Jeff VanderMeer – Authority / Autorität (Southern Reach 2)

Spionage-Thriller mit Faktor X

Die Area X ist eine seit 30 Jahren unbewohnte, überwucherte Zone. Die geheime Regierungsorganisation „Southern Reach“ hat es sich zum Ziel gesetzt, sie zu erkunden. Elf Expeditionen, die über die Grenze geschickt wurden, scheiterten unter bestürzenden Begleitumständen. Aber inzwischen sind drei der vier Teilnehmer der zwölften Expedition zurückgekehrt, und ihre spärlichen Aussagen werden ausgewertet. Die Psychologin, die vormalige Leiterin von Southern Reach, ist verschollen. Die Biologin, die überlebt hat, scheint nicht sie selbst zu sein.

Nach der katastrophalen zwölften Expedition, die in „Auslöschung“ geschildert wurde, befindet sich Southern Reach in Auflösung. John Rodriguez, der neu ernannte Kopf der Organisation, muss sich durch eine Reihe frustrierender Verhöre, einen Berg verschlüsselter Notizen und Stunden verstörender Videoaufnahmen arbeiten, um die Geheimnisse von Area X zu lüften. Aber jede neue Entdeckung konfrontiert ihn mit bestürzenden Wahrheiten – über sich selbst und die Organisation, der er die Treue geschworen hat … (Verlagsinfo)

Der Autor

Jeff VanderMeer (* 7. Juli 1968 in Pennsylvania) ist ein US-amerikanischer Autor phantastischer Geschichten und Herausgeber. Mit seinen für das Friedenscorps tätigen Eltern verbrachte er seine Kindheit auf den Fidschi-Inseln. Er studierte an der University of Florida zunächst Journalismus, dann Englisch und zuletzt lateinamerikanische Geschichte, schloss seine Studien jedoch nicht ab.

1992 war er Teilnehmer des renommierten Clarion Workshops für angehende Science-Fiction- und Fantasy-Autoren, bei dem er in der Folge auch als Dozent wirkte. Später veröffentlichte er im Studentenmagazin „Merlin’s Pen“ Lehrartikel zum Kreativen Schreiben. VanderMeer gehört zu den Gründungsmitgliedern des „Council for Literature of the Fantastic“ an der University of Rhode Island.

Seine Werke bezeichnet er als Magischen Realismus, und tatsächlich beziehen sie sich unter anderem auf die Arbeiten von Jorge Luis Borges, Angela Carter und Vladimir Nabokov. Auch knüpft VanderMeer an solche für den heutigen anglo-amerikanischen Raum sehr exotischen Autoren wie Alfred Kubin und Fritz von Herzmanovsky-Orlando an. (Quelle: Wikipedia)

Romane

• Dradin, In Love, 1996
• The Hoegbotton Guide to the Early History of Ambergris, by Duncan Shriek, 1999
• Veniss Underground, 2003
• Shriek: An Afterword, 2006
o Shriek, dt. von Hannes Riffel; Klett-Cotta, Stuttgart 2008. ISBN 978-3-608-93778-7
• Predator: South China Seas, 2008
• Finch, 2009
• Halo: Evolutionen, Kurzgeschichten aus dem HALO-Universum, Panini Verlag 2010, ISBN 978-3-8332-2125-5
• Annihilation – Southern Reach Trilogy 1, 2014; verfilmt von Alex Garland unter dem Titel Auslöschung
o Auslöschung – Band 1 der Southern Reach Trilogie, dt. von Michael Kellner; Antje Kunstmann, München 2014. ISBN 978-3-88897-968-2
• Authority – Southern Reach Trilogy 2, 2014
o Autorität – Band 2 der Southern Reach Trilogie, dt. von Michael Kellner; Antje Kunstmann, München 2015. ISBN 978-3-88897-995-8
• Acceptance – Southern Reach Trilogy 3, 2014
o Akzeptanz – Band 3 der Southern Reach Trilogie, dt. von Michael Kellner; Antje Kunstmann, München 2015. ISBN 978-3-88897-996-5
• Borne, 2017
o Borne, dt. von Michael Kellner; Antje Kunstmann, München 2017. ISBN 978-3-95614-197-3
– Strange Bird (2018)

