Cthulhu noster: Vielfalt des Mythos, Grusel der Geister
Die von Jim Turner herausgegebene Anthologie sammelt zweiundzwanzig Cthulhu-Erzählungen von zum Teil recht bekannten Autoren wie etwa Stephen King oder Robert Bloch. Selbstredend ist auch H.P. Lovecraft darunter vertreten, mit zwei seiner unvergleichlichen Erzählungen um die Großen Alten.
Die Erzählungen
1) H.P. Lovecraft: Cthulhus Ruf (1928)
Dies ist die grundlegende Erzählung, die jeder kennen muss, der sich mit dem Cthulhu-Mythos und den Großen Alten, die von den Sternen kamen, beschäftigt.
Der Erzähler untersucht die Hintergründe des unerklärlichen Todes seines Großonkels Angell, eines Gelehrten für semitische Sprachen, der mit 92 starb. Angel hatte Kontakt zu einem jungen Bildhauer namens Wilcox, der ein Flachrelief sowie Statuen erschuf, die einen hockenden augenlosen Oktopus mit Drachenflügeln zeigten. Wie sich aus anderen Quellen ergibt, ist dies der träumende Gott Cthulhu (sprich: k’tulu), einem der Großen Alten.
Er wird in Westgrönland ebenso wie in den Sümpfen Louisianas verehrt, wo man ihm Menschenopfer darbringt. Am wichtigsten aber ist der Bericht eines norwegischen Matrosen, der im Südteil des Pazifiks auf eine Insel stieß, wo der grässliche Gott inmitten außerirdischer Architektur hervortrat und die Menschen verfolgte – genau zu jenem Zeitpunkt, als Angells junger Bildhauer (und viele weitere Kreative) verrückt wurden. –
Der Erzähler hat alle Beweise zusammen: Cthulhu und seine Brüder warten darauf, die Erde zu übernehmen, alle Gesetze beiseite zu fegen und eine Herrschaft totaler Gewalt und Lust zu errichten. Man brauche sie nur zu rufen, und sie würden in unseren Träumen zu uns sprechen…
Mein Eindruck
Die Geschichte ist trotz ihres recht verschachtelten Aufbaus durchaus dazu angetan, die Phantasie des Lesers/Hörers anzuregen und ihn schaudern zu lassen. Das Erzählverfahren ist überzeugend, denn zuerst werden mehrere Berichte eingesammelt und überprüft, bevor im Hauptstück, dem Augenzeugenbericht eines Matrosen, das Monster endlich selbst auftreten darf, um seinen langen Schatten durch die Geschichte/Historie zu werfen.
2) Clark Ashton Smith: Des Magiers Wiederkehr (1931)
Ein junger Mann lässt sich von einem älteren betuchten Herrn namens John Carns als Sekretär anstellen. Carns suchte einen Mann mit eingehenden Kenntnissen des Arabischen, und die erweisen sich auch nötig, um das verbotene Buch „Necronomicon“ des „verrückten Arabers Abdul Alhazred an einer bestimmten Stelle zu übersetzen. Sie bezieht sich auf die Beschwörung und Mobilisierung von Leichen…
Schon am ersten Abend wird der Sekretär durch ein scharrendes Geräusch auf dem Gang beunruhigt. Wie sich zeigt, stammt es von Körperteilen, die sich selbständig gemacht haben. Die Frage ist nun: Stammen die Leichenteile von John Carns selbst – oder von seinem Zwillingsbruder Helman?
Mein Eindruck
Wieder mal muss das „Necronomicon“ für allen möglichen dubiosen Zauber herhalten. Bizarr auch der selbstentlarvende seitenlange Monolog des Täters. Das hielten die Schauerschriftsteller damals für einen besonders gelungenen Grauen erzeugenden Kunstgriff. Heute wirkt es theatralisch und aufgesetzt.
