Wolfgang Jeschke, Robert Silverberg – Titan-6

Mit Tweel durch die Wüsten des Mars

Die Großen der Science-Fiction werden mit ihren Meisterwerken bereits in der sogenannten „Science Fiction Hall of Fame“ verewigt, welche natürlich in Buchform veröffentlicht wurde (statt sie in Granit zu meißeln). Daher können Freunde dieses Genres noch heute die ersten und wichtigsten Errungenschaften in der Entwicklung eines Genres nachlesen und begutachten, das inzwischen die ganze Welt erobert und zahlreiche Medien durchdrungen hat.

In der vorliegenden Ausgabe des Auswahlbandes Nr. 6 von „Titan“, der deutschen Ausgabe der „SF Hall of Fame“, sind Novellen von Heinlein, Lester del Rey und Stanley G. Weinbaum und John W. Campbell gesammelt.

_Die Herausgeber_

|Achtung|: Auf dem Titelbild der deutschen Ausgabe wird fälschlicherweise Frederik Pohl als Herausgeber genannt! Dass dies ein Irrtum sein muss, belegt das innere Titelblatt und der Aufdruck auf dem Umschlagrücken. Dort steht statt Pohls Name der von Robert Silverberg!

1) Wolfgang Jeschke, geboren 1936 in Tetschen, Tschechei, wuchs in Asperg bei Ludwigsburg auf und studierte Anglistik, Germanistik sowie Philosophie in München. Nach Verlagsredaktionsjobs wurde er 1969-1971 Herausgeber der Reihe „Science Fiction für Kenner“ im |Kichtenberg|-Verlag, ab 1973 Mitherausgeber und ab 1977 alleiniger Herausgeber der bis 2001 einflussreichsten deutschen Science-Fiction-Reihe Deutschlands beim Heyne-Verlag, München. Von 1977 bis 2001/02 gab er regelmäßig Anthologien – insgesamt über 400 – heraus, darunter die einzigen mit gesamteuropäischen Autoren.

Seit 1955 veröffentlicht er eigene Arbeiten, die in ganz Europa übersetzt und zum Teil für den Rundfunk bearbeitet wurden. Er schrieb mehrere Hörspiele, darunter „Sibyllen im Herkules oder Instant Biester“ (1986). Sein erster Roman [„Der letzte Tag der Schöpfung“ 1658 (1981) befasst sich wie viele seiner Erzählungen mit Zeitreise und der Möglichkeit eines alternativen Geschichtsverlaufs. Sehr empfehlenswert ist auch die Novelle „Osiris Land“ (1982 und 1986). Eine seiner Storysammlungen trägt den Titel „Schlechte Nachrichten aus dem Vatikan“. Zuletzt erschien „Das Cusanus-Spiel“ bei |Droemer|.

2) Robert Silverberg

Robert Silverberg, geboren 1936 in New York City, ist einer der Großmeister unter den SF-Autoren, eine lebende Legende. Er ist seit 50 Jahren als Schriftsteller und Anthologist tätig. Seine erste Erfolgsphase hatte er in den 1950er Jahren, als er 1956 und 1957 nicht weniger als 78 Magazinveröffentlichungen verbuchen konnte. Bis 1988 brachte er es auf mindestens 200 Kurzgeschichten und Novellen, die auch unter den Pseudonymen Calvin M. Knox und Ivar Jorgenson erschienen.

An Romanen konnte er zunächst nur anspruchslose Themen verkaufen, und Silverberg zog sich Anfang der 60er Jahre von der SF zurück, um populärwissenschaftliche Sachbücher zu schreiben: über 63 Titel. Wie ein Blick auf seine „Quasi-offizielle Webseite“ http://www.majipoor.com enthüllt, schrieb Silverberg in dieser Zeit jede Menge erotische Schundromane.

1967 kehrte er mit eigenen Ideen zur SF zurück. „Thorns“, „Hawksbill Station“, „The Masks of Time“ und „The Man in the Maze“ sowie „Tower of Glass“ zeichnen sich durch psychologisch glaubwürdige Figuren und einen aktuellen Plot aus, der oftmals Symbolcharakter hat. „Zeit der Wandlungen“ (1971) und „Es stirbt in mir“ (1972) sind sehr ambitionierte Romane, die engagierte Kritik üben.