Sammlungen

• The Book of Frog, 1989
• The Book of Lost Places, 1996
• City of Saints and Madmen: The Book of Ambergris, 2001
• City of Saints and Madmen (deutlich erweiterte Fassung der Ausgabe von 2001), 2002
• The Day Dali Died, 2003
• City of Saints and Madmen (erweiterte Fassung der Ausgabe von 2002)
o Stadt der Heiligen und Verrückten, dt. von Erik Simon; Klett-Cotta, Stuttgart 2005. ISBN 3-608-93773-0
• Secret Life, 2004
• Why Should I Cut Your Throat?, 2004
• VanderMeer 2005, 2005
• Secret Lives, 2006
• Ein Herz für Lukretia: Erzählungen, Auswahl, hrsg. von Hannes Riffel; Shayol, Berlin 2007. ISBN 978-3-926126-71-9 (die Auswahl der Erzählungen entspricht zu größeren Teilen der aus der englischen Sammlung „Secret Life“, wurde aber für die deutsche Ausgabe in Absprache mit dem Autor teilweise verändert)
• The Surgeon’s Tale, 2007 (mit Cat Rambo)

Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller arbeitet er als Lektor für verschiedene Verlage, und ist als Herausgeber von Anthologien tätig.

Als Herausgeber

• Leviathan 2, 1998 (mit Rose Secrest)
• Leviathan 3, 2002 (mit Forrest Aguirre)
• The Thackery T. Lambshead Pocket Guide to Eccentric and Discredited Diseases, 2003 (mit Mark Roberts)
• Best American Fantasy, 2007 (mit Ann Vandermeer)
• Mapping the Beast: The Best of Leviathan, 2007
• Polluto, 2008 (mit Rhys Hughes und Steve Redwood)
• The New Weird, 2008 (mit Ann Vandermeer)
• Steampunk, 2008 (mit Ann Vandermeer)
• Best American Fantasy 2, 2008 (mit Ann Vandermeer)
• Fast Ships, Black Sails, 2008 (mit Ann Vandermeer)

Im Jahr 2018 wurde der Roman „Annihilation“ von Alex Garland, der auch gemeinsam mit VanderMeer das Drehbuch schrieb, verfilmt. Der Film wurde von Netflix weltweit vertrieben. Mehr Info: https://www.mcdbooks.com/books/annihilation.

Handlung

Seit etwa 30 Jahren ist die rätselhafte Area X sich selbst überlassen geblieben, umgeben und geschützt von einer unsichtbaren Grenze. Welches Ereignis sie entstehen ließ, ist unbekannt. Ja, mancher ist sogar der Ansicht, die Grenze sei eine REAKTION auf die Entstehung von Area X.

Niemand weiß genau, was hinter der Grenze geschieht, aber es gibt Gerüchte von einer sich verändernden und die Reste der menschlichen Zivilisation überwuchernden Natur, einer Natur, die ebenso makellos und bezaubernd wie verstörend und bedrohlich ist. Zuständig für das Gebiet ist eine geheime Regierungsorganisation, die sich ‚Southern Reach‘ nennt und den Auftrag hat, herauszufinden, was hinter der Grenze geschieht.

Aber keine der elf Expeditionen, die ‚Southern Reach‘ in das Gebiet entsandte, um Erklärungen für das Unerklärbare zu finden, hatte bisher Erfolg. Die meisten der Expeditionen endeten in Katastrophen, bei denen letztlich alle Mitglieder ums Leben kamen oder den Verstand verloren (siehe „Annihilation“). Die Zeit, um Antworten zu finden, wird knapp, denn Area X scheint sich immer schneller auszudehnen.

Control

John Rodriguez, der sich „Control“ nennt, ist – vermittelt durch seine Mutter, die in der Zentrale („Central“) arbeitet – angeheuert worden, um die in Area X verschollene Direktorin von Southern Reach zeitweilig zu ersetzen und herauszufinden, was in diesem Laden nicht stimmt, so dass nichts herausgefunden wird. Eins steht für Control bald fest: Hier werden jede Menge Geheimnisse vertuscht, und eine der Mitarbeiterinnen, die dafür sorgt, dass Control Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, ist die Stellvertretende Direktorin, eine Afroamerikanerin namens Grace. „Nennen Sie mich Patience“, bittet sie. Aber klar doch: Hier geht es um eine Geduldsprobe.

Control steht unter hohem psychologischem Druck, auch durch seine Mutter, die sagte, er bekomme noch eine letzte Chance in der Organisation. Er entdeckt, das sein Büro verwanzt ist. Und eine Kontrolleurin namens VOICE meldet sich am Telefon und verlangt regelmäßige Berichte von ihm. Was er von seiner Vorgängerin halte? Was er von den Wissenschaftlern halte? Und so weiter. Sie behauptet, sie wisse alles, aber was könne er ihr zeigen, was sie noch nicht wisse?

Die zwölfte Expedition

Control liest die Akte über die zwölfte Expedition (siehe „Annihilation“). Sie bestand aus vier Frauen ohne Namen: einer Anthropologin, einer Landvermesserin, einer Psychologin und einer Biologin. Die Aufgabe des Quartetts war es, die Geheimnisse von Area X zu entschlüsseln, das Gebiet zu kartographieren, Flora und Fauna zu katalogisieren, ihre Beobachtungen in Tagebüchern zu dokumentieren, vor allem aber darin, sich nicht von Area X kontaminieren zu lassen.

Drei von vier Teilnehmern sind zurückgekehrt und werden nach ihrer Gefangennahme festgehalten, um Bericht zu erstatten. Sie reden kaum und wirken die ganze Zeit geistesabwesend. Die Biologin hat gerade mal 753 Worte gesagt – nicht sehr gesprächig im Vergleich zu den Interviews, die sie vor ihrem Aufbruch gab. Aber schon damals war sie die zurückhaltendste Teilnehmerin aller Expeditionsgruppen – und die Frau eines Mannes, der ihr vorausgegangen und verändert zurückgekehrt war. Das muss etwas bedeuten, findet Control. Er muss vorgehen wie ein Detektiv. Seine Mutter und sein Großvater waren Ermittler der Regierung, warum also nicht auch er.

Wiedereintritt

Sein eigener Vorstoß in die Area X bringt erstaunlich wenig Erkenntnisse. Nur Tausende von Kaninchen (siehe das Titelbild) tummeln sich gleich jenseits der „Grenze“: Es scheint ihnen bestens zu gehen, nur dass sie keine echten Karnickel sind, sondern verwildern und mutieren – zu was? Aufschlussreicher sind vielmehr die Kommentare von Controls Begleitern, vor allem von Cheney. Der scheint ihn irgendwie von der Wahrheit ablenken zu wollen, doch wem gehört Cheneys Loyalität wirklich?

Geheimnisse

Zurückgekehrt begibt sich Controls erstmals in das verlassene Büro der Direktorin. Darin findet er lediglich eine vertrocknete Pflanze, eine tote Maus und ein uraltes Handy. Grace kann ihm dazu nur wenig sagen. Und auch die alten Akten sind nicht wirklich nützlich. Dabei besteht Area X ja schon seit zwölf Expeditionen. Etwas Wichtiges scheint hier zu fehlen. Frustriert gibt sich Control in der nahen Ortschaft Hedley, wo sein Haus steht, abends mal so richtig die Kante. Selbst die Kontrolle zu verlieren, befreit Control irgendwie, macht ihn rebellisch und neugierig.

Dachboden

Der kleine Ausraster und ein weiterer verbaler Zusammenstoß mit Grace, bei der er den Kürzeren gezogen hat, bringen John Rodriguez alias Control auf neue Gedanken. Da ist beispielsweise dieser Abstellraum, den ihm Cheney – oder war’s Whitby? – gezeigt hatte. Etwas stimmt nicht mit dessen Holzdecke: Sie ist viel zu niedrig und bedeckt auch nicht die Oberkante der Regale: Sie wurde abgesenkt. Folgerichtig kann John auch eine Falltür entdecken. Mittels einer Leiter erklimmt er die Distanz zur Holzdecke, öffnet die Falltür und betritt einen finsteren Zwischenboden, der es in sich hat. Um ein Haar lässt er die Taschenlampe fallen.

Ringsum an den Wänden sind die Mitarbeiter von Southern Reach abgebildet, aber nicht als menschliche Personen, sondern als Tiere. Der Psychologe der elften Expedition (den die mit ihm verheiratete Biologin der zwölften gesucht hatte) ist als Schimäre aus Schnecke und Schwein dargestellt, die Direktorin als wilder Eber, Grace, ihre Stellvertreterin, als Iltis oder Frettchen, Cheney als Qualle. Und er selbst? Hier hat sich der Maler – vermutlich Whitby – wirklich Mühe gegeben: Control erscheint als Zyklop mit einem gewaltigen Auge, das aus einem walartigen Leviathan entspringt, der wiederum aus einem wilden Hasen – keinem Kaninchen – entspringt.

Am Boden liegen ein Schlafsack, eine mobile Herdplatte, Farbtöpfe und andere Dinge. Da wird Control endlich des Atmens in seinem Nacken gewahr. Er zuckt zusammen und dreht sich ganz langsam um. In einem weiteren Regale liegt Whitby schlafend und schnarchend. Sein Körper zuckt, als würde er etwas ausbrüten…

Mein Eindruck

Eigentlich soll ja die Behörde als Bollwerk am Schutzwall gegen Area X dienen, doch sie ist ausgehöhlt wie ein fauler Baum. Schicht um Schicht legt Rodriguez die Schichten der Pseudo-Verwaltung zutage, und statt „Control“ übt er wie ein Ermittler keinerlei Kontrolle, sondern vielmehr Offenlegung aus. Die stellvertretende Direktorin Grace bekämpft ihn, seine Mutter – „Central“? – kontrolliert und befragt ihn, und schließlich mischt sich auch noch „The Voice“ ein.