3) Clark Ashton Smith: Ubbo-Sathla (1933)
Der titelgebende Dämon hütet im Schleim des Urmeeres die Steintafeln, auf denen die entschwundenen Götter (= die Großen Alten) ihre Aufzeichnungen hinterlassen haben. Sowohl der Londoner Anthropologe als auch der steinzeitliche Zauberer Zon Mezzamalech aus dem versunkenen Mhu Thulan, gleich links von Robert E. Howards Hyperborea, versuchen, an diese Tafeln zu gelangen. Durch einen magischen Stein, den Tregard beschwört, verschmilzt sein geist mit dem Zauberers und gemeinsam rasen sie zurück durch die Evolutionsgeschichte, bis sie an Ubbo-Sathlas Urschleim anlangen. Dann kloppen sie sich. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann kloppen sie sich noch heute. –
Mein Eindruck
Eine sehr simpel gestrickte Story, deren größtes Plus in dem Rücksturz durch die Zeit bis zum Urmeer liegt. Hier werden neueste Erkenntnisse bzw. Theorien verarbeitet.
4) Robert E. Howard: Der Schwarze Stein (1931)
In dem Buch „Die namenlosen Kulte“, das der (fiktive) deutsche Exzentriker von Junzt im Jahr 1839 veröffentlichte, findet der Erzähler den Hinweis auf einen schwarzen Monolithen, der Menschen im Umkreis des abgelegenen ungarischen Bergdorfes Stregoicavar – was „Hexenstadt“ bedeutet – in den Wahnsinn treibt.
Er fährt selbst dorthin und wird, nach einigen unheilvollen Geschichten, zu der Berglichtung gewiesen, auf der der schwarze Stein steht: eine dunkle Säule von etwa fünf Metern Höhe, die mit nichtmenschlichen Schriftzeichen bedeckt ist. In der Nähe liegt ein Fels, der wie ein Sitz geformt ist: Hier nimmt der Erzähler in der unheilvollen Mittsommernacht Platz – und schläft ein.
Ist’s ein Traum, was er erblickt, als er „aufwacht“? In Tierfelle gehüllte Ureinwohner des Landes tanzen frenetisch vor dem Monolithen, und ein Priester mit einer Goldkette um den Hals peitscht eine junge Tänzerin bis aufs Blut, die schließlich den Fuß der Säule küsst. Denn dort oben hockt ein krötenartiges Monster, das seine Verehrer beäugt und erst zufrieden ist, als ein Säugling an der Säule zerschmettert und ihm die Frau offeriert wird. Da wacht der Träumer auf.
An der Säule findet sich keine Spur, also auch kein Beweis. Doch er erinnert sich an eine türkische Schriftrolle, die 1526 dem ungarischen Verteidiger des Landes in die Hände fiel und mit ihm unter Burgruinen begraben wurde. In ihr findet sich der Beweis, dass der Monolith ein Schlüssel ist… –
Mein Eindruck
Auffällig ist die sorgfältige Konstruktion der Geschichte, die sich erst zahlreicher Zeugnisse bedient, bevor die eigentliche Horrorszene beschrieben wird – und die eine effektvolle Pointe nachreicht. Im „Gruselkabinett“ des Verlags Titania-Medien findet sich die Hörspielfassung in einer packenden Umsetzung.
5) Frank Belknap Long: Die Hetzhunde des Tindalos (1929)
Der exzentrische Autor Chalmers setzt sich in den Kopf, gegen den Rat seines Freundes Frank (= Autor) eine chinesische Wunderdroge namens Liao einzunehmen. Zweck der Übung: Er will die vierte Dimension, die Zeit, erkunden. Zunächst lässt sich seine Geistreise recht erfreulich und wundersam an, doch dann überschreitet er gewisse Grenzen, hinter denen etwas Böses auf ihn aufmerksam wird. Wer oder was nun „Tindalos“ (ein keltischer Gott?) ist, wird nicht erklärt, aber was die Hetzhunde darstellen, wird an Chalmers‘ Leib anschaulich demonstriert…
6) Frank Belknap Long: Die Raumfresser (1928)
Eingangs liefert Franks Freund Howard (= HPL) eine kurze Einführung in seine eigene „Literatur des Grauens“ (Buch) und zieht dabei über Größen wie Hawthorne, E.A. Poe und die gute alte Mrs. Radcliffe, die den Gothic Horror überhaupt angefangen hatte, recht unwirsch her. Plötzlich stürzt ein Bauer namens Henry Wells herbei, der, von Frank eingelassen, eine gar grausliche Story zu erzählen hat.
Er sei gerade durch den unheimlichen alten Mulligan-Wald gezockelt, als ihm etwas Glitschiges auf den Kopf fiel, das Gehirn extrem kalt wurde und er auf einmal einen weißen Arm sah, der ihn verfolgte. Tatsächlich enthüllt Wells nun ein schauriges Loch in seiner Schläfe, und man lieber nicht wissen, warum daraus weder Lymphe noch Blut fließt.
Frank, Howard und Wells gehen in den Wald, wo sich weiterer Horror zeigt, allerdings noch wesentlich größer – in jeder Hinsicht. Kaum noch einmal den Hirnfressern davon gekommen, macht Howard einen schweren Fehler: Er schreibt die Geschichte einfühlsam auf. Als Folge davon kann er nicht mehr das Schutzzeichen des Kreuzes schlagen, als sich der unsichtbare Horror erneut nähert…
7) August Derleth: Der Bewohner der Dunkelheit (1944)
Im nördlichen Wisconsin liegt der Rick’s Lake, umgeben von einem düsteren Wald, den niemand zu fällen wagt. Inmitten des Waldes liegt eine schwarze Steinplatte, in die das Abbild des Großen Alten Nyarlathotep und seiner Diener eingemeißelt ist.
Angelockt von den lokalen Legenden erforscht Professor Upton Gardner drei Monate lang die Gegend. Als seine Briefe immer beunruhigender werden und er schließlich sogar um Literatur über Cthulhu bittet, fühlt sich sein Assistent Laird Dorgan veranlasst, zusammen mit seinem Freund Jack, dem Ich-Erzähler, hinaus zum See zu fahren. Sie finden zwar keinen Prof, dafür aber viele unheimliche Legenden aus verschiedenen Quellen: Sie werden eindringlich gewarnt. Doch als sie Besuch vom totgeglaubten Prof erhalten, sind sie nicht vorbereitet auf den Schrecken, den er mitbringt…
Mein Eindruck
Derleth war HPLs Verleger und Ko-Autor. Bemerkenswert ist der Umstand, dass in seiner Story Geruch – im Gegensatz zu HPL – keinerlei Rolle spielt, dafür aber unheimliche Flötenmusik das Kommen Nyarlathoteps ankündigt. Und dass erstmals ein göttlicher Feind der Großen Alten auftritt: der feurige Cthuga. Ansonsten strotzt die Story vor Denkfehlern und pseudowissenschaftlichem Humbug.
8) August Derleth: Jenseits der Schwelle (09/1941)
Diese Story spielt in der gleichen Landschaft, dem nördlichen Wisconsin, nahe der Grenze zu Kanada. Hier hat Mitte des 19. Jahrhunderts ein Überlebender der Progrome in Innsmouth, Leander Alwyn, ein prächtiges Haus errichtet, dessen seltsame Architektur den Neuankömmling erstaunt. Der Ich-Erzähler, Bibliothekar der (fiktiven) Miskatonic Universität zu Arkham, wurde von seinem bruder Frolin zu Hilfe gerufen, der sich um den Geisteszustand seiner Großvaters, Leanders Sohn, sorgt.
Der Großvater ist auf ein Manuskript Leanders gestoßen, das von den Großen Alten berichtet. Durch seine Beschäftigung damit hat er diese bösen Mächte herbeigerufen, befürchtet der Bibliothekar, welcher sehr wohl über die Großen Alten Bescheid weiß. Insbesondere der Windläufer namens Ithaqua macht sich mit Sturmtosen und bizarrer Flötenmusik hörbar. Doch um ihm Zutritt zu verschaffen, muss Großvater die Schwelle finden, von der sein Onkel Leander berichtet. Sie muss im Haus sein…
Mein Eindruck
Dies ist das erste Mal, dass einer der Großen Alten, nämlich Ithaqua, mit dem bösen indianischen Waldgeist Wendigo identifiziert wird. Weitere Windgötter sind Hastur und Lloigor, der das Thema einer anderen Story in diesem Band bildet.
9) Robert Bloch: Der Schlächter von den Sternen (1950)
Ein ehemals arbeitsloser und nun erfolgreicher Zeilenschinder sucht nach einer außerordentlichen Inspirationsquelle für sein Gesellenstück, mit denen er den Verlegern und Kritikern zu imponieren gedenkt. Die üblichen Gimmicks von Schauergeschichten ermüden ihn zunehmend: Vampire, Werwölfe und ähnliches Gesocks. Mit Hilfe eines scharfsinnigen Brieffreundes in Providence, dem geschätzten HPL himself, erhält er eine Liste mit einschlägigen verbotenen Büchern. Doch niemand will ihm sein „Necronomicon“ oder „Liber Ivonis“ verkaufen! In einer obskuren Buchhandlung stößt er entzückt auf das Buch „Die Geheimnisse des Wurms“ des mittelalterlichen Magiers Ludvig Prinn.
Er bittet Howard L. um die Übersetzung lateinischer Passagen. Doch HPL gerät ob der dämonischen Anrufungen wie so oft in Verzückung und ruft tatsächlich einen Dämon herbei: eben jenen „Schlächter von den Sternen“. Als wäre dessen höhnisches Gelächter nicht genug, saugt er Howard auch noch das Blut aus. Schon nach kurzer Zeit sehnt sich auch der Autor, die „Geheimnisse des Wurms“ zu erfahren…
10) H.P. Lovecraft: Der leuchtende Trapezoeder (The Haunter of the Dark, 1936)
Wurde der Anthropologe Robert Blake in der Nacht des 8.8.1935 vom Blitz erschlagen? Oder hat ihn sich eine Kreatur der Großen Alten geschnappt? Die Meinungen der Gelehrten und Experten gehen auseinander. Was hier also erzählt wird, hält sich an Blakes Tagebuch. Darin berichtet er von seiner Faszination mit dem düster empor ragenden Kirchturm auf dem Federal Hill des Städtchens Providence (wo auch HPL lebte). Bei näherer Untersuchung zeigt sich, dass das verwahrloste Gebäude schon seit fast 60 Jahren keinen sakralen Charakter hat. Ab 1846 hatte ein Archäologe hier einen Sektenkult namens Starry Wisdom eingerichtet.
Blake findet in der Turmstube, wo eigentlich Glocken sein sollten, nur sieben leere Stühle und Steinplatten, ein Reporter-Skelett aus dem Jahr 1897 – und eine Schatulle mit einem leuchtenden Stein darin. Hineinschauend erblickt er grauenerregende kosmische Weiten und schwarze Planeten, wo die Großen Alten hausen. Dann begeht er einen schwerwiegenden Fehler: Von einem Geräusch über sich erschreckt, klappt er die Schatulle zu. Da nun kein Licht mehr das Ding im Turmhelm fernhält, treibt es alsbald lautstark sein Unwesen in der entweihten Kirche, so dass die gläubigen italienischen Einwanderer das Zähneklappern kriegen. Doch das Ding weiß, wo sich Blake aufhält und holt ihn…
Mein Eindruck
Dies ist eine sehr dicht aufgebaute und stimmungsvoll erzählte Geschichte, die zielbewusst auf den grauenerregenden Schluss zusteuert, der nur aus panischem Gestammel des Tagebuchschreibers besteht. Aus dem, was Blake in der alten Kirche fand, haben andere Autoren ganze Erzählungen geschmiedet. Und weil so viele Fragen offen blieben, schrieb Robert Bloch eine Fortsetzung…
11) Robert Bloch: Der Schemen am Kirchturm (1950)
Aus der Heimatgegend Blakes, Chicago, kommt dessen Freund Edmund Fiske nach Providence, Rhode Island, um die verlorene Spur wieder aufzunehmen. Fünfzehn Jahre lang hat er gesucht, es ist mittlerweile 1950: eine moderne Zeit, und die erste Szene spielt denn auch in einem Taxi. Es bringt ihn zu einem Haus in der Benefit Street, in dem Dr. Ambrose Dexter wohnt. 15 Jahre lang hat er Dexter suchen lassen. Endlich wird er eingelassen.
Dexter behandelte Blake und sicherte die verbotenen Bücher sowie den „leuchtenden Trapezoeder“, von dem HPL berichtete. Am wichtigsten aber: Er ließ sich aufs Meer hinausrudern, um diesen Stein dort zu versenken. Leider fuhr aufgrund der Abwesenheit des Lichts der Bote der Großen Alten, Nyarlathotep, in Dexter – so die Anklage Fiskes. Daher auch Dexters Engagement in der Entwicklung der Atom- und Wasserstoffbomben. Fiske hebt seinen Revolver und drückt ab…
Mein Eindruck
Diese Story ist wesentlich moderner erzählt und wirkt geradezu rational im Vergleich zu allem, was HPL geschrieben hatte. Die Pointe ist umwerfend, sehr beunruhigend und darf hier nicht verraten werden.
12) Robert Bloch: Das Notizbuch (1951)
Ein zwölfjähriger Junge von geringer Bildung schreibt in sein Notizbuch, wie er in dieses mit Brettern vernagelte Bauernhaus geraten ist. Er wuchs bei seiner Großmutter in Neuengland auf, die ihm von Mythen und Monstern und Druiden erzählte. Nach ihrem Tod kam er zu seiner Tante Lucy und Onkel Fred, die aber auf eben jenem weitab im finsteren Bergwald gelegenen Bauernhof lebten – bis sie eines Tages verschwanden. Doch zuvor hatte der Junge, Willie, im Wald ein großes schwarzes Etwas gesehen, das entsetzlich stank. Seine Großmutter hatte so etwas ein Shoggoth genannt.
Am Tag von Halloween taucht ein weiterer Onkel auf, Osborne, und er zerstreut alle Befürchtungen, die Willie hinsichtlich des Verschwindens seiner Pflegeeltern und der Feuer auf den Bergen äußert. Da weiß Willie, dass Osborne zu ihnen gehört, den Anderen, die dem schwarzen Etwas huldigen. Und er hat nicht vor, denen geopfert zu werden…
Mein Eindruck
Diese schöne Story schildert höchst anschaulich und bewegend, wie der Einbruch des Grauens in seine Welt auf ein Kind wirkt. Dies geht so weit, dass es Willie möglich ist, neugierig den Anblick von unheiligen Opferritualen zu ertragen, bevor er in Panik davonläuft – um uns die Pointe verraten zu können.
13) Henry Kuttner: Das Grauen von Salem (1937)
Carson ist ein erfolgreicher Schriftsteller, der sich auf seichte Liebesromane spezialisiert hat. Auch in seinem neuen Domizil sucht er Ruhe für seine kreative Tätigkeit. Es schert ihn wenig, dass es sich um das frühere Haus der Salemer Hexe Abigail Prinn handelt, die 1692 vergeblich verbrannt und dann, nachdem sie die Stadt verflucht hatte, mit einem Pflock im Herzen begraben wurde.
Es macht ihn keineswegs stutzig, dass er von einer Ratte zu einem Geheimgang in seinem Keller geführt wird, der in einer sogenannten Hexenkammer endet: Im Zentrum eines Mosaiks liegt ein schwarzer Stein, während an den Wänden ringsum unleserliche Schriftzeichen prangen. An diesem Ort gesegneter Ruhe kann er endlich in Frieden schreiben. Denkt er.
Als ein weiterer Okkultist aus San Francisco auftaucht, erfährt Carson zu seinem Leidwesen, welche Gefahr ihm und der ganzen Stadt droht: das Auftauchen von Nyogtha, des „Bruders der Großen Alten“…-
Mein Eindruck
Wie alle Stories von Henry Kuttner ist auch diese sehr kompetent und wirkungsvoll auf die Pointe hin geschrieben, so dass dem Leser auch nach dem Horror-Finale noch ein eiskalter Schauder den Leserrücken hinunterläuft.
14) Fritz Leiber: Der Schrecken aus den Tiefen (1976)
Georg Fischer wächst als Sohn schweizerischer Einwanderer der 2. Generation in Kentucky und den Bergen von Los Angeles auf. Wie sich in seiner Biografie und der seines Vaters zeigt, besteht eine Verbindung zu Cthulhu, die sich nicht nur in Georgs Träumen und Gedichten manifestiert, sondern auch in seinem Verhalten gegenüber jener gravierten Steinplatte, die sich im Keller des elterlichen Hauses befindet: „Das Tor der Träume“ ist darauf eingemeißelt. An seinem 25. Geburtstag, besucht von einem Freund HPLs, erfährt er, was sich darunter verbirgt. Aber da ist es für ihn schon zu spät…
Mein Eindruck
Bemerkenswert an dieser schön und schnörkellos geschriebenen Erzählung ist, dass hierin der gesamte Themenkomplex des Cthulhu-Mythos mitsamt seinen Handlungen, die in HPLs Storys und anderswo veröffentlicht wurden, zu einem zusammenhängenden Hintergrund für die aktuelle Story verwoben ist. Wer also die wichtigen HPL-Novellen wie etwa „Schatten über Innsmouth“ gelesen hat, wird hier mehr Verbindungen dazu finden.
