Jens Henrik Jensen – Oxen: Das erste Opfer (Oxen 1)

Der traumatisierte Ex-Soldat Oxen wird zufällig Zeuge eines Mordes und gilt einerseits als verdächtig, während der dänische Geheimdienst ihn andererseits ‚überredet‘, sich notfalls außerhalb der Gesetze die Bluttat aufzuklären bzw. ein dahintersteckendes Komplott aufzudecken … – Kurz darauf sind genretypisch nicht nur mysteriöse Feinde, sondern auch verdächtige ‚Freunde‘ hinter Oxen her, der hier einen Kampf aufnimmt, der ihn (mindestens) zwei weitere Buchbände beschäftigen wird: keine skandinavische Krimi-Tristesse, sondern schnelle, spannende, aber nicht in Blut schwimmende Thriller-Unterhaltung.

Das geschieht:

Nach heldenhaften Einsätzen auf dem Balkan und in Afghanistan war Niels Oxen der höchstdekorierte Soldat der dänischen Streitmächte. Doch was er vor Ort an Gräueln miterleben musste, hat ihn traumatisiert. Seit Jahren lebt er obdachlos und meidet jegliche Gesellschaft; nur seinen Hund duldet er um sich.

Aktuell hat sich Oxen in den Wald von Rold Skov zurückgezogen. Dort kennt er sich aus, dort wurde er ausgebildet. Neugierig schaut er sich eines Nachts Nørlund Slot an. Das herrschaftliche Schloss gehört dem ehemaligen Diplomaten Corfitzen, der als Leiter des Thinktanks „Consilium“ weiterhin großen Einfluss besitzt – oder besaß, denn Corfitzen wird überfallen und ‚befragt‘, was er nicht überlebt.

Für die örtliche Polizei und hier Kommissar Grube ist dieser Prominentenmord ein Albtraum. Sowohl die Medien, als auch der Geheimdienst sitzt ihr im Nacken. Polizeipräsident Bøjlesen mischt sich in die Ermittlungen ein, Geheimdienst-Chef Axel Mossmann drängt sich an Grubes Seite.

Als potenzieller Verdächtiger wird Oxen festgenommen – und gerät umgehend in ein undurchsichtiges Intrigenspiel. Mossmann will ihn als ‚inoffiziellen‘ Ermittler anheuern. Oxen lehnt ab, doch zu spät: Corfitzens Mörder haben ihn ins Visier genommen. Als Warnung bringen sie Oxens Hund um. Nun ist der Ex-Soldat wütend und in einem ‚Spiel‘, das rasch globale Dimensionen gewinnt: Corfitzen ist einer von mehreren einflussreichen Männern, die umgebracht wurden. Offensichtlich sind sie einer Geheimorganisation in die Quere gekommen, deren Mitglieder die Welt nach ihren Vorstellungen umgestalten wollen. Oxen nimmt den Kampf auf, obwohl er selbst oder gerade seinen ‚Verbündeten‘ nicht trauen darf …

Genre-Hopping

Jens Henrik Jensen liebt nach eigener Auskunft Thriller und (klassische) Krimis, aber auch Abenteuer- und Historienromane. „Oxen“ stellt eine Mischung dieser Genres dar, die einander keineswegs beißen, wenn sie so gelungen kombiniert werden wie hier. Hilfreich ist dabei eine Orientierung an geradezu altmodischen Werten, die objektiv betrachtet eher die Bezeichnung „zeitlos“ verdienen: Im Vordergrund der Geschichte stehen Plot, Handlung und Figuren, während die Effekte diesem Trio untergeordnet bleiben.

Das führt u. a. zu einem Geschehen, dass an Leichen keineswegs geizt, ohne dabei die Ekelschraube vermeintlich unterhaltungsförderlich anzuziehen und – wie es leider beinahe üblich im Jetztzeit-Thriller geworden ist – en detail zu beschreiben, was scharfe Messer, großkalibrige Feuerwaffen oder andere Mordinstrumente bewirken, wenn man sie gegen Menschenkörper richtet. Stattdessen gilt Jensens Interesse Oxens Bemühungen, dies zu vermeiden, während er einer Geheimorganisation auf die Schliche kommt.

Bis es soweit ist, muss Autor Jensen diverse Weichen stellen: Schließlich bilden die ersten drei „Oxen“-Romane eine Trilogie, weshalb es insgesamt etwa 1500 Druckseiten zu füllen gilt. Es dauert also, bis die Ereignisse in Gang kommen, obwohl Jensen dies durch kurze Rückblenden ausgleicht, die eine Verschwörung „in progress“ andeuten, während wir Leser damit beschäftigt sind, die Hauptfigur kennenzulernen.

Smörgåsbord-Rambo

Ein Mann steht gegen eine scheinbar übermächtige, darüber hinaus gesichtslose Gruppe, die nicht fackelt, Quertreiber und Gegner auszuschalten. Normalerweise würde dies die Lebensspanne eines Außenseiters und Störenfrieds wie Oxen erst recht gegen Null treiben. Selbstverständlich bemüht sich der Verfasser gerade deshalb, eine Figur zu gestalten, die solchen Feinden Paroli bieten kann, ohne darüber zu einem Superhelden zu mutieren.

Jensen scheut in dieser Hinsicht das Risiko nicht. In gewisser Weise ist Oxen eine legendäre Gestalt. In diversen Kriegen hat er Unerhörtes geleistet und sich als Kampfmaschine erwiesen. Gleichzeitig ist genau dies die Wurzel seines Scheiterns: Oxen ist der typische Idealist, der vor allem von jenen verraten wurde, die ihn schufen und sich seiner bedienten. Als Oxen dem Druck der erlebten, aber nicht verarbeiteten Gräuel nicht mehr gewachsen war, ließ man ihn fallen. In diesem Punkt ist Jensen ein ‚typischer‘ Autor aus Skandinavien, der Kritik an politischen und sozialen Missständen auch in triviale Literatur einfließen lässt.

