Yves Jansen – Platzeks Häutung

Für viele mag Goethes „Faust“ eine recht angestaubte Angelegenheit sein. Dass sich aus dem Stoff eine lesenswerte Lektüre zaubern lässt, die gar nicht mal anstrengend sein muss, belegt Yves Jansen mit seinem Debütroman „Platzeks Häutung“.

Erik Platzek ist ein mittelmäßiger, eher unscheinbarer Mensch. Von der Ehefrau verlassen, lässt er seine Zahnarztkarriere hinter sich, um fortan in einer mitteldeutschen Kleinstadt als Buchantiquar zurückgezogen vor sich hin zu leben. An Wochenenden gönnt der Eigenbrödler sich immer wieder mal ein entspannendes Wochenende im Luxushotel „Baseler Hof“. Genau dort verbringt er eines Tages eine wilde Nacht mit der mysteriösen Lilith. Zu dem schüchternen Mittvierziger mag das so gar nicht passen.

Lilith ist eine faszinierende Frau, die Platzek fortan nicht mehr aus dem Kopf geht, ohne dass er ahnt, dass er ein heißes Date mit dem Teufel höchstpersönlich hatte. Platzek blüht seit dieser Begegnung auf. Lilith hat offenbar Spuren hinterlassen. Zurück in seinem gewöhnlichen Leben im Antiquariat in Frankbergen, kreuzt Lilith nach einiger Zeit erneut seinen Weg. Platzek, immer noch berauscht von Lilith, lässt sich mit ihr auf einen Handel um seine Seele ein. Doch die Dinge verlaufen anders, als der Teufel es sich erhofft hatte …

Jansen inszeniert seine moderne „Faust“-Geschichte mit einem gewissen Witz. Es ist keine modernisierte Nacherzählung von Goethes Original, sondern viel mehr eine Erzählung, die einer unverkennbaren Inspiration folgt. Es gibt natürlich viele Parallelen zum „Faust“, die sich nicht nur in dem Pakt zwischen Platzek/Faust und Lilith/Mephistopheles erschöpfen. Schon der Prolog, mit einem Zwiegespräch zwischen Gott und Teufel, erinnert an Goethes Werk.

Auch Jansens Faust hat sein Gretchen. Für Platzek heißt sie Margareta Hasselström. Sie tritt kurz nach Platzeks erster Begegnung mit Lilith in das Antiquariat und Platzek stellt sie ein (entgegen seiner sonstigen eigenbrötlerischen Art). Margareta bringt dort Platzeks Lagerbestände auf Vordermann und seine Gefühle durcheinander. Das Spannungsfeld zwischen den Figuren verläuft genau zwischen diesen drei Hauptfiguren. Platzek im Mittelpunkt und daneben Lilith und Margareta.

Etwas schade ist, dass Jansen es leider nicht hundertprozentig schafft, dem Leser die Figuren (vor allem natürlich Platzek und Margareta) wirklich näher zu bringen. Sie bleiben einem bis zum Schluss ein wenig fremd und so fiebert man mit der Geschichte weniger mit, als es mit etwas packenderen und griffigeren Figuren möglich gewesen wäre.

Jansen präsentiert den Teufel als ausgebufften Verwandlungskünstler, der augenzwinkernd auf das Original verweist. Auch Lilith kreuzt Platzeks Weg in Gestalt eines Hundes, der sich nicht abschütteln lässt, wählt aber anders als Mephistopheles nicht den Pudel, weil der inzwischen als Verkleidung einfach zu offensichtlich ist. Auch der Besuch des Teufels in einem Nachtclub mit Kostümzwang ist ein Beleg für die leicht humoristische Auseinandersetzung mit der Thematik, denn hier tritt der Teufel dann ganz klassisch mit Pferdehuf und Schwanz auf und ist hundertprozentig inkognito. In anderen Situationen tritt der Teufel als übergewichtiger Journalist auf, als Rabe oder ganz biblisch als Schlange.

Man muss schon sagen, dass eine solche moderne Adaption der alten „Faust“-Geschichte einen gewissen Reiz hat. Sie weckt Interesse an einem Stoff, zu dem viele vermutlich schon deswegen Distanz halten, weil Goethes Werk nun einmal sehr komplex und schwer zu lesen ist. Jansen bereitet den Stoff für den heutigen Leser auf, geht aber über das moderne Aufbereiten der Thematik und das Spicken seiner Erzählung mit Querverweisen auf Goethes „Faust“ hinaus.

Jansen wagt mit „Platzeks Häutung“ auch einen Blick auf die moderne Gesellschaft. Und auch der fällt durchaus augenzwinkernd aus. Besonders natürlich dann, wenn sich der Teufel beim Anblick wild zu lauter Musik Tanzender in einem Nachtclub fragt, ob die Hölle sich wirklich noch auf das Jenseits beschränkt oder ob sie nicht mittlerweile wohl schon überall herrscht (was seine eigene Machtposition natürlich in Frage stellt).

Doch Jansen versieht nicht alles mit subtilem Witz. Längst nicht alles wirkt belustigend. Mit dem Auftauchen von Margaretas Bruder nimmt Jansen sich auch einer sehr ernsten Problematik an, die auf den ersten Blick so gar nicht in die Geschichte passen mag: Rechtsradikalismus. Das, was er daraus entwickelt, lässt zwar eine durchaus stimmig konstruierte Geschichte erkennen, dennoch wirkt dieser Teil des Plots zunächst wie ein Fremdkörper. Die Stimmung schlägt in eine komplett andere Richtung um. Der Leser muss sich erst einmal neu orientieren. Dennoch hat alles seinen Sinn und die Geschichte wird am Ende durchaus zufriedenstellend aufgelöst.

Sprachlich ist Jansens Roman ein wenig gewöhnungsbedürftig. Man braucht seine Zeit, um damit warm zu werden. Ein wenig steif formuliert wirken die Zeilen manchmal. Manches Fremdwort mag nicht so ganz passend wirken, mancher Satzbau ein wenig sonderbar, so als solle er besonders kunstvoll und doch irgendwie schlicht erscheinen.

Jansens sprachlichen Mittel wirken aber verständlicher, wenn man bedenkt, dass er seit 1975 für das Theater tätig ist, zunächst als Schauspieler, dann als Regisseur. Und tatsächlich bekommt man mit zunehmender Seitenzahl den Eindruck, als könne der Autor das fertige Theaterstück schon vor sich sehen. „Platzeks Häutung“ kann man sich auch sehr gut auf der Bühne vorstellen. Eine leicht überschaubare Anzahl an Figuren und Schauplätzen, ein reizvoller Plot, der vom Umfang her passend wäre. Als Theaterstück könnte mir „Platzeks Häutung“ glatt noch besser gefallen als in Romanform, denn auch die sprachliche Steifheit und die Kluft zu den Figuren ließe sich so überwinden.

Und in noch einem Punkt könnte der Autor sich verbessern: In der Recherche. An einem Punkt der Handlung, als Platzek über die Veränderungen in der modernen Landwirtschaft nachdenkt, tauchen in einem einzigen Satz gleich drei sachliche Fehler auf. Die in diesem Satz enthaltene Kritik ist bei so wenig Sachverstand natürlich hinfällig, denn, hätte der Autor sich vorher vernünftig informiert, hätte er nicht die Haltungsbedingungen von Milchkühen mit denen von Legehennen verwechselt. Kühe werden in Deutschland weder im Dunkeln, noch in Einzelboxen gehalten. Wo sollte da auch der Sinn liegen …

Alles in allem macht das Buch dennoch absolut keinen schlechten Eindruck. Es ist durchaus interessant, Goethes „Faust“ einmal modern adaptiert vorgesetzt zu bekommen. Die Erzählung ist unterhaltsam und entwickelt zum Ende hin gar eine gewisse Spannung. Der Plot ist anständig durchdacht und solide konstruiert. Kritikpunkte sind die manchmal etwas steif wirkenden sprachlichen Mittel und die distanziert bleibenden Figuren. Ansonsten sorgen besonders auch die augenzwinkernde Erzählweise und die feine Prise Gesellschaftskritik für eine insgesamt durchaus wohlschmeckende Lektüre, die ganz ohne den der Faust-Thematik sonst so gerne anhaftenden Hauch von Deutschstunde auskommt.

Gebundene Ausgabe: 210 Seiten