15) Brian Lumley: Aufstieg mit Surtsey (1971)
Phillip Haughtree soll im Jahr 1963 seinen Bruder Julian getötet haben. Aufgrund seiner Aussage, er habe die Welt vor einer Katastrophe bewahrt und Julian sei besessen gewesen, kommt er in die Psychiatrie. Julian sei plötzlich, ab einem 2. Februar (Mariä Lichtmess), wie besessen gewesen – bis zu seinem Zusammenbruch. Ein Jahr später habe Julian mit schwarzmagischen Formeln hantiert und sich im Keller eingeschlossen. Phillip ließ Julian verschlüsseltes Tagebuch dekodieren: Hinweise auf Cthulhu und dessen Diener Othuum wurden darin erwähnt und dass Julian seinen Ort und seine Gestalt wechseln würde. Eines nahen Tages werde Othuum seine Herrschaft antreten – und an diesem Tag werde er aus dem Meer aufsteigen. Es ist der Tag, an dem die isländische Insel Surtsey bei einem unterseeischen Vulkanausbruch entsteht…
Mein Eindruck
Der Autor der bekannten „Necroscope„-Serie schrieb eine ganze Weile am Cthulhu-Mythos mit, so dass er Insidern ein Begriff wurde. Seiner Geschichte merkt man eine genaue Kenntnis des Mythos an, und Lumley erweitert ihn. Die Story ist leider sehr konventionell erzählt und lässt kaum etwas vom Ideenreichtum der Necroscope-Serie erahnen.
16) Ramsey Campbell: Schwarz auf Weiß (1969)
Sam Strutt ist ein englischer Turnlehrer. Um sein Provinzleben etwas aufzufrischen, liebt er es, seine ungehorsamen Schüler zu verdreschen – oder Bücher zu lesen, in denen Selbiges anderen widerfährt. Strutt ist kein angenehmer Zeitgenosse, eher ein Ekel. Auf der Suche nach seiner spezeiellen Art von Literatur führt ihn eines Tages ein Stadtstreicher in einen weitab gelegenen Buchladen für US-Bücher. Nach einem ersten Buch geht Strutt wieder hin. Und merkt schnell, dass es sich hier um eine Falle handelt. Der Besitzer ist der Anführer eines schwarzen Kultes, von dem Strutt munkeln gehört hat. Und der Mann will, dass er, Strutt, der neue Hohepriester des Kultes von Y’golonac wird. Strutt hat noch nie etwas Absurderes gehört. Doch leider hat er seinen Meister gefunden, als der Besitzer seine wahre Gestalt enthüllt…
Mein Eindruck
Weil 90 Prozent der Story so realitätsnah wie möglich erzählt sind, erschreckt einen das Umkippen in den übernatürlichen Horror am Schluss umso mehr. Campbell ist nicht umsonst ein Meister der britischen Gruselliteratur.
17) Colin Wilson: Die Rückkehr der Lloigor (1969)
Ein amerikanischer Literaturprofessor hat per Zufall eine Zusammenfassung des berüchtigten „Necronomicon“ erhalten und mühsam entschlüsselt. Als er hört, dass der walisische Okkultautor Arthur Machen dieses Buch kannte und berücksichtigte, fährt der Prof ins schöne Wales und fällt dort natürlich sofort mit seiner Fragerei unangenehm auf. Während ihn einheimische Zigeuner einkreisen, schafft er es noch, einen kauzigen Historiker namens Colonel Urqart zu kontaktieren, der ihn über die walisischen Aktivitäten der Lloigor und ihrer Diener, der lokalen Zigeuner, aufklärt.
Die Lloigor sind die Wesen von den Sternen, die vor 20.000 Jahren das pazifische Mu und Atlantis gegründet und dann wieder vernichtet hatten, als ihre menschliche Sklaven gegen sie rebellierten. Seitdem versuchen sie, die Erde zurückzubekommen – und blockieren alle Versuche, ihre Existenz zu enthüllen. Der Prof und der Colonel können froh sein, wenn sie dieses Abenteuer überleben, denn niemand schenkt ihrer Kunde von einer außerirdischen Weltverschwörung Glauben.