Diese Behörde ist das Gegenteil von Transparenz und besitzt mehr als einen doppelten Boden. Daher ist „Authority“ eine Art Spionageroman – leider fehlt ihm etwas der Thrill, und Action kommt erst am Schluss vor. Die Erwartung weiterer bizarrer Entdeckungen ersetzt den Thrill. Aber Bizarrerie und „Weirdness“ ist seit jeher die Spezialität des Autors.

Schließlich verwundert es den Leser nicht im geringsten, dass die Barriere gegen AreaX, die von den vielen mutierten Kaninchen (siehe Titelillustration) gekennzeichnet wird, zusammenbricht und die Area X das Geländer sie verwaltenden Behörde überschwemmt. Die Biologin verschwindet ebenfalls. Er hat sie schon immer für eine billige Kopie der echten Biologin gehalten, welche von Area X angefertigt worden und in die Behörde geschickt worden ist. Wer weiß schon genau, über welche unsichtbaren Kräfte die Area X verfügt. Vielleicht auch über Telepathie.

Am Ende steht der aufbegehrende Control mit leeren Händen da, misstrauisch beobachtet von Grace, Mutter und wer weiß wem noch. Es war seine einzige Bewährungschance. Zum Teufel damit! Control muss sich von seinen Kontrolleuren emanzipieren und den Ausbruch praktizieren. Da die Barriere gefallen ist, macht er sich rasch aus dem Staub. Er hat eine genaue Vorstellung, wohin die Biologin 2.0 geflüchtet ist: weit hinauf in den Norden, weit weg von der Area X…

Unterm Strich

Ich habe den Roman im Original gelesen, das ich 2018 in Atlanta kaufte (ja, es existieren dort noch Buchläden). Deshalb kann ich nichts über die Übersetzung sagen, die bei Kunstmann und Knaur veröffentlicht worden ist. Es ist kein einfacher Text, denn der Roman ist voller Schachtelsätze und in seiner Bildersprache hochverdichtet. Auch die Rückblenden sich nicht gerade wenige. Die Bezeichnung aller Manager-Rollen wie Control, Central, The Voice und The Director soll demonstrieren, dass alle diese Funktionen in ihrer Besetzung austauschbar sind, ähnlich wie „die Biologin“, die keinen Eigennamen hat.

Nachdem ich „Annihilation“ im Schnelldurchlauf bewältigen konnte, habe ich für „Authority“ drei bis vier Jahre – mit vielen Pausen gebraucht, denn die Handlung dreht sich im Kreis und funktioniert wie eine Ermittlung. Laufend stößt Control auf doppelte Böden, versteckte Hinweise auf seinen Vorgänger, er erhält inhaltsleere Aussagen von Biologin 2.0 und von Grace & Co.

Nicht ganz neu ist hingegen der Einfall, dass diese Region mithilfe einer unbekannten Kraft Kopien aus ihren Besuchern erschafft und diese entsendet, um die Region zu erweitern. Die Grenze wird verschoben, unmerklich, in Brachland, in unbeachteten Tümpeln, auf Abbruchgrundstücken (Detroit vielleicht) und durch solche Abgesandte.

Herausforderung des Lesers

SF-Kenner werden noch weitere Ideen erkennen, aber für Leser, die nur 08/15-Produkte aus Endlosserien kennen, wird der Roman eine große Herausforderung darstellen, ähnlich etwa wie „Das Auge der Königin“ von Phillip Mann , oder ein Buch von Jorge Luis Borges, Angela Carter oder Vladimir Nabokov (s.o.).

Wie der Bericht der Biologin erkennen lässt, stößt sie in ihrer Fähigkeit zur Beschreibung an ihre Grenzen. Und wer weiß? Vielleicht hat auch sie ebenso gelogen wie Southern Reach. Traue keinem, schau selbst nach, scheint sie unterschwellig zu rufen. Doch man sollte sich der Risiken bewusst sein. Eines davon lautet Transformation, ein weiteres Auslöschung.

Übergang

Da dies der Mittelband einer Trilogie ist, darf man kein echtes Finale erwarten, sondern lediglich einen Übergang auf eine andere Ebene der Erkenntnis. Dort erfolgt dann „Akzeptanz“ des Neuen, das von Area X gebracht wird. Am Ende von „Authority“ springt die Biologin 2.0 in bläulich schimmerndes Wasser, und – „zum Teufel damit!“ – Control folgt ihr. Er hat alles aufgegeben, nun kann er nur noch nach vorn blicken.

Taschenbuch: 341 Seiten
Farrar Straus & Giroux, New York City 2014;
ISBN 9780374104108

http://www.fsgoriginals.com

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