James, Peter – So gut wie tot (Lesung)

_Packender 9/11-Krimi: die Katastrophe als kriminelle Chance_

Zwei Frauenleichen. Die eine wird in einem Abwasserkanal nahe Brighton gefunden, die andere aus einem schlammigen Fluss in Australien gezogen. Und doch hatten beide Frauen etwas gemeinsam: Sie waren mit ein und demselben Mann verheiratet. Dieser Kleinkriminelle aus Brighton kam offenbar bei den Anschlägen vom 11. September ums Leben. Während sich der Cop Roy Grace auf die Suche nach einem Toten macht, rennt in Brighton eine junge Frau um ihr Leben. Auch sie verbindet etwas mit Ronny Wilson …

_Der Autor_

Peter James ist Schriftsteller und Filmproduzent, liebt schnelle Autos und hat ein Faible für das Übersinnliche. Er lebte lange Jahre in den USA und war dort als Drehbuchautor und Filmproduzent tätig. Mittlerweile leitet er seine eigene Filmproduktionsfirma in England. Er lebt in Sussex und in London. Mehr Info: www.peterjames.com (ohne Gewähr). (Verlagsinfo) Als Hörbücher werden bereits „Stirb schön“ und „Nicht tot genug“ von |Argon| angeboten.

Peter James auf |Buchwurm.info|:

[„Stirb ewig“ 3268
[„Stirb schön“ 3154
[„Stirb schön“ 3680 (Lesung)
[„Nicht tot genug“ 4844 (Lesung)
[„Mein bis in den Tod“ 2493
[„Wenn er fällt, dann stirbt er“ 1391

_Der Sprecher_

Hans Jürgen Stockerl studierte Schauspiel an der Neuen Münchner Schauspielschule Ali Wunsch-König. Neben seiner Theater- und Fernsehkarriere ist Stockerl als gefragter Hörbuch- und Hörfunksprecher tätig, dessen markante Stimme u. a. im Bayerischen Rundfunk, ZDF, WDR und DeutschlandRadio zu hören ist.

Regie führte Vera Teichmann.

_Handlung_

Am 11. September 2001 trifft der englische Geschäftsmann Ronny Wilson in New York City ein, um seinen früheren Geschäftspartner Donald Hatcook aufzusuchen. Ronny ist durch seine erfolglosen Geschäftsideen total abgebrannt, Donald ist seine letzte Hoffnung. Aber in seiner Aktentasche hat Ronny wie stets wertvolle Briefmarken bei sich. Um 8:47 Uhr befindet er sich noch etwa einen Block vom World Trade Center entfernt, in dessen Südturm Hatcook sein Büro hat, als ein Flugzeug in den Nordsturm einschlägt. Eine Art Erdbeben erschüttert die Straße, Rauch weht wie eine Fahne über den East River und Trümmer beginnen auf die Straße zu fallen.

Doch unverzagt zerrt Ronny seinen Rollkoffer und die Aktentasche weiter. Wenn bloß nicht die Feuerwehr und die Polizei alles absperren! Schneller! Da rast ein zweites Flugzeug in den Südturm, noch ein Erdbeben grollt durch die Straßen, es regnet Trümmer. Als ein abgetrennter menschlicher Arm Ronny vor die Füße knallt, bleibt er endlich stehen. Es regnet Menschen. Sie platzen auf dem Asphalt. Endlich kehrt Ronny um und macht, dass er wegkommt. Falls er in dem Staubsturm draußen irgendetwas sehen kann. Wenige Stunden später kommt ihm eine geniale Idee, wie er mit einem Schlag alle seine Probleme lösen und seine zahlreichen Gläubiger loswerden kann …

|Die Tote im Fluss|

Im September 2007 findet ein australisches Pärchen, das einen Ausflug macht, in einem Fluss bei Melbourne per Zufall ein Autowrack. In dessen Kofferraum findet die Polizei eine Frauenleiche, die bestialisch stinkt. Das gebrochene Zungenbein verrät den Cops, dass sie erdrosselt wurde. Durch ihre Brustimplantate kann die Gerichtsmedizin herausfinden, dass sie aus Brighton in England stammt. Schon bald wird Interpol in Brightons Polizeistation anrufen, um nach der Identität der ermordeten Schwangeren zu fragen.

|Das Skelett im Schacht|

Oktober 2007. Detective Superintendent Roy Grace von der Kripo Brighton & Hove ist schwer genervt. Ausgerechnet am jenem Freitagnachmittag, an dem er seiner Angebeteten Cleo Murray eine schöne Überraschung bescheren wollte, kriegt er einen neuen Fall zugeteilt: ein Skelett in einem Abwasserkanal. Na, prächtig. Genau das, was er fürs Wochenende brauchte. Doch das Skelett stellt sich als das einer jungen Frau heraus, die höchstens 30 Jahre alt war und vor höchstens zehn Jahren starb. Und sie wurde ebenfalls erdrosselt.