Nüchtern betrachtet bietet Oxen als Figur nichts, das uns unbekannt wäre. Tatsächlich ist er eine leicht modernisierte Version von David Morrells „Rambo“. Traumatisierte Soldaten sind seit dem Vietnamkrieg fest im Ensemble selbsternannter oder bis zur Weißglut gereizter Rächer-Figuren verankert. Oxen ist allerdings deutlich ‚zivilisierter‘, auch wenn er einem allzu störrischen Verdächtigen notfalls ein Messer ins Bein jagt, um ihn endlich zum Reden zu bringen. Oder streut uns der Autor Sand in die Augen? Niemand ist gänzlich, wie sie oder er uns vorgestellt worden, was Oxen ausdrücklich einschließt. Mehrfach beschreibt Jensen Ausraster und Gewaltausbrüche, die zumindest darauf hindeuten, dass Oxen psychisch stärker geschädigt und labiler ist, als es außerhalb des Panzers seiner Selbstkontrolle deutlich wird.

Freunde/Feinde mit besonderen Beziehungen

Dazu passen ‚Verbündete‘, deren Motive mindestens ebenso fragwürdig sind wie Oxens geistige Stabilität. Sowohl mit Polizeipräsident Bøjlesen, als auch mit Geheimdienst-Chef Axel Mossmann hatte Oxen schon vor Jahren zu tun bzw. ist mit ihnen aneinandergeraten. Was genau damals vorgefallen ist, bleibt nicht nur dem Leser, sondern auch Margrethe Franck verborgen. Sie ist die weibliche Hauptfigur dieses Romans und muss als solche zeitgemäß mehr aufweisen als eine ansehnliche Gestalt. Intelligenz und unerschrockenes Eingreifen reichen Jensen nicht aus. Deshalb hat Franck bei einem früheren Einsatz ein Bein verloren, was sie nunmehr dazu zwingt, sich als (versehrte) Frau erst recht beruflich zu engagieren.

Selbstverständlich leidet Franck zumindest latent unter ihrer Einbeinigkeit, was für jene emotionalen Verwicklungen sorgt, die primär (aber nicht nur) Leserinnen an die Figur fesselt. Da Franck zwar misstrauisch geworden, aber hübsch geblieben ist, empfiehlt sie sich als „love interest“ für Oxen, der – Symbolik, Symbolik! – an den Umgang mit gliedmaßenreduzierten Menschen gewöhnt sowie fähig ist, solche ‚Makel‘ zu ignorieren. Daher bewundert er Franck, die mit der Behinderung nicht nur zurechtkommt, sondern sie als Ansporn begreift, sich erst recht auf die Strolche dieser Welt zu stürzen.

Weitgehend gesichtslos bleiben in diesem Auftaktband die eigentlichen Schurken. Das ist nicht nur erforderlich, weil es möglich (und wahrscheinlich) ist, dass sich bereits anderweitig in die Handlung eingeführte Figuren als solche demaskieren werden. Darüber hinaus schürt die Anonymität die Spannung – ein wichtiger Punkt für ein Werk, das eben nicht mit der Auflösung als Klärung sämtlicher Fragen endet, sondern ersatzweise einen Cliffhanger bietet, der die Leser locken soll, zur Fortsetzung zu greifen. Angesichts dieses gelungenen Starts sollte diese Rechnung aufgehen.

Autor

Geboren wurde Jens Henrik Jensen am 6. Mai 1963 in Søvind, einem Städtchen in der ostdänischen Küstenregion. Nach dem Abitur studierte er an der dänischen Hochschule für Journalismus. Ab 1987 wurde er Sportjournalist und später Nachrichten- (2002) und Chefredakteur (2002) für die Tageszeitung „JydskeVestkysten“ tätig.

1997 veröffentlichte Jensen den Roman „Wienerringen“ Mehrfach hatte er früher lange Reisen durch Europa und Russland, aber auch nach Australien, Nord- und Südamerika unternommen. Von seinen Erfahrungen profitierte er als Autor von Thrillern, die auch jenseits der dänischen Grenzen spielten. Nachdem sich Kritiker- und vor allem Verkaufserfolge einstellten, wurde Jensen 2005 hauptberuflicher Schriftsteller.

Nachdem er die Kazanski- und die Nina-Portland-Serien geschrieben hatte, startete Jensen 2012 eine neue Reihe um den desillusionierten Ex-Soldaten Niels Oxen, der immer wieder verschwörerisch-kriminelle Munkeleien bekämpfen muss. Mit diesen Romanen gelang dem Verfasser sein bisher größter Erfolg – u. a. wurde er 2017 mit einem „Danish Crime Award“ ausgezeichnet – und der internationale Durchbruch.

Oxen-Trilogie

(2012) Das erste Opfer (De hængte hunde) – dtv 26158
(2014) Der dunkle Mann (De mørke mænd) – dtv 26179 [März 2018]
(2016) Gefrorene Flammen (De frosne flammer) – dtv 26180 [Juli 2018]

Paperback: 461 Seiten
Originaltitel: De hængte hunde (Kopenhagen : JP/Politikens Hus A/S 2012)
Übersetzung: Friederike Buchinger
jenshenrikjensen.de
www.youtube.com/watch?v=WiAmMunRAgI
www.dtv.de

E-Book: 1035 KB
ISBN-13: ISBN-13: 978-3-423-43235-1
ISBN-13: 978-3-453-03844-8
www.dtv.de

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