1980 wandte sich Silverberg in seiner dritten Schaffensphase dem planetaren Abenteuer zu: „Lord Valentine’s Castle“ (Krieg der Träume) war der Auftakt zu einer weitgespannten Saga, in welcher der Autor noch Anfang des 21. Jahrhunderts Romane schrieb, z. B. „Lord Prestimion“.

Am liebsten sind mir jedoch seine epischen Romane, die er über Gilgamesch („Gilgamesh the King“ & „Gilgamesh in the Outback“) und die Zigeuner („Star of Gypsies“) schrieb, auch „Tom O’Bedlam“ war witzig. „Über den Wassern“ war nicht ganz der Hit. [„Die Jahre der Aliens“ 2735 wird von Silverbergs Kollegen als einer seiner besten SF-Romane angesehen. Manche seiner Romane wie etwa „Kingdoms of the Wall“ sind noch gar nicht auf Deutsch erschienen.

Als Anthologist hat sich Silverberg mit „Legends“ (1998) und „Legends 2“ einen Namen gemacht, der in der Fantasy einen guten Klang hat. Hochkarätige Fantasyautoren und -autorinnen schrieben exklusiv für ihn eine Story oder Novelle, und das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen. Der deutsche Titel von „Legends“ lautet „Der 7. Schrein“.

_Die Erzählungen_

_1) Stanley G. Weinbaum: Eine Mars-Odyssee_ (A Martian Odyssey, 1934)

An Bord der ersten Marsexpedition im 21. Jahrhundert erzählt der Chemiker Dick Jarvis seinen ungläubigen Kollegen – einem Ami, einem Franzosen und einem Deutschen – von seiner Begegnung mit einem freundlichen Marsianer …

Als Jarvis‘ Antrieb streikt, muss er auf der Marsoberfläche notlanden, die bekanntlich nicht gerade die einladendste Gegend des Sonnensystems darstellt. Sein Rückweg führt durch über 1000 Kilometer Marswüste. Auf dem Weg lernt er einige sehr seltsame Marsbewohner kennen. Als Erstes rettet er einem straußähnlichen Zweibeiner das Leben, indem er ihn aus den Fangarmen eines krakenartigen Erdbewohners befreit. Soweit Jarvis ihn verstehen kann, heißt der Gerettete Tweel, und nach einigen Kommunikationsversuchen zeigt sich, dass Tweel erheblich intelligenter ist als erwartet.

Als Nächstes wird Jarvis um ein Haar ein Opfer jenes Bodenkraken, der seine Opfer durch realistische Illusionen dessen, was sie am meisten begehren, täuscht und anlockt. Tweel rettet Jarvis vor dieser tödlichen Falle. Sie bestaunen eine Lebensform, die völlig auf Silizium aufgebaut ist und seit etwa einer halben Million Jahren kleine Pyramiden aus Quarzziegeln baut. Schließlich verirren sich beide in einem unterirdischen Labyrinth von fassförmigen Vierbeinern und Vierarmern, die ständig Jarvis Worte nachäffen: „Wirr sinn Freund‘! Autsch!“ Das dynamische Duo kann fliehen, doch nur die Landung von Karl Putz‘ Rettungsboot verhilft Jarvis zum Entkommen. Wo Tweel abgeblieben ist, weiß Jarvis nicht zu sagen.

(Im Roman geht die Story dann weiter – mit ebenso haarsträubenden Abenteuern auf dem Roten Planeten.)

|Mein Eindruck|

„Eine Mars-Odyssee“ gehört innerhalb des SF-Genres zu den großen Durchbrüchen und ist deshalb in jeder SF-Enzyklopädie zu finden. Hier wurden erstmals Aliens auf anderen Welten als freundlich, intelligent und hilfreich dargestellt. Zuvor und in zahllosen Fällen danach dienten Aliens nur als bedrohlicher Popanz, der den jugendlichen Leser erschrecken sollte, damit die mensch- bzw. männlichen Helden umso heldenhafter dastanden.

Weinbaum zieht die ganze Sache eher wie eine dramatische Komödie auf. Motto: Wir werden alle Brüder, wenn uns gegenseitig aus der Patsche helfen. Denn Gefahren gibt es ringsum genügend, und die eine ist fremdartiger als die andere. Nur die Intelligenten werden überleben, und deshalb ist es wichtig und eine Pflicht, sich mit anderen intelligenten Wesen zusammenzutun, Wesen wie Tweel beispielsweise. Vielfach haben mich die skurrilen Beschreibungen – besonders die Fasswesen – an Stanislaw Lems [„Sterntagebücher“ 669 erinnert, und es sollte mich nicht wundert, wenn es zwischen dem viel zu früh verstorbenen Weinbaum und Lem eine inspirierende Verbindung gab.

_2) John W. Campbell: Abenddämmerung_ (Twilight, 1934)

Jim Bendell ist „Realitätenhändler“, zu Deutsch: Immobilienmakler. Er erzählt seinem Kumpel Bart, dem Ich-Erzähler, was für eine Art Wesen er am Straßenrand aufgesammelt hat: einen Menschen aus dem 31. Jahrhundert. Aber zu unserer Verwirrung geht es nicht um das, was Jim erlebt, sondern darum, was der Fremde aus der Zukunft erzählt. Und zwar nicht über das 31. Jahrhundert, sondern was er in der Zeit in sieben Millionen Jahren erlebt hat. Seine Zeitmaschine war halt falsch eingestellt.

In der Zeit, die sieben Millionen Jahre entfernt ist, gibt es kaum noch Menschen, und wenn, dann haben sie den Instinkt für Neugier verloren. Vielmehr wird die Erde mitsamt dem Sonnensystem von den Maschinen beherrscht, die für alles sorgen, was die verbliebenen Menschen in den letzten Städten brauchen. Es ist alles todtraurig, was der stets namenlose Fremde vorfindet, doch kurz vor seiner Rückreise – upps, wieder daneben: ins 20. Jahrhundert – veranlasst er den Bau einer Maschine, die neugierig ist.

|Mein Eindruck|

Nur weil Amerikaner diesen Klassikerband der „Science Fiction Hall of Fame“ zusammengestellt haben, kann es diese schlecht geschriebene Erzählung in den Band geschafft haben, war doch Campbell der wichtigste Magazinherausgeber des so genannten Goldenen Zeitalters der SF. Campbell veröffentlichte sie 1934 unter dem Pseudonym Don A. Stuart – eine damals übliche Praxis.

Das Kernstück der Story ist die Beschreibung der Welt in 7 Mio. Jahren. Das erinnert eklatant an H. G. Wells‘ Endzeitvision im letzten Kapitel seines Romans [„Die Zeitmaschine“ 3578 (1895). Campbells Endzeitvision ist mindestens ebenso deprimierend, entbehrt aber der morbid-pittoresken Schönheit der Wells-Szenerie. Es ist die „Abenddämmerung“ der Menschheit, was nicht gerade die erbaulichste Thematik ist, die man sich vorstellen kann. Aber Campbell wollte wohl damit vor den Gefahren warnen, wenn man den Maschinen erlaubt, die Entwicklung der Menschen zu kontrollieren.

Wie es zu diesem fatalen Zustand kommen konnte, versucht er mit zahlreichen, heute völlig überholten Szenarien zu begründen, doch offensichtlich schlingert er in der Argumentation wackelig einen schmalen Grat entlang, weil ihm dafür das wissenschaftliche Rüstzeug fehlt. Diese Kernstory verfügt weder über eine Handlung noch über Dialoge, was sie ziemlich dröge macht.

Ob wir dem Fremden und seiner seltsamen Story glauben können oder sollten, ist völlig eine Sache des Glaubens und wird durch keinerlei objektive Tatsache untermauert, etwa ein Artefakt aus ferner Zukunft oder dergleichen. Nur zwei todtraurige Lieder über Sehnsucht und verlorene Erinnerungen können diesbezüglich Anstöße geben, aber die kann der Fremde genauso gut selbst komponiert haben.

Dies ist diejenige Story, die mir jede weitere Lektüre von Campbells Erzählungen endgültig vergällt hat.

_3) Lester Del Rey: Helena_ (Helen O’Loy, 1938)

Dave ist ein gescheiter und kühner Roboterbauer und Phil, der Hormonforscher, sein bester Freund. Phil erzählt, was sie zusammen mit zwei Androidinnen erlebt haben.

Zuerst lässt sich Dave eine Lea von der Firma Dillard liefern, um sie sofort zu verbessern. (Offenbar scheren ihn Begriffe wie „Copyright“ und „Patent“ einen Dreck.) Eine LEA ist ein Life Equivalence Android. Dave baut den simplen Robot zu einer Haushaltshilfe um und verleiht „ihr“ zudem mit Hilfe des Äquivalents von Adrenalindrüsen, Phils Spezialität, ein ordentliches Temperament. Allerdings hat er den Sprachfilter etwas zu vulgär eingestellt und so kommt es, dass LEA ihn in übelstem Sprachgebrauch abkanzelt für die miese Behandlung, die er ihr widerfahren lässt. Sie nennt ihn und Phil u. a. „H…söhne“ (sic!) Ganz klare Folge: LEA wird demontiert.

Dann kommt HLEA K2W88. Ein High Life Equivalence Android, oder besser ausgesprochen: Helena. Aufgrund der LEA-Lektionen wird Helena sorgfältiger modifiziert und entwickelt bald wunderbare Hausfrauenqualitäten: Jeden Abend steht pünktlich das Essen auf dem Tisch, die Wohnung ist picobello geputzt. Doch während Phil drei Wochen weg ist, geschieht Schreckliches. Er muss feststellen, dass Dave Helena nicht mehr sehen will und auszieht. Helena, ein sauberes Mädel mit regem Seelenleben, ist todunglücklich. Was ist passiert?

Allmählich bekommt Phil heraus, dass Helena sich in unbeaufsichtigten Stunden romantische Fernsehserien und Liebesromane reingezogen hat. Nun meint sie, Liebe müsste genauso sein wie die Fiktion. Doch Dave reagiert auf die zärtlichen Annäherungsversuche seiner Haushaltshilfe allergisch, insbesondere auf ihre hartnäckige Bemutterung. Nun ja, meint Phil schließlich zu Dave, Helena ist ja bloß eine Maschine, man könnte sie ja einfach abschalten. Das allerdings bringt Dave auch nicht übers Herz. Er nimmt sie zurück, und Helena willigt mit Freuden ein. Doch leider nimmt diese Liebe kein Happyend. Merke: Vorsicht im Umgang mit Helenas!

|Mein Eindruck|

Der Originaltitel „Helen O’Loy“ ist sowohl eine Anspielung auf die klassische Helena von Troja als auch auf „alloy“, also Legierung. Die Leser damals waren alle Ingenieure oder wollten es werden. Und die Jungs wollten keine Kratzbürste wie LEA daheim, sondern ein liebendes Hausmütterchen wie Helena, also wie ihre Mami, nur ohne das entsprechende Tabu. Es waren die Dreißiger und viele Männer wollten es nicht besser wissen.

Wie auch immer: Helena ist eine äußerst romantische, phantasieanregende Figur. Noch dazu liebt sie ihren Schöpfer wirklich. Doch was macht dieser Frakensteinverschnitt? Er lässt sie sitzen! Diese Wendung der Dinge gibt jede Menge Anlass zu ironischen Seitenhieben, die die Story wunderbar vergnüglich machen. Aber was folgt, ist keine Achterbahnfahrt und kein Klamauk, sondern geradezu klassische Tragödie. Wirklich etwas fürs Herz. Das Finale hat dieser frühen Story über künstliche Menschen die Ehre gerettet und sie unsterblich gemacht. Jeder SF-Freund sollte sie kennen.

_4) Robert A. Heinlein: Die Straßen müssen rollen_ (The roads must roll, 1940)

Im 21. Jahrhundert ist Öl knapp geworden und steht nur noch der Regierung und ihren Truppen zur Verfügung. In der Übergangsphase haben sich die Städte daher etwas Neues einfallen lassen müssen, um ihre Bürger und Arbeiter von ihren Heimen zu den Arbeitsstätten zu transportieren und umgekehrt. Was lag näher, als eine Art mobilen Gehweg anzulegen? Doch beim Gehweg, der mit gemächlichen zehn km/h durchs Land zieht, ist es natürlich nicht geblieben. Vielmehr sind inzwischen rollende Überlandstraßen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 100 Meilen, also über 160 km/h, gebaut worden, und sie bringen die Reisenden und Güter von Chicago bis nach Los Angeles. Am Rand der Straßen schießen Läden und Restaurants aus dem Boden.

Diese gigantische neue Infrastruktur wird solarbetrieben und jemand muss sich um sie kümmern. Das sind zwei Kasten technischen Personals, zum einen auf der oberen, leitenden Ebene die paramilitärisch ausgebildeten Ingenieure und ihre Kadetten, zum anderen, auf der unteren Ebene, die einfachen Techniker. Im folgenden Konflikt wird die obere Ebene der Region Kalifornien von Chefingenieur Gaines geleitet, die untere Ebene der Techniker von seinem Stellvertreter Van Kleeck, der zugleich Personalchef ist.

Gaines zeigt gerade dem Verkehrsminister von Australien, wie wunderbar die 20. Geschwindigkeitsstraße der STRASSE funktionieren, als Streifen 20 plötzlich scharf abbremst und zum Stillstand kommt. Da gleich daneben Streifen 19 mit unverminderten 95 Meilen dahinrast, kost es zu verhängnisvollen Kontakten, die auf der Hunderte von Kilometern langen Strecke zu Ketten von Unglücken führen. Viele Passagiere sterben, noch mehr werden verwundet.

Gaines verliert keineswegs den Kopf, sondern ergreift die Initiative. Sein bedauernswerter Besucher, ein Oxfordmann mit Hut und Regenschirm, hat alle Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Doch als Gaines sein eigenes Leben einsetzt, muss auch der Besucher zurückbleiben.

|Mein Eindruck|

Ähnlich wie Heinleins Novelle „Katastrophen kommen vor“ ein AKW-Unglück schildert, so setzt sich auch „Die Straßen müssen rollen“ mit den möglicherweise katastrophalen Folgen des Einsatzes einer neuen Technologie auseinander. Wenn Technik und Gesellschaft aufeinandertreffen, dann werden Brüche und Defizite sichtbar, und es wird deutlich, welche Änderungen vorzunehmen sind. Mit der Schilderung solcher Szenarien betätigte sich Heinlein in seiner fruchtbaren frühen Phase (1939-1941) als kenntnisreicher und glaubwürdiger Warner, der mit realistischen Szenarien zu überzeugen und zugleich zu unterhalten wusste.

In zwei „Kapiteln“ seiner Novelle zeigt der Autor, was er draufhat. Zunächst liefert er den Hintergrund über die Entwicklung der Straßentechnologie und die Entstehung zweier Kasten von Technikern und Ingenieuren. Deren Konflikt ist quasi synonym mit dem zwischen gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und paramilitärisch organisierten Führungskräften, wie er noch heute vielerorts in der Wirtschaft der Vereinigten Staaten vorzufinden ist (die Führungskräfte heißen z. B. stets „Officer“).

Allerdings stellt sich der Autor, selbst ein langjähriger Offizier, klar auf die Seite der Ingenieure. Der autoritäre, aber stets kontrollierte Gaines bewältigt die Krise, und sein Gegenspieler Van Kleeck wird als introvertiert, labil und mit einem Minderwertigkeitskomplex behaftet gezeichnet. Klar, dass wir keinerlei Sympathie für dieses „arme Würstchen“ aufbringen könne, das zahllose Menschenleben auf dem Gewissen hat und als nächste Untat die Straßen komplett zu sprengen gewillt ist.

Dass der Konflikt hauptsächlich mit militärischen Mitteln gelöst wird, ist bei einem Ex-Offizier wie Heinlein abzusehen, aber Gaines‘ Endkampf gegen Van Kleeck wird völlig unblutig und mit einem psychologisch fundierten Gespräch geführt. Das hat mir sehr gut gefallen, denn schließlich sollte in Zukunft Schluss mit Wildwestmethoden sein. Gaines kommt zu dem Schluss, dass es nicht reicht, Wächter über Personal und Sicherheit einzusetzen, man muss, getreu den alten Römern, auch die Wächter selbst überwachen, auch auf Kosten der Effizienz.

Die Amis verfilmen immer weitere SF-Klassiker. Es fing an mit diversen Storys von P. K. Dick („Minority Report“) sowie Asimovs „I, Robot“ und geht weiter mit einem Remake von Richard Mathesons „I Am Legend“ (ebenfalls mit Will Smith). Wie wäre es mit einer Verfilmung von Heinleins ersten Erzählungen – wie „Die Straßen müssen rollen“?

_Die Übersetzung_

Es ist ja bekannt, dass Taschenbuchübersetzungen auch schon im Jahr 1977 schlecht bezahlt worden sein müssen, aber deswegen kann der Käufer dennoch eine einwandfreie Übersetzung erwarten, die nicht vor Fehler strotzt wie diese, die Yoma Cap anfertigte. In „Die Mars-Odyssee“ verwechselt sie einmal Dick Jarvis mit einem nicht existenten „Harris“ und dachte wohl an Commander Harrison.

In „Die Straßen müssen rollen“ ist einmal die Rede von einem ominösen „Schiefergriffel“. Ein derartiges Schreibgerät hat es nie gegeben, wohl aber Kreidegriffel für Schiefertafeln. Ich habe Caps Version dieser berühmten Story mit der von Rosemarie Hundertmarcks verglichen, die bei |Bastei Lübbe| in „Methusalems Kinder“ erschien, und stieß dadurch auf die korrekte Übersetzung.

Es finden sich zahlreiche weitere Abweichungen, so dass sich bei mir der Eindruck gebildet hat, dass Yoma Caps Fassung beileibe nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann. Wer kann, sollte sich also andere Übersetzungen suchen. Da diese Storys so bekannt sind, finden sie sich auch in anderen Anthologien.

_Unterm Strich_

Von den vier Erzählungen dieses Auswahlbandes sind drei erste Sahne und gehören zum Fundus eines jeden SF-Fans. Nur Campbells Story „Abenddämmerung“ ist für mich ein totaler Flop und so schlecht geschrieben, dass ich mich wundere, warum die amerikanischen Herausgeber sie in die Ruhmeshalle aufnahmen – eine Hommage an den Doyen der SF-Herausgeber? Wie peinlich. Ein Ruhmesblatt ist sie in meinen Augen gewiss nicht.

Bei einem Vergleich von Yoma Caps Übersetzung stieß ich auf dicke Fehler, die wirklich vermeidbar gewesen wären. Leider wurden (nicht nur) damals Taschenbuchübersetzer saumäßig schlecht bezahlt, und so lässt sich die mindere Qualität erklären – wenn auch nicht hinnehmen. Zum Glück finden sich all diese Stories auch in anderen Anthologien:
in den |Moewig|-Bänden zu 1939-1943,
in |Moewigs| „Die besten Stories von Lester Del Rey“,
in „Die besten Stories von John W. Campbell“ (ebenfalls |Moewig|)
in Weinbaums Episodenroman „Die Mars-Odyssee“ in der |Heyne| SF Bibliothek (Band 64),
sowie in Heinleins Future History „Methusalems Kinder“ (|Bastei Lübbe|),
so dass sich der heutige Leser einen Eindruck von einer fehlerlosen Textfassung verschaffen kann.

Taschenbuch: 127 Seiten
Originaltitel: Science Fiction Hall of Fame Band 1, 1970
Aus dem US-Englischen von Yoma Cap