James Lee Burke – Straße ins Nichts [Dave Robicheaux 11]

Ermittler Dave Robicheaux ermittelt gegen die Mörder seine Mutter, die vor drei Jahrzehnten grausam zu Tode kam. Da die Täter von damals noch leben und dank der vor Ort blühenden Korruption gut vernetzt sind, setzen sie alles daran, auch den Sohn unter Louisiana-Erde zu bekommen … – Der elfte Roman der ohnehin hervorragenden Robicheaux-Serie ist ein besonderes Glanzstück und bietet eine spannende Handlung sowie düsterer Südstaaten-Gotik: ein Meisterwerk!

Das geschieht:

New Iberia ist ein kleiner Ort US-Südstaat Louisiana. Die Mangrovenwälder sind dicht, Klima und Abgeschiedenheit ziehen übles Gelichter seit jeher magisch an, denn der Arm des Gesetzes wird rasch lahm im Labyrinth der Sümpfe, in denen man sich nicht nur wunderbar verstecken, sondern auch allerhand verschwinden lassen kann.

Dave Robicheaux, Vietnam-Veteran, Bootsverleiher und Ermittler des Sheriff‘s Department von New Iberia, kennt sich gut aus in dieser Wildnis. Ein typischer Fall beschäftigt ihn seit vielen Jahren: Die Kreolin Letty Labiche und ihre Zwillingsschwester Passion wurden nach dem Selbstmord der Eltern von Vachel Carmouche, dem Henker des Staates Louisiana, adoptiert und großgezogen. Der Sadist und Päderast verging sich immer wieder an den Kindern, ohne dass ihm jemand Einhalt gebot. Als erwachsene Frau übte Letty Rache und erschlug den Peiniger. Für den Mord an einem Staatsbediensteten wanderte sie direkt in die Todeszelle, wo sie seit acht Jahren ihr Ende juristisch hinauszögert. Doch nun ist ihre Zeit abgelaufen. Gouverneur Belmont Pugh hadert mit sich, denn er kennt die Wahrheit, doch er will wiedergewählt werden, und die braven Bürger seines Staates lieben es, die bösen Jungs oder Mädels sterben zu sehen.

Robicheaux hatte vergeblich versucht, Carmouche das Handwerk zu legen. Noch immer sucht er nach Spuren, die Letty entlasten könnten. Deshalb horcht er auf, als er auf den Zuhälter Zipper Clum aufmerksam wird, der angeblich weiß, was vor acht Jahren wirklich geschah. Doch statt der gewünschten Informationen stößt Clum das Tor zu Robicheaux’ persönlicher Hölle auf: Er gibt er sein Wissen über den Mord an seiner Mutter Mae preis, die vor mehr als 30 Jahren starb! Robicheaux beginnt zu ermitteln. Es dauert nicht lange, bis er an Dingen rührt, die einige Leute lieber weiterhin unter Verschluss halten wollen – mächtige Leute, die den Killer Johnny O‘Roarke anheuern, der dafür sorgen soll, dass Zeugen den Mund halten werden. Robicheaux kann ihn stoppen, was die Situation keineswegs entschärft, sondern nur weiter aufheizt, bis eine entfesselte Meute korrupter Polizeibeamter, Politiker und Gangster den einsamen Sucher zu umzingeln beginnt …

Typischer Held in typisch malerischer Unterwelt-Kulisse

„Straße ins Nichts“, der neue Roman der Robicheaux-Serie, schafft etwas eigentlich Unmögliches: James Lee Burke hält das Niveau der überdurchschnittlichen Vorgängerbände, obwohl er seiner Saga nicht grundsätzlich Neues mehr einfügen kann. Die Last der Vergangenheit wiegt schwer; damit ist hier die Vorgeschichte jenes Dave Robicheaux gemeint, die der Autor natürlich ins Geschehen integrieren muss.

Dave Robicheaux ist grundsätzlich ein Bündel ausgelaugter Klischees. Unbestechlich doch nicht unbedingt gesetzestreu, verkörpert er den Außenseiter, den vor allem aber nicht nur der US-amerikanische Leser schätzt, solange er ihm nicht in der Realität begegnet. Robicheaux sagt und handelt, was und wie er denkt. Er folgt einem ausgeprägten Ehrenkodex, der abermals elementare Werte wie Familie und Freundschaft vor das geschriebene Gesetz stellt. Dafür zahlt er seinen Preis, denn Robicheaux eckt immer wieder an und stört ein komplexes Gefüge politischer, wirtschaftlicher und krimineller Kräfte, die ein stabiles Geflecht aus Korruption und Gewalt zusammenhält.

Doch Robicheaux ist ein harter Gegner. Als ehemaliger Vietnamsoldat ist er einerseits desillusioniert und immun gegen verlogene Ideale geworden, kann sich andererseits aber buchstäblich zur Wehr setzen: Robicheaux vermeidet Gewalt, bis seine Kontrahenten eine Linie überschreiten, die Autor Burke stets deutlich darstellt. Dann tut Robicheaux, was ein Mann angeblich tun muss. (Für Aktionen, die ihn beim Leser in ein schlechtes Licht setzen könnten, steht ihm Haudrauf-Buddy Cletus Purcell zur Seite.)

Wer suchet, der findet: Pech gehabt!

