigt das mit Entschlossenheit. Dann fragt ihn die KI, ob er eine weitere „Persönlichkeit“ anlegen möchte…
Mein Eindruck
Böte also eine KI, die eine Persönlichkeit abbildet, wirklich eine Alternative für das Ende der Vorlage, die durch Alzheimer ausgelöscht worden ist? Diese kurze Geschichte zeigt auf, welche moralischen, rechtlichen und ethischen Herausforderungen bei der Wahl dieser Alternative auf den Nutzer warten.
Sie betreffen nicht nur das Testament („the will“), sondern insbesondere das Ende des Originals. In diesem Szenario hat die KI keinerlei rechtlichen Status, was ja verständlich ist. Ihre dienende Funktion reicht nicht aus, Roman bei Hyperneuron zu ersetzen, denn sie darf keine Verträge unterzeichnen, um etwa Anschaffungen zu genehmigen.
Um alle testamentarischen Rechte, also das Vermächtnis, auf Abigail als Alleinerbin zu übertragen, muss das Original auch körperlich sterben. Die Vorbereitungen treffen Roman und seine Kopie gemeinsam. Diese hat keinerlei Skrupel, denn sie scheint weder Moral noch Ethik zu kennen, von Mitgefühl ganz zu schweigen. Das hat Vor-, aber auch Nachteile.
Der Schluss der Handlung mag so manchem Leser wie ein Tiefschlag vorkommen, doch der Autor setzt lediglich konsequent fort, was sich bereits angebahnt hat. Und es wird letzten Endes deutlich, dass für eine KI jeder Mensch einer wieder andere ist: völlig ersetzlich. Ein Löschen und ein Vergessen, dann ist der nächste dran.
Ganz nebenbei zeigt der Autor die drastischen Folgen, die eine Alzheimer-Erkrankung mit sich bringen kann.
7) Michael Swanwick & William Gibson: Dogfight (1985)
Deke ist ein abgebrannter Dieb, der eines Tages in einer Busstation in Virginia landet und dort die Erfahrung seines Lebens macht: einen virtuellen Luftkampf. Zwei Spieler steuern über eine Cyber-Interface ihre historischen Doppeldecker über eine dreidimensionale Spielfläche. Die Fliegermodelle sehen wirklich echt aus, sind aber lediglich so etwas holografische Projektionen. Der Champion des Saals ist ein fetter Rollstuhlfahrer namens Tiny Montgomery, der selbst mal Düsenjets geflogen hat, in Bolivien gegen die Rebellen.
Als Deke ein paar Tage später mit einem geklauten Equipment antreten will, sagt man ihm, dass er sich hocharbeiten muss, bevor er gegen Tiny antreten darf. Er verliert alles. Aber seine Freundin Nance, die er im Studentenwohnheim kennengelernt hat, ist zum Glück Programmiererin von solchem Cyber-Holo-Zeug. (Da sie von ihren reichen Eltern eine psychologische Sperre gegen Sex eingepflanzt bekommen hat, handeln alle ihre Projektionen nur vom Vögeln.) Sie motzt Dekes Ausrüstung ordentlich auf, so dass seine Reaktionsschnelligkeit um ein Vielfaches schneller ist als die seiner Gegner – er fegt sie hinweg und macht reichlich Kohle.
Doch um gegen einen erfahrenen Piloten wie Tiny antreten zu können, braucht Deke einen Extra-Vorteil: die Droge „Hype“. Aber Nance hat nur noch eine Pille übrig und die braucht sie selbst für ihr Bewerbungsgespräch an der Uni bzw. bei der Firma, wo sie später arbeiten wird. Sie gibt sie Deke trotzdem. Und so kommt es, dass Deke seinen Sieg über Tiny Montgomery in keinster Weise feiern kann: Der Rausch des Hype ist weg, die Freundin auch, und Tiny hat seinen Lebenszweck verloren, so dass keiner seiner Freunde den neuen Champion ansehen mag. Fortuna ist eine wahrhaft wankelmütige Dame.
Mein Eindruck
Diese sauber konstruierte und anschaulich erzählte Story voll packender und anrührender Szenen erschien im Hochglanzmagazin „Omni“, das unter der Herausgeberschaft von Autor Ben Bova zu einem der besten und am besten zahlenden Science Fiction-Magazine wurde. Die Autoren zeigen, dass der Cyberspace und VR auch ganz abseits von geschniegelten Konzernbüros und Hackerhöhlen eingesetzt werden können.
8) Bruce Sterling: Our Neural Chernobyl (1988)
Dieser Text gibt vor, eine Rezension von Dr. Felix Hotters historischem Buch „Our Neural Chernobyl“ (Bessemer-Verlag, 2056, rund 500 US-Dollar) zu sein. Hotter ist ein Systemneurochemiker, der den Nobelpreis für seine Arbeit errungen hat und selbst noch mit 95 Jahren Bücher schreibt. Worum geht’s? Die acht Kapitel schildern die Entstehung einer halblegalen Hackerszene, die Gentechnik als Baukasten nimmt und im Auftrag dubioser Firmen Designerdrogen kreiert, die mithilfe des wohlbekannten Erbgutes des AIDS-Retrovirus und seiner Transkriptase, die das Nervenwachstum massiv anregt, quasi eingebaute Drogenzentren im Hirn erstellen.
Was sich aber im menschlichen Gehirn nur begrenzt umsetzen lässt, funktioniert bei Hunden, Katzen, Kojoten, Ratten und vor allem Waschbären ganz prächtig. Der Rezensent kritisiert, dass Dr. Felix Hotter praktisch nur Gerüchte und dergleichen als Beweise heranzieht, dass Kojoten gelernt hätten, wärmende Kleidung zu tragen, und dass Waschbären gelernt hätten, eine Art Wampum als geldwerte Währung herzustellen und auszutauschen. Alles Hörensagen! Und sicherlich ziemlich gruselig.
Wie auch immer, die Waschbären und Kojoten haben sich dank höherer Intelligenz derart vermehrt, dass manche Leute bereits die Auswanderung in die Erdumlaufbahn empfehlen, um den Bevölkerungsdruck zu mindern. Auch die Paläoanthropologie sei neu aufzusetzen. Neueste Bewertung von Schädeln des Pithecanthropus robustus würden nahelegen, dass dieser aufrechtgehende Affe weitaus intelligenter war als der viel später nachfolgende Homo sapiens.
Mein Eindruck
Wie man an den vielen Beispielen mit intelligent gewordenen Tierarten ablesen kann, könnte es sich bei dieser vorgeblichen Buchrezension, die in bestem Akademiker-Englisch verfasst ist, auch um eine Satire handeln, die sich als Pastiche verkleidet hat. Schlaue Waschbären, die Wampums als Geld verwenden? Kojoten, die Rancher erpressen? Ein Menschenaffe, der schlauer war als der Homo sapiens? Der Leser kommt aus dem Grinsen kaum heraus.
Hinter jede Satire aber steht eine warnende Absicht. Wovor gewarnt wird, wird gleich am Anfang klar: Sollten gentechnische Baukästen in die Hände von verantwortungslosen Genhackern geraten, bräuchten diese nur noch einen Anreiz von den Dealern von Designerdrogen, um Menschen massenhaft mit eingebauten Drogenzentren ähnlich dem körpereigenen Endorphin-Komplex zu versehen. Der Autor fordert zu Verantwortung, Vorsicht und vor allem Kontrolle auf. Dass der Begriff „Tschernobyl“ seit 1986 allgemein bekannt ist, darf er 1988 getrost voraussetzen.
9) Candas Jane Dorsey: (Learning About) Machine Sex (1988)
Die schwarzhaarige Frau, die da nackt am Computer sitzt, nennt sich Angel, als Max Whitman sie wiedersieht und verprügelt. Sie mag zwar erst 21 Jahre alt sein, ist aber bereits eine gewiefte Hackerin. Zunächst hat sie wie alle anderen Cyber-Punks bloß programmiert, wurde abgezockt, hat mehr verkauft und schließlich den Konzern MannComp als Kunden gewonnen. Nun Max ihre gemeinsame Firma Northern an MannComp verkauft.
Was ist zu tun? Zufällig ist ihr Blick bei einer Fahrt im Überlandbus zwischen Ottawa und Edmonton auf einen Sexshop gefallen, und das hat sie auf eine verwegene Idee gebracht: Computer und Sex – ergibt Maschinensex, aber auf der Bildungsschiene. Denn bekanntlich haben Maschinen von den sogenannten „Tatsachen des Lebens“ nicht den blassesten Schimmer. Tagelang programmiert sie Schleifen, damit die KI die Iterationen ausführt, die im Inferenzschritt das KI-Modell verbessern.
Jetzt sitzt sie an ihrem Bio-Computer, der das KI-Programm „Machine Sex“ ausführt und es zu seinem konsequenten Ende bringt: dem Orgasmus. Sie selbst hatte ihren ersten und einzigen Orgasmus mit 19, also vor zwei Jahren. Mit Max ist das undenkbar. Er ist ein gewalttätiger Typ und Abzocker. Er denkt, er habe Angels Fähigkeiten ebenfalls an MannComp verkauft, aber da ist er schief gewickelt.
In den Rocky Mountains, wo ihr Elternhaus stand, entwickelt Angel mit ihrem Biocomputer das Programm namens „Maschinensex“ detaillierter. Sie freundet sich mit dem Sohn der Besitzer der Ranch an, wo sie als Homesitter wohnen darf. Der Bursche zähmt Pferde nach alter Väter Sitte und erinnert Angel an ihren eigenen Großvater, der ebenfalls ein Haus gebaut und eine Familie gegründet. Lief nicht so gut, aber der junge Pferdezähmer ist ein angenehmer Zeitgenosse – und besitzt eine Flasche erstklassigen Scotch Whiskys. Nachdem sie gut getankt haben, zeigt ihm Angel ihr Programm. Er lehnt es ab, vor allem aus ethischen Gründen.
Der harte Streit hält Angel nicht davon ab, das Programm an Max Whitman und dessen Partner Kozyk von MannComp zu verkaufen. Die sehen nicht nur Dollarzeichen in ihren Augen, sondern viele, viele süchtige User des Programms. Angel kann nicht umhin, befriedigt zu bemerken, dass beide ebenfalls süchtig sind. Wer weiß, wohin diese Entwicklung noch führen kann…
Mein Eindruck
Ich hatte erhebliche Schwierigkeiten mit dieser Story, und das lag vor allem an dem unklaren zeitverlauf. Die Autorin hat alle Rückblenden nahtlos in den Text eingebaut, so lange nicht klar ist, was in der Gegenwart und was in der Vergangenheit spielt. Obendrein hat sie noch Angels Kindheit und Jugend reingepackt, als ob das nicht genug wäre.
Wie auch immer: Angel rächt sich dafür, dass sie ständig als Frau wie auch als Programmiererin von fiesen Männern ausgenutzt und missbraucht wird. Ihr Programm packt die Männer sozusagen an den Eiern, indem „Maschinensex“ sie süchtig macht, bis sie ausgebrannt sind. Immerhin wäre diese Story im heutigen kulturellen Kontext der Post-MeToo-Ära höchst passend und leider immer noch aktuell.
10) Daniel Marcus: Conversations With Michael (1994)
Stacey Donovan, der Ich-Erzähler, und Alice leben als Paar in der New Yorker Dinkins-Arkologie, einem autarken Wohnkomplex an der Upper East Side. Dessen hohe soziale Ambitionen hinsichtlich der Vermischung von Arm und Reich werden allerdings von den Be- und Anwohnern durch den Spitznamen „Dinkytown“ verspottet. „Dinks“ ist das Marketingkürzel für das Verbrauchersegment „double income, no kids“, also Leute mit einem hohen Einkommen und wenig Ausgaben.
Deshalb können sich Stacey und Alice einen Virtual Session Raum leisten, also ein Zimmer, in dem sie gemeinsam virtuelle Holo-Erlebnisse teilen können. Das erfordert indes von beiden Seiten einiges an Training und Gewöhnung. Vor allem Stacey scheint ein Problem zu haben, seine Begegnungen mit Michael virtuell wiederzuerleben. „Das wird schon“, tröstet ihn Alice. Er hat seine Zweifel, denn die Erinnerungen berühren sein Innerstes.
Er denkt oft an bzw. begegnet im VR dem verstorbenen Michael, der in Montauk auf Long Island volle drei Jahre nach der AKW-Katastrophe an Leukämie starb. Drei Jahre, in denen viele weitere Bewohner des östlichen New Yorks gestorben waren. Keith im Nebenzimmer ist ständig eingeloggt, wenn er auf seinem Schlafsack liegt und intravenös ernährt wird.
Stacey arbeitet nach seiner Kündigung bei Sony als Freelance-Hacker, der für seine Kunden in öffentliche, private und Unternehmensdatenbanken eindringt. Die Gentechnikfirma Cellular ist sein Hauptkunde, heute telefoniert er mit seinem Kontakt Dmitry, also einem Avatar. Cellular will eine Orbitalstation betreiben, in der zahlreiche Gentechnik-Prozesse bei Schwerelosigkeit ausgeführt werden. Allerdings bräuchte man noch einen Systemadministrator (Sysadmin) vor Ort, der sich um um die Geräte, Abläufe und Drittanbieter kümmert. Sei Stacey dafür zu haben?
Stacey braucht Bedenkzeit und spricht mit Alice, die aber möglicherweise ebenfalls ein Avatar ist. Jedenfalls belegt sie ihm, dass er zuletzt ganz allein eine Stunde im VS-Zimmer mit Michael gesprochen hat, als Michaels Mutter. Stacey denkt nach und kommt zu einer Lösung: Es ist machbar, dass Keith nach Montauk umzieht, um Michaels Avatar im VS-Zimmer weiterhin darstellen zu können. (Somit wäre Stacey frei für den Umzug in den Orbit.)
Mein Eindruck
Diese verschachtelte Kurzgeschichte sollte man wollte zwei oder drei Mal lesen, um sie vollständig zu verstehen. Es gibt zwar nur eine Handvoll Figuren, aber ihr Realitätsstatus ist mitunter ebenso ungeklärt wie ihre Beziehungen zueinander. Dmitry erweist sich beispielsweise nach Abschaltung seines Avatars als junger Yuppie aus dem Mittelwesten anstelle eines slawischen Einwanderers. „Alice“ ist wohl die KI des VR-Systems im VS-Zimmer. Welches Avatar Keith gewählt hat, lässt sich nur erahnen, aber es könnte Michael, der an Leukämie starb, sein. Woher Keith kommt, wird nicht erklärt, und das ist im Grunde unverzeihlich. Womöglich ist er ein weiteres Opfer des Strahlenunfalls, der Michael tötete.
Die Geschichte setzt bereits viel Verständnis von Informatik, Künstlicher Intelligenz und Virtueller Realität voraus, ist also nur für die Infotech-Elite gut zu verstehen. Die Kooperation der Figuren beruht auf VR, KI und Vernetzung, ist also bereits unsere Gegenwart, etwa in einer Zoom-Sitzung. Zufall oder Notwendigkeit, mag sich der Leser fragen.
Das Leben in einer strahlenverseuchten Stadt ist jedenfalls kein Zuckerschlecken, sondern hoch riskant. Dinkytown, die Arkologie, wird allerdings nicht als strahlengeschützt beschrieben, was ich sehr bedenklich finde. Eigentlich müsste Stacey ebenfalls schon von Leukämie bedroht sein. Das gäbe ihm einen viel plausibleren Grund, in die Erdumlaufbahn auszuwandern.
11) Paul J. McAuley: Gene Wars (1991)
Zu seinem achten Geburtstag bekommt Evan von seiner Tante einen Biotech-Baukasten geschenkt. Um den auszuprobieren, solle er in den Schuppen gehen, damit ihn sein Vater nicht entdeckt. Das passiert natürlich, und Evan muss die Schleimklumpen mit Industriebleibe übergießen. Zu spät: Die Genfirma will, dass Vater die Schulden begleicht, und so kommt es zur Zwangsvollstreckung.
Bei seiner Tante bekommt Evan immerhin einen Mikrosaurus zum Spielen, einen lilafarbenen Triceratops so groß wie eine Katze. Aber auch solche Tiere fressen und haben Ansprüche, früher oder später landet der Mikrosaurus im Stadtpark, wo er mit allen anderen verhungert.
Kur bevor Evan seinen Uni-Abschluss machen, ändert die Genfirma, die seine Ausbildung gesponsert hat, sein Berufsziel: Die Genkriege sind inzwischen offiziell geworden, und er soll als Sergeant für sie im Außeneinsatz tätig werden. Widerspruch ist zwecklos. Also hilft er seiner Firma, die UNO-gesetze zu umgehend und genabhängige Anbausorten durchzudrücken, die natürlich alle patentiert sind und nur eine begrenzte Lebensdauer haben.
Einen illegalen philippinischen Gensplicer, der ein Heilmittel für AIDS erzeugt hat, lässt er durch Gift sterben, sonst würde ja das firmeneigene Medikament unnötig werden. Evan heiratet eine Attentäterin, weil er sie mit einer Genübertragung loyal gemacht hat. Nach einer Weile wird persönliches Gen-Redesign Realität und sie beschließt, in direkte Fotosynthese zu investieren: Ihre Haut wird grün und sie geht ins Meer zurück, woher alles Leben gekommen ist.
Am Ende ist Evan der letzte unmodifizierte Mensch, denn er hängt an seinem Körper. Sein letzter Freund ist lilafarbener Mikrosaurier in der Form eines katzengroßen Triceratops. Alle seine Geschöpfe haben beschlossenen, seine Gene zum Mars zu schicken. Denn eines ist nun mal klar: So etwas wie den Tod gibt es nicht mehr.
Mein Eindruck
Diese visionäre kurze Story lässt die Genkriege im Schnelldurchlauf vorüberziehen. Derzeit ist die Genmanipulation kein Aufreger mehr, aber in den Jurassic-World-Firmen ist das Thema noch präsent und wirksam: Alle Saurier sind künstlich erzeugt, ähnlich wie der Mikro-Triceratops in dieser Story. Das ist vielleicht auf den immensen Erfolg des ersten „Jurassic-Park“-Films im Jahr 1990 zurückzuführen, der dem Autor als Inspiration gedient haben mag.
Aber statt sich in Saurierfantasien zu ergehen, lenkt der Autor unsere Aufmerksamkeit auf die Monopolstrategie der Saatgut-Produzenten wie Monsanto. In Evans Welt sind nur noch drei Konzerne übrig, die die Welt unter sich aufgeteilt haben. Alte Hungerkatastrophen-Begriffe wie „Kwashiorkor“ und „Beri Beri“ treten wie auf, die man in den 1960er Jahren überwunden zu haben glaubte. Sie sollten auch heute noch für Schauder sorgen, doch sie sind längst in Vergessenheit geraten.
12) Neal Stephenson: Spew (1994)
Der Ich-Erzähler Stark berichtet von seinem neuen Job als Polizist des Informations-Highways in Kalifornien, dem titelgebenden „Spew“. Dafür hat man ihn über eine ausgeklügelte Schnittstelle namens „Polysurf“ mit dem Internet und dem TV verbunden, wo alle möglichen Sendungen, die der „Spew“ hergibt, auf ihn einprasseln. Das ist anscheinend lukrativ (sogar mit Rentenplan!), aber natürlich ganz schön anstrengend, so dass er sich jede Nacht die Kante gibt, um den gesehenen Müll zu vergessen.
Er trägt den hochtrabenden Titel „Profile Auditor“ in der „Demosphere“, wo er die Datenbank von General Communications Inc. warten soll, oder im n-dimensionalen DemoTainment Space von Television City. So etwas Privatsphäre gibt es eh nicht, und so ist es den Auditoren – es gibt noch sehr viel mehr von seiner Sorte – in der Lage, intimste Fakten wie etwa eine Urinanalyse mit Fakten wie etwa Kontodaten oder Liebestreffen zu korrelieren. Das freut vor allem die Marketingfirmen, die an detailliertesten Daten über die Verbraucher interessiert sind.
Allerdings werden die Auditoren regelmäßigen Prüfungen unterzogen. Es wäre keine gute Idee, dafür betrunken anzutanzen. Heute ist die Testperson eine 24-jährige aus einer bestimmten Demografie-Gruppe. Höchst verdächtig ist der hohe Verbrauch an Mascara, das sie in der virtuelle Einkaufsmeile erwirbt. Das lässt sich glücklicherweise aufklären. Sie kauft für eine Freundin, die gefeuert wurde und jetzt von der Stütze lebt. Aber Stark hat auch Ehrgeiz: Er will wie schon andere eine neu, bislang unentdeckte Verbrauchernische aufdecken und so einen neuen Spew-Kanal ermöglichen.
Stark schreckt nicht davor zurück, die nötigen Fakten durch ein persönliche Undercover-Aktion in der physischen Realität zu beschaffen. Er entdeckt, dass die 24-jährige Testperson als Rezeptionistin in einem Hotel der Kensington Place Kette arbeitet, zusammen mit Evan. Evan spielt den Bad Cop, sie den Good Cop. Die beiden überspielen das übliche Chaos, das in ihren Reservierungsdaten herrscht und buchen den Auditor namens „Stark“ in Zimmer 707. Stark checkt ins Zimmer ein, stöpselt sein Polysurf-Equipment ein und überwacht die Frau und Evan. Wie etwa kommt es zu einem Durcheinander: Ein Gitarrist wird auf Zimmer 707 gebucht und erhält sogar den Namen „Stark“. Weil aber der echte Stark nicht 707 genommen hat, kann er auf seinem Zimmer die Überwachung fortführen , ohne entdeckt zu werden.
Nach einer kleinen Auswärtspause kehrt er zurück: Die Nachtschickt hat übernommen, druckt ihm eine neue Schlüsselkarte für Zi. 707 aus und wünscht gute Nacht. Doch der Spew-Späher zeigt ihm nun, was in Zi. 707 wirklich los ist: Evan und seine Kollegin sind beim Gitarristen, um einen draufzumachen, alles auf Kosten der elektronisch überwachten Bar, die auf Starks Namen gebucht wird. Noch besser ist die exorbitant hohe Daten-Download-Rate (woher nur kommen die Daten?), und am besten ist die Upload-Rate (wohin zum Teufel?). Kein Wunder macht diese Hotelkette keinen Profit.
Wo die Entschlüsselungs-Software versagt, muss ein kleiner Einbruch Abhilfe schaffen: Stark betritt Zimmer 707 mit zwei Sixpacks Bier…
Mein Eindruck
Natürlich ist in Zi. 707 eine Hacker-Party im Gange. Weil aber alle in den Spew-Medienprozessor eingeloggt sind, geht die Party beinahe lautlos vonstatten. Niemand bemerkt Starks Eintreten, weil jeder eine VR-Brille trägt. Er wirft einen Blick auf den Zettel Hotelbriefpapiers, auf dem eine Hacking-Code-Sequenz in Hexadezimalcode (wie in „Der Marsianer“) geschrieben – für Chaz. Stark kopiert den Code mit der zimmereigenen Faxmaschine (!) und legt sie zurück. Dann geht er. Draußen entsteigt besagter Chaz gerade dem Fahrstuhl, den Stark gerufen hat.
Dass Faxmaschinen Steinzeittechnik sind, hat sich inzwischen herumgesprochen, und so wirkt die Story antiquiert. Kein einziges Handy wird gezückt, und Menschen gehen tatsächlich noch zu Fuß. Doch ihre VR-Party ist vom Feinsten, nur ist sie etwas gewöhnungsbedürftig anzusehen. Es soll eine Zeit gegeben haben, als Gamer eine gemeinsame Zocker-Party veranstaltet haben, indem sie ihre Rechner zusammenschalteten. Das klingt so ähnlich, aber das Publikum des Gitarristen in Zimmer 707 dürfte wesentlich größer sein.
So ausgefeilt die Sprache stilistisch auch sein mag, so merkt man Stephensons Story doch ihr Alter deutlich an. Aber die permanente Überwachung des Internetverkehrs dürfte inzwischen in den USA von KIs erledigt werden, und auf Kontodaten sollte – eigentlich – nur das FBI Zugriff haben, wenn ein Richter die Erlaubnis dazu erteilt hat. Ansonsten schildert „Spew“ satirisch das Utopia der kapitalistischen Marktwirtschaft, nämlich den gläsernen Verbraucher.
13) Greg Bear: Tangents (1986)
Der koreanische Junge Pal Tremont schleicht sich auf das schöne Grundstücke der Schriftstellerin Lauren Davies. Weil sie ein Problem hat, Kinderfiguren zu beschreiben und weil noch kein Mittagessen hatte, lädt sie ihn auf ein Sandwich in ihr Haus ein. Sie wohnt hier nicht allein, wie der Junge merkt. Sie gesteht, dass sie Peter Tuthy beherbergt, aber er sei weder ihr Mann noch ihr Sohn.
Sie gehen in den ersten Stock, wo Peter vor einem hochmodernen Computer sitzt und versucht, einen Tesserakt zu zeichnen. Über kurz oder lang schließen er und Pal Freundschaft, indem sie tauschen: Pal erklärt Peter die Umsetzung der vierten Dimension mit dem Tesserakt, und Peter leiht ihm sein elektronisches Klavier, auf dem Pal leidenschaftlich klassische Musikstücke übt.
Aber der Computer ist geliehen, und der Mann von der Firma, dem der PC gehört, will die Früchte des Auftrags haben, den er Peter gegeben hat: einen Ver- und Entschlüsselungsalgorithmus. Pal weiß Bescheid, denn peter hat ihm von „Enigma“ und „Ultra“ erzählt. Hookrum, der Firmenvertreter, gibt Peter gleich den nächsten Auftrag, aber was er verlange, sei sehr schwierig, wehrt Peter ab.
Da zieht Hookrum die Daumenschrauben an. Soweit er wisse, befinde sich Peter Tuthy illegal in diesem Land, den USA. Außerdem sei Peter aus England, seiner Heimat ausgewiesen worden oder geflohen, weil er homosexuell sei. Auch das gibt Peter zu, denn er fürchtet Hookrum nicht. Aber er schlägt zwei Tage Frist heraus.
Peter, der ihn Wahrheit Peter Norton heißt, wendet sich an Lauren und Pal. Sie sollen entscheiden, ob er in diesem Land bleiben darf. Denn wenn seine Drohung ernstmacht, dass wird er die Einwanderungsbehörde INS informieren und Peter wird wahrscheinlich des Landes verwiesen. Lauren hat ihn nach dem Krieg aus England über Kanada in die USA geschleust, aber nun steht alles auf dem Spiel. Und natürlich auch, weil er queer ist. Lauren und pal sind dafür, dass er bleibt, doch es gibt noch einen dritten Weg: in die vierte Dimension.
Pal nimmt mithilfe seiner Musik und eines umfunktionierten Lautsprecher Erstkontakt mit Aliens in der vierten Dimension auf. Sie werden auf ihn aufmerksam. Die Aliens haben die Eigenart, sich auf überraschende Weise in den drei Dimensionen eines Hauses als riesige Körperteile zu manifestieren. Lauren dreht durch, als ihr Haus demoliert wird.
Pal entkommt in die vierte Dimension, und als er zurückkehrt, kommt er gerade noch rechtzeitig, um Peter vor den drei grauen Herren von der INS zu bewahren. Die machen sich ins Hemd und verschwinden, aber das tun auch Peter und Pal. Lauren bleibt zurück, wird von ihren Freunden kontaktiert und wird endlich von der Muse geküsst, die sich ihr so lange entzogen hat.
Mein Eindruck
Was wäre, wenn es Alan Turing, dem homosexuellen Entschlüsselungsexperten des Ultra-Programms, gelungen wäre, in die USA zu entkommen und sich dort zu verstecken. Peter Norton ist Alan Turing in allen außer den Lebensdaten. Bekanntlich nahm sich Turing das Leben, nach er seine Haftstrafe wegen Homosexualität verbüßt hatte. Man sieht also, dass der Ton der Geschichte zwar leichtfüßig ist, die Themen Homosexualität und Einwanderung aber todernst. Nicht zuletzt, weil es nun auch illegale Aliens sind, die in Laurens Haus einwandern wollen.
Ich habe diese Themen beim ersten Lesen vor 40 Jahren leider übersehen – oder sie wurden in der Heyne-Übersetzung heruntergespielt. Heute ist Homosexualität nicht mehr peinlich wie damals, sondern eine gesetzlich berechtigte sexuelle Orientierung, die sogar Ehegemeinschaften erlaubt. Als diese Story 1986 veröffentlicht wurde, war die Welt noch nicht soweit.
Insofern bricht hier der Autor für Schwule, Außenseiter und Einwanderer eine Lanze und demonstriert ohne jeden erhobenen Zeigefinger was es bedeuten würde, wenn eine ganz ähnliche Art von Einwanderung stattfände, diesmal aber eine aus der vierten Dimension. Damit hätte die INS wieder mal ein heftiges Problem.
Textschwächen & Hinweise
S. 41: Buchstabendreher: „ I was sowing choas“, statt „chaos“.
S. 44: Offenbar ein Zitat aus einem sehr alten Gedicht: „where the wild goose goes, where the woodbine twineth“: Mit „woodbine“ scheint wilder Wein (Virginia Creeper) gemeint zu sein. Die Phrase “Where the Woodbine Twinet”h ist der Titel einer Short Story des US-Autors Manly Wade Wellman aus dem Jahr 1976, aber auch der Titel einer Story des US-Autors Davis Grubb (1919-1980), die als Episode 77 in der Serie „The Alfred Hitchcock Hour“ verfilmt wurde. Woodbine wird schon bei Shakespeare erwähnt. In den 1950er und 1960er Jahre gab es die Zigarettenmarke „Woodbine“) in den USA. Man sieht: Was der Autor hier parodiert, hat eine lange Tradition.
S. 206a: „There is a STRANGE ATTRACTOR down there somewhere”: Das ist ein fester Begriff aus der Chaostheorie.
S. 206b: “grokking people’s profiles”: “to grok” ist ein Begriff aus Robert A. Heinleins Roman „Strange in a Strange Land”, der in die Szenesprache eingegangen ist, und bedeutet so viel wie „intuitiv verstehen“.
Unterm Strich
Diese bislang unübersetzte Anthologie vereint Beiträge von herausragenden AutorInnen ebenso wie weniger verständliche Texte wie etwa von Dorsey und Marcus. Manche dieser Beiträge gelten inzwischen als Klassiker ihrer Sparte, darunter Bears „Tangents“, Gibsons „Burning Chrome“ und Silverbergs „The Pardoner’s Tale“ (das wiederum viel den Canterbury-Erzählungen von Geoffrey Chaucer zu verdanken hat).
Bekannte Namen wie Cadigan, Stephenson, McAuley und Sterling bieten weniger Bekanntes aus ihrem Oeuvre, sind aber nichtsdestotrotz beachtenswert. So richtig bewegend sind jedoch die Beiträge von Swanwick, Egan und Maddox. Alles in allem eine sehr beachtenswerte Auswahl, die den Begriff „Hacker“ nicht auf Informatik (Cyberpunk) einschränkt, sondern auch Gentechnik und Netzüberwachung meint.
Taschenbuch: 239 Seiten.
ISBN-13: 9780441003754
Berkley Publishing
Der Autor vergibt: