Jenny-Mai Nuyen – Heartware

Adam Eli hat sich von der Welt abgekapselt. Sein Leben verbringt er vor dem Computer, er lebt davon, für andere Studenten die Hausarbeiten zu schreiben. Seine Kontakte zur Außenwelt kann man an einer Hand abzählen. Doch eines Tages erhält er eine Mail, die ihn aus seiner Lethargie reißt: Er soll Will suchen!
Will, seine große Liebe, die ihn einst verraten hat. Hat sie ihn verraten?
Obwohl Adam keine Ahnung hat, von wem die Mail stammt, ob es eine Falle ist oder nicht, und wenn ja für wen … er wird den Auftrag annehmen. Denn nur dann wird er die Wahrheit darüber erfahren, was damals wirklich passiert ist!

Wie in allen Romanen Jenny-May Nuyens sind auch die Figuren in „Heartware“ ziemlich sperrig.

Da wäre Adam, intelligent, mutig und durchaus mit einem gewissen Gefühl für richtig und falsch begabt. Aber seit er Will verloren hat, ist er völlig antriebslos. Erst die Chance, sie vielleicht wiederzusehen, lässt ihn wieder aktiv werden, dann allerdings mit einer Konsequenz, die schon an Obsession grenzt.

Willenya, genannt Will, ist zu willensstark, um sich mit irgendetwas abzufinden. Aus jedem Käfig, der um sie errichtet wurde, ist sie irgendwann ausgebrochen. Aber sie kommt nie da an, wo sie eigentlich hin will, sie ist zu zerrissen und zu misstrauisch.

Auch Mariel ist ausgebrochen, allerdings auf andere Weise. Weil sie nicht nach draußen durfte, ist sie vor der Frömmigkeit ihrer Mutter an den Computer und ins Internet geflohen und hat sich mit der Zeit zur Spezialistin für Datendiebstahl gemausert, und das nicht nur als Hackerin im Netz, sondern auch in der Realität.

Alle drei sind im Grunde kaputte Existenzen. Adam war mir noch am sympathischsten, obwohl ich auch mit ihm so meine Probleme hatte. Seine Beziehung zu Will scheint der einzige Antrieb in seinem Leben zu sein, was ihn vor ihrem ersten Treffen möglicherweise motiviert haben könnte, erfährt man nicht.

Die Frauen lügen dafür beide wie gedruckt. Adam ist von ihren Lügen ziemlich angewidert, aber obwohl er Mariel deswegen am liebsten loswerden will, schreckt es ihn in Wills Fall nicht so sehr, dass er sich auch von ihr lösen würde.

Der Plot ist da schon wesentlich geschmeidiger geraten. Aus der einfachen Suche nach Will wird schon bald eine Reise, die nicht nur durch die halbe Welt führt, sondern auch in die Vergangenheit. Denn die Antwort auf die Frage, warum genau Will verschwunden ist, und warum so viele Leute sie so dringend wiederfinden wollen, ist nur dort zu finden.

Das persönliche Schicksal der Protagonisten wurde dabei sehr geschickt mit dem Plot verflochten, ohne an irgendeiner Stelle gekünstelt zu wirken. Worum es tatsächlich geht, schält sich nur ganz allmählich aus den Ereignissen heraus. Hauptsächlich folgt der Leser Adam und Mariel. Gelegentlich tauchen aber auch zwielichtige Gestalten auf, die ein wenig Zugzwang in die Angelegenheit bringen, was das Tempo erhöht und auch am Spannungsbogen dreht.

Außerdem ist es der Autorin gelungen, sich in vielen Dingen bis zum Schluss bedeckt zu halten, nicht nur in Bezug darauf, hinter was all die Leute eigentlich her sind, sondern zum Beispiel auch hinsichtlich Mariels Auftraggeber oder der Frage, wer jetzt eigentlich für die im Prolog beschriebenen Ereignisse verantwortlich ist.

Zwar sind am Ende nicht alle Fragen wirklich geklärt, zum Beispiel die, woher Adam und Mariel das Geld für ein Haus genommen haben, wieso Dussardier an dem Abend, als Adam und Will getrennt wurden, im Garten der Professorin auftauchte, oder was genau Will in Singapur wollte. Das tut der Geschichte insgesamt aber keinen Abbruch. Die einzige, unbeantwortete Frage, die mich störte, war: was genau hat Y eigentlich vor, und warum braucht sie so lange, um es umzusetzen?

Dafür ist die Geschichte mit jeder Menge Kritik gespickt. Allein mit der Wahl des Themas hat die Autorin bereits die Finger auf Dinge gelegt, die nur mithilfe von Ignoranz kritikfrei geschildert werden können, insofern ist das kein Wunder. Und so reicht das Spektrum vom maschinell gesteuerten Börsenhandel und Sollbruchstellen in Geräten, die künftige Verkaufszahlen sichern sollen, über die Frage, wer uns eigentlich regiert, bis hin zu ethischen Grenzen im Zusammenhang mit Leben und künstlicher Intelligenz.

Unterm Strich war es diesmal eher der Plot, der mich faszinierte, als die Personen. Obwohl die Charakterzeichnung – wie immer bei Jenny-Mai Nuyen – hervorragend war, bin ich inzwischen an einem Punkt, wo ich mich frage, aus welchem Grund die junge Autorin ein solches Faible für verkrachte Figuren hat. Mag sein, dass sie in vielerlei Hinsicht interessanter sind als „normale“ Menschen, trotzdem wäre ein ausgeglichenerer Protagonist zur Abwechslung auch mal ganz schön.

Das Puzzlespiel des Plots dagegen war wirklich eine komplex angelegte, gut durchdachte und sauber aufgezogene Sache, auch wenn ich manches vielleicht für ein wenig abwegig oder überzogen hielt, aber das geht mir eigentlich immer so, wenn es um technisch Machbares geht, und ist wohl meiner diesbezüglich eher skeptischen Einstellung zu verdanken. Immerhin kann die Autorin für sich in Anspruch nehmen, dass ich, ohne es zu bereuen, ihretwegen einen Ausflug in ein Genre gemacht habe, das ich normalerweise meide.

Jenny-Mai Nuyen stammt aus München und schrieb ihre erste Geschichte mit fünf Jahren. Mit dreizehn wusste sie, dass sie Schriftstellerin werden wollte. „Nijura“, ihr Debüt, begann sie im Alter von sechzehn Jahren. Inzwischen ist eine ganze Reihe von Büchern aus ihrer Feder erschienen. Nach einem abgebrochenen Filmstudium lebt sie heute in Berlin und studiert Philosophie, während sie weiterhin nebenher Romane schreibt.

Taschenbuch 416 Seiten
ISBN-13: 978-3-499-26707-9

www.jennymainuyen.de
www.rowohlt.de/verlage/rowohlt-polaris

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