Unverzichtbar für das Geschehen sind die Landschaft des Mississippi-Deltas, ihre Bewohner und ihre Geschichte. Robicheaux ist hier geboren und aufgewachsen, was ihm einen einmaligen Heimvorteil verschafft, wenn es gilt, der rauen Realität hinter der scheinfreundlichen Dixieland-Fassade nachzuspüren. Auch im dritten Jahrtausend ist Rassengleichheit in Louisiana ein Fremdwort: Hier achtet weißer Abschaum darauf, dass „Neger“ und „Mischlinge“ auf dem Platz verharren, den der HERR und der Ku-Klux-Klan ihnen zugewiesen hat.

Der düstere Prolog vom Kinder schändenden Henker und seinem bizarren aber verdienten Ende zieht den Leser sogleich in den Bann einer Handlung, die einen die für die Sumpfflüsse Louisianas und den Verfasser typisch verschlungenen Verlauf nimmt. Wer glaubt, es ginge darum, eine holde Jungfrau in Not aus dem Kerker zu retten, ist schwer auf dem Holzweg. Die schwer geprüften Labiche-Schwestern sind keineswegs die Engel, als die man sie gern sehen möchte.

Ambivalenz ist überhaupt der einzige Faktor, der Burkes Protagonisten eint. Ob Freund oder Feind – sie sind nie simpel ‚böse‘ oder ‚gut‘. Sogar Zipper Clum, der brutale Zuhälter, ist ein Mensch – eine Schwäche, die ihn das Leben kosten wird, als er einem unschuldigen Kindheitstraum huldigt. Johnny O‘Roarke, der kaltherzige Killer mit dem IQ von 160, mag keine Mütter töten, und ist selbst das Produkt einer grausamen Kindheit, Gouverneur Pugh ein Schurke, Säufer und Schürzenjäger – und ein Mann mit Gewissen, das ihm nicht gestatten will, eine vom Schicksal gezeichnete Mörderin der Karriere zu opfern; er wird sich allerdings überwinden. Clete Purcell ist ein Psychopath, der es liebt, die Bösen zu züchtigen und auszulöschen, und trotzdem Dave Robicheaux ein treuer Freund und Verbündeter.

Keine Simpel-Lösungen, sondern das Leben

So geht es weiter; keine Figur ist, wie sie sich auf den ersten Blick darstellt. Immer wieder gibt es Überraschungen, obwohl sich Burke unnötig aufs Eis begibt, als er Zwillingsschwestern als Opfer und Täter einführt. Schon dieser Schachzug verrät dem einigermaßen thrillerkundigen Leser, welche ‚Überraschung‘ ihn (und sie) im Finale erwartet.

Egal: James Lee Burke hat uns alle wieder fest im Schwitzkasten. Während er die Handlung finten- und temporeich vorantreibt, baut er die dramatische Familiengeschichte seines (Anti-) Helden weiter aus. Schon im Vorgängerband „Sunset Limited“ (1998, dt. „Sumpffieber“) erfuhren wir mehr von Robicheaux‘ finsterer Kindheit und dem Verschwinden seiner Mutter, die einst den Überland-Zug gleichen Namens bestieg, um niemals wiederzukehren. Nun erfahren wir zeitgleich mit Dave – den dieses Ereignis als Sohn niemals wirklich erwachsen werden ließ -, wie diese Flucht weiterging und endete – tragisch, aber konsequent.

Autor

Schon mit neunzehn Jahren begann James Lee Burke (geboren 1938 in Louisiana) zu schreiben. Die viel versprechende Karriere wurde freilich beeinträchtigt durch ein Alkoholproblem, das Burke nach qualvollen Jahren erst 1982 im Rahmen eines langwierigen Entwöhnungs-Programms unter Kontrolle bekam: Dies ist nicht die einzige Erfahrung, die ihn mit Dave Robicheaux verbindet, den man durchaus als Alter Ego des Verfassers betrachten kann. Der bemerkenswert fleißige Burke (mehr als ein Dutzend Robicheaux-Thriller seit 1987; seit 1997 erscheinen die Reihe um den Anwalt Billy Bob Holland sowie serienunabhängige Romane) arbeitet mit großem Erfolg an seiner Karriere, in deren Verlauf er nicht nur regelmäßig auf den Bestseller-Listen vertreten war (und ist), sondern auch für den renommierten Pulitzer-Preis nominiert wurde, während er den begehrten „Edgar Award“ gleich zweimal (1989 für „Black Cherry Blues“, 1997 für „Cimarron Rose“) sowie den „CWA/Macallan Gold Dagger for Fiction“ (1998 für „Sunset Limited“; dt. „Sumpffieber“) gewann.

Mehrere seiner Werke wurden inzwischen auch verfilmt, darunter ein Roman der Robicheaux-Serie („Mississippi Delta“/„Heaven´s Prisoners“, 1995, Regie: Phil Joanou, mit Alec Baldwin als in der Rolle des Titelhelden.) Die Verfilmung weiterer Romane der Serie ist angekündigt, verzögert sich jedoch aufgrund eines komplizierten Rechtsstreits seit Jahren.

Über sein Leben und Werk informiert Burke auf seiner Website.

Taschenbuch: 413 Seiten
Originaltitel: Purple Cane Road (New York : Doubleday 2000)
Übersetzung: Georg Schmidt
www.randomhouse.de/goldmann

E-Book: 1,88 MB
ISBN-13: 978-3-95530-293-1
www.amazon.de ….

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