Roy Grace beschleicht ein schrecklicher Verdacht: Könnte es sich um seine vor neun Jahren spurlos verschwundene Frau Sandy handeln? Erst die Untersuchung des Gebisses der Toten widerlegt diesen furchtbaren Verdacht. Aber wer ist die Tote dann? Sie stellt sich als Joanne Wilson heraus, von der in ihrem Bekanntenkreis allgemein angenommen wurde, sie sei nach ihrer Scheidung von Ronny Wilson nach Los Angeles gezogen, um dort Schauspielerin zu werden. Nur dass sie dort offenbar nie ankam. Merkwürdig ist aber auch, dass Lorraine Wilson, Ronnys zweite Frau, Mitte 2002 von einer Kanalfähre in den Tod gesprungen sein soll. Und das, nachdem sie die Lebensversicherung für Ronny ausbezahlt bekam, der beim Einsturz des World Trade Centers am 11. September 2001 ums Leben kam.

Wenn Roy Grace die Faktenlage anschaut, beschleicht ihn der Verdacht, dass hier etwas nicht stimmt. Er beschließt, nach New York zu fliegen und schickt zwei seiner Leute nach Melbourne, um sich die dortige Tote anzusehen.

|Zwangslage|

Unterdessen gerät Abigail Dawson, 27, die gerade aus Australien zurückgekommen ist, in eine lebensbedrohliche Lage. Ihre Wohnung liegt im achten Stockwerk eines Hauses in Brighton. Das Treppenhaus ist jedoch von Handwerkern blockiert worden, weshalb sie den Aufzug nehmen muss. Kaum ist sie damit losgefahren, bricht eines der Halteseile. Der Lift stürzt ein Stück ab, bevor er sich verkeilt. Das Telefon im Lift ist defekt.

Erst neun Stunden später bekommt sie auf ihrem Handy eine Netzverbindung und versucht die Polizei oder Feuerwehr zu erreichen. Doch als Erstes entdeckt sie eine SMS auf ihrem Mobiltelefon: „Ich habe dich gefunden.“ Abby ist seit ihrer Abreise aus Melbourne auf der Flucht, mit wertvoller Beute. Wenn der Mann, vor dem sie flieht, sie gefunden hat, dann steckt sie in ernsten Schwierigkeiten.

Und erst Stunden später wird sie von der Feuerwehr herausgeholt. Kein Wunder, dass sie dem Reporter von der Lokalzeitung keinesfalls ein Interview geben will. Und seinen Fotografen lässt sie erst recht nicht knipsen. Aber alles hilft nichts, als der Briefkurier, den sie bestellt hat, sie k. o. schlägt und fesselt. Ricky will das wiederhaben, was sie ihm geklaut hat. Um jeden Preis …

_Mein Eindruck_

Peter James ist ja schon ein Routinier. Er hat sich mit unheimlichen Mystery-Thrillern einen Namen gemacht, sich aber seit wenigen Jahren aus dieser Nische herausgeschrieben, weil die Nische momentan ziemlich out ist. Horror im Alltag? Kann jeder beim Stadtausflug erleben. Bessere Ideen weisen da schon seine neuen Krimis „Stirb ewig“, „Stirb schön“ und „Nicht tot genug“ auf.

|Im Schatten der Hauptstadt|

„So gut wie tot“ ist bereits der vierte Krimi um Detective Superintendent Roy Grace, der vor neun Jahren seine Frau Sandy auf mysteriöse Weise verlor. Der Autor schildert den Schauplatz Brighton und Sussex, als ob er selbst dort leben würde. Er weiß sogar, dass es dort eine große Schwulenkolonie gibt. Und die Nähe zu London und den Vergnügungen der Metropole schimmert stets am Horizont des Geschehens in den Romanen durch.

Roy Grace kriegt so manches von den Verbrechen der Hauptstadt mit. Diesmal muss er sich mit einem von der Londoner Metropolitan Police importierten Konkurrenten herumschlagen. Cassian Pewey erweist sich als schlechter Verlierer und will Grace am Zeug flicken: Er stellt eigenmächtig Ermittlungen in Sachen Sandy an und würde sogar Graces Garten umgraben lassen. Das ist natürlich in den Augen des Betroffenen eine Ungeheuerlichkeit, und sie führt im Showdown um ein Haar zu tragischen Folgen.

|Ground Zero|

Der eigentliche Grund, warum der Autor dieses Buch geschrieben hat, ist der Dreh- und Angelpunkt der Handlung: die Szene vor dem World Trade Center zur Stunde, als die zwei Flugzeuge in die Türme fliegen. In der Tat ist diese grauenerregende Szene so deutlich und ausgedehnt dargestellt, als wäre der Leser oder Hörer selbst vor Ort und könnte das Donnergrollen hören und die fallenden Menschenleiber sehen, den Rauch riechen und die Sirenen heulen hören.

Dieser Ort wird dreimal gezeigt, was alleine schon seine zentrale Bedeutung belegt. Beim zweiten Mal ist Ronald Wilson an der Stätte der Verwüstung, um vorgeblich den Suchmannschaften zu helfen, Dinge zu finden, die der Identifikation der Opfer dienen. Doch in Wahrheit entsorgt er dort nur sein Handy und seine Brieftasche. Die Schuttberge sind meterhoch, die Szene surreal, die Wahrheit ein schattenhaftes, leicht formbares Ding. Hier kann Ronny Wilson leicht verschwinden, indem er die Identität wechselt.

Beim dritten Mal, dass uns Ground Zero gezeigt wird, ist DS Roy Grace sechs Jahre später am Ground Zero und betrachtet die gereinigte Trümmerstätte zwischen den wiederhergestellten Gebäude ringsum. Es ist ein völlig anderer Anblick, und doch gehört er in diese Dreierreihe, die eine Art Zeitlinie und dramatische Konstante in der Handlung darstellt. Anhand der Reaktionen der Angehörigen stellt der Autor dar, welchen emotionalen Eindruck dieser geschichtliche Einschnitt hinterlässt. Lorraine Wilson, Ronnys Frau, steht hierbei in erster Reihe. Es ist wichtig, dass der Leser bzw. Hörer an ihrem Schicksal Anteil nimmt, denn sie taucht immer wieder in der nonlinear erzählten Geschichte auf.

|Briefmarken als Währung|

Das zweite wichtige Element ist die beständig untermauerte Vorstellung, dass seltene Briefmarken nicht nur eine beständige Wertanlage seien, sondern zudem eine gute Methode, um steuerfrei Einkünfte zu unterschlagen und sogar um Geld zu waschen. Die Stücke sind handlich und leicht zu verstecken, etwa in Büchern. Zudem gibt es anscheinend noch keine Polizeihunde, die auf Briefmarken abgerichtet wurden, im Gegensatz etwa zu Banknoten. Daher dürfte dieser Krimi unter Briefmarkensammlern schnell Kultstatus erreichen.

Der Haken beim Sammeln und besonders beim Verkaufen sind natürlich die Experten und Händler, die den Wert der Stücke taxieren. Darunter finden sich in dem Roman etliche schwarze Schafe, aber auch rechtschaffene Leute. Immer wieder gerät Abby Dawson an die Falschen, die sie übers Ohr hauen wollen, und natürlich an den fiesen, brutalen Ricky Scaggs, der vor keiner Schandtat zurückschreckt, um das, was er „seine Sammlung“ nennt (die er selbst gestohlen hat), wiederzubekommen. Ricky führt Abby und Roy Grace in einem knifflig inszenierten Showdown zusammen – und macht es seinen Häschern alles andere als einfach, ihn zu erwischen.

Abby Dawson ist die dritte Hauptfigur neben Ronny Wilson und Roy Grace und daher mit einem separaten Handlungsstrang geehrt. Dramatische Szenen muss sie durchleiden, bevor alles wieder ins Lot kommt. Aber wie Ricky und Roy Grace fällt es uns schwer, ihr zu glauben, dass sie die millionenschwere Briefmarkensammlung nur dafür verwenden will, ihrem kranken Mütterlein Mary ein angemessenes Zimmer im Altenpflegeheim zu besorgen und zu bezahlen. Ganz recht: Auch wir sollten nicht den Fehler machen, ihr dies zu glauben. Denn Abby hat einen gerissenen Plan, um Ricky gegen Roy Grace auszuspielen …

|Der Sprecher|

Hans Jürgen Stockerl hat eine sehr angenehm klingende Stimme, sonor und tief, aber alles andere als rau. Er kann zwar nicht so gut die Tonlage variieren, um weibliche Stimmen deutlich höher klingen zu lassen, aber dieses kleine Manko macht er leicht wieder wett, indem er die Lautstärke wechselt und/oder das Tempo variiert. Außerdem gelingt es ihm recht gut, männliche Figuren durch unterschiedliche Stimmen zu charakterisieren. Der Polizist Norman Potting, der stets unangenehm durch politisch unkorrekte Bemerkungen auffällt, spricht tief, rau und etwas polternd laut.

Gerichtsmedizinerin Cleo Murray ist die Geliebte des Helden Roy Grace von der Mordkommission. Sie spricht zwar meist langsam und leise, aber dann macht sie stets auf verführerischste Weise einen netten Vorschlag, den Roy nicht ablehnen kann. Der Sprecher findet genau die richtige Tonlage, um sie echt statt klischeehaft klingen zu lassen. Man muss nur genau hinhören, um solche feinen Untertöne herauszuhören. Denn der Sprecher weiß, dass die Kunst in der Beschränkung liegt, nicht im Übertreiben. Deshalb hat es mich immer wieder gewundert, dass er sich zu lauten Rufen hinreißen lässt. Allerdings ist es schwierig, glaubwürdig um Hilfe zu schreien, wenn man dies nicht mit einer gewissen Lautstärke tut.

_Unterm Strich_

Dies ist der Thriller, den Peter James schon immer über 9/11 schreiben wollte. Endlich hat er es geschafft – und der Geschichte gleich einen interessanten Pfiff verliehen. Der 11. September 2001 war nicht nur ein geschichtlicher Wendepunkt, sondern auch eine günstige Gelegenheit für etliche Menschen, das eigene Glück zum Besseren zu wenden. Bekannt wurden Betrugsfälle, vernichtete Akten und Dateien. Ronny Wilson lässt sich gleich selber verschwinden – ein patenter Kniff, um den Gläubigern zu entgehen und neu anzufangen. Dennoch bleiben bei dieser Sache genügend Fragen offen, um den Leser bei der Stange zu halten.

Unter Briefmarkensammlern (ich bin selber einer) in aller Welt sollte dieser Roman Kultstatus erreichen, werden doch hier seltene Briefmarken nicht nur als Wertanlage präsentiert, sondern auch als einfache und handliche Methode, um Geld zu waschen und zu unterschlagen. Wer erstaunt ist, dass simple Stücke gummierten Papiers zehn- und hunderttausende von Pfund wert sein können, sollte mal in einen seriösen Katalog schauen. Wenigsten wird hier kein einziges Mal die blaue Mauritius erwähnt – das wäre dann doch zu abgedroschen.

Der Roman hat mir recht gut gefallen: eine wendungsreiche Story mit rätselhaften Funden, einem polizeiinternen Knatsch und einem clever eingefädelten Showdown. Leider kommt diesmal aufgrund der Kürzungen im Hörbuch die Erotik etwas zu kurz, die zwischen Roy Grace und seiner Gerichtsmedizinerin Cleo knistert. Dieses Element war in den vorausgegangenen Romanen stets ein ausgleichendes Gegengewicht zu Gewalt und Grauen, denen sich Roy Grace in seiner täglichen Arbeit stellen muss. Auch kommen diesmal Gewalt und Grauen außer in einer oder zwei Szenen nicht zur Geltung.

|Das Hörbuch|

Das Hörbuch wird von Hans Jürgen Stockerl kompetent gestaltet, aber auch er muss sich nicht der Sprachakrobatik eines Rufus Beck bedienen, um sein Soll zu erfüllen. Mir ist es viel lieber, wenn sich der Sprecher zurückhält und nur andeutet, wie die Figuren sich ausdrücken. Den Rest besorgt meine Vorstellungskraft. Deshalb fand ich es ziemlich auffällig, dass der Sprecher mehrmals laut ruft und sich in emotionale Aufregung versteigt. Erstaunlich war auch die Tonhöhe, in die er seine Stimme treiben kann. Diesmal stehen weibliche Figuren deutlich im Vordergrund, vor allem Abby Dawson.

|Originaltitel: Dead Man’s Footsteps, 2008
Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Goga-Klinkenberg
397 Minuten auf 6 CDs
ISBN-13: 978-3-86610-607-9|
http://www.argon-verlag.de