Mein Eindruck
Bei HPL ist „Lloigor“ jener Große Alte, „der auf dem Wind zwischen den Sternen läuft“. Wilson dehnt den Begriff auf alle solche Wesen aus.
18) Joanna Russ: Mein Boot (1975)
Cecilia Jackson ist 1952 eines der ersten schwarzen Kinder an einer New Yorker Highschool, aber mit ihren 15 Jahren offenbar schon sehr intelligent. Ihr Problem ist, dass sie den Schulalltag träumerisch erlebt und extrem schüchtern ist. Erst als sich der Lehrer Alan Coppolino mit ihr anfreundet, wird sie ein wenig zugänglicher. Da der Erzähler Jim, auch ein Lehrer, mit Al befreundet ist, wird auch er zu einer kleinen geheimen Bootsfahrt eingeladen – ihre Mutter darf nicht davon erfahren.
Zunächst sieht das Boot namens „mein Boot“ für den prosaischen Jim wie ein halb abgesoffenes, zerfallendes Ruderboot aus, aber so nach und nach ergibt sich eine verblüffende Verwandlung dieses Vehikels. In der Tat handelt es sich um eine Zehn-Meter-Jacht, mit Marmorbrunnen und allem Schnickschnack.
Wie es scheint, haben sich in Cecilia und Alan zwei verwandte Geister gefunden: Sie lesen beide Lovecraft und fahren in dessen Traumländer: Kadath, Celephais, Ulthar usw. Und kaum hat sich Jim abgewandt, sind sie ohne ihn verschwunden.
19) Karl Edward Wagner: Stecken (1974)
1942 ist der Kunstmaler Leverett zum Militär einberufen worden. Bevor’s losgeht, genehmigt er sich noch einen Ausflug aufs Land. In den tiefen Wäldern des oberen New-York-Staates stößt er auf eine seltsame Lichtung um ein verfallenes Bauernhaus herum: Sie ist übersät mit gitterförmigen Gebilden aus Stecken. Im Keller des Hauses stößt er auf eine lebende Mumie…
Nach dem Krieg hat sich sein Zeichenstil eindeutig dem Makabren und Abseitigen zugewandt. Als er mal wieder eine Ausgabe illustrieren darf, greift er auf jene Stecken zurück. Schon bald segnet der Herausgeber der Ausgabe das Zeitliche. Doch ein neuer Verleger taucht auf, der Sohn des von Leverett glühend bewunderten Autors H. Kenneth Allard. Es ist dem Maler eine Ehre, die neueste Ausgabe der Allard-Werke mit den Original-Steckenskizzen illustrieren zu dürfen. Zu spät erkennt Leverett sein Verhängnis: Allard gehört einem der uralten Schwarzen Kulte Neuenglands an…
Mein Eindruck
Eine wahrhaft konsequent dem grausigsten Verlauf der Handlung folgende Story! Diese Geschichte ist ungewöhnlich dynamisch, szenisch und anschaulich erzählt. Nichts ist überflüssig. Und der Schluss ist reichlich schockierend in seiner unerbittlichen Folgerichtigkeit.
20) Philip José Farmer: Das Erstsemester (1979)
Farmer ist ja als Parodist und Schalk bekannt. Daher hat er eine Akademie ersonnen, an der man die okkulten Künste studieren und sogar mit Abschluss erlernen kann. Ob man sie dann auch beherrscht, ist eine andere Frage.
Eines Tages schreibt sich jedenfalls Roderick Desmond ein. Über seine 60 Lenze hebt die junge Generation schon mal die Augenbrauen. Doch die älteren Semester und Profs kennen den linguistischen Kritiker des „Necronomicon“-Verfassers gut. Sie laden ihn zwecks Anwerbung zu einer Party einer besonders okkult ausgerichteten Studentenverbindung ein. Desmond wird sogar die Ehre zuteil, ein supergeheimes okkultes Buch gezeigt zu bekommen. Wegen seines eidetischen Gedächtnisses kann er sich die magischen Piktogramme problemlos merken und später einsetzen. Er hat nämlich ein Problem mit seiner gluckenhaften Mutter…
21) Stephen King: Briefe aus Jerusalem (1978)
Als Charles Boone sich nach Chapelwaite in Neu-England aufmacht, ahnt er noch nicht, dass auf dem ererbten Landsitz ein verhängnisvoller Fluch lastet. Doch schon bald, so verraten seine Briefe, wecken seltsame Geräusche und hartnäckige Gerüchte in der Nachbarschaft seinen Argwohn: ein verschollenes Dorf, wo das Böse regiert, ein mysteriöses Schattenwesen, das Blutzoll fordert – über kurz oder lang gerät Charles Boone an den Rand des Wahnsinns.
Mein Eindruck
Dies ist purer Horror in der Manier von Lovecraft und Poe: die verfluchte Vergangenheit, deren langer Arm auch den letzten Nachkommen einholt und vernichtet. Und das Zentrum, wo das Böse sich zeigt, ist natürlich die Kirche des verlassenen Dorfes. Und eines Nachts bricht sich dort der „Eroberer Wurm“ seine Bahn in die hiesige Welt…
22) Richard A. Lupoff: Die Entdeckung der Ghoorischen Zone (1977)
Exakt 400 Jahre nach HPLs Tod, also am 15. März 2337, stößt eine Expedition von drei Cyborgs jenseits der Plutobahn auf den dunkelrot pulsierenden Riesenplaneten Yuggoth, von dem HPL geschrieben hatte. Einer der Cyborgs, Sri Gomati, kennt ihren HPL sehr gut und befindet sich fast in Trance vor Begeisterung. Auf ihr Anraten hin landet man auf dem Mond Thog, und siehe da: In alten Ruinen zeigt sich ein grünlicher Lichtschein. Diesem folgend dringt das sonderbare Trio in das hohle Innere ein, wo sich ein öliger Ozean ausbreitet, an dessen Ufern sich Shoggothen-Monster räkeln. Und in einer Krypta findet sich der Leichnam eines Mannes…
Mein Eindruck
Dies ist pure Science Fiction, aber mit dem HPL-Touch. Parallel zu dieser Handlung findet eine dokumentarische Rückwärtsbetrachtung statt, ausgehend vom Jahr 2337 über 2137 und 2037 bis zum Jahr 1937, HPLs Todesjahr. Es handelt sich um nichts Geringeres als eine Future History! Beachtlich für eine solche Erzählung. Diese schön ironische Story ist eine Ausnahmeerscheinung, in jeder Hinsicht.
Das Buch schließt mit bibliografischen Angaben und einer Kuriosität: einem Vaterunser, das an Cthulhu gerichtet ist: „Cthulhu noster qui es in maribus, sanctificetur nomen tuum; adveniat regnum tuum; fiat voluntas tua sicut in R’lyeh et in Y’ha-nthlei.“ Verfasst von Olaus Wormius, dem Übersetzer des verbotenen Buches „Necronomicon“, dem „Buch der Namen der Toten“.
Unterm Strich
Zum Glück gibt es keine schwache Erzählung in dieser Auswahl. Natürlich kann man sich fragen, was eine Story wie „Mein Boot“ von Joanna Russ hier zu suchen hat, da sie nichts mit den Großen Alten zu tun hat, sondern sich eher auf die Dunsany-Phase HPLs konzentriert, als HPL Geschichten über das Traumland Kadath etc. schrieb. Andererseits ist dies die einzige Story, die von einer Frau stammt und von einer handelt, quasi zur Ehrenrettung des Herausgebers.
Während HPLs Erzählungen den Mythos aufbauen, wird dieser von den restlichen Erzählungen variiert und erweitert. Ich möchte keine Highlights herausstellen, aber neben denen von HPL haben mir die Erzählungen von Stephen King und Karl Edward Wagner besonders gefallen.
Tipp
Der Band ist als Zweitbuch für den HPL-Fan durchaus sein Geld wert. Die etwas schwächere Fortsetzung trägt den Titel „Die Spur der Schatten„.
Wer mehr über den Mythos erfahren will, sollte nach dem Namen Frank Festa forschen: Dieser Verleger und Herausgeber hat selbst eine Komplettausgabe über den Mythos und HPL veröffentlicht.
Taschenbuch: 860 Seiten
Originaltitel: Tales of the Cthulhu Mythos, 1990.
Aus dem Englischen von diversen Übersetzern.
ISBN-13: 978-3404148776
www.luebbe.de
Der Autor vergibt: