Jack Vance – Drachenbrut. Vier Romane

Geschichten von Menschen, Bäumen und Drachen

In diesem Band sind vier Novellen und Kurzromane gesammelt, die sich um das Thema Menschen und Drachen ranken.

1) Die letzte Festung (The Last Castle, 1966)
2) Die Drachenreiter (The Dragon Masters, 1963)
3) Der Baum des Lebens (Son of the Tree, 1964)
4) Die Häuser von Iszm (The Houses of Iszm)

In einer fernen Zukunft, irgendwo auf von Menschen besiedelten Welten, ist die Wissenschaft so weit fortgeschritten, dass sie nach einer Weile nicht mehr von Magie zu unterscheiden ist – gemäß dem Clarke’schen Axiom, das genau dies besagt. An diesen Orten hat die Menschheit andere gesellschaftliche Verhaltensweisen entwickelt, um zu überleben. Von Menschen und Drachen und von Drachen und Menschen berichten Vances abenteuerliche Erzählungen.

1) Die letzte Festung (The Last Castle, 1966, HUGO Award)

In ferner Zukunft, als die Menschheit wieder auf die 3000 Jahre lang verwaiste Erde zurückgekehrt ist, haben die Menschen neun Festungen errichtet, in denen sie sich bislang 700 Jahre lang gegen Nomaden usw. verteidigt haben. Jede Burg verfügt über Diener in Form von Meks und Bauern, wobei die Meks halborganische Blechsklaven sind, die im Gegensatz zu den Bauern selbständig denken können. Vor einem halben Jahr nun haben alle Meks, die ursprünglich von Etamin 9 stammen, die Burgen verlassen. Um was zu tun, fragen sich die Aristokraten.

Die „Herren“ der Erde sehen sich bald einem Aufstand der „Meks“ gegenüber. Burg Janeil ist die Vorletzte aller neun Festungen, doch ihre hochherrschaftlichen Bewohner stehen dem Angriff ratlos gegenüber. Ihre einzige Energiewaffe steht nutzlos und verrostet im Keller. Und überhaupt: Wäre es nicht unter ihrer Würde, sich dem Pöbel entgegenzustellen? Nur die jungen Hitzköpfe – natürlich, wieder mal die Jugend! – stellen sich den Blechkumpeln entgegen, die einen Erdwall errichtet haben, der genauso hoch ist wie die Mauern der Burg. Die jungen Krieger, ach, sie werden hingeschlachtet in der Blüte ihrer Jugend! Burg Janeil muss fallen. Und das nach 700 Jahren!

Nun ist die letzte Festung dran, Burg Hagedorn. Sie wird von O.C. Charle verwaltet, einem willenlosen Kompromisskandidaten, weil sich nicht genügend Unterstützer für O.Z. Garr und für Claghorn, seinen Rivalen, gefunden haben. Während der konservative Garr für seinen Esprit und seine Zivilisiertheit bewundert wird, kann der unorthodoxe Claghorn aufgrund seines Wissens über Meks und seine Entschlossenheit punkten.

Clanältester Xanten hat sich der Partei Claghorns angeschlossen und neigt eher zum Handeln als zum Debattieren. Im Kriegsrat ist er dafür, sofort alle Raumschiffe dem Zugriff der Meks zu entziehen. Bevor er abfliegt, bekommt er per Funk mit, dass Burg Delora angegriffen werde. Es ist höchste Zeit! Am Abend erstattet er dem Ältestenrat Bericht: Er habe jede Meks getötet, die dabei waren, die Raumschiffe zu sabotieren, und nahm einen von ihnen, der selbständig handelte, gefangen. Doch als er Beistand von den Nomaden und den vor der Burg lebenden Außenseitern erbat, sei er nur abgewiesen worden.

Die Burg ist also auf sich gestellt, erkennen die Adeligen messerscharf. Doch darf sie nicht abhalten, sich dem Pöbel zu widersetzen und eine feine Schau der hochgezüchteten, grazilen Nymphen abzuhalten. Xanten, der keine Nymphen züchtet, ist angewidert. Er sucht sich ein Mädchen unter den Außenseitern, doch Glys Meadowsweet hat schlechte Erfahrungen mit Herrn O. Z. Garr gemacht und Vorbehalte gegen alle Adeligen. Die gilt es nun zu überwinden. Er schließt sich ebenso wie Claghorn den Außenseitern an, um den Widerstand gegen die anrückende Mek-Armee zu organisieren.

Keinen Tag zu früh, denn sofort beginnen die Meks Tunnel zu graben, um die Fundamente der Burgmauern zum Einsturz zu bringen. Xantens Leute können den Meks nun nach Manier einer Guerilla in den Rücken fallen. Doch wird dies ausreichen?

Mein Eindruck

Die Novelle erhielt sowohl den Nebula als auch den Hugo Gernsback Award, die zwei wichtigsten amerikanischen Auszeichnungen für Science-Fiction. Natürlich fragt man sich heute, was denn an einer gewöhnlichen Freiheitskampfstory so großartig sein soll. Man muss allerdings berücksichtigen, dass nicht die Adeligen um Freiheit kämpfen, sondern die Meks. Und die Adeligen müssen erst einmal zur Einsicht gebracht werden, dass es nicht um ihren Besitz geht, sondern um ihr Überleben.

Der Verlauf der Handlung ist doch ein klein wenig überraschend. Wie sich zeigt, ist es genau die Burg, an der die konservativen Adeligen hängen, die ihr Verderben wird. Und jeden, den sie für einen Verräter halten, wollen sie umbringen. Xanten hat erkannt, dass die Burg selbst nur ein unnötiger Klotz am Bein ist, doch er ist es dann auch, der für einen Verräter gehalten wird – zumindest von O.Z. Garr und Seinesgleichen.

Viele wichtiger als dieser Kampf umd Besitz, Tradition, Freiheit und Umsturz ist vielleicht noch die Debatte um die moralische Begründung des Kämpfens und Tötens an sich. Xanten führt dazu mit dem Nomadenhäuptling sowie einem Sprecher der Außenseiter heftige Diskussionen. Dem Hetman ist es angeblich egal, ob sich Meks und Aristos die Schädel einschlagen, doch Philidor von den Außenseitern lehnt als Pazifist sogar die Selbstverteidigung als Anlass zum Töten anderer Wesen ab. Zwischen diesen beiden extremen Standpunkten muss Xanten seinen eigenen suchen.

Ich selbst konnte nicht umhin, die Novelle vor dem Hintergrund des 1965 ausgebrochenen Vietnamkrieges zu betrachten (d.h. 1965 griffen erstmals reguläre US-Truppen in diesen Jahrzehnte dauernden Konflikt aktiv ein). Es wäre zu viel gewagt, würde man die Meks den Nordvietnamesen zuweisen und die Adeligen den Amerikanern zuschlagen. Das wäre zu stark vereinfacht. Aber auch das Muster eines Befreiungs- und Unabhängigkeitskampfes trifft zu. Die Meks wollen lediglich keine Sklaven mehr sein und zurück auf ihre eigene Welt Etamin 9. Am Schluss wird ihnen dies gestattet. Die Burg aber wird zu einem Museum. Das wachsende Leben findet außerhalb ihrer Mauern statt.

Die Novelle errang den Nebula Award for Best Novella für das Jahr 1966 und den Hugo Award für Best Novelette im Jahr 1967.

2) Die Drachenreiter (The Dragon Masters, 1963, HUGO 1963)

Im Mittelpunkt steht eine menschliche Siedlergesellschaft auf vorindustriellem Niveau. Sie hat echsenähnliche, intelligente Fremdwesen gezüchtet, um als Soldaten zu dienen. Die Siedler begegnen einem Schiff vom Planeten dieser Aliens, nur um herauszufinden, dass dort die Entwicklung umgekehrt gelaufen ist: Die Menschen dienen den Echsen als Soldaten und dergleichen.

Aerlith ist ein wilder Planet, der nur wenige fruchtbare Täler aufweist, in denen die Siedler ein Auskommen finden. Stürme sind häufig und treten v.a. zur Morgen- und Abenddämmerung auf, weil die Rotation der Welt so langsam ist. Die Sonne Skene ist im fast schwarzen Himmel nur ein verschwommener Fleck. Es ist eine düstere Welt. Die echsenartigen Fremdwesen des Titels sind des nachts besonders ungebärdig, was bedeutet, dass Kriegsführung mit solchen Soldaten nur während des Tages stattfinden kann. Und Kriege finden zwischen Tälern der Siedlern ständig statt. Ihre Waffen sind Stahl (Schwert, Piken etc.) und Schießpulver.

Von Zeit zu Zeit tauchen Raumschiffe auf, um Menschen zu entführen und zu versklaven, Siedlungen werden bombardiert. Während eines solchen Raubzugs gelingt es einem Häuptling namens Kergan Banbeck, eine Gruppe der fremden Räuber gefangenzunehmen. Doch deren menschliche Diener verlieren den Verstand und zerstören das fremde Schiff. Die Greph-Aliens sind gestrandet.

Viele Jahre später hat Kergans Nachkomme Joaz Banbeck zwei Sorgen: Er glaubt, die Rückkehr der Grephs stehe bevor und sein Nachbar Ervis Carcolo wolle ihn demnächst angreifen. Inzwischen sind die Grephs zu sogenannten „Drachen“ herangezüchtet worden, die sich in sechs Größen- und Einsatzklassen einteilen lassen, vom manngroßen Termagant bis zum riesigen Jugger. Joaz versucht vergeblich Ervis Carcolo und die Hohepriester für die Verteidigung gegen eine Greph-Attacke zu mobilisieren. Doch die Hohepriester, asketische Philosophen mit fortschrittlicher Technologie, schauen auf die Menschen herab und lehnen ebenso ab wie Carcolo. Dessen Angriff kann Joaz mit genialen Taktiken abwehren.

Nachdem es ihm gelungen ist, einen Hohepriester gefangenzunehmen und zu verhören, stirbt dieser zwar augenscheinlich, doch Joaz verkleidet sich. Angetan mit einem goldenen Torque um seinen Hals und mit der Perücke des Gefangenen schleicht er sich in den kreis der Asketen ein. Sie arbeiten offensichtlich an etwas Größerem. Aber an was und wozu?

Mein Eindruck

Die Dinge nehmen eine dramatische Wendung, und es folgt eine finale Schlacht. Doch davon darf hier nichts verraten werden. Wie auch immer: Der Vance-Fan sowieso , aber auch der nach Abenteuern hungernde SF-Fan kommen hier voll auf ihre Kosten. Inhaltlich geht es um die Gestaltung einer menschenwürdigen Zukunft der Siedler in Freiheit statt Unterdrückung. Unterdrücker gibt es viele, teils seitens der Kirche (die Hohepriester), seitens der Fürsten (Carcolo), aber auch seitens der Außenweltler (Grephs). Joaz hat alle Hände voll zu tun, seine Listen mit Erfolg zu krönen.

3) Der Sohn des Baums (1951, 1964)

Der Roman beginnt mit der unbeabsichtigten Ankunft des Tramps Joe Smith auf dem Planeten Kyril, der so weit entfernt liegt, dass die Erde nur noch eine Legende ist. Kyril wird von einer religiösen Aristokratie (Theokratie), den „Druiden“, beherrscht. Die Beherrschten sind die sogenannten Laien, von denen rund fünf Milliarden gibt. Die Druiden kontrollieren die Verehrung des titelgebenden Baums des Lebens, eines riesigen Baumes mit einem Stammdurchmesser von fünf Meilen und einer Höhe von zwölf Meilen.

Da die Druiden von Fremdenangst erfüllt sind, halten sie Joe zunächst für einen Spion. Aus ungenannten Gründen freundet sich Hableyat mit ihm an, ein Bewohner der Welt Mangtse und offenkundiger Spion. Der findet für ihn einen Job als Chauffeur der Druidenprinzessin Elfane. Schon bald gibt’s Ärger: Joe wird Zeuge eines Mordes, den Elfanes Lover Manaolo begeht. Schnellstens macht er sich an Bord der „Belsaurion“ aus dem Staub, die ihn nach Ballenkarch, sein ursprüngliches Ziel, bringen soll. Doch an Bord befinden sich Hableyat, Manaolo und die schöne Elfane. Offenbar soll er nur als Bauer in einem dreiseitigen Intrigenspiel zwischen zwei verfeindeten Welten.

Während er über den Motiven von Elfane und Hableyat grübelt, muss er mehreren Mordversuchen entgehen. Auf Ballenkarch findet er endlich den Erdenmann, den er ursprünglich gesucht hatte, bevor ihn die Kyrilianer abfingen: Der Mann, den Joe von früher her kennt, hat sich zum Regenten ernannt. Seine Frau hat er auf der Erde zurückgelassen. Joes größte Überraschung besteht allerdings in der schrecklichen wahren Natur des sogenannten „Baum des Lebens“…

Mein Eindruck

Wie der Leser vielfach in Vances Frühwerk nachprüfen kann, taucht immer wieder das Motiv bedeutender Bäume auf. Sie weisen besondere Eigenschaften auf, etwa ihre Größe und Funktion, und sind in der Regel mit einer religiösen Sekte verknüpft. In „Häuser von Iszm“ sind Bäume der Mittelpunkt der Gesellschaft, ähnlich wie auf Kyril. In „Maske: Thaery“ pflegen „Druiden“ die Bäume mit großer Verehrung, und in „Der graue Prinz“ verehren die indigenen Völker Bäume, die sie erklettern, um dort sterben zu können.

Das Thema einer religiösen Herrscherkaste, die eine Gesellschaft unterdrückt, taucht ebenfalls in vielen von Vances Frühwerken auf, und das sind nicht die schlechtesten. Man denke etwa an „Emphyrio“ in seiner ungekürzten Fassung (bei Bastei-Lübbe). Das Motiv politischer Machenschaften, das an viele Fantasy-Romane und Agententhriller erinnert, war in den frühen fünfziger Jahren weitverbreitet, denn der Kalte Krieg schürte Ängste unter den leser, und diese Ängste wussten viele Autoren auszunutzen.

4) Die Häuser von Iszm (1954, 1964)

Den Iszic, die Bewohner des Planeten Iszm, ist es gelungen, die einheimischen Riesenbäume zu lebenden Häusern zu züchten. Alle Bedürfnisse und diverse Vergnügungen werden vom Wachstum des jeweiligen Baumes gedeckt. Die Iszic wachen deshalb verständlicherweise eifersüchtig über ihr Monopol und erlauben den Export von Bäumen nur in demjenigen Umfang, der dafür sorgt, dass der Preis hoch bleibt. So machen sie stets einen feinen Profit.

Ailie Farr jedoch ist ein menschlicher Botaniker, der – wie viele vor ihm – nach Iszm kommt, um einen weiblichen Baum zu entwenden. Er hofft, auf diese Weise die Baumspezies woanders zu züchten und so das kostspielige Monopol zu brechen. Der Roman erzählt, ob ihm dieses nicht ganz ehrenhafte – aber in der irdischen Geschichte keineswegs unbekannte – Schmuggel-Unterfangen gelingt…

Mein Eindruck

Die Story basiert auf den zahlreichen Unternehmungen der Kolonialmächte, sich wichtige Errungenschaften der konkurrierenden Länder auf mehr oder weniger illegale Weise anzueignen. Der Autor Hobhouse hat in seinem Buch „Fünf Pflanzen verändern die Welt“ (1992, bei DTV) beschrieben, wie Tee aus China, der nach Indien gebracht wurde, die Welt ebenso verändert hat wie etwa Zucker, Chinin, Baumwolle und viele mehr. Eine der bekanntesten Geschichten um solchen Schmuggel ist „Die Meuterei auf der Bounty“: Captain Blighs Aufgabe besteht darin, Brotbäume aus der Südsee in eine andere britische Kolonie zu transportieren, doch aus den bekannten Gründen kommt es dazu nicht.

Auch dieser Roman weist einige charakteristische Merkmale des Jack-Vance-Stils auf: ein pikaresker, also umherziehender Protagonist als Tramp, der unwillentlich und unwissentlich ein höheres Gut bewirkt; ziemlich exotische Schauplätze, die von gleichermaßen exotischen, aber intelligenten Spezies bewohnt werden; und schließlich das durchgehende Thema, dass fortschrittlichere Spezies als der Mensch wichtige Informationen oder Technologien zurückhalten, um eben diese Menschheit in einer schwächeren oder sogar dienenden Kulturstufe zu halten. Diese Paranoia fehlt beispielsweise im ganz ähnlich aufgebauten HUMANX-Universum von Alan Dean Foster, der seine ersten Romane rund 25 Jahre später schrieb, ab 1972. Jack Vance veröffentlichte ab 1945.

Zur Abwechslung ist dies mal keine Agenten- oder Kriegsgeschichte, sondern dreht sich um Schmuggler. Das hat einen gewissen verschmitzten Charme, aber wer nicht aufpasst, der könnte bei dieser Achterbahnfahrt schnell den Faden verlieren.

Unterm Strich

Die Novelle „Die letzte Festung“ (1967) wurde mit dem HUGO Gernsback Award ebenso preisgekrönt wie der Roman „Die Drachenreiter“ (1963). Lediglich die zwei anderen Romane – „Der Baum des Lebens“ und „Die Häuser von Iszm“ fallen in der Qualität etwas dagegen ab.

Wer kurzweilige Abenteuer in exotischen Umgebungen sucht, wird hier genau richtig bedient. Drachen- und Dino-Fans kommen teils auf ihre Kosten, denn in „Häuser“ und „Sohn des Baums“ glänzen Drachen durch Abwesenheit. Wer naturwissenschaftliche Denkweisen verwirklicht sucht, sollte woanders suchen. Immerhin stecken in den Stories ernste Themen, nämlich u.a. Gentechnik und Kommunikationsprobleme. Und auf sprachlicher Seite zeigt Vances Prosa inzwischen eine feine Ironie in der Eleganz der Diktion.

„Zentrales Thema der mit leichter Hand geschriebenen Geschichten sind die möglichen Langzeitfolgen von futuristisch gestalteten Hochtechnologien wie Gentechnik auf die menschliche Gesellschaft. Bizarre und faszinierend detailreiche Bilder von Ist-Situationen der fernen Zukunft werden hier in bunten Sprachbildern gezeichnet und bilden die Basis für die vier Geschichten.“ (Amazon.de)

Taschenbuch: 473 Seiten
Originaltitel: The last castle/The dragonmasters/Tree of life/The houses of Iszm
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 9783404232123

www.luebbe